Wer liebt denn seine Arbeit?

  • Lohnarbeiter in Deutschland haben nicht nur bei Linken den Ruf, besonders fleißig, besonders zuverlässig und besonders angepasst zu sein. Das ist nur Fassade.

    Nur gut ein Drittel aller Lohnarbeiter (36,4%) würden seinen "Freunden und Familienangehörigen die Produkte/Dienstleistungen meiner Firma empfehlen“.

    Die Managementberater von Gallup stellten 2018 in einer repräsentativen Befragung fest:

    - 71 Prozent der Lohnarbeiter in Deutschland machen nur „Dienst nach Vorschrift“ .

    - 5 Millionen Lohnarbeiter (14%) finden ihre Arbeit und ihren Arbeitsplatz zum Kotzen und haben „innerlich gekündigt“.

    - Nur 15 Prozent der Lohnarbeiter in Deutschland lieben ihre Firma und ihre Arbeit.

    Diese 15 Prozent - und nur diese 15 Prozent - haben das, was Traditionslinke ein "falsches Bewusstsein" nennen.


    Quelle: FAZ

  • Hallo Wal,


    ich glaube, dass du diese Umfrage sehr optimistisch deutest. Nach meiner Auffassung vertreten die 71% der Arbeiter die "Dienst nach Vorschrift" machen, ebenfalls

    ein kleinbürgerliches Bewusstsein, also ein falsches Bewusstsein. Ich weiß wie diese Leute ticken. Sie sind mit dem System nicht vollkommen zufrieden, aber letztendlich spielen sie trotzdem mit. Sie glauben, dass mit kleinen Handgriffen das System von Innen "repariert" werden kann. Das ist die sog. "Mitte der Gesellschaft", geistlose Mitläufer, die lieber in das kapitalistische Märchen flüchten, anstatt der Realität ins Auge zu blicken.

    Damit endlich etwas passiert, muss sich die Lebenslage dieser 71% drastisch verschlechtern.


    Viele Grüße,


    nikotin

  • Du kannst also in Millionen Kopfe gucken und sehen, was sie denken? Ich kann das nicht.

    Was man bei diesen 71 Prozent der Lohnarbeiter sehen kann, ist, dass sie das tun, wofür sie bezahlt werden und keinen Handschlag mehr. An diesem "Jobbewusstsein" ist nichts verkehrt.


    Wahr ist allerdings, dass diese Lohnarbeiter nicht das tun, was du gerne hättest, und was du von ihnen verlangst, nämlich "Revolution machen".

    Du nennst "falsches Bewusstsein" das Bewusstsein, das dir nicht in den Kram passt.

    Ich nenne "falsches Bewusstsein" ein Bewusstsein, das weder der Situation noch den Kräfteverhältnissen angepasst ist.

    Du hast "falsches Bewusstsein", die Mehrzahl der Lohnarbeiter nicht.

    Gruß Wal

  • Welche Parteien werden denn hier vornehmlich gewählt? Sozialchauvinisten und Reaktionäre. Das sagt doch schon alles über die Arbeiter hier aus.

    Ich kann gewiss nicht in Millionen Köpfe gucken, aber ich habe schon mit genug Leuten gesprochen. Und das Ergebnis dieser Gespräche bestätigt mich in meinem Eindruck.


    Selbstverständlich habe ich ein Problem mit diesem Bewusstsein, weil es wahrhaftig kleinbürgerlich ist.

  • Du wechselst das Thema. Die repräsentative Befragung nimmt das Verhalten während der Lohnarbeit in den Blick. Das ist ein Verhalten von 7 bis 8 Stunden an jedem Arbeitstag.

    Du kommst jetzt mit Wahlverhalten um die Ecke. Das ist ein Verhalten für eine Stunde an einem Sonntag einmal alle vier Jahre. Auch das wäre zu erklären, aber das ist jetzt nicht Thema.


    Nochmals: Du hast Erwartungen an die Lohnarbeiter, die weder der Situation noch den Kräfteverhältnissen entsprechen. Das nenne ich "falsches Bewusstsein".


    Gruß Wal

  • Diese 15 Prozent - und nur diese 15 Prozent - haben das, was Traditionslinke ein "falsches Bewusstsein" nennen.

    Warum nur diese und was ist das falsche Bewusstsein laut der "Traditionslinken"? Die Erklärung dazu würde mich interessieren.:/

  • Diese 15% (und nur diese 15%) haben sich gemütlich in ihrem Lohnsklavendasein eingerichtet. Sie haben ein Liebesverhältnis zu "ihrer" Firma und zu ihrer abhängigen Existenz. Das macht sie immun für ein Erkennen der Klassenverhältnisse. Sie glauben dem kapitalistischen Glücksversprechen.

    Alle anderen spüren den Frust ihrer fremdbestimmten Existenz als Lohnabhängige. Sie alle sind mehr oder minder für Solidarität und Aufklärung empfänglich.

  • Ich wechsle doch gar nicht das Thema. Hat nicht Marx selbst gesagt, dass man anhand des Wahlverhaltens der Arbeiter innerhalb der parlamentarischen Demokratie ablesen kann, wie es um das gegenwärtige Klassenbewusstsein bestimmt ist?


    Ja, deswegen hoffe ich, dass sich die Lebensumstände der Arbeiter(aristokraten) erheblich verschlechtert. Die Arbeiter hier haben ein kleinbürgerliches Bewusstsein, weil es ihnen schlicht zu gut geht. Doch bevor es soweit kommt, wird sich ein beträchtlicher Teil eher dem Faschismus zu wenden. Ich sage das wirklich nicht um dich zu ärgern, aber ich hege große Zweifel an der deutschen bzw. westlichen Arbeiterklasse.


    Viele Grüße,


    nikotin

  • Ich wechsle doch gar nicht das Thema. Hat nicht Marx selbst gesagt, dass man anhand des Wahlverhaltens der Arbeiter innerhalb der parlamentarischen Demokratie ablesen kann, wie es um das gegenwärtige Klassenbewusstsein bestimmt ist?

    Hallo Nikotin,

    Ich spreche über das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital, du willst lieber über das Verhältnis zwischen Lohnarbeiter und Staat sprechen. Auch darüber müssen wir diskutieren, aber in diesem Thread geht es um das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital. Das Verhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit ist das grundlegende und alles bestimmende Verhältnis im Kapitalismus. Nur von hier aus kann der Kapitalismus verstanden werden und nur von hier aus kann der Kapitalismus beseitigt werden. Wer nicht über das Verhältnis Lohnarbeit und Kapital sprechen will, will nicht über den Kapitalismus sprechen.


    Also zurück zu diesem Thema:

    „Wir sahen ...: das Kapital – und der Kapitalist ist nur das personifizierte Kapital ... –, also das Kapital pumpt in dem ... Produktionsprozess eine bestimmte Menge Mehrarbeit aus den unmittelbaren Produzenten oder Arbeitern heraus, Mehrarbeit, die jenes (das Kapital, w.b.) ohne Gegenwert erhält und die ihrem Wesen nach immer Zwangsarbeit bleibt, wie sehr sie auch als das Resultat freier vertraglicher Übereinkunft erscheinen mag.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 827.


    Ausbeutung ist entweder „unmittelbare Zwangsarbeit oder vermittelte Zwangsarbeit.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 232.

    Für die Lohnarbeiter bedeutet Ausbeutung, dass sie „die Macht eines fremden Willens, der ihr Tun seinem Zweck unterwirft, ertragen müssen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 351.


    Wenn der Lohnarbeiter sich zu seiner Arbeit „als einer unfreien verhält, so verhält er sich zu ihr als der Tätigkeit im Dienst, unter der Herrschaft, dem Zwang und dem Joch eines anderen Menschen.“ K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW 40, 519.

    Ich behaupte, die große Mehrzahl der Lohnarbeiter spürt dieses Zwangsverhältnis und leidet unter diesem Arbeitszwang. Ihre Ausbeutung, die Produktion von Mehrwert und Kapital, können die Lohnarbeiter nicht sehen. Die Ausbeutung der Lohnarbeit ist im Kapitalismus unsichtbar und kann nur mit dem Verstand erschlossen und begriffen werden:

    "Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fronbauern für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eigenen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit. Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. ... Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und gerade sein Gegenteil zeigt, beruhen alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Selbsttäuschungen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle beschönigenden Flausen der Vulgärökonomie. K. Marx, Kapital I, MEW 23, 562.


    Die Lohnarbeiter können also ihre Ausbeutung nicht direkt sehen und spüren. - und auch du kannst und willst nicht die Ausbeutung der Lohnarbeiter in Deutschland sehen und begreifen. In diesem Punkt hast du ganz genau dasselbe "falsche" (richtig: mangelhafte) Bewusstsein wie die Lohnarbeiter in Deutschland.

    Du siehst den hohen Lohn, den Lohnarbeiter in Deutschland bekommen, und glaubst, diese Lohnarbeiter werden nicht ausgebeutet.

    Die Ausbeutung wird aber erst sichtbar, wenn man auf das Gesamtprodukt schaut, das Lohnarbeiter erarbeiten, und davon den Lohn (und das konstante Kapital) abzieht.


    Aber die Lohnarbeiter in Deutschland sehen und spüren ihre Unterwerfung unter den Willen ihres Kapitalisten. Diese Unterwerfung unter den Willen des Kapitals beginnt mit dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses. Es beginnt schon damit, dass das Kapital (sein Vertreter) frei entscheidet, ob er dich einstellt und unter welchen Bedingungen er dich einstellt. Im letzten Jahr (2017) wurde fast die Hälfte der jungen Berufsanfänger (46%) nur mit einem befristeten Arbeitsvertrag eingestellt. Diese befristeten Arbeitsverträge erhöhen den Druck des Kapitals auf "seine" Lohnarbeiter ins Ungeheure. Da kann die konkrete Organisation der späteren Arbeit scheinbar "ganz locker" und an einer ganz langen "Leine" erfolgen.

    Marx sagte: Das Verhältnis des Kapitals zur Lohnarbeit ist ein Zwangsverhältnis. Du meinst, es sei ein gemütliches Klüngelverhältnis, um gemeinsam die kapitalistische Peripherie auszubeuten. Da liegst du ganz falsch.


    Ja, deswegen hoffe ich, dass sich die Lebensumstände der Arbeiter(aristokraten) erheblich verschlechtert. Die Arbeiter hier haben ein kleinbürgerliches Bewusstsein, weil es ihnen schlicht zu gut geht. Doch bevor es soweit kommt, wird sich ein beträchtlicher Teil eher dem Faschismus zu wenden. Ich sage das wirklich nicht um dich zu ärgern, aber ich hege große Zweifel an der deutschen bzw. westlichen Arbeiterklasse.

    Allenfalls seinen Feinden wünscht man, dass sich ihre Lebensumstände verschlechtern. Nur seinen Feinden wünscht man, dass ihnen Schlimmes passiert. Du behandelst die Arbeiter wie Feinde. Dir geht es nicht wirklich um das Wohlergeben der Arbeiter. Dir geht es wirklich nur um deine eigenen Ziele. Dir geht es darum, dass schnell Revolution gemacht wird, und dass du recht bekommst. Die Arbeiter sind dir dabei nur Mittel zu deinem Zweck.

    Die Lohnarbeiter sind für dich Instrumente, um deine Ziele zu erreichen.

    Dein Pech ist, dass die Lohnarbeiter nicht gerne "Instrumente" für andere sind. Dein Pech ist, dass die Lohnarbeiter einen eigenen Willen haben, und dass sie gerade in Deutschland ziemlich schlechte Erfahrungen damit gemacht haben, wenn sie irgendwelchen „Führern“ gefolgt sind - egal unter welcher Fahne diese (Ver)Führer aufgetreten sind.


    Für die Lohnarbeiter bist du nur ein weiterer (Ver)Führer, der sie unter seiner Fahne sammeln und auf einen Weg führen will, der deine Existenz verbessert, aber an der Lage der Arbeiter nichts grundlegend ändert. Es ist ein Weg, an dessen Ende abzusehen ist, dass die Arbeiter wieder nur Arbeiter bleiben, die für einen fremden Willen malochen müssen. Daran haben die Arbeiter wirklich kein Interesse.

    Nochmals: Ich denke, du hast ein „falsches Bewusstsein“, nicht die Lohnarbeiter.


    Gruß Wal

  • Erst einmal ist zu erwähnen, dass (für mich soweit) nicht aus dem Artikel hervorgeht, was die Untersuchten genau angekreuzt oder sonstiges mitgeteilt haben. Wenn sich jemand in einem Unternehmen "richtig wohl fühlt", lässt das noch lange keinen Schluss über die politische Einstellung zu - immerhin gibt es sogar Unternehmen, die sich als ziemlich links verstehen und als bereits praktische Alternative einer besseren Gesellschaft verstehen (SoLaWi/Konsumgenossenschaften, Tauschringe, Mitarbeiterunternehmen und andere armselige Versuche, dem Kapitalismus zu entkommen). Solche Ideen sind dann wohl nicht weit weg von dem Geldsozialismus der ML-Parteien im 20. Jahrhundert.

    Umgekehrt ist der Gedanke ebenso falsch. Es ist nirgendwo der Fall, dass die objektiven Bedingungen und Lebensumstände die Gedanken und politischen Einstellungen der Leute determinieren würden. Ein schlimmes Arbeitsverhältnis, das damit zu einem schlechten Lebensverhältnis wird, schreibt keinem Arbeiter vor, was er sich zu dem System einbildet - genauso wenig können dies gute Lebensverhältnisse. Ob arme Arbeiter Revolutionäre, Faschisten oder dümmste Opportunisten sind, ist an deren materiellen Bedingungen nicht abzusehen, sondern abhängig von deren Willen und Wissen. Genauso kann ein wohlhabender Akademiker oder Unternehmer zu einem starken Kommunisten werden - Engels als Kapitalist etwa oder die vielen sozialistischen Revolutionäre der "Avantgarde" haben sich bisher vornehmlich aus wohlsituierten Kreisen der Gelehrten und Kleinbürger gebildet.


    "Alle anderen spüren den Frust ihrer fremdbestimmten Existenz als Lohnabhängige. Sie alle sind mehr oder minder für Solidarität und Aufklärung empfänglich." (Wal)
    Richtig sind diese Aussagen nicht. Man kann auch in schlechten Arbeitsverhältnisse etwa "mehr Respekt" von Unternehmen wünschen oder sich auf den Titel "als anständige Lohnabhängige" berufen und den Staat anbetteln, doch ein paar Reformen zu veranlassen. Was die schwammigen Phrasen von "Solidarität und Aufklärung" bedeuten sollen, ist ebenso unerfindlich, erst recht die verdächtige Relativierung "mehr oder minder".



    "Ja, deswegen hoffe ich, dass sich die Lebensumstände der Arbeiter(aristokraten) erheblich verschlechtert. Die Arbeiter hier haben ein kleinbürgerliches Bewusstsein, weil es ihnen schlicht zu gut geht." (nikotin)


    Ich habe den gedanklichen Fehler von nikotin bereits mehrfach wiederlegt, aber noch einmal: Es wird ernsthaft behauptet die Arbeiter hätten ein falsches Bewusstsein, "weil es ihnen schlicht zu gut geht" - und nicht, weil sie die falschen Erklärungen für diese Gesellschaftordnung vertreten; nicht, weil sie eben ihr falsches Bewusstsein zur sozialen Ordnung gerade vertreten. Ihre Gedanken zur gesellschaftlichen Realität seien laut Zitat einfach vorgegeben durch diese Wirklichkeit selbst, so wird die Fähigkeit zum Nachdenken vollständig geleugnet. Die Erklärungen der Leute sind jedoch völlig unabhängig von der konkreten Lage etwa eines Arbeiters.

    Bei dieser deterministischen Theorie geht nikotin ernsthaft soweit, sich die Verelendung der Arbeiter zu wünschen. Wenn das nicht überzeugend ist! Es ginge den Ausgebeuteten hierzulande "zu gut", dafür nämlich, dass ihr Hirn automatisch dann bei schlechten Lebensverhältnissen zu revolutionären Gedanken kommt oder gar zum richtigen Bewusstsein. Eines muss man ihm lassen, schwer wird er es nicht haben bei seiner kommunistischen Aktion: die Arbeiter einfach noch mehr ausbeuten lassen, da wird er viele Freunde in dieser Gesellschaft finden, die dies schon längst veranstalten. Und dann kann der nikotin zusehen und warten, bis sich bei den verelendeten Arbeitern von selbst ihre sozialistischen Gedanken einstellen. Marxistische Agitation braucht es dafür offensichtlich nicht. So hat Marx wahrscheinlich erst dann seine korrekten Gedanken im Kapital niederschreiben können, weil er erst im Exil ein richtiges Armutsleben verbringen musste.


    PS (besonders nikotin): Regt euch bitte nicht wieder so auf, wenn euch jemand widerspricht. Ist doch alles nicht so dramatisch. ^^

  • Erst einmal ist zu erwähnen, dass (für mich soweit) nicht aus dem Artikel hervorgeht, was die Untersuchten genau angekreuzt oder sonstiges mitgeteilt haben.

    Ich habe meine Quelle angegeben. Die Originalquelle von Gallup kannst du googeln. Diese Befragung wird von Gallup in vielen Ländern und jedes Jahr gemacht.

    Wenn sich jemand in einem Unternehmen "richtig wohl fühlt", lässt das noch lange keinen Schluss über die politische Einstellung zu

    Hier machst du denselben Fehler wie Nicotin. Es geht bei dieser Befragung nicht um "politische Einstellung". Es geht allein um die Einstellung der Lohnarbeiter zu ihrem Kapitalisten. Als Ergebnis kommt die Untersuchung von Gallup auf drei unterschiedliche Einstellungen:

    1. Eine volle Identifikation des Lohnarbeiters mit seinem Kapitalisten. (Das ist das, was ich "falsches Bewusstsein" nenne, weil die Klassenunterschiede hier komplett geleugnet und ausgeblendet werden.)

    2. Eine halbe Distanzierungen des Lohnarbeiters von seinem Kapitalisten, die aber nur innerlich ist, nach außen zeigt er seine Distanz nicht. Das nennen die Gallup-Leute "Dienst nach Vorschrift" und sie finden das gar nicht gut. Ich finde das ganz realistisch und den Verhältnissen meist angemessen.

    3. Die völlige Ablehnung des jeweiligen Kapitalisten durch den Lohnarbeiter - die "innere Kündigung". (Eine Ablehnung des Kapitalismus insgesamt ist damit nicht notwendig verbunden.)


    Alle diese drei Reaktionen geben einen ersten Blick hinter die Kulissen der kapitalistischen Verhältnisse in Deutschland.

    Es ist nirgendwo der Fall, dass die objektiven Bedingungen und Lebensumstände die Gedanken und politischen Einstellungen der Leute determinieren würden.

    Das ist eine dumme Unterstellung, dass ich glaube, die objektiven Bedingungen würden die "politischen Einstellungen" der Leute determinieren. Und nochmals: Es geht hier gar nicht um Politik, sondern um das Verhältnis Lohnarbeit zum Kapital.

    Die Daten von Gallup zeigen übrigens genau das Gegenteil einer "Determinierung".

    Die "objektiven Bedingungen" des Kapitalismus in Deutschland sind mehr oder minder einheitlich durch Gesetz und Tarife etc. geregelt. Aber Gallup findet heraus, dass die Leute ganz unterschiedlich auf diese Bedingungen reagieren: 15% machen sich die Verhältnisse "zu eigen". 71% arrangieren sich mit den Verhältnisse, 14% reiben sich an diesen Verhältnissen auf.


    "Alle anderen spüren den Frust ihrer fremdbestimmten Existenz als Lohnabhängige. Sie alle sind mehr oder minder für Solidarität und Aufklärung empfänglich." (Wal)
    Richtig sind diese Aussagen nicht. ... Was die schwammigen Phrasen von "Solidarität und Aufklärung" bedeuten sollen, ist ebenso unerfindlich, erst recht die verdächtige Relativierung "mehr oder minder".

    Was ich damit meine, ist folgendes:

    „Die Revolutionen bedürfen nämlich eines passiven Elements, einer materiellen Grundlage. Die Theorie wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist. ... Es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum Gedanken drängen.“ K. Marx, MEW 1, S. 386.

    Ich nehme diesen Gedanken von Karl Marx ernst. Mir geht es tatsächlich um "die Verwirklichung der Bedürfnisse" des (lohnabhängigen) Volkes.

    Es geht mir zunächst darum, herauszufinden, was die Bedürfnisse der Lohnarbeiter im heutigen Deutschland sind. (Auf fernere Lohnarbeiter in anderen Ländern habe ich keinerlei Einfluss)

    Angewandt auf die obigen Daten heißt das:

    - 15% der Lohnarbeiter in Deutschland sehen ihre Bedürfnisse im Kapitalismus verwirklicht. Sie identifizieren sich mit dem Kapital und dem Kapitalismus.

    - 71% der Lohnarbeiter (also mehr als zwei Drittel) suchen und schaffen einen Ausgleich zwischen ihren Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Kapitalisten. Sie machen "Dienst nach Vorschrift" und kommen damit eine Zeit lang über die Runden.

    - 14% sehen einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen ihren Bedürfnissen und den Bedürfnissen ihres Kapitalisten.

    Das ist meine Lagebeschreibung für den Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital im heutigen Deutschland. Das ist meine Erklärung für die deutsche Wirklichkeit, die sich (noch) nicht zum kommunistischen Gedanken drängt.


    Gruß Wal

  • PS (besonders nikotin): Regt euch bitte nicht wieder so auf, wenn euch jemand widerspricht. Ist doch alles nicht so dramatisch.

    Alles halb so wild. :thumbsup: Ich habe mittlerweile gelernt, das Ganze sportlich zu betrachten.



    Hallo Nikotin,

    Ich spreche über das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital, du willst lieber über das Verhältnis zwischen Lohnarbeiter und Staat sprechen. Auch darüber müssen wir diskutieren, aber in diesem Thread geht es um das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital. Das Verhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit ist das grundlegende undalles bestimmende Verhältnis im Kapitalismus. Nur von hier aus kann derKapitalismus verstanden werden und nur von hier aus kann der Kapitalismusbeseitigt werden. Wer nicht über das Verhältnis Lohnarbeit und Kapital sprechen will, will nicht über den Kapitalismus sprechen.

    Hallo Wal,

    ich denke, dass diese beiden Fragen sich nicht isoliert betrachten lassen. Und wenn ich von der Arbeiterklasse spreche, dann meine ich selbstverständlich die gesamte Arbeiterklasse der ganzen Welt. Ja natürlich haben wir in Deutschland eine Arbeiterklasse die objektiv ausgebeutet wird. Aber diese Ausbeutung nimmt eine ganz andere Dimension an, als es im Rest der Welt der Fall ist. Schließlich ist die Arbeiterklasse in Deutschland nicht von der Welt abgetrennt, im Gegenteil, gerade deswegen besitzt sie eine besondere Stellung innerhalb der internationalen Arbeiterklasse. Das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital ist die eine Sache. Aber ich kann am Ende genauso sagen: "Wer vom Imperialismus nicht sprechen will, der will auch nicht über den Kapitalismus sprechen." Das eine bedingt das andere.

    Allenfalls seinen Feinden wünscht man, dass sichihre Lebensumstände verschlechtern. Nur seinen Feinden wünscht man, dass ihnen Schlimmes passiert. Du behandelst die Arbeiter wie Feinde. Dir geht es nicht wirklich um das Wohlergeben derArbeiter. Dir geht es wirklich nur um deine eigenen Ziele. Dir geht es darum, dassschnell Revolution gemacht wird, und dass du recht bekommst. Die Arbeiter sinddir dabei nur Mittel zu deinem Zweck.

    Die Lohnarbeiter sind für dich Instrumente, umdeine Ziele zu erreichen.

    Dein Pech ist, dass die Lohnarbeiter nicht gerne "Instrumente" für andere sind. Dein Pech ist, dass die Lohnarbeiter einen eigenen Willen haben, und dass sie gerade in Deutschland ziemlichschlechte Erfahrungen damit gemacht haben, wenn sie irgendwelchen „Führern“ gefolgtsind - egal unter welcher Fahne diese (Ver)Führer aufgetreten sind.


    Für die Lohnarbeiter bist du nur ein weiterer (Ver)Führer, der sie unter seiner Fahne sammeln und auf einen Weg führen will, der deine Existenz verbessert, aber an der Lage der Arbeiter nichts grundlegend ändert. Es ist ein Weg, an dessen Ende abzusehen ist, dass die Arbeiter wieder nur Arbeiter bleiben, die für einen fremden Willen malochen müssen. Daran haben die Arbeiter wirklich kein Interesse.

    Nochmals: Ich denke, du hast ein „falschesBewusstsein“, nicht die Lohnarbeiter.

    So wie die Arbeiter in Deutschland aktuell drauf sind, betrachte ich sie als Feinde. Feinde der internationalen Arbeiterklasse. Deswegen bevorzuge ich auch eher den Begriff der Arbeiteraristokratie. Und du hast es richtig erkannt, mich interessiert nicht das Wohlergehen der Arbeiteraristokratie.

    Wal, wenn wir den Sozialismus wissenschaftlich erarbeiten, dann ist es doch klar, dass man die Arbeiter als "Instrumente" betrachtet. Glaubst du, dass ein Chirurg jedesmal Mitleid empfindet, wenn er einen Menschen aufschneidet? Wie sollte er sonst seinen Job machen?

    Und woher leitest du ab, dass ich ein "Führer" sein will? Denkst du wirklich, dass ich die Reinkarnation Stalins bin?!


    Aber ich denke, dass wir hier keine Einigung finden werden. Ich möchte nicht, dass wir im Streit auseinandergehen und deswegen kommt von meiner Seite nichts mehr. :)


    Mit besten Grüßen,


    nikotin

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