Anti-Hitler-Programm der "Sozialistischen Aktion" 1943

  • Als Ziel diese Programm wird benannt: „die Rettung des gemeinsamen Vaterlandes vor politischem, moralischem und wirtschaftlichem Verfall...“

    Dieses Ziel ist keine Klassenfrage, sondern eine nationale Frage: Der deutsche Staat, dem eine schwere militärische Niederlage durch die Alliierten droht, soll seine Position in der Staatenwelt möglichst unbeschadet erhalten. Mit diesem Ziel werden die politischen und wirtschaftlichen Eliten angesprochen, nicht das „gemeine Volk“, die ausgebeutete und unterdrückte Masse der Lohnabhängigen.




    Die Mittel, die für diese „Rettung des Vaterlandes“ vorgeschlagen werden, sind folgende:


    1. „Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit“ – also Rückkehr zur Weimarer Republik – kein besonders hell leuchtendes Ziel!


    2. „Unbedingte Toleranz in Glaubens-, Rassen- und Nationalitätenfragen“. Das ist ein kleiner Lichtblick, der auch in der BRD heute noch nicht realisiert ist.


    3. „Achtung vor dem Christentum“ und „den Grundlagen unserer Kultur“ Das steht in direktem Gegensatz zur Forderung 2). Achtung vor dem Christentum ist immer und notwendig mit besonderen Privilegien für diesen Glauben verbunden. Und mit den „Grundlagen unserer Kultur“ kann es nicht weit her sein, weil sie direkt in die Nazi-Barbarei mit Staatsterror, Massenmord an Juden und totalem Krieg gegen die halbe Welt geführt hat. Wer meint, „unsere Kultur“ sei dem Naziterror wesensfremd, der hat vom Faschismus nichts verstanden.


    4. „Sozialistische Ordnung der Wirtschaft“. Wer bei dieser Losung schon leuchtende Augen bekommt, der sei gewarnt: Auch die Nazis nannten ihre Wirtschaft „sozialistisch“ und die „sozialistische Ordnung“ der Sozialdemokratie versprach uns Lohnabhängigen bloß „Existenzsicherheit“. Auf jeden Fall sollten wir Lohnarbeiter fremdbestimmt arbeiten. Und die Lohnarbeit wird als vereinbar mit „Freiheit, Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit“ dargestellt. Diese „sozialistische Ordnung“ versprach nicht viel mehr als „guter Lohn für gute Arbeit“ – möglicherweise auch: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“


    Man versteht, was mit diesem Sozialismus gemeint war:

    5. Verstaatlichung der „Schlüsselbetriebe“, damit Schluss sei mit dem „Missbrauch“ des „Großkapitals“. „Missbrauch“ des Großkapitals war vielleicht Kriegsrüstung und Kriegsvorbereitung. Alle sonstige Verwendung von Kapital zur Ausbeutung und Profitmaximierung dient dann dem „deutschen Volke“ und dem „Standort Deutschland“.


    6. Selbstverwaltung „unter gleichberechtigter Mitwirkung des arbeitenden Volkes“ zielte teils auf eine ständische„Wirtschaftsdemokratie“ im Kapitalismus, teils auf die Mitbestimmung der Gewerkschaftsführung in der Großindustrie. Das kennen wir von Kohle und Stahl oder dem VW-Werk in Westdeutschland.


    7. „Sicherung der Landwirtschaft“ vor „kapitalistischen Interessen“ ist leeres Blabla, mit dem sich die Verfasser vor der Forderung nach Nationalisierung allen Grund- und Bodens in Deutschland drücken.


    8. „Organischer Aufbau des Staates aus den Ländern“. Wo ein Staat als „Organismus“ betrachtet wird, wird er als notwendiges und nützliches Gebilde betrachtet. In Bezug auf die Staatsmacht gibt aber es nur zwei feindliche Standpunkte: Stärkung der Zentralmacht heißt Stärkung einer politischen und wirtschaftlichen Minderheit. Stärkung der Kommunen heißt Stärkung der Volksmacht. „Organisch“ ist weder das eine noch das andere.


    9. „Aufrichtige Zusammenarbeit ... insbesondere mit England und der Sowjetunion“. Kurz nach der Machtergreifung hatte auch Hitler das so vertreten. Die versprochene Kooperation mit der UdSSR war wohl das Linsengericht, mit dem man die Zusammenarbeit mit den KPD-Genossen gewinnen wollte. Und Frankreich sollte weiter unser „Erzfeind“ bleiben?


    Das Schlusspathos des Programms klingt aus der Rückschau scheppernd hohl. Hitlerdeutschland wurde nicht aus dem internen Widerstand, sondern durch die externen Kriegsgegner überwunden.


    Dennoch: Alle Menschen, die am Widerstand gegen die Hitlerdiktatur beteiligt waren, verdienen unseren größten Respekt.

    Gleichzeitig müssen wir aber die Masse der Lohnabhängigen vor dem Vorwurf verteidigen, sie hätten nicht auf solche „wohlgemeinten“ Aufrufe zum Widerstand reagiert. Dass der Widerstand gegen Hitler so wenig erfolgreich war, können wir nicht denjenigen anlassten, die auf solche schwachbrüstigen politischen Aufrufe zum Kampf und Widerstand nicht reagieren wollten. Für die „Rettung des Vaterlandes“ und für das leere Versprechen einer „Existenzsicherheit als Lohnarbeiter“ hätte auch ich meine Gesundheit und mein Leben unter der Hitlerdiktatur nicht aufs Spiel gesetzt.


    Merke: Die unsägliche Theorie von der "Kollektivschuld der Deutschen" am Faschismus ist gepaart mit Rassismus und mit tiefer Verachtung der Lohnarbeiter. Die "Kollektivschuld-Theorie" lenkt ab von der Verantwortung der Kapitaleigner, die Hitler an die Macht brachten, und die von seinem Eroberungskrieg profitierten, und sie lenkt ab vom Versagen der politischen Eliten der Weimarer Republik - einschließlich der KPD-Führungselite.

    Und: Die Sozialdemokraten haben uns nie verraten. Sie haben schon immer anderes gewollt als wir.

    Wal Buchenberg, 17. Oktober 2017

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