Erst im März werde ich mich hier konkreter einbringen können. Weil ich diesen Monat noch knapp in der Zeit bin, möchte ich mich erst Mal mit meinem Verständnis von Marx vorstellen, das mich dahin gebracht hatte, mich auf Kulturkritik im marxistischen Sinn zu konzentrieren. Vielleicht kann man es nur abnicken, vielleicht auch diskutieren. Jedenfalls will ich kurz und knapp einiges Grundlegendes konstatieren, um meinen Standpunkt vorzustellen. Da kann man dann ja vielleicht schon ein bisschen "bestückt" weitermachen.
Keine Theorie hat sich so dauerhaft als Erklärung der Probleme ihrer Zeit erhalten und bewahrheitet, wie der Marxismus. Aber auch keine Theorie hat so viele ihrer eigenen Probleme verschleppt und fortgetragen wie er. Das liegt vielleicht an seiner Komplexität und Grundsätzlichkeit, die von denen, die daran arbeiteten, nicht ganz bewältigt wurde. Ganz grundlegende Missverständnisse der <http://kulturkritik.net/begrif…ikderpolitischenoekonomie>Kritik der politischen Ökonomie</a> führten oft zu einem positiven Verständnis von politischer Ökonomie, die sich die quantitativen Verhältnisse der Bewirtschaftung von Arbeit und Kapital als solche zum ausschließlichen Gegenstand ihrer Kritik machten. Weil z.B. der Unterschied von Wert und Preis der Arbeit nicht begrifffen war, führte die Forderung nach einer "Verteilungsgerechtigkeit" dazu, eine "dem Wertgesetz entsprechende" Entlohnung zu erreichen - so, als ob nicht gerade dies die Grundlage des Kapitalismus ist und dieses Fordern der Lohnverhandlung inhärent ist.
Es lag wohl aber auch an der Unvollständigkeit und einigen Inkonsistenzen marxistischer Theorie selbst, besonders hinsichtlich der Subjektivität und Kultur, die sich als Unvermögen umsetzte, die Menschen in ihrem ganzen Leben als gesellschaftliche Subjekte wirklich weiterzubringen und auf ihre Gegner adäquat zu antworten. Das gesellschaftliche Subjekt selbst war mit dem ersten Programm der SPD, dem Gründungsprogramm der Arbeiterbewegung, dem Gothaer Programm, auf den produktiv arbeitenden Menschen reduziert, dem schon der unproduktive Mensch zum Gegner wurde. Damit war Arbeit über die Bedürfnisse der Menschen gestellt und nicht mehr durch sie zu bestimmen und auch nicht hiernach zu beschränken - ganz im Sinne der so genannten Wertschöpfung, also dem innigsten Anliegen des Wertgesetzes.
Die Arbeiterbewegung stellte sich seitdem gerne als Heldenepos der Arbeit dar und kürte die Selbstlosigkeit von Menschen in der Gemeinschaft einer Masse zu einer hoheitlichen Pflicht einer Massenbewegung, in der das Recht auf eigene Sinnbildung und Bedürfnisse zurückgedrängt bzw. hintangestellt wurde - wenn es denn überhaupt zu entsprechenden Formulierungen kam. Das war bürgerlich und basta! Kulturell hatte der Arbeiterstaat, der in seinem Spießertum unübertroffen ist, mit seinen Parteigenossen durchaus Ähnlichkeiten mit dem Heldentum der Volksgenossen im Faschismus, die sich ganz den katastrophalen Ideen der "Volksbürokratie" überantworteten. Der marxistische Humanismus war zu einem Arbeitsideal verkommen, das staatspolitisch in jeder Beziehung nutzbar war und in seiner Kulturform einer noch totaleren Enteignung der Menschen diente. Dessen Kritik war daher nach dem zweiten Weltkrieg ein wichtiges Thema des Marxismus, das die Studentenbewegung als "subjektiven Faktor" auseinandersetzte, indem sie die Selbstbestimmung des Menschen im Ganzen seiner gesellschaftlichen Verhältnisse kulturkritisch gegen die Selbstbeschränktheit des bürgerlichen Subjekts hielt, das durch eine selbstlose Vergemeinschaftung seine Identität im Totalitarismus einer Volksgemeinschaft erhofft. Von daher war es in seiner gesellschaftlichen Krise einer faschistischen Staatskultur gefolgt und wurde ihren Heilsversprechungen hörig. Hiergegen wurde wieder der wesentliche Imperativ des Marxismus zur Grundlegung aller politischen Auseinandersetzung gestellt, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." (Karl Marx, »Deutsch-Französische Jahrbücher«, Paris 1844, MEW 1, Seite 385) Ohne eine Auseinandersetzung in diesem Sinne über das Verhältnis von Ökonomie und Kultur würde der Marxismus schnell wieder in sich zusammenfallen.
Um sie nicht in schlechter Unendlichkeit fortzutreiben sondern weiterzuführen ist eine Einigung über einige der wichtigsten Grundlagen vorauszusetzen, die Marxismus von anderen wissenschaftlichen und politischen Ansätzen unterscheidet. Im Großen und Ganzen wurde die wissenschaftliche Beschreibung des Kapitalismus von Karl Marx nie ohne Wahrheitsverlust infrage gestellt. Seine darin bewährten Kernaussagen lassen sich skizzenhaft darauf konzentrieren,
- dass der Warentausch Geld als Maß der Werte nötig hat, das zwangsläufig zu einem Maßstab der Preise wird, und
- dass hierdurch ein Widerspruch im Verhalten des Geldes zwischen seiner Eigenschaft als Zahlungsmittel und als Kaufmittel es sich in den Verhältnissen der Geldbesitzer zu Kapital verselbständigt, und
- dass dieses sich über die eigenen Realisierungsmöglichkeiten seiner Mehrproduktion hinausträgt, weil die Wertproduktion zu einem Mehrwert treibt, der unbezahlte Arbeit darstellt und nicht zu den Menschen zurückkommt, und
- dass dieser durch sein eigenes Wertwachstum immer mehr unproduktive Arbeit erwirkt, demzufolge die Profitrate tendenziell sinkt und die Mehrwertrate bis an die Grenze der Ausbeutbarkeit von Mensch und Natur drängt, und
- dass das Finanzkapital deshalb zunehmend zu einem fiktivem Kapital wird, das in ein Schuldgeldsystem übergeht, das die Verwertung von unproduktiven Eigentumstitel wie das Füllhorn eines unendlichen Potenzial im Zweck der Geldverwertung erscheinen lässt, als das es scheitern muss, weil diese Verwertung lediglich aus Lohnabzug besteht und den Geldwert reduziert (Negativverwertung), und
- dass schließlich zur "Rettung" der Geldwerte der nationale Lebensraum selbst als Beute durch Staatsverschuldung verbleibt und die Verschuldung der Regionen und Kommunen den Staat unmittelbar der Politik des Kapitals unterstellt und seine Bürger als dessen Bürgen in eine zweite Ebene der Ausbeutung per Spardiktat unterworfen werden (siehe Feudalkapitalismus).
Vieles hiervon lässt sich inzwischen schon in fast jeder Talkshow moderieren. Weniger leicht tut man es sich dort mit der Schlussfolgerung, dass der Kapitalisismus, wenn er nicht aufgehoben wird, die ganze Menschheit in barbarische Verhältnisse zwingen wird, weil der feudalisierte Kapitalismus die Lebenssubstanzen der Gesellschaften, also ihre Kultur selbst aufzehrt und zerstört.
Soweit die Aktualität der Erkenntnisse von Karl Marx. Doch deren Umsetzung bereiten erhebliche Schwierigkeiten vor allem dadurch, dass unentwickelte Ansätze und fehlerhafte Rezeptionen in der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und auch im weltgeschichtlichen Verlauf nicht aufgelöst sondern verstärkt und zum Gegenteil ihrer Grundlagen verkehrt wurden. Besonders schwerwiegend wurde die Fehleinschätzung des Staates in seiner Funktion für jedwedes Marktverhältnis und der Gewalt, die seine politische Verselbständigung als Feudalkapital oder als Arbeiter- und Bauernstaat darstellt. Eine grundlegende und eindeutige Selbstkritik des Marxismus, eine Neubesinnung auf die wissenschaftllichen Grundlagen von Karl Marx tut daher not.
Wolfram Pfreundschuh
franziska