Wie wird man Kommunistin?

  • Soeben habe ich die Autobiografie (1919 – 1949) von Doris Lessing gelesen, eine Lektüre, bei der mich auch interessierte, wie und warum eine energievolle, kluge junge Frau zur (Partei)Kommunistin wird.
    Aus späterer Sicht schrieb sie mit einem Schuss Selbstironie:
    „Von jedem vernunftbestimmten Standpunkt aus betrachtet, muss einem diese Erscheinung verrückt vorkommen, irrwitzig, als eine Form von Wahnsinn, die wir, wie ich glaube, bisher noch nicht einmal ansatzweise verstanden haben.“ (Kapitel Dreizehn, 331)

    Doris Lessing war 1945 Mitte zwanzig, ein unabhängiger Geist, mit Kontakten zu einer Gruppe von politischen Flüchtlingen aus aller Herren Länder und von britischen Soldaten, die es alle nach Südrhodesien verschlagen hatte. Alle hassten den Krieg, alle litten unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise, alle lehnten die nur schlecht verdeckte Versklavung der Schwarzen durch die weißen Rhodesier ab, alle sie hatten schwarzes Dienstpersonal – eigentlich ganz normale junge Menschen.

    Im Nachhinein fragt sich die Autorin: „Klar, ihr wart progressiv. Aber warum gleich Kommunismus? Warum organisierte Radikalität“ (Kapitel „Dreizehn“, 319).

    Eine erste Erklärung von D. Lessing war die persönliche Anziehungskraft dieser Gruppe Menschen:
    “Ich persönlich bin in die Partei eingetreten, weil ich dort zum erstenmal im Leben auf eine Gruppe von Menschen (und nicht auf ein isoliertes Einzelwesen hie und da) traf, die einfach alles lasen, für die Lesen nichts Besonderes war und unter denen, wie sich herausstellte, Gedanken über das Eingeborenenproblem, die ich kaum je auszusprechen gewagt hatte, geradezu Gemeinplätze waren.“

    Die Entfaltungsmöglichkeiten, die diese noch lockere Gruppe für die junge Frau boten, waren weitaus größer als das, was ihr die (klein)bürgerliche Gesellschaft angeboten hatte: „Rückblickend würde ich sagen, dass in dieser Zeit vielleicht ein Viertel meiner Persönlichkeit in Anspruch genommen worden war und mein bester Teil noch auf Eis lag. ... Ich befand mich damals im Rohzustand. Ich war unausgegoren ... ungeformt ... unreif ... ich war einfach noch nicht geboren.“ (323). Und: „Wir waren Menschen, denen Gelegenheit gegeben wurde, ihre ungenutzten Fähigkeiten zu entwickeln.“ (333).

    Dazu kam noch ein drittes Element hinzu: „Kommunistin bin ich wegen der Stimmung geworden, die damals in der Luft lag, wegen des Zeitgeistes.“ (319). „Die Lügen, die die Regierungen und die Zeitungen über die Sowjetunion verbreitet hatten, waren ... als solche entlarvt worden, und zwar durch die großartige Verteidigungsleistung der Russen bei Stalingrad. ... Die Kapriolen der Zeitläufte haben wohl nur selten eine so rasche und so tiefgreifende Veränderung von Vorstellungen hervorgebracht.“ (319).

    Und was war der Inhalt dieses Kommunismus?
    „Das Paradies für die Welt stand damals auf der Tagesordnung, und zwar rasch. Wer würde die Welt dorthin führen? Na, wir natürlich, Leute wie wir, Kommunisten, die Vorhut der Arbeiterklasse – die von der Geschichte für diese Rolle Auserwählten.“ (347). „Die machtvollste Vorstellung, die Idee, die alle anderen untermauerte, die wir als erwiesen betrachteten und nicht einmal diskutierten, war die, dass der Kapitalismus dem Untergang geweiht war, dass er von der Geschichte höchstselbst abgewählt worden sei. Diesen entsetzlichen Krieg hatte der Kapitalismus hervorgebracht. Der Kapitalismus säte Krieg, der Sozialismus war schon seinem Wesen nach friedlich. Der Kapitalismus hatte den letzten Krieg und die großen Wirtschaftskrisen in Großbritannien, in Europa und in Amerika hervorgebracht ...“ (349f).
    “Allerdings waren wir .... der Überzeugung, dass die Zukunft der Welt von uns abhing. Wir kamen nie auf die Idee, uns zu fragen, über welche Qualifikationen wir denn verfügten, um die ganze Welt zu verändern, und zwar für immer.“ (372)


    Gruß Wal Buchenberg

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