Gewerkschaftsbewegungen 1970 - 2011

  • In den kapitalistischen Metropolen ist der Einfluss der Gewerkschaften insgesamt zurückgegangen – ablesbar am gewerkschaftlichen Organisierungsgrad, dem Prozentsatz der Gewerkschaftsmitglieder an allen aktiven Lohnarbeitern. Mit dem Ausnahmefall Schweden haben die Gewerkschaften in Großbritannien, Italien, Deutschland, Japan, USA und Frankreich im Vergleich zu 1975/76 fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Schweden ist ein doppelter Ausnahmefall, denn dort ist der Organisierungsgrad der Lohnarbeiter ungewöhnlich hoch (rund 70% gegenüber 10-30%) und der Höhepunkt der Organisierung lag in Schweden Mitte der 90er Jahre, nicht Mitte der 70er Jahre.



    Der Rückgang der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht gegenüber dem Kapital wird im linken Diskurs einer „neoliberalen Offensive“ zugeschrieben. Dabei wird unterstellt, dass Regierung und Kapital einem Masterplan folgen, mit dem die Gewerkschaften geschwächt und die Lebensbedingungen der Lohnarbeiter verschlechtert werden sollen. Der „neoliberale Masterplan“ wird eventuell noch ergänzt durch einen „Verrat der Gewerkschaftsführer“. Eine der Galionsfiguren dieser „neoliberalen Politik“ war die soeben verstorbene Margret Thatcher.
    Ich halte nichts von diesem Erklärungsansatz, der einer Verschwörungstheorie gleicht wie ein Ei dem anderen. Ich glaube weder, dass „DIE POLITIK“ den Kapitalisten einen Masterplan vorgibt, noch glaube ich, dass die Kapitalisten überhaupt einen Masterplan haben, an dem sie ihr Handeln ausrichten. Ich denke, sie reagieren nur auf die ökonomischen Gegebenheiten ihrer Produktionsweise.


    Ich sehe den Rückgang der Gewerkschaftsbewegung als notwendige Folge der verschlechterten Verwertungsbedingungen des Kapitals in den Kernzonen. In allen wirtschaftlichen Boomzeiten nimmt auch die Gewerkschaftsbewegung einen Aufschwung (wie zur Zeit in China), weil dann die Kapitalisten miteinander um mehr und um bessere Arbeitskräfte konkurrieren, was die Verhandlungsmacht der Lohnarbeiter stärkt. Umgekehrt im wirtschaftlichen Abschwung, der die Verhandlungsmacht der Kapitalisten gegenüber den Lohnarbeitern stärkt.


    Die sogenannte „Globalisierung“ war eine Reaktion auf verschlechterte Verwertungsbedingungen des Kapitals in den Metropolen und führte notwendig, aber gleichsam nebenbei zu einer Schwächung der Gewerkschaftsmacht – ohne dass sich das irgendwer zum Ziel gesetzt hätte. Eine Margret Thatcher musste keinen Masterplan entwerfen, aber die krisenhafte Lage des britischen Kapitals verstehen und mit aller Energie die Mittel anwenden, die dem Kapital in jeder Krise bleiben: Lohnarbeiter entlassen, Löhne senken, Kosten senken, Arbeitsanforderungen erhöhen.


    Was ist in Schweden anders? Schwedische Gewerkschaften verstehen sich als Co-Manager wie alle anderen Gewerkschaften auch und treten nicht militanter auf als die Gewerkschaften in Deutschland. In Schweden wird jedoch die Arbeitslosenversicherung von den Gewerkschaften verwaltet. Sie zahlen auch das Arbeitslosengeld aus. Schwedische Gewerkschaften bieten also ein breiteres Spektrum an Dienstleistungen an als die Gewerkschaften hier. Außerdem vereinbaren die schwedischen Gewerkschaftsspitzen mit den Kapitalverbänden meist nur Mindesttarife, die dann in den Unternehmen von den unteren Gewerkschaftsebenen ausgestaltet und ausgefüllt werden. Das schafft für die schwedischen Gewerkschaftsmitglieder eine höhere Transparenz und größere Einflussmöglichkeiten als hier üblich sind, wo fast alles auf höchster Ebene entschieden wird und der Rest von Betriebsräten erledigt wird, die dem Gesetz, aber nicht den Gewerkschaftsmitgliedern verpflichtet sind. In Schweden gibt es keine gesetzlichen Betriebsräte.


    Nur am Rande: Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad ist kein Gradmesser für die Militanz der Lohnarbeiter. Lohnarbeiter in Frankreich greifen häufiger als Deutsche zu militanten Aktionen. Ihr Organisierungsgrad ist jedoch niedriger als der in Deutschland.
    Wal Buchenberg

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