Ich kaufe online einen Partner

  • Kapitalismus produziert Vereinsamung. Kapitalismus produziert Vereinsamung. weil er Familien, die in vorindustrieller Zeit noch Produktionseinheit waren, ihre wirtschaftliche Basis entzog. Der Kapitalismus produzierte Vereinsamung, weil er immer seltener Löhne zahlte, mit denen eine große Familie ernährt werden kann. Immer mehr Frauen wurden in Lohnarbeit gezwungen, und je schlechter diese Frauen-Lohnarbeit bezahlt ist, desto eher entschieden sich diese Frauen für einen Gebärstreik.

    Sichtbar wird diese Entwicklung an der zunehmenden Zahl der Ein-Personenhaushalte in Deutschland:




    Im Jahr 2017 waren von 41,3 Millionen Haushalten in Deutschland gut 17 Millionen oder knapp 42% Ein-Personen-Haushalte.


    Aber Kapitalismus wäre nicht Kapitalismus, wenn er für ein von ihm verursachtes Problem nicht eine scheinbare Lösung bereit hielte. Der Kapitalismus wäre nicht Kapitalismus, wenn er die Verantwortung für die zunehmende Vereinsamung nicht den Alleinlebenden in die Schuhe schieben könnte.


    Du bist auf Arbeitssuche? Der Kapitalismus bietet dir als Lösung den Gang zum Arbeitsamt – selber schuld, wenn du keine Arbeit findest. Du bist auf Partnersuche? Der Kapitalismus bietet dir als Lösung die Online-Dating-Plattformen – selber schuld, wenn du keinen Partner findest.

    Der Gang zum Arbeitsamt kostet dich nichts. Der Besuch einer Dating-Plattform kostet dich.

    Weltweit machen Dating-Plattformen zur Partnersuche 4,6 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr – mit großen Wachstumsraten. In Deutschland gaben die knapp 12 Millionen User für Onlinedating im Jahr 2015 offiziell rund 200 Millionen Euro aus. Die bekanntesten Plattformen in Deutschland verlangen einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 45 bis 55 Euro. Der Marktführer Parship setzte 2016 mehr als 100 Millionen Euro um und machte damit 20 Millionen Euro Profit. Das macht eine Profitrate von mindestens 25%.


    Bei einem so guten Geschäft, finden sich auch Soziologen, die „entdecken“, dass Datingplattformen nicht hauptsächlich für Profit, sondern für dein Glück da sind. Diese Soziologen haben herausgefunden, dass Online-Partnerschaften stabiler und glücklicher seien, als Ehen und Partnerschaften, die im realen Leben zueinander gefunden haben. Die glückliche Botschaft heißt: Finde online einen Partner/eine Partnerin, die zu dir passt!


    Das ist wie ein Gang ins Schuhgeschäft: Du gehst hinein, findest ein passendes Paar Schuhe, und verlässt den Laden glücklicher als du ihn betreten hast.


    Das kapitalistische Modell „Ich kaufe mir online einen Partner“ fördert alle Vorurteile und reproduziert „typisch männliches“ und „typisch weibliches“ Verhalten.

    Viele Männer reagieren auf alles, was einen Rock anhat. Frauen sind wählerischer. Auf der chinesischen Heiratsplattform Tantan zum Beispiel erhalten 60% der weiblichen Neuanmeldungen interessierte Männerzuschriften. Aber ganze 6% der männlichen Neuanmelder bekommen interessierte Zuschriften von Frauen.

    Das kapitalistische Modell „Ich kaufe mir online einen Partner“ fördert typisches Kaufverhalten. Die User jagen nicht nach „Schnäppchen“, sondern nach „Qualitätsware“.

    Der chinesische Betreiber von Tantan schätzt, dass auf seiner Plattform Männer wie Frauen nach Partnern suchen, die um ein Viertel attraktiver sind als sie selbst.


    Das kapitalistische Modell „Ich kaufe mir online einen Partner“ funktioniert am besten, wo die Ansprüche an potentielle Partner fest umrissen und fundamental sind: Wer nach Personen gleichen Glaubens (Christen, Juden, Moslems, Veganer, Vegetarier etc.) oder nach einer bestimmten sexuellen Orientierung sucht, der ist mit Partnerschaftsplattformen vergleichsweise erfolgreich.

    Deutsche Dating-Portale geben jedoch an, dass nur rund ein Drittel ihrer User über die Plattform feste Partner gefunden hätten. Für zwei Drittel der User bleibt ein „Satz mit x“.


    Die folgende Grafik enthält nur Daten aus den USA. Sie zeigt in 1) wie sich die ersten Treffen von Paaren zunehmend ins Internet verlagert.

    Und die Grafik zeigt in 2) wie Partnerplattformen sexistische und rassistische Vorurteile aufgreifen und bedienen.




    Zur Grafik 1) First Date

    Gezeigt wird, wo sich die befragten (Ehe)Paare erstmals getroffen hatten. Im Jahr 1940 hatten sich spätere Paare erstmals in der Schule (20%) oder über Freunde (20%) getroffen. Seit 1995 stieg die Häufigkeit der Online-Dates stark an und erreichte im Jahr 2010 gut 20% (durchgezogene rote Linie).


    Für homosexuelle Paare war der Anstieg noch rasanter. Im Jahr 2010 hatten sich fast 70% der homosexuellen Paare im Internet kennengelernt (gestrichelte rote Linie).

    Bei Paaren mit starken sexuellen oder anderen Präferenzen sind Online-Plattformen deutlich erfolgreicher.


    Zur Grafik 2) Wer ist online attraktiv?

    Verglichen wurden jeweils die Anzahl der Reaktionen auf eine Neuanmeldung in US-Datingplattformen.


    2.1) Unterschiedliche Attraktivität von Frauen und Männern

    Neuanmeldungen von Frauen erhalten (in den USA) die meisten Reaktionen, wenn sie als Alter 20 Jahre angeben. Frauen, die älter sind, bekommen deutlich weniger Zuschriften. Sind sie älter als 30 Jahre, sinkt ihre Attraktivität für Männer weit unter das Niveau, das Männer für Frauen haben.


    Männer mit 20 haben für Frauen die niedrigste Attraktivität. Die Attraktivität der Männer steigt bis 45 Jahre an und sinkt dann wieder ab. Ein Mann mit 65 ist für die weiblichen User der Dating-Plattformen ungefähr so attraktiv wie ein Mann mit 28 Jahren.


    In Deutschland liegt jedoch bei der Partnervermittlung das Durchschnittsalter von Frauen bei 42 Jahren, das Durchschnittsalter der Männer bei knapp unter 41 Jahren. Online-Dating dient in Deutschland (noch) für den zweiten (oder dritten?) Partnerversuch.


    Die beste Erklärung für diese Daten: Männer schauen beim Onlinedating vor allem auf das Äußere und das Alter der Frau. Frauen schauen eher auf den sozialen Status und das Einkommen der Männer.


    2.2) Ethnische Zugehörigkeit einer Neuanmeldung

    Auch hier wurde die Anzahl (positiver) Reaktionen auf neue User von US-Dating-Plattformen gezählt.

    Die wenigsten Zuschriften erhielten afroamerikanische Frauen. Asiatische Frauen erhalten fast dreimal so viele Zuschriften. Auch Hispano-Frauen gelten bei US-Männern in Online-Plattformen als attraktiver als weiße Frauen.

    Bei den Männern erhalten Weiße den höchsten Zuspruch, asiatische Männer den geringsten.

    Hochschulbildung erhöht bei Männern die Attraktivität, Frauen mit höherer Bildung erhalten weniger Zuschriften als Frauen mit geringerer Bildung.


    Alle diese Zahlen deuten auf starke Vorurteile und Vorbehalte hin, die von Dating-Plattformen aufgegriffen und bedient werden. Auf Online-Plattformen wird weniger ein passendes Paar Schuhe als vielmehr nach Sneakers oder anderen angesagten Schuhmarken gesucht. Je stärker diese Kaufmentalität ausgeprägt ist, desto mehr Frust ist vorprogrammiert.


    Wal Buchenberg, 23. August 2018-08-23


    Quellen: Economist vom 18. August 2018: „Putting the data into dating“ u.a. Texte im Netz.

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