Der Niedergang der SPD wird gerne einzelnen unsympathischen Figuren zugeschrieben: einem Schröder, der uns die Hartz-Gesetze beschert hat, oder einem Schulz, das unbeschriebene Blatt, das leer und unleserlich blieb.
Der Niedergang der Sozialdemokratie ist aber keine deutsche Besonderheit, sondern ein europäischer Trend. Seit dem Jahr 2000 haben die sozialdemokratischen Parteien in Europa ein Drittel ihrer Wählerschaft verloren und sind im Durchschnitt von 30% auf 20% gesunken. Nur zwei sozialdemokratischen Parteien – in Norwegen plus 3% und in Bulgarien plus 10% – haben Wählerstimmen hinzugewonnen. Die Labourparty in England hat ihren Stimmenanteil von 40% halten können.
Der Niedergang ist diesen sozialdemokratischen Parteien gemeinsam. Sie unterscheiden sich nur durch das Datum, an dem sich das Abrutschen in der Wählergunst beschleunigt.
In Spanien beschleunigte sich der Absturz mit dem Beginn der Großen Krise im Jahr 2008.
In anderen Ländern stürzen die Sozialdemokraten erst ab 2012 in die Bedeutungslosigkeit, als deutlich wurde, dass die Wirtschaftskrise in Europa nicht mehr verschwinden wird.
Nur die deutsche SPD hatte ihren Absturz schon vor der Krise und konnte in der Krise sogar ihre Sympathiewerte leicht verbessern.
Die zeitlichen Verschiebungen des Absturzes lassen sich mit landesspezifischen Besonderheiten erklären. Im reichen Deutschland wurden die Krisenfolgen durch verlängerte Kurzarbeit und Abwrackprämien abgefedert.
Die Daten zeigen auch: Es gibt keinen Boden, auf dem der sozialdemokratische Niedergang enden könnte. Die einen beginnen mit 40% und stürzen ab auf 20%. Die anderen beginnen mit 15% und stürzen auf 5,7%.
Die Sozialdemokratie galt überall als die Partei der „lohnabhängigen kleinen Leute“.
Wer heute im Godesberger Programm von 1959 nachliest, findet dort rosarote Sätze wie: „Gesellschaftliche Zustände, die zu individuellen und sozialen Notständen führen, dürfen nicht als unvermeidlich und unabänderlich hingenommen werden.“
Oder: „Ziel sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik ist stetig wachsender Wohlstand und eine gerechte Beteiligung aller am Ertrag der Volkswirtschaft, ein Leben in Freiheit ohne unwürdige Abhängigkeit und ohne Ausbeutung.“
Das Godesberger Programm wurde damals von den Linken als sozialdemokratische Versöhnung mit dem Kapitalismus geschmäht. Das Godesberger Programm enthielt aber mehr als nur resignierte Akzeptanz des Kapitalismus. Das Godesberger Programm etablierte auch die politische Hoffnung auf einen „sozialen und friedlichen Kapitalismus“. Diese Hoffnung brachte der SPD ihren Wiederaufstieg nach 1945.
Diese Hoffnung wurde durch die kapitalistische Entwicklung selbst zerstört. Der wirtschaftliche Niedergang und die chronische Stagnation in der Kernzone des Kapitalismus hat den sozialdemokratischen Hoffnungen und Illusionen über einen „humanen Kapitalismus“ den Boden entzogen.
Wal Buchenberg, 28.12. 2017