Kommunismus: keine Eigentumsfrage
In gewisser Hinsicht ist die bürgerliche Gesellschaft schon eine, wenn auch verkappte Form von Kommunismus: Über das Geld, wo es zum gesellschaftlich dominanten Verkehrsmittel geworden, ist allererst so etwas wie Gesellschaft im eigentlichen Sinne entstanden - wenngleich in der verdrehten Weise, daß es bloß ein unmittelbar gesellschaftliches - und darin durchaus kommunistisches - Verhältnis von Sachen, von Dingen hervorgebracht hat. (1) Über dieses Verhältnis stellt sich in der kapitalistischen Ökonomie erstmalig ein wirklich gesellschaftliches, d. h. alle Stammes- und Familienbande sprengendes Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen her - ein Beziehungsgeflecht freilich, in welchem aufgrund der realen Verkehrung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zueinander in solche zwischen bloßen Dingen lauter vereinzelte Einzelne einander begegnen. Die Gesellschaftlichkeit der Individuen existiert so als etwas außerhalb ihrer Bestehendes, das, als unmittelbare Beziehung von Dingen, das gesellschaftliche Leben in einer gleichsam naturgesetzlichen Weise bestimmt. Daher nimmt das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen im kapitalistisch basierten Leben die Form eines Geflechtes von Sachzwängen an.
Kommunismus in einem rationellen Sinne hieße daher, dem der bürgerlichen Gesellschaft bzw. der kapitalistischen Ökonomie notwendig inhärenten verkappten Kommunismus durch Aufhebung der Verkehrung gesellschaftlicher in dingliche Beziehungen zum Durchbruch zu verhelfen, und zwar ganz im Sinne der Verheißung der Aufklärung aufs individuelle Glück. Daß der Einzelne sein Glück nicht gegen die Anderen, sondern mit ihnen erreiche: das ist der Zweck von rationell verstandenem Kommunismus - und dafür bedarf es weder einer Verstaatlichung der Produktionsmittel noch einer sonstigen Anordnung zur Aufhebung des Privateigentums; vielmehr handelte es sich bei einer kommunistischen Gesellschaft um die Wiederherstellung dessen, was Privateigentum in einem gewissen Sinne einmal war und durch das Kapital enteignet wurde. (2) Was die gesellschaftlichen Produktionsmittel wiederum betrifft, hieße Kommunismus schlicht und ergreifend, ihren Einsatz nicht mehr als Eigentums-, sondern als Verfügungsfrage zu regeln - im Sinne eines Darüber-Verfügens, das die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse Aller sicherstellte - nicht mehr und nicht weniger. Und zwar ohne irgendwelche staatlichen “Ausgleichsleistungen”; stattdessen mit dem Zur-Verfügung-Stellen von Möglichkeiten, daß jeder endlich tatsächlich seines Glückes Schmied werden könne, also das wahrzumachen in der Lage sei, was unter kapitalistischen Produktionsbedingungen immer nur ein bloßes, nie wirklich gehaltenes Versprechen zu sein vermag. Kommunismus, recht verstanden, bedeutete also, die Sonntagsreden des Kapitalismus praktisch wahr werden zu lassen. Eben darum darf man, bei aller gebotenen radikalen Kritik an Kapital und Geld, nie hinter den Kapitalismus zurückfallen. Alles andere wäre reaktionär und faschistisch.
----------------------------------------------------
(1) Wie Hannah Arendt in ihrem Buch Vita activa oder Vom tätigen Leben (München: Piper, 2008, S. 56) ausführt, hat bereits die klassische Nationalökonomie eine uneingestandene Ahnung vom kommunistischen Kern der kapitalistischen Ökonomie gehabt:
“Es war nicht erst Marx, sondern die liberalen Wirtschaftstheoretiker selbst, die zu der ‘kommunistischen Fiktion’ greifen mußten und von einem Interesse der Gesellschaft als solcher sprachen, das mit ‘unsichtbarer Hand’ (Adam Smith) das gesellschaftliche Verhalten aller Menschen leitet und so die Harmonie der widerstreitenden Interessen immer wieder herstellt.”
Zu Marx selbst schreibt Hannah Arendt direkt im Anschluß:
“Der Unterschied zwischen Marx und seinen Vorläufern war nur, daß er das Faktum widerstreitender Interessen ebenso ernst nahm wie die wissenschaftliche Hypothese einer diesem Widerstreit heimlich zugrundeliegenden Harmonie, und er war nur konsequenter, wenn er hieraus den Schluß zog, daß eine ‘Vergesellschaftung des Menschen’ automatisch zu einer Harmonisierung der Interessen führen würde; wie sich denn auch sein Vorschlag, die allen ökonomischen Theorien zugrundeliegende ‘kommunistische Fiktion’ in der Wirklichkeit zu etablieren, von den Lehren seiner Vorgänger vor allem durch größeren Mut auszeichnete.” (Ebenda)
Marx hält sie dabei entgegen, daß der “nicht verstand - und in seiner Zeit schwerlich verstehen konnte - ..., daß die Keime einer kommunistischen Gesellschaft bereits in der Realität eines Nationalhaushalts vorgebildet waren und daß ihre volle Entfaltung nicht so sehr durch irgendein Klasseninteresse sabotiert wurde wie durch die damals schon veraltete monarchische Struktur des Nationalstaats.” (Ebenda)
Die volle Entfaltung jener Keime hatte zu der Zeit, als Arendt dies schrieb, inzwischen längst stattgefunden, so daß jene in sich verkehrte und sich permanent selbst verkehrende, weil ausschließlich den Lebensnotwendigkeiten und der Akkumulation von Besitz und (abstraktem) Reichtum sich widmende “kommunistische” Gesellschaft ihren Siegeszug weitgehend vollendet hatte und Arendt sogar eine verdrehte Art und Weise der Realisierung des von Marx und Engels prognostizierten Absterbens des Staates konstatieren konnte:
“Wo immer die Gesellschaft sich voll entfaltet und den Sieg über alle anderen, nicht-gesellschaftlichen Elemente davonträgt, zeitigt sie notwendigerweise, wenn auch in verschiedenen Formen, eine solche ‘kommunistische Fiktion’, deren Merkmal ist, daß in ihr wirklich mit ‘unsichtbarer Hand’ regiert wird, daß ihr Herrscher ein Niemand ist. Dann tritt das bloße Verwalten in der Tat an die Stelle von Staat und Regierung, was Marx ganz richtig als ein ‘Absterben des Staates’ vorausgesagt hat, wiewohl er sich irrte, wenn er meinte, daß nur eine Revolution dieser Entwicklung zum Siege verhelfen könnte, und sich verhängnisvoller irrte, wenn er glaubte, daß ein vollständiger Sieg schließlich in das ‘Reich der Freiheit’ führen würde.” Ebenda, S. 56 f.)
(2) Ebenfalls in Vita activa (s. Fußnote (1)) schreibt Hannah Arendt hierzu:
“[D]er zu einem Anliegen der Öffentlichkeit gewordene gesellschaftliche Reichtum hat solche Proportionen angenommen, daß er die Formen des Privateigentums wie des Privatbesitzes automatisch sprengt. [...] Das eigentlich Bedrohliche an dieser Entwicklung ... ist nicht die Abschaffung des Privatbesitzes, die ohnehin unaufhaltsam ist auch in den Ländern mit angeblich (??) kapitalistischer Wirtschaft, sondern die Abschaffung des Privateigentums, also jene Enteignung, die den Menschen von dem immer begrenzten, dafür aber greifbaren und handhabbaren Stück Welt trennt, das er sein eigen nennt, weil es dem, was ihm eigen ist, allein dient.
[...] Die einzig wirksame Art und Weise, die Dunkelheit dessen zu gewährleisten, was vor dem Licht der Öffentlichkeit verborgen bleiben muß, ist Privateigentum, eine Stätte, zu der niemand Zutritt hat und wo man zugleich geborgen und verborgen ist.” (Ebenda, S. 85 ff.)
Im unaufhörlichen Prozeß seiner Akkumulation enträumlicht und entweltlicht das Kapital das Privateigentum zu einem flüchtigen Moment und enteignet eine Klasse gleich ganz von jedem Rest an weltlich verortbarem Privateigentum (und schafft und reproduziert sie dadurch immer wieder), so daß diejenigen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen, mit Notwendigkeit auf den doppelten skandalösen Irrsinn verwiesen sind, mit diesem leiblichen Vermögen wie mit einem ihnen äußerlich vorausgesetzten Privateigentum umzugehen, ohne aber über den Gebrauch dieses Vermögens wirklich selbst verfügen zu können. Arendt führt in diesem Zusammenhang den ‘Vater des Liberalismus’, John Locke, an, der in seiner Verteidigung des Privateigentums diesen Irrsinn bewußtlos ausplaudert:
“Historisch gesprochen ist Lockes These, daß der Ursprung allen Eigentums in der Arbeit liege, mehr als zweifelhaft; zweifellos aber ist, daß diese These sich längst bewahrheitet hat, insofern wir ja seit langem unter Bedingungen leben, in denen nur die Fertigkeiten und die Arbeitskraft, die uns wie das Leben selbst zu eigen sind, ein zuverlässiger Besitz sind. Locke stellte seine These auf, um das Privateigentum gegen Angriffe sicherzustellen, und er meinte, eine unangreifbare Basis für seine Rechte gefunden zu haben, als er auf dasjenige hinwies, was dem Ärmsten verbleibt, nachdem man ihn enteignet hat: die Arbeitskraft, die dann noch übrigbleibt, ist in Wahrheit ein ‘Eigentum’ nur noch in metaphorischem Sinne.” (Ebenda, S. 85)