Zum 200. Geburtstag

  • Zum 200. Geburtstag äußern sich die Denker der herrschenden Klasse auch zu den Gedanken des Geburtstagsopas.

    Einmal gehört es zu ihrem Job, zu allem und jedem irgendwas Interessantes äußern zu können.

    Damit beweisen sie den Unterhaltungswert ihrer Gedanken.

    Andererseits wollen und müssen sie auch bei allem und jedem ihre Nützlichkeit für die herrschende Klasse unter Beweis stellen.

    Diese Nützlichkeit für die herrschende Klasse zeigen sie zum Einen darin, dass sie auch die Argumente der Gegner dieser Gesellschaft studiert haben und parieren können. Diese Nützlichkeit für die herrschende Klasse zeigen sie weiterhin darin, dass sie den toten Karl als Ihresgleichen vereinnahmen. Das erlaubt ihnen, in aller Brüderlichkeit auch auf geniale Gedanken hinzuweisen, die entweder von vorneherein falsch waren, oder doch inzwischen teils veraltet, teils nur mit einer neuen Interpretation (hier passt der dezente Hinweis auf eigene Publikationen) zu verstehen und zu verdauen sind.


    Unbedachte Nachahmer seien gewarnt: Schon eine geringe Überdosis Marx gefährdet deine Examensnote, später deinen Job und deine Pensionsansprüche.

  • Ja, die bürgerliche Öffentlichkeit feiert ihren deutschengroßen "Philosophen" - unter kritischem Vorzeichen natürlich - immer wieder gerne an irgendwelchen Jahrestagen, um ihn gleich wieder in die Rumpelkammer aller anderen unbedeutenden Autoren verstauben zu lassen. Zum Schluss ist eines von vornherein klar: Kommunismus ist ein für alle mal tot, Marx hätte den Realsozialismus theoretisch schon geplant, Marktwirtschaft ist immer noch die beste aller möglichen schlechten Welten, und alle denkbaren Alternative sowieso Utopie oder rote Tyrannenherrschaft. Hier ein paar Beispiele der typischen bürgerlichen Interpretation unseres alten Tabaksuchtis:


    1. Germanisten, Deutschtümler, Freigeister und Vertreter vom Schlage der kritischen Theorie sehen in Marx einen wortgewaltigen deutschen Literaten - wo sie nicht einmal weit daneben liegen: neben seinen frühen poetischen Schreibereien wird auch gern der Inhalt seiner gesellschaftlichen Theorie vor lauter Bewunderung des Formalen vergessen.


    2. Da ist der Sprung nicht weit, einen großen Moralisten in Marx zu entdecken. Wo Marx doch auch nur einen weiten Freiheits- und Gleichheitsbegriff vertrete - mit idealistischen Ausschmückungen des Bürgerverstandes -, womit dann die Sache mit dem Eigentum schnell vergessen werden kann. Und immerhin braucht es noch nützliches Handwerkzeug, um die Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Weltherrschaft mit einer Prise Mitleid als nun einmal gegeben abzuhaken.


    3. Marx dient als Steigbügelhalter für die "soziale Marktwirtschaft", hätte heute "mit Sicherheit" die Linke, SPD, Grünen oder sonst wen gewählt, und waschechter "Demokrat" sei er sowieso gewesen.


    4. Gerne werden die üblichen Fehlschlüsse, die auch Marx mitunter einmal vertrat, sorglos zitiert und wie ein Strohmann zur Widerlegung der marxistischen Kapitalismuskritik vorgeführt:

    - Marx hätte mal falsche, mal korrekte "Prognosen" für den Kapitalismus abgeliefert, was auch immer einem Systemkritiker das künftige Walten und Verwalten, ausgerechnet der chaotischsten Wirtschaft seit jeher, der herrschenden Mächte angehen soll. Die proletarische Revolution hat nicht gesiegt, also verfehlte Prognose, oder Marx' Theorie sei mehr als veraltet, seine Erklärungen träfen schon auf England des 19. Jhd.s zu; und seien sonst ganz und gar nicht aktuell, denn vor lauter Schichten und Milieus spricht niemand mehr von Klassen.

    - Marx hätte sich eine utopische Gesellschaft ausgedacht, auf dem Papier mag das ja schön sein, aber sowieso den Faktor "Menschennatur" fehleingeschätzt.

    - Marx sei persönlich ein ganz mieser Typ gewesen, hat ja selbst nie eine Fabrik gesehen, auch sein Geld sofort verscherbelt und seine Streitgegner beleidigt und verleumdet, zu allem Übel musste der unanständige Kerl auch noch seine Haushälterin schwängern. Dass die partikularen Interessen und Moral einer Person die soziale Theorie vorherbestimmen, ist dem Bürgerverstand eine Selbstverständlichkeit, da man in den bourgeoisen Sozialwissenschaften nichts anderes gewohnt ist. Deshalb gilt die moralische Abwertung der Person, die eine Theorie aufstellt, als Widerlegung seiner Theorie. Und selbstevident ist den bürgerlichen Moralisten auch, Betroffenheit hätte das Recht auf Erkenntnis für sich verbucht. Interessant nur, dass diese Vorwürfe nie etwa den Forschern von Naturgesetzen gemacht wird.

    - Die ML-Leier mit der Entwicklung der Produktivkräfte, denen die Produktionsverhältnisse zu eng würden, wodurch sich die historische Notwendigkeit des Kommunismus ergäbe - da wird gleich eine ganze Weltanschauung draus, die man als Historischer Materialismus bezeichnet. Wenn der Kommunismus so notwendig wäre, dann bräuchte man aber kein Manifest schreiben, dass die Arbeiter aller Länder aufruft selbst (!) Geschichte zu machen.

    Jedenfalls kann man mit solchem Rotz locker in den demokratischen Medien herumirren und die Öffentlichkeit belämmern, und mit überlegener Selbstkritik alle bedeutenden Erklärungen dieses Autoren übersehen und ganz andere Bedeutung im Namen der herrschenden Ordnung in ihn hineindeuten. So verdient sich auch Geld als petty bourgois, das aufgeklärte Volk dankt's.
    Eine kleine Übersicht ist entnommen aus: Das kommunistische Manifest: Ein mangelhaftes Pamphlet – aber immer noch besser als sein moderner guter Ruf (Gegenstandpunkt 2-98)

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