Viele linke Zielsetzungen sind ganz verträglich* mit dem Kapitalismus.
Man sehe es mir nach, dass ich die folgenden Losungen und Slogans nicht danach beurteile wie sie vielleicht „gemeint“ sind, sondern so, wie sie da stehen und im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden werden müssen.
Alles
„Wir wollen Alles!“
Ich will nicht Alles. Ich will keine Lohnarbeit, keine Armut, keine teuren Großprojekte, keine AKWs, keine Umweltzerstörung, keinen hochgerüsteten Staat samt Gefängnissen, Polizei und Armee. Die Losung „Wir wollen Alles!“ bestätigt das Bestehende und fordert allenfalls die Umverteilung und Umorganisation des Bestehenden. Wer keinen Kapitalismus will, der kann nicht „Alles“ wollen.
Andere Welt
„Eine andere Welt ist möglich!“
Nur Anhänger der AfD wollen KEINE ANDERE Welt. Ihr Wunsch ist: „Deutschland muss Deutschland bleiben.“ Selbstverständlich will ich eine andere Welt – wie die meisten Menschen. Christen wollen eine christlichere, Kapitalisten eine kapitalistischere, Kinder eine kinderfreundlichere, Behinderte eine behindertengerechte Welt – jeder halbwegs aufmerksame Mensch hat an unserer Welt etwas auszusetzen und möchte das möglichst geändert haben. Der Kapitalismus lässt solche Detailkritik zu und fordert sie sogar. „Eine andere Welt ist möglich!“ ist nur ein müder Aufguss des faden „Wir wollen eine bessere Welt!“.
Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Für die große Mehrheit der Lohnabhängigen ändert sich durch ein staatliches Grundeinkommen nichts. Ihre Bezahlung bleibt mehr oder minder gleich – nur dass der Grundeinkommensteil ihres Lohnes nicht mehr von ihrem Kapitalisten, sondern dann vom Staat ausbezahlt wird. Das gibt es heute schon als Kombilohn, wo ein zu niedriger Lohn durch Staatsknete aufgestockt wird. Ob Lohn oder Kombilohn - es handelt sich um Bezahlung der Ware Arbeitskraft, um meist zu knappe Existenzmittel, mit denen wir unsere Arbeitskraft regenerieren, so dass wir tagein tagaus unter dem Kommando der Kapitalisten und ihres Staates schuften können und schuften müssen. Wie bisher der Lohn, ist auch der Kombi- oder Grundeinkommenslohn, der teils vom Staat und teils vom Unternehmen gezahlt wird, Ergebnis und Produkt unserer eigenen Arbeitsleistung.
Hoffnungen auf ein bedingungsloses Grundeinkommen machen sich sowohl Kapitalisten wie Habenichtse. Die Kapitalisten, weil sie sich niedrigere Lohnzahlungen ausrechnen und auf einen schlankeren, billigeren Staatsapparat hoffen. Die Habenichtse, weil sie sich Hoffnungen machen auf eine höhere Armenunterstützung ohne bürokratischen Schikanen.
Die einen wollen einen effektiveren, die anderen einen menschlicheren Kapitalismus.
Mir fehlt der Glaube an einen menschlicheren Kapitalismus und ich misstraue unserer Politikerklasse und möchte nicht, dass sie durch Einführung eines Grundeinkommens für Alle noch mehr Macht und noch mehr Geld in die Hände bekommt.
Deutschland
„Nie wieder Deutschland!“
Der Slogan „Nie wieder Deutschland!“ kann nicht mehr und will nicht mehr als die Losung „Nie wieder Faschismus!“. Die Gleichsetzung von Faschismus und Deutschland hat nur polemischen Wert, als Analyse taugt die Losung nicht. Deutschland hatte weder ein Monopol noch ein Copyright auf Faschismus. Je mehr aber der Faschismus mit einem bestimmten Land identifiziert wird, desto stärker wird der Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus als kapitalistische Terrorherrschaft zerrissen und vernebelt.
„Nie wieder Deutschland“ ist eine ebenso bequeme wie hilflose Weise mit dem Faschismus im eigenen Land umzugehen. „Nie wieder Deutschland“ heißt ja: Solange es Deutschland gibt, gibt es Faschismus!
Nie wieder Deutschland! – hinter dieser Losung versammeln sich aber auch Nationalisten und Chauvinisten in Griechenland, Polen und der gesamten EU. Die verbreitete antideutsche Stimmung in der EU ja ist keineswegs „antiimperialistisch“, sondern ein Deckmantel für nationalistisches und chauvinistisches Gedankengut, das die Machthaber im eigenen Land als "Opfer" reinwäscht und Deutschland als EU-Vormacht und Täter die gesamte Verantwortung für die aktuelle Misere in Europa zuschiebt.
Nation
No border, no nation!
Für EU-Bürger in der Europäischen Union ist diese Forderung weitgehend verwirklicht. Im aufregenden Flüchtlingssommer von 2015 haben auch viele Hunderttausende die Grenzen in Europa ignoriert und die Forderung „no border, no nation“ für sich verwirklicht. Für einen kurzen Moment blieben die Grenzbollwerke der EU und mit ihnen viele hundert reaktionäre Paragrafen außer Kraft gesetzt. Die Flüchtlinge wussten sehr wohl, dass sie die Gesetze und die Grenzen gegen sich hatten. Aber sie handelten nach dem Grundsatz: Not kennt kein Gebot. Das war ein glücklicher Moment, vergleichbar dem Einreißen der DDR-Mauer.
Als allgemeine, dauerhafte Forderung radikalisiert „no border, no nation“ jedoch nur das Werk des Kapitalismus. Das Kapital überspringt alle Grenzen, bezwingt alle Nationen, stellt den Weltmarkt her und verlangt im Nachgang auch die Freizügigkeit der Lohnarbeiter. Die Forderung „no border, no nation“ ist nicht antikapitalistisch, sondern radikal-kapitalistisch. Was die EU-Verfassung für EU-Bürger fordert, das fordert der Slogan für alle Menschen. Statt „no border, no nation“ könnte man ebenso fordern: „EU-Recht für die ganze Welt!“.
Nazis
Nazis raus!
Wo sollen Nazis denn hin? Im Dritten Reich gab es die Vorstellung, man könne Juden nach Madagaskar aussiedeln. Die AfD und alle heutigen Nationalisten wollen unliebsame „Ausländer abschieben“. „Nazis raus!“ ist genau genommen eine Abschiebeforderung.
Nazis sind keine netten Menschen, aber wie in jeder Klassengesellschaft so existieren auch in Deutschland soziale Kräfte, die teils die Macht- und Eigentumsverhältnisse konservativ bewahren, teils reaktionär verschärfen, teils reformistisch verbessern oder auch revolutionär verändern wollen. Das ist der Kampf der sozialen Klassen um politische Hegemonie. Damit müssen wir Linke umgehen lernen. Aus der Geschichte wissen wir, dass die Aussonderung von irgendwelchen rechten oder linken „Volksschädlingen“ auf direktem Weg zu Konzentrationslagern führt und in Massenmord mündet. Wir können den Faschismus nicht mit faschistoiden Methoden besiegen.
Refugees
Refugees welcome!
Dieser Slogan richtet sich an heutige Flüchtlinge, die heute (und morgen) willkommen geheißen werden. „Refugees welcome!“ ist ein sympathischer Slogan, aber ohne jede Zukunftsidee. Zur Überraschung aller Linken war dieser Slogan in Deutschland für einen kurzen Sommer sogar mehrheitsfähig. Der Slogan spricht Englisch, um „links“ daherzukommen, denn der Versuch „Refugees welcome“ ins Deutsche zu übersetzen, entlarvt den Spruch als nett, aber spießig. Bundesregierung und Unternehmensberater haben entdeckt, dass die „Willkommenskultur“ wirksam Werbung für die Exportindustrie macht. Gleichzeitig können die Kapitalisten in Deutschland hinter diesem Spruch ihr Ausbeuterinteresse am Import billiger Lohnarbeit verbergen. Man wird den Spruch „Refuges welcome“ bald auf Fußabstreifern und an Gartenzwergen lesen können.
Uns Linken fehlt die Zukunftsidee. Uns Linken fehlen Forderungen nach radikaler Arbeitszeitverkürzung, nach Abschaffung der Lohnarbeit und für eine selbstbestimmte, selbstverwaltete Gesellschaft. Uns Linken fehlt der Antikapitalismus.
Wal Buchenberg, 09.10.2016
* Zuerst hatte ich statt "verträglich" geschrieben: "vereinbar mit dem Kapitalismus".