Brexit und die Balkanisierung Europas

  • Der Marxist Michael Roberts sucht in seinem Blog eine Antwort auf die Frage: Wem nützt ein britischer Austritt aus der EU?


    Er kommt zu dem Schluss: „Obwohl Großbritannien(noch) EU-Mitglied ist, ist es das Land mit den wenigsten Kapitalbeschränkungen... Also macht es auch wenig Unterschied für das Britische Kapital, wenn das Land aus der EU austritt. Sowieso bleibt Großbritannien auch nach einem 'Brexit' Mitglied in rund 700 internationalen Vertragswerken und damit gebunden an eine Menge Verpflichtungen - vom Atomteststopp über internationale Regelungen bezüglich Energie, Wasser, Meere oder Luftverkehr.“
    Der britische Gewerkschaftsverband TUC ruft zum Verbleib in der EU auf, weil zu befürchten sei, dass sonst gewerkschaftliche Standards für die Lohnarbeit in Gefahr geraten. Dazu meint Michael Roberts, dass die wenigsten guten Sozialstandards gesetzlich und auf Staatsebene abgesichert seien. Die EU-Gesetze sehen zum Beispiel immer noch die 48-Stunden-Woche als Norm vor.
    „Daher macht es für die große Mehrheit der Bevölkerung in Großbritannien kaum einen Unterschied, ob das Land in der EU bleibt oder nicht. Die Dynamik der Wirtschaft, das Lohnniveau, die Arbeitslosenzahlen und die staatliche Fürsorgeleistungen hängen nicht an der britischen Mitgliedschaft in der EU.“ (Michael Roberts)


    Bleibt als stärkstes Argument für den Austritt aus der EU nur die stärkere nationale Kontrolle der Immigration.


    Ich meine: Nur an dieser Fragestellung liegt es, dass die Abstimmung über den Brexit ein politisches Kräftemessen zwischen Rechts und Links werden könnte.
    Aber auch das ist nur ein Scheinkampf. Michael Roberts weist darauf hin, dass Norwegen und die Schweiz, die nicht Mitglied der EU sind, sich den freien Zugang zum europäischen Markt durch freie Zulassung mindestens der EU-Bürger zu ihrem Arbeitsmarkt erkaufen mussten.
    Ich habe den Eindruck, dass die "Brüsseler Bürokraten" in Großbritannien, in Griechenland, in Polen und Ungarn zum Sündenbock für die chronische Krise des Kapitalismus in (fast) allen Kernzonenländern herhalten muss.
    Der Sündenbock EU dient nur einer rat- und hilflosen nationalistischen Wiedererweckung, die kein einziges Problem lösen kann.
    Die Diskussion über den EU-Austritt ist selbst nur ein Krisensymptom und ein Schritt in die Balkanisierung Nord- und Westeuropas,


    meint Wal Buchenberg


    P.S. my comment on Michael Roberts Blog:


    I have the impression, in the United Kingdom, in Greece, in Poland, in Hungary and in other countries the "Brussel bureaucrats" have to serve as a scapegoat for the chronic crisis of capitalism in Europe. The slaughter of the scapegoat will revive a new nationalismus without solving a single problem.
    The discussion on the Brexit itself is a symptom of the political crisis in Europe and a step in the balkanisation of Northern and Western Europe.
    I suggest, not to take part in the referendum.
    Wal Buchenberg, Hannover Germany

  • Gestern und Vorgestern hatte ich zwei Nachmittage lang die Unterhausdebatte in London verfolgt und bin zu dem Schluss gekommen, dass das Urteil der Rosa Luxemburg, - in der Parlamentsarbeit stecke „aber auch gar nichts..., was die normalen geistigen Kräfte eines ganz gewöhnlichen Sterblichen übersteigen würde“ – gar nicht mehr zutrifft.


    Diese Leute, die da über Formulierungen stritten, und sich auf nichts einigen konnten, - diesen Leute fehlen nicht nur die „normalen geistigen Kräfte“ der ganz gewöhnlichen Sterblichen, nein, diese Leute haben nicht die geringste Ahnung, welche Auswirkungen ihr Tun wie ihre Nichtstun auf die gewöhnlichen Sterblichen haben werden oder haben können. Diese Leute streiten um Worte und um Paragrafen, verschwenden aber über jeweiligen praktischen Folgen keinen Gedanken. Diese Leute sind mit der Parole angetreten: „TakeControl - Wir wollen die Kontrolle zurück!“ Diese Leute sind jedoch nicht in der Lage irgendwas zu kontrollieren.

    Für Häme ist dennoch kein Platz. Die Parlamentarier in London sind nichts als Klone und Kopien unserer Parlamentarier in Berlin oder Brüssel.

  • Durch den Brexit wird aus Großbritannien ein "Kleinbritannien", aber auch für Frankreich und Deutschland sind die "glorreichen Zeiten" vorbei.


  • Unter Linken ist es üblich, von einer „deutschen Hegemonie über Europa“ zu erzählen – ein linkes Narrativ. Tatsächlich wurden bisher in der EU-Kommission und bei europäischen Regierungstreffen alle Entscheidungen im Konsens gefällt. Trotzdem bieten sich die EU-Behörden als Projektionsfläche für Kritik aus den Mitgliedsländern an, weil es innerhalb der EU die Notwendigkeit und den Zwang gibt, einheitliche Lösungen zu finden. Das gestaltet sich schwieriger, seit es im Gefolge der Krise von 2008, und erst recht seit der Flüchtlingskrise von 2015 es nicht mehr nur um die Verteilung von Subventionen geht, sondern zunehmend um die Zuteilung von Krisenfolgen. Vor allem aus bisherigen Subventionsempfängern wie Griechenland, Umgarn, Spanien und Portugal oder Italien wurde seit 2008 die Kritik an der EU genutzt, um von dem Versagen der eigenen Machteliten abzulenken. Auch in England wurde der wirtschaftliche Niedergang mit zunehmender Verschuldung der Privathaushalte und Kleinbetriebe den Brüsseler Behörden in die Schuhe geschoben. Auch in England wurde mit der Kritik an der EU von dem Versagen der britischen Machteliten abgelenkt.

    Nun stehen diese britischen Eliten vor einem selbstgeschaffenen Dilemma: Sie behaupteten, sie könnten durch den Austritt aus der EU für mehr Wohlstand sorgen. Das entlarvt sich als große Lüge. Falls die EU als Sündenbock wegfällt, müssen die Politiker untereinander neue Sündenböcke finden. Das erschwert jede Kompromisslösung. Die ehemals verschworene Gemeinschaft der politischen Klasse in Großbritannien zerfällt.


    in English:

    It is common among leftists to talk about a "German hegemony over Europe" - a left narrative. In fact, so far in the European Commission and at European government meetings, all decisions have been taken by consensus. Nevertheless, the EU authorities offer themselves as a projection screen for criticism from the member states, because within the EU there is the necessity and the compulsion to find uniform solutions. This has become more difficult since, in the aftermath of the 2008 crisis, and even more so since the 2015 refugee crisis, it is no longer just about distributing subsidies, but increasingly about allocating a shortage.

    Since 2008, criticism of the EU, in particular, has been used by former recipients of subsidies, such as Greece, Ungarn, Spain and Portugal or Italy, to distract attention from the failure of their own power elites. In England too, the economic decline was blamed on the Brussels authorities with increasing indebtedness of households and small businesses. Even in England, the criticism of the EU intended to distracted from the failure of the British power elites.

    Now these British elites are facing a self-created dilemma: they claimed that they could provide more prosperity by leaving the EU. This exposes itself as a big lie. If the EU disappears as a scapegoat, british politicians must find new scapegoats among themselves. This makes any compromise solution difficult. The once-sworn community of the British political class is falling apart.

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