Bargeldlose Grundversorgung statt Grundeinkommen?

  • In Großbritannien scheint das Institute for Global Prosperty eine Debatte darüber angestoßen zu haben ob eine allgemeine und bedingungslose Grundversorgung (Wohnen, Nahrung, Nahverkehr, Telekommunikation, Bildung, Gesundheit, Strom, Wasser) in Form einer am National Health Service orientierten Organisationsweise nicht sinnvoller und preisgünstiger sei als ein bedingungsloses Grundeinkommen in monetärer Form. Detailiertere Überlegungen finden sich in in diesem Artikel und in diesem Video.


    Hier findet sich das Originalpapier der IGP.

  • Hallo Mario,

    eine bargeldlose Grundversorgung gibt es längst für Kinder und in Gefängnissen.

    Menschen wie Kinder und wie Gefangene zu behandeln, ist kein emanzipatorisches Vorhaben.

  • Ich sehe nicht wo nach diesem Konzept Menschen wie Kinder oder Gefangene behandelt würden. Sicher fehlt der Aspekt, dass die Nutzer/innen die Einrichtungen zur Grundversorgung selbst verwalten. In dem Papier selbst wird allerdings die Frage aufgeworfen wie die entsprechende Verwaltung möglichst lokal erfolgen kann und ob es möglich wäre die Nutzer/innen in die Gestaltung einzubinden.


    All das mag noch keine vollwertige Demokratisierung sein, ist aber nach meinem Dafürhalten ein interessanter Schritt in der Grundeinkommens-Debatte, weil er weg kommt von monetärer Verteilung und Überlegungen zur Gewährleistung einer allgemein zugänglichen sozialen Infrastruktur anstellt.


    Vielleicht könntest du deinen Kritikpunkt konkretisieren. Mir erscheint, dass du die Sache voreilig für die Tonne hältst.

  • Was gibt es da zu konkretisieren? Auch für Flüchtlinge gibt es unter unseren Machthabern die Diskussion, ob der Staat nicht billiger wegkommt, wenn er den Flüchtlingen nur Naturalien gibt statt Geld.

    Ein geldliches Grundeinkommen ist ein Geldalmosen. Eine geldlose Naturalienversorgung ist noch schlimmer, weil sie die Hilfeempfänger noch rechtloser macht und ihnen auch noch vorschreibt, was sie essen müssen, anziehen müssen usw.

    Das nennst du "keine vollwertige Demokratisierung"??

    Ich sehe beides - diesen britische Vorschlag und dein Kommentar dazu - als ein Zumutung.


    Überhaupt sind alle philantropischen Bestrebungen, die materielle Not der Armutsbevölkerung zu lindern - egal ob in geldlicher oder geldloser Form kapitalismuskonform.

    Es ist das Geschäft der staatlichen "Sozialarbeit", sich mit diesem Teilproblem des Kapitalismus zu befassen und zu "lösen", um nicht das ganze System in Frage stellen zu müssen.

    Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn sie es bei "Fürsorge" belassen. Verlogen und betrügerisch werden solche Bestrebungen, wenn sie sich als "kapitalismuskritisch" oder gar als "antikapitalistisch" ausgeben.

    Antikapitalismus geht von dem Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital aus.

    Die "Weltverbesserer", - die in Wahrheit Kapitalismusverbesserer sind -, gehen von dem Gegensatz zwischen Arm und Reich aus.

    Für diese bargeldlose Grundversorgung gilt nichts anderes als für das geldliche Grundeinkommen für alle.

  • Ich verstehe nicht ganz. Die Initiative schlägt vor eine für alle, per Steuermittel finanzierte, "kostenlose" Grundversorgung bereitzustellen. Du wertest das bloß als Almosen ab. Für die Betroffenen wäre dies aber ein Fortschritt. Ich sehr kein Problem im Projekt eines Universal Basic Service, denn er entzieht die Grundversorgung teilweise dem Markt und greift ja z.B. auch Debatten um einen fahrscheinlosen Nahverkehr und ein steuerfinanziertes Gesundheitswesen auf.


    Dass all diese Forderungen nicht vor haben den Kapitalismus zu überwinden, ist geschenkt.


    Meiner Ansicht nach geht es also eher um die Frage wie der UBS gestaltet würde und worin das Potential in der Debatte liegt, wenn sie radikalisiert würde. Also wer den UBS politisch wie finanziell kontrolliert. Daran könnte sich dann entscheiden ob er das Potential für ein nicht-profitorientiertes Wirtschaften hat.


    Sicherlich geht es bisher nicht um Kommunalisierung und Demokratisierung, schon gar nicht um vollwertigen Kommunismus, aber es ist m.E. ein positiver Schritt in die richtige Richtung um darüber überhaupt eine Mainstream-Debatte eröffnen zu können. Ähnlich betrachte ich die Diskussion um einen fahrscheinlosen Nahverkehr oder ein bedingungsloses Grundeinkommen.


    Dass in der Debatte auf den Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital sowie Zentralstaat und Kommune hingewiesen werden sollte, und es damit zunehmend um eine Kritik an Privateigentum und herrschaftlicher Verwaltung gehen muss, gehe ich mit.

  • Dass all diese Forderungen nicht vor haben, den Kapitalismus zu überwinden, ist geschenkt.

    Warum rührst du dann hier die Werbetrommel dafür?

    Nochmals: Das ist Sozialarbeit, und Sozialarbeit ist ein kapitalistisches Business. Sollen sich die Sozialarbeiter miteinander streiten, wie man staatliche Fürsorge am effektivsten macht. Ich werde ja sonst nie persönlich. Aber hier habe ich doch den Eindruck, dass du ein berufliches Interesse an dieser Diskussion hast.

    Als Sozialisten und Kommunisten geht uns dieser Streit nichts an.

    Besonders ärgerlich finde ich, wenn du die (deine?) Sozialarbeit in einen antikapitalistischen Kontext stellen willst.

    Siehe dazu unsere alte Diskussion um das "bedingungslose" Grundeinkommen.

  • Ich hatte meinen Vorschlag "kostenfreie Nahrungsmittel für Alle" mal mit einem Bekannten diskutiert. Er meinte, das wäre wie die Lebensmittelmarken in Amerika. Ich sagte, nein, es ist der zweite Teil von "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen"


    Wenn "Bedingungslos" bedeutet, dass sich jede/r nehmen kann, was zur Bedürfnisbefriedigung aus persönlicher Sicht notwendig ist, dann ist es meiner Meinung nach kommunistisch. Wenn es aber Zuteilung eines bestimmten gesellschaftlichen Anteils (Fremdbestimmung) bedeutet, ist es meiner Meinung nach vergleichbar mit der Lebensmittelzuteilung an Sklaven.


    Und somit zeigt sich dann die Möglichkeit sozialen Verhaltens der herrschenden Klasse gegenüber den in Lohnsklaverei Gefangenen.

  • Warum rührst du dann hier die Werbetrommel dafür?

    Nochmals: Das ist Sozialarbeit, und Sozialarbeit ist ein kapitalistisches Business. Sollen sich die Sozialarbeiter miteinander streiten, wie man staatliche Fürsorge am effektivsten macht. Ich werde ja sonst nie persönlich. Aber hier habe ich doch den Eindruck, dass du ein berufliches Interesse an dieser Diskussion hast.

    Als Sozialisten und Kommunisten geht uns dieser Streit nichts an.

    Besonders ärgerlich finde ich, wenn du die (deine?) Sozialarbeit in einen antikapitalistischen Kontext stellen willst.

    Siehe dazu unsere alte Diskussion um das "bedingungslose" Grundeinkommen.

    Mir ist dann schleierhaft wie die Debatte um Reproduktion sowie ein demokratischer Kommunalismus überhaupt zusammenkommen sollen, wenn du das alles als Sozialarbeitertum abstempelst mit dem sich Sozialisten/Kommunisten nicht abgeben sollten (und mir dann noch mit ad hominem-Gerede kommst).


    Ich behaupte lediglich: Die Debatten um ein BGE oder eine bedingungslose Grundversorgung haben das Potential (!) radikalisiert zu werden und sie sind, nach meinem Dafürhalten, zu begrüßen, da sie Themen wie fahrscheinlosen Nahverkehr etc. überhaupt auf die für den Mainstream wahrnehmbare Tagesordnung bringen.


    Du scheinst dieses Potential nicht zu sehen und nimmst auch an, dass eine Umwandlung und Herauslösung bestehender staatlicher Institutionen in Form kommunaler Selbstverwaltung durch die Nutzer/innen nicht machbar sei. Ebenso sei die Teilnahme an der Debatte um ein BGE von vornherein sinnlos und irreführend, da sie nicht auf die ganz große Nummer des Systemwechsels abziele.


    Ich für meinen Teil sehe die Angelegenheit vermutlich gradueller und bereits Fortschritte dahingehend, dass es innerhalb des Mainstream zunehmend überhaupt Debatten um die Umgestaltung der Reproduktion gibt. Auch wenn diese in reaktionäre Fahrwasser gleiten können. Eben deshalb sehe ich darin ein Kampffeld, in welchem Kräfteverhältnisse zu verschieben und Inhalte im Sinne einer Kommunalisierung und Demokratisierung zu radikalisieren sind; hin zu einer Diskussion um eine kommunale Reproduktionsindustrie.


    Ich vertrete eine nicht unähnliche Position wie Joachim Hirsch, wenn dieser schreibt: "In der aktuellen Diskussion haben sich die Fronten stark verschoben. Beim Grundeinkommen geht es nicht mehr so sehr um das „ob“, sondern jetzt vor allem um das „wie“. Auch auf diesem Feld gibt es eine neoliberale Offensive, die bekämpft werden muss. Dabei wird es nicht ausreichen, sich für eine tragbare Ausgestaltung des Grundeinkommens einzusetzen. Es muss darum gehen, für viel weiter reichende gesellschaftliche Veränderungen zu kämpfen. Eine Beschränkung auf das Grundeinkommen läuft auf jeden Fall Gefahr, dem Neoliberalismus in die Hände zu spielen." (Quelle)


    All diese Kampffelder müssen mit Forderungen nach Unternehmensdemokratie, Kommunaleigentum und Aufhebung des Staates durch die Kommunen zusammenkommen.

  • Mario Ahner


    Bei deinen Überlegungen klammerst du bewusst oder unbewusst den Zweck aus, den bürgerliche Demokratien anstreben, sowie die Notwendigkeiten in der Form von Sachzwängen, denen Entscheidungen bürgerlicher Demokratien auf der Grundlage kapitalistischer Gesellschaftsreproduktion unterliegen. Wenn in bürgerlichen Demokratien gemeinnützige politische Entscheidungen getroffen und Maßnahmen durchgeführt werden, liegt nie der Zweck zugrunde, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, sondern inwiefern jene geeignet sind, Widersprüche (Armut, Kriminalität etc.) in den Griff zu bekommen, welche die Funktionen von Herrschaft, Eigentumsordnung und Produktionsweise sowie den Reichtum der Nation gefährden könnten. In prosperierenden Phasen kann es im Rahmen der pareto-optimalen Ideologie tatsächlich auch mal zu Verbesserungen der Lebensverhältnisse der Lohnarbeiterinnen kommen, die dann allerdings in normalen oder krisenhaften Phasen politisch thematisiert und allmählich wieder zugunsten des nationalen Reichtums abgebaut werden.


    Nur unter diesem Aspekt ist die Einführung einer bedingungslosen Grundversorgung als eine mögliche polit-ökonomische Entscheidung unter anderen zu beurteilen, die aus nationalen (evtl. Verringerung der Sozialkosten) internationalen (Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wie bei Hartz 4) Erwägungen in Betracht gezogen wird. Hieraus ergibt sich allerdings bei gegebenem Budget der Sachzwang, dass der dabei entstehende Einkommensausfall anderswo kompensiert werden muss. Weil dies natürlich auf keinen Fall bei der Wahrnehmung der hoheitlichen Aufgaben und den nationalen "Leistungsträgern", den Kapitalisten und ihren Macherinnen, geschehen darf, muss dies dann irgendwo entweder bei den staatlichen "Leistungen" an die Lohnarbeiterinnen oder bei den direkten und indirekten Abzügen am Lohn stattfinden. In nicht prosperierenden Phasen handelt es sich hinsichtlich der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Lohnarbeiterinnen also im besten Fall um ein Nullsummenspiel. Kurz: Während bürgerlich denkende Idealistinnen durchaus Positives an gemeinnützigen politischen Entscheidungen und Maßnahmen in bürgerlichen Demokratien herauslesen können, werden Kapitalismuskritikerinnen bzw. Kommunistinnen daran nichts Positives finden.

  • Quote

    Aufhebung des Staates durch die Kommunen

    Der Glaube an Friede- Freude- Eierkuchensozialvorstellungen kommt in satten Gesellschaften immer wieder mal auf. Der geht so lange gut, bis er zum Ärgernis der herrschenden Klasse wird. Dann gibt es entweder etwas mit dem Polizeiknüppel (besetzte Häuser sind dafür besonders prädestiniert) oder die Gewehrkugel.


    Zuerst muss die unterdrückte Klasse die Macht ergreifen und dann kann sie die Gesellschaft umformen. Alles Andere geht nur so lange gut, bis der notwendige Gegendruck so groß sein muss, dass er entweder gewaltsam überwunden wird oder den Ausgangszustand herstellt.


    Forderungen sollten daher so formuliert sein, dass sie in der notwendigen Folge ihrer Erfüllung zuerst die ökonomische Grundlage der Gesellschaft in Frage stellen. Dazu sind "Zuteilungen" meiner Meinung nach völlig ungeeignet und ersetzen Eigeninitiative durch Bevormundung. Da kommt dann DDR oder Tafeln raus.

  • Mir ist dann schleierhaft wie die Debatte um Reproduktion sowie ein demokratischer Kommunalismus überhaupt zusammenkommen sollen, wenn du das alles als Sozialarbeitertum abstempelst mit dem sich Sozialisten/Kommunisten nicht abgeben sollten.

    Ich habe nicht "alles" als Sozialarbeitertum bezeichnet, sondern einen ganz bestimmten Vorschlag einer halbstaatlichen Organisation, der darauf abzielt, die staatliche Armenfürsorge zu optimieren:

    "On top of saving money, experts say that the proposals will create “a more cohesive society”, bridging the gap of inequality and helping workers facing job insecurity due to automation."(Quelle)


    Ich behaupte lediglich: Die Debatten um ein BGE oder eine bedingungslose Grundversorgung haben das Potential (!) radikalisiert zu werden ...

    Es ist genau umgekehrt: Das Grundeinkommen wie diese "Grundversorgung" sind auf den zentralisierten Staat fixierte Reformvorschläge, die von dir und anderen Linken mit einem verlogenen antikapitalistischen Gewand verkleidet werden.

    Das gilt es zu sehen und auszusprechen.

    Im übrigen trägt die Gesamtheit der kapitalistischen Zustände in sich "das Potential radikalisiert" zu werden, aber erst dann, wenn sich die Leute daran machen, etwas zu ändern. Es macht deshalb keinerlei Sinn, von einer staatlichen Einzelmaßnahme zu behaupten, sie hätte ein "Radikalisierungs-Potential".

    Oder anders: Was die Leute gemeinsam und lokal tun, hat das Potential radikalisiert zu werden.

    Was Staatsvertreter tun und wollen, hat den Zweck und (meist) die Wirkung, die Verhältnisse zu stabilisieren.

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