Der Demenzkranke geht verloren

  • Schon mehrfach war der Demenzkranke mitten in der Nacht aufgestanden und hatte sich angezogen. Wenn seine Frau aufwachte, wurde er wieder ins Bett beordert. In der Nacht zum Sonntag, den 6. Juni 21, hatte sie jedoch fest geschlafen, und als er nicht wie gewöhnlich von einem Toilettengang zurückkam, stellte sie kurz vor Sieben Uhr fest: Der Demenzkranke war mit seinem Rollator außer Haus. Er war sonst niemals allein unterwegs, und es war ganz klar, dass er ohne Hilfe nicht nach Hause zurückfinden kann.

    Wir suchten ohne Erfolg die Nachbarschaft ab, eine Nachbarin versuchte sogar mit ihrem Hund seine Spur zu verfolgen. Nach einer Stunde benachrichtigten wir die Polizei. Um 9:30 kam ein Anruf, dass ihn ein Jogger bei einem Altenheim abgeliefert hatte. Er war ziemlich schnurstracks Richtung Osten marschiert, hatte die vierspurige Berliner Allee überquert und sich bei der Musikhochschule auf einer Bank niedergelassen. Wir sammelten ihn bei dem Altenheim ein. Er konnte sich an nichts erinnern, war aber noch den ganzen nächsten Tag erschöpft.

    Ein Demenzkranker läuft nicht weg. Ein Demenzkranker verlässt seine Wohnung, weil er altgewohnten Pflichten folgt: zur Arbeit gehen, die es nicht mehr gibt; Freunde und Verwandte besuchen, die tot sind oder in einer anderen Stadt leben.

    Für den Demenzkranken endet so ein Ausflug notwendig mit einer Enttäuschung.

    Für uns Angehörige endet sein Ausflug mit einer Erleichterung – sobald wir ihn wieder haben.

    Ich schaue mit Optimismus in die Zukunft, auch wenn sie ohne mich stattfindet.

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