Hongkong - jetzt oder nie?

  • Die Protestbewegung in Hongkong richtet sich nicht allein gegen ein neues Auslieferungsgesetz. Die Protestbewegung in Hongkong wird nicht allein von Studentinnen und Studenten getragen. Die Hongkonger haben Angst vor der Zukunft.


    Die britischen Kolonialisten hatten ursprünglich nur die Insel Hong Kong besetzt, aber 1898 noch die „New Territories“ im Norden für 100 Jahre gepachtet. Durch den ständigen Zuzug billiger Arbeitskräfte vom chinesischen Festland war Hongkong zu einem „asiatischen Tiger“ aufgestiegen.


    Als die Rückgabe der gepachteten Gebiete näher rückte, war längst klar, dass auch Hong Kong-Island für die britischen Kolonialisten nicht haltbar war. Sie gaben 1998 die gesamte britische „Kronkolonie“ an China zurück.

    Durch die Rückgabe an China tauschten die Hongkonger eine Kolonialmacht durch eine andere. Der Hongkonger Pass war wenig wert. Sowohl Großbritannien wie die VR China waren für sie Ausland, das nur mit Visum bereist werden durfte. Für die Hongkonger war die Übergabe an die VR China ungefähr so, als wenn im Jahr 1989 Westdeutschland nach dem Motto "Ein Land - zwei Systeme" unter Ostberliner Herrschaft geraten wäre.


    Durch das neue „Grundgesetz der Sonderverwaltungszone Hongkong“ bekamen die Hongkonger mehr demokratische Rechte, als sie unter den Briten besessen hatten und erst recht mehr, als die chinesischen „Mainlanders“ besaßen. Im Vertrauen auf ihren wirtschaftlichen Einfluss machten sich die Hongkonger zunächst wenig Sorgen um die Zukunft.


    In den 1980er und 1990er Jahren, als ich in China lebte, gab es kaum ein großes Hotel, in dem nicht Hongkonger die mittleren Führungsebenen besetzten, und zwei Drittel des Kapitals, das den kometenhaften Aufstieg Chinas seit der Politik der „Öffnung“ ermöglichte, kam aus Hongkong oder über Hongkong.


    1998 stellte Hongkong 15 Prozent der gesamten Wirtschaftskraft Chinas und mehr als die Hälfte aller Containertransporte von und nach China nahm ihren Weg durch Hongkong. Die Hongkonger fühlten sich nicht nur wirtschaftlich den „Mainlanders“ überlegen. Für die Hongkonger waren alle Chinesen Hinterwäldler, die sie ähnlich herablassend behandelten wie Ostdeutsche von Wessis behandelt werden.

    Aber mit dem Aufstieg von Guangzhou und von Shanghai verlor Hongkong immer mehr an Bedeutung.



    Heute erwirtschaften die Hongkonger nur noch 3 Prozent der Wirtschaftskraft Chinas und bewegen nur noch ein einziges Prozent der Container im chinesischen Außenhandel. Dieser relative Abstieg Hongkongs beruhte allein auf dem schnelleren Aufstieg Chinas, nicht auf einem wirtschaftlichen Rückgang Hongkongs.

    Das ist der Hintergrund, der den Hongkonger Sorgen bereitet. Weder stehen den Hongkonger Absolventinnen und Absolventen wie früher alle Firmentüren in China offen. Hongkonger werden nicht mehr wie seit den 1960er Jahren mit einem „goldenen Löffel“ im Mund geboren. Sie machen sich berechtigte Sorgen, dass sie nach dem Verlust ihrer wirtschaftlichen Privilegien auch ihre politischen Rechte verlieren werden.

    Um die Jahrtausendwende konnte man sich noch einbilden, dass Hongkong zum kapitalistischen Hefeteig wird, der das staatssozialistische China umformen und verwandeln wird. Heute wissen die Hongkonger, dass sie ohne Gegenwehr auch ihre politischen Sonderrechte verlieren werden. Dass die „Regenschirmproteste“ in Hongkong von den USA initiiert oder gesteuert würden, ist schlechte Propaganda. Das chinesische Festland ist ökonomisch so erfolgreich und politisch so gefestigt, dass die Mehrzahl der Festlandschinesen selbst den Einsatz von Militär gegen die ungeliebten und unbotmäßigen Hongkonger tolerieren dürfte.


    Außerhalb von China sieht die Sachlage völlig anders aus. Alle, die Chinas Aufstieg zur Supermacht beobachten, machen sich Gedanken, zu welchen Mitteln der neue Oberherr greifen wird. Anzunehmen ist: wer die eigenen Landsleute unterdrückt, der wird auch die restliche Welt nicht mit Samthandschuhen anfassen.

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