David Hilbert

  • Hallo,
    Im Jahre 1900 stellte der Mathematiker David Hilbert ein Programm auf,
    von 23 mathematischen Problemen, die vordringlich beantwortet werden müssten.
    Wir kämen vielleicht ein Stück weiter, wenn wir für Kapitalismusanalyse, sozialistische Bewegung, ...
    einen ähnlichen Katalog aufstellten.
    Wie immer mit besten Grüßen,
    mars

  • Hallo marszenner,


    Hm... so etwas wie einen 'Fahrplan'?


    Ich frag mich grad, wie konkret der sein könnte...
    Ob es ein Fahrplan in Deinem angestrebten Sinne wäre, wenn ich da als ersten Punkt reinschreibe: Klären, was Emanzipation der Lohnabhängigen ist/sein könnte und diese dann voran bringen...


    Allerdings - wenn Du so etwas vorschlägst, hast Du doch bestimmt schon eine Grundidee, da steht vielleicht etwas ganz anderes drin und an erster Stelle, kannst Du die 'umreißen' und vielleicht sogar begründen?


    Was wir (ich darf hier hoffentlich wir sagen, sonst sorry) möchten, ist doch gesellschaftliche Veränderung, da gibt es einen Faktor, der sich um und für nichts in Formeln, wie in der Mathematik, 'kalkulieren' läßt - Menschen.


    Neugierig hast Du mich gemacht.


    Liebe Grüße - Wat.

  • Hallo Wat.
    Kein sorry!
    Ich nenne mal folgende Punkte:
    * Lohnarbeit und Kapital
    Entlohnungsformen, absolute und relative Mehrarbeit, Lohnhöhe,
    Lebenshaltungskosten,usw.
    * Sozialstaat als Verwaltung kapitalistisch erzeugter Armut
    Arbeitslosengeld, Hartz 4, garantiertes Mindeseinkommen,usw.
    * Imperialismus
    Aktion von Staat und Kapital über die Landesgrenzen hinaus
    * Reproduktionsphäre
    Familie, Kinder,usw.
    * Ausbildung als Selektion
    * Aufarbeitung bisheriger Sozialismusversuche
    Das sind einige Punkte, an die ich jetzt so denke, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
    Beste Grüße,
    mars

  • Hallo mars,



    enthält dein Katalog nicht die üblichen Probleme, mit denen wir Linken uns nicht schon seit Jahren und Jahrzehnten befasst haben, mit denen wir uns immer noch befassen und mit den wir uns im alltäglichen Kampf befassen werden müssen? Und gibt es da nicht (Z. b. bei der Bildung), trotz unterschiedlicher Standpunkte schon vielfach Lösungen, die unter kapitalistischen Umständen allerdings nicht umgesetzt werden können,?


    Für mich persönlich stellt sich als dringendste Frage, wie kommen wir nach dem realsozialistischen Desaster zu einer neuen Konzeption kommunistischer Theorie
    und Praxis, die der Produktivkraftentwicklung von Mensch und Natur bekömmlich ist und welche Rolle spielt dabei die Emanzipation der Lohnarbeiter, welche
    Rolle spielt Kommunalisierung und was können wir von Marx dabei lernen?


    Beste Grüße
    Kim

  • Hallo marszenner,


    Ich verstehe die Faszination, die von der Hilbert-Liste ausgeht, sehr gut:


    „Aus heutiger Sicht erfüllen die Formulierungen vieler Probleme … nicht mehr die Anforderungen, die ein moderner Mathematiker an derartige Texte stellen würde. Fragen müssten so genau gestellt sein, dass sie eindeutig durch die Veröffentlichung eines Beweses gelöst werden könnten. In Hilberts Liste ist dies jedoch in vielen Fällen nicht möglich. Manche Probleme sind weniger konkrete Fragestellungen als eher Aufforderungen, auf bestimmten Gebieten zu forschen; bei anderen Problemen sind die Fragen zu vage gestellt, um genau sagen zu können, was Hilbert als Lösung angesehen hätte.“
    ...

    „Hilberts Liste war dazu gedacht, die weitereEntwicklung der Mathematik zu beeinflussen. Begünstigt durch den Umstand, dassHilbert zu den renommiertesten Mathematikern seiner Generation gehörte, gingdieser Plan auf: Es versprach erheblichenRuhm, eines der Probleme auch in Teilen zu lösen, sodass sich immer mehrMathematiker mit den Themen aus Hilberts Vortrag beschäftigten und somit – selbst wenn sie scheitertendie entsprechenden Teilgebieteweiterentwickelten. Die Vorstellung dieser Liste übte somit einenwesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Mathematik im 20. Jahrhundert
    aus.”
    Aus: Wikipedia,Hilbertsche Probleme (Hervorhebung von mir)


    Man kann also sagen, dass die Orientierung an dieser Liste zu einer nuetzlichen Koordinierung und Arbeitsteilung in der mathematische Forschung gefuehrt hat.


    Aber:
    Mathematische Probleme haben die Eigenschaft, abstrakt und universell zu sein. Sie werden durch reines Denken gelöst. Solange sie ungelöst sind, behauptet niemand ernsthaft, die Lösung zu kennen. Sobald jemand die Lösung eines Problems vorstellt, wird diese von anerkannten Spezialisten auf Herz und Nieren überprüft, und dann entweder bestätigt oder verworfen. Einmal bestätigt werden sie in der Regel von allen Mathematikern akzeptiert und gelten ‚für die Ewigkeit‘.


    Die Aktualisierung der Kapitalismuskritik und vor allem die Herausforderungen der sozialen Bewegung sind konkrete Probleme, die sich mit zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten ändern können und durch Handeln gelöst werden müssen (Wat. nennt das ‚den Faktor Mensch‘). Es kann darum keine Lösungen geben, die eine "ewige Haltbarkeit" beanspruchen können. Es gibt einen Haufen Spezialisten mit mehr oder weniger plausiblen Problemlösungsvorschlägen. Es gibt aber keine anerkannten Spezialisten, dessen Urteil über Problemlösungsvorschläge wirklich ausschlaggebend wäre. Ausschlaggebend sind die konkreten Resultate. Und selbst über deren Bewertung kann man sich entzweien.


    Das sind gravierende Unterschiede, deren man sich bewusst sein muss, wenn man sich einer solchen Liste widmet. Sie lassen mich vor übertriebenen Erwartungen in Hinsicht der praktischen Nützlichkeit warnen.


    Gruss
    Antonio



    P.S.
    Eine Kritik der Verteilung bzw. Verschwendung von natuerlichen Ressourcen ist in unserer heutigen globalen Situation sicherlich dringend...

  • Es war eigentlich auch bei den Mathematikern ein Problem, und ist es für radikale Linke aktuell genauso: Schon die Art, wie man die Probleme stellen soll, also was wichtig und unwichtig ist, ist unklar und/oder strittig. Ein Problemkatalog führt vor allem vor, wie jemand sich persönlich die Lösung dieses "Problems 2.Stufe", die Verwirrung und Zerstrittenheit, vorstellt: Eine Art, Fragen zu stellen, so dass man sie beantworten kann, und so, dass sich viele darauf einigen, dass das dies die wichtigen Fragen sind.
    Diese Vorgehensweise ist eine unter mehreren möglichen, Hilbert hat sie erfolgreich angewandt.
    Andere versuchen, die Streitigkeiten selbst zum Thema zu machen, sie auf die wesentlichen Kontroversen hin zu klären (oder, etwas streitbarer, "zuzuspitzen", aber im Prinzip ist es dasselbe).
    Oder eine Theorie oder Darstellung zu liefern, die so "schlagend" und überzeugend ist, dass sie alle andern ersetzt (das ist so ungefähr Kims Richtung).
    Oder...
    ... man sucht garnicht auf der Ebene des "theoretischen" Klärens "die" Lösung, sondern hofft, durch praktisches Wursteln (in vollem Wissen, dass es das ist) auf Teil-Lösungen zu stossen oder gestossen zu werden, die sich langsam zu einem Bild zusammensetzen.
    Für all das gibt es höchst erfolgreiche Vorbilder (die ich nicht aufzähle).
    Und genauso für furchtbare Fehlschläge der jeweiligen Art.
    Leider.
    Nichtmal aus der Verteilung von Erfolg und Fehlschlag auf Themen (in der Mathematik eher SO, in der Technik eher SO..) kann man eindeutige Schlussfolgerungen ziehen.


    Nur soviel kann man vielleicht sagen: Die leichten, naheliegenden Lösungen auf "unserem" Feld hier sind wohl verbraucht.
    Unklarheit und Umstrittenheit möglicher Lösungsansätze sind ärger als je zuvor.
    ((Wals Nachrichten aus dem Niedriglohnsektor zeigen: die realen Probleme sind es auch.))

    The post was edited 1 time, last by franziska: viele schreibfehler ().

  • franziska,


    also wenn ich dich richtig verstehe, waren und sind eigentlich alle theoretischen und praktischen Fragestellungen der Linken verkehrt und führten und führen zu nichts.


    Du kommst zu dem Ergebnis: "Nur soviel kann man vielleicht sagen: Die leichten, naheliegenden Lösungen auf "unserem" Feld hier sind wohl verbraucht.Unklarheit und Umstrittenheit möglicher Lösungsansätze sind ärger als je zuvor." Wie sähe, falls du einen hast, nun dein Ansatz aus? Oder müssen wir uns für alle Zeiten mit dieser trostlosen Lage abfinden?


    Beste Grüße
    Kim

    The post was edited 1 time, last by Kim B.: Ergänzung: Oder müssen wir uns für alle Zeiten mit dieser trostlosen Lage abfinden. ().

  • (Mit einem Nachtrag versehen am 26.6.)
    Naja, Kim... im Grund weisst du schon einiges über "meinen Ansatz", es scheint nur so mickrig, dass man mir nicht gleich abnimmt, dass da was möglicherweise Weiterführendes behauptet wird.
    Ich greif mal aus Antonios Beitrag den Vergleich der Linken (die ja, so von dir, Kim, unmittelbar vorher angemahnt, neue Konzepte brauchen) mit den Mathematikern heraus, wo er - für mich verwunderlich, aber das ist wohl bezeichnend - die ALLERwichtigste Differenz aus meiner Sicht einfach vergessen hat: mathematische Spezialisten bewegen sich doch nicht auf Feldern wo praktisch JEDER Mensch mehr oder weniger ausgefeilte und von langer Hand her entwickelte Meinungen hat. Bei den Mathematikern im Grundlagenstreit gings um einige wenige handfeste Optionen, naja, im Rahmen eines bestimmten Stils, Mathematik zu betreiben also Rechenregelsysteme zu entwickeln... Bei den "Linken" gibt es ""einen (Riesen-, sage ich) Haufen Spezialisten mit
    mehr oder weniger plausiblen Problemlösungsvorschlägen". Aber die handeln von Themen, von denen die "Leute" eine Unendlichkeit an Auffassungen haben. Techniker (Mathematik ist im Vorfeld von Technik-Vorbereitung) müssen am Ende was hinstellen, das sich bedienen lässt, zweckmässig ist (der Zweck liegt meist fest), funktioniert, nicht zuviel kostet. In diese Techniker-Rolle sind Linke in der Vergangenheit ja durchaus gern geschlüpft, Gesellschafts-Ingenieur sein, funktionierende Prognosen und Plan-Maschinen bauen, die die andern nur noch besteigen und bedienen müssen (eine Köchin soll es können, DAS nennt man benutzer-freundlich!).
    Der Ansatz ist, hör auf Spezialist zu sein und dich so aufzuführen.
    Dein Wissen brauchst du nicht veregssen, sollst du nicht, nicht deine Begriffe, deine Übersicht über so vieles, und soviel Gelerntes.
    Du musst, sollst dich nicht blöder machen als du bist. Aber... du bist nichts GRUNDSÄTZLICH anderes als andre. Auch nicht demnächst, wenn der schmerzlich verlorene Status endlich (durch Arbeit unserer Experten in ihren Theorielaboren, bald kommt das neue Buch heraus!) wiedergewonnen ist. An dem ist nichts verloren.
    ---------------------------------------------------
    Nachtrag 26.6.
    Kim, du hast mir und auch andern jetzt bei verschiedenen Gelegenheiten
    immer wieder die Frage gestellt, wie eine neue Theorie ausschauen
    könnte - eine Theorie zB der Entwicklung der Produktivkraft, die
    Mensch und
    Natur bekömmlich ist. Darauf und auch auf viele andere Fragen (bald
    schon
    ein Hilbert-Programm!) würde ich durchaus gerne eingehen. Ich habe dir
    aber den Text über "meinen Ansatz" aufgeschrieben, weil das die
    Haltung ist, in
    der ich jede theoretische Arbeit beginne: Es mag sein, dass darin etwas
    ist, das mir
    und auch meinen Gesprächspartnern weiterhilft (die ja wohl nicht umonst
    mit mir reden). Aber bloss weil uns etwss eingeleuchtet hat, darf nicht
    erwartet werden, dass wir es darum schon mit andern teilen werden, etwa
    in dem wir
    versuchen, es ihnen in dieser Erwartung mitzuteilen und aufzudränegn.
    Das werden sie nicht
    zulassen. Viele der Zänkereien im Forum haben für mich diesen Charakter
    einer subtilen ABWEHR fremder Begriffe und Gedanken, als solchen, auf
    die man sich jetzt nicht einlassen will - genau das will man aber nicht
    offen vor sich und andern aussprechen. Als ob es nicht absolut
    alltäglich wäre - wieviel schliessen wir nicht aus unserem Denken und
    Verarbeitung aus, und das schon mit bewusster Absicht - wieviel mehr
    schliesst sich nicht
    ganz unabsichtlich von selbst aus, weil wir nichts davon gehört und nicht
    danach gesucht haben - schon darum nicht, weil
    wir uns mit etwas bestimmtem intensiv, alles andere momentan
    ausschliessend, beschäftigen.
    Du wirst dich erinnern: Ich habe "Theorien" in meinem
    Kommentar zur Neu-Gründung in Beziehung zu Kritik und Utopie gesetzt.
    Ich behandle Theorien grundsätzlich nicht als Agitations- und
    Aufklärungs-, womöglich Unterrichtsmaterial, das verbreitet wird und
    durch seine Richtigkeit und "Überzeugungskraft" Konsens stiftet. Noch mehr als Falschheit
    nämlich steht
    der Verständigtheit und einverständigen Planung der heute so unsagbar
    vielen Menschen
    die unterschiedliche Ausrichtung und Organisation ihrer Aufmerksamkeit im
    Weg.
    Unterschiedlich ausgerichtet ist sie; zugleich aber nur begrenzt
    aufnahmefähig (das Leben ist kurz, verglichen mit dem, was man wissen
    sollte). Der Weg zueinander ist durch diese beiden
    Ausgangsbedingungen versperrt. Theorien helfen uns, den Weg ZU UNS
    leichter zu machen, wenn jemand in unsere Nähe kommt. Aber wir
    können uns nicht mit theoretischen Gewalt-Touren zu den andern
    durchschlagen und sie zu uns herholen. Die Wege sind zu lang; die
    andern zu viele. Es muss etwas von selbst sich tun, in all den
    verschiedenen kleinen Gruppen, das sie auf lange Sicht zueinander
    bringt, auch wenn sie sich nicht kennen und beeinflussen. Dieselbe
    Vernunft in allen - derselbe Typ Erfahrung. Auf dies von selbst Geschehende und sich (also auch
    uns) Entgegenkommende muss man setzen und warten; denn anders geht
    garnichts. - Soviel zum Wert von Theorien im allgemeinen (und
    Veröffentlichen, öffentlich Diskutieren, "Verbreiten", "Vertreten",
    "Verteidigen, Begründen", gegen andere Behaupten, Durchsetzen, Lehren
    usw im besonderen...)
    Bevor ich im einzelnen was sage.

    The post was edited 1 time, last by franziska: Nachtrag eingefügt ().

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