Die Nordkorea-Drohung

  • General Joseph Dunford, Chef des US-Generalstabs, meint: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die USA zulassen, dass Nordkorea die Fähigkeit bekommt, eine Atombombe auf Denver in Colorado abzufeuern.“ (Economist, 2018.01.17, p 17)

    Trump sagte 1999 in einem Fernsehinterview, es sei besser, „jetzt aktiv zu werden“, bevor nordkoreanische „Atombomben auf New York zielen“. (Economist, p. 18).

    Inzwischen zum US-Präsidenten gewählt, warf Trump in seiner Rede zur Lage der Nation:

    der Führung Nordkoreas "ein rücksichtsloses Streben nach Atomraketen vor, was für die USA schon sehr bald eine Bedrohung werden" könne. Nur maximaler Druck auf das Land könne dies verhindern. “Wir müssen nur auf den verdorbenen Charakter der Führung Nordkoreas blicken, um die Natur der atomaren Bedrohung für die USA und ihre Verbündeten zu verstehen.”


    Jeder von uns weiß, dass längst russische und chinesische Atomraketen auf New York und andere amerikanische Städte zielen. Die Logik der Abschreckung, die angeblich seit Jahrzehnten einen atomaren Weltkrieg verhindert habe, besteht in der Drohung, dass ein atomarer Angreifer keinen Vorteil aus einem Erstschlag gegen die USA ziehen kann, weil der Angegriffene über so viel Zweitschlagkapazität verfügt, dass er den Angreifer atomar auslöschen kann.

    Wenn diese Logik für Russland und China Gültigkeit hat, dann in noch viel höherem Maße für Nordkorea.




    Die US-Regierung will den Eindruck erwecken, als seien zehn atomare Sprengköpfe in Nordkorea zehnmal gefährlicher als 130 Sprengköpfe in Indien oder 140 Sprengköpfe in Pakistan – ganz zu schweigen von dem atomaren Arsenal in Russland.

    Welche Begründung bietet die US-Regierung uns für diese reichlich absurde Vorstellung? Die Begründung für die nordkoreanische Bedrohung wird in der Person des Diktators Kim Jong-un gesucht.

    Der Economist zitiert ein namentlich nicht genanntes US-Regierungsmitglied: „Warum sollte ein Regime einige Millionen seiner eigenen Leute zu Tode hungern, sich selbst harten Sanktionen aussetzen und sich von Verbündeten isolieren lassen, nur um eine Abschreckung zu erreichen, über die es seit 60 Jahren längst verfügt durch seine Artillerie, die auf Seoul gerichtet ist?“ (Economist, 2018.01.17, p 19)

    Die Antwort, die uns hier nahegelegt wird: Dieser Kim Jong-un ist verrückt, und ein Verrückter darf keine Atomwaffen besitzen.


    Aber wir können diese Warum-Frage an die US-Regierung eins zu eins zurückgeben. Wir können fragen: Warum sollte die US-Regierung durch einen Krieg gegen Nordkorea das Leben vieler Millionen Menschen in Nord- und Südkorea aufs Spiel setzen, und sich gegen alle seine Freunde und Verbündeten stellen, nur um eine atomare Abschreckung durchzusetzen, die sie seit 60 Jahren durch ihre Zweitschlagkapazität längst besitzt?

    Wenn Kim Jong-un verrückt ist, dann ist es Donald Trump nicht minder.


    So wie die Dinge scheinen, kann die USA durch einen Krieg gegen Nordkorea nichts gewinnen. Wer nichts gewinnen kann, der geht für dieses Nichts auch kein Risiko ein. Risiken bringt aber jeder Militärschlag gegen Nordkorea mit sich.


    Die US-Kriegsdrohungen gegen Nordkorea sind jedoch zu laut und zu häufig, als dass es sich dabei nur um Theaterdonner handeln kann.

    In der letzten Woche veröffentlichte das US-Verteidigungsministerium ein neues Strategiepapier, das China und Russland als die Hauptbedrohung für die USA herausstellt.


    Vor diesem Hintergrund bekommen die Drohungen gegen Nordkorea einen ganz neuen Sinn. Die USA können und wollen China nicht direkt und frontal angreifen. Wenn sie die chinesische Regierung mit militärischen Mitteln in Schach halten wollen, dann möglicherweise durch vernichtende Schläge gegen den nordkoreanischen Mini-Diktator. Ein chinesisches Sprichwort nennt das: „Das Huhn schlachten, um den Affen zu erschrecken“ (杀鸡儆猴 Sha ji jing hou).

    In diesem geopolitischen Spiel ist Kim Jong-un das harmlose Huhn, China ist der gefährliche Affe.


    Ein Krieg in und um Nordkorea ist tatsächlich nicht so unsinnig und so unwahrscheinlich, wie er uns auf den ersten Blick erscheinen mag. Für einen Militärschlag gegen Nordkorea könnten die USA noch am ehesten die Meinungen der Menschen in aller Welt gewinnen, so wie die USA ihre Invasion im Irak mit Saddam Husseins angeblichen Massenvernichtungswaffen rechtfertigen wollten. Saddam Hussein hatte keine Massenvernichtungswaffen, Kim Jong-un besitzt sie.


    Der Preis, der den USA für einen Militärschlag gegen Kim Jong-un winkt, wäre eine nicht zu übersehende Warnung gegen den China. Sicherlich wären auch die Risiken für die USA und ihre Verbündeten in Südkorea enorm, aber alle die Jahre und Jahrzehnte, die die USA zuwarten, bevor sie der chinesischen Expansion Grenzen ziehen, machen China stärker und die USA schwächer.


    Die Machthaber in Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben im 20. Jahrhundert zwei große und verlustreiche Kriege geführt und wollen trotz ihres Scheiterns nicht einsehen, dass sie keine Weltmächte mehr sind.

    Es sieht nicht so aus, als wären die Machthaber in den USA weiser als ihre Kolleginnen und Kollegen in Europa. Es sieht nicht so aus als könnten sie akzeptieren, dass sie über kurz oder lang nur noch die zweite Geige in der Welt spielen werden.


    Auch Putins Russland hat längst den politischen und wirtschaftlichen Schock verdaut, den der Zusammenbruch der einstigen Supermacht Sowjetunion mit sich brachte. Auch Putins Russland ist wieder in mehreren Weltregionen militärisch aktiv.

    Für die Weltmacht USA gilt, was der antike Historiker Thukydides über die Rivalität zwischen der der Militärmacht Sparta und dem aufstrebenden Athen aussagte: „Den wahrsten Grund (für den großen Krieg) freilich, zugleich den meistverschwiegenen, sehe ich im Machtzuwachs Athens, der die erschreckten Spartaner zum Krieg zwang.“


    Die chinesische Führung will möglichst lange den direkten Zusammenstoß mit den USA vermeiden. Aber einen Krieg in und um Nordkorea und damit den sicheren Sturz der nordkoreanischen Diktatur könnte China nicht verhindern.


    Ob wir wollen oder nicht: Die Kriegsgefahr in der Welt wird größer.


    Wal Buchenberg, 28. Januar 2018

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