Alle planen alles - wie?

  • In letzter Zeit habe ich mich genauer mit dem Anspruch der radikal staatskritisch-freiheitlichen Linken der Möglichkeit einer basis- bzw. rätedemokratischen Wirtschaftsplanung auseinandergesetzt. Dabei stellt sich für mich die simple Frage: Wie soll es möglich sein dass Millionen bis Milliarden von Menschen ihre Angelegenheiten planen? Haben die Lohnabhängigen überhaupt Lust dazu?


    Natürlich ist ein enormer Anteil der heutigen Passivität der Sozialisation und der 40-Stunden-Woche (oder mehr) geschuldet. Aber wer hätte Lust Teil einer Gesellschaft zu sein in der man ständig in irgendwelchen Gremien sitzen muss damit es gesellschaftlich vorangeht? Ist das Stellvertreterprinzip nicht gerade dadurch hervorgegangen dass die Delegation von Entscheidungen das Alltagsleben entlastet?


    War hier nicht vielleicht auch ein Grund darin zu sehen weshalb nach der revolutionären Welle von 1917 bis 1923 ab Mitte der 1920er Jahre die stark aktivistisch orientierten Linken die weitgehend jedweder Vertretung entsagten (Anarchosyndikalisten, Rätekommunisten, Linkssozialisten allgemein) von den "Vertretungslinken" (sozialdemokratische und leninistische Parteien und Gewerkschaften) abgedrängt wurden?


    Auch in der Rätedemokratie gibt es "Volksbeauftrage" Diese unterliegen zwar theoretisch der Kontrolle "von unten" aber auch das erfordert ein hohes Maß an Akvitität und dauerhaftes (!) Engagement (wir sprechen hier von einem zeitlich unbegrenzten Engagement und Interesse!) eben dieser Basis.


    Alle planen alles: Aber können sie das überhaupt (dauerhaft)? Wollen sie das überhaupt dauerhaft? Vielleicht gehe ich an die gesamte Angelegenheit aber auch zu abstrakt ran. Würde mich interessieren was ihr dazu zu sagen habt.


    Grüße
    Mario

  • Hallo Mario, es ist ja nicht das erste Mal, dass diese Fragen hier aufgeworfen werden. Die zweite, neben der nach dem "Wollen", die du auch selber stellst, ist fast die wichtigere: KANN denn irgendjemand (selbst wenn er wollte) dies "alles" planen?
    Die wichtigste Strategie, um darauf halbwegs positiv antworten zu können, läuft darauf hinaus, "einfache" Verteilungs- und "Rechen"- Verfahren zu konstruieren - was übrigens mE ein sehr wichtiges Motiv ist, um in der Theorie an der Arbeitswerttheorie festzuhalten: Der schon im Kapitalismus "wirksame" "numéraire" wird dann herangezogen, um sich Planungsprozesse einfach, durchschaubar, und dennoch von jedermann kontrollierbar denken zu können.
    Alles, was mit dem numéraire nicht erfasst werden kann, ist dann ein "Problem" das man "dann" aber schon auch noch lösen wird*) - mit Abstimmungen, Verfahren, oder irgendwie dann doch im Konsens. So der Umgang mit knappen Ressourcen aller Art, mit Risiken (Aufwendungen für Produktionsmittel-Reproduktion - ein weites Feld...) und Innovation bzw Fortschrittsplanung, angefangen bei Forschung (wo man nie im vorhinein weiss, was rauskommt, somit die Argumente und Verläufe nachvollziehen muss, um mitberaten und entscheiden zu können.)


    *) zu jedem dieser praktischen Probleme der "freien Produzenten-Assoziation" gibt es ein ähnlich gelagertes THEORETISCHES im "Kapital" - nämlich das, zu erklären, wie diese auf den ersten Blick mit dem Arbeitswert-Konzept oder (Tausch)Wert-Bestimmungs-Konzept unverträglichen Einflüsse auf die langfristigen Tauschwert-Mittelwerte (gibt es solche überhaupt, oder ist die Entwicklung nicht viel zu schnell dafür?) sich am Ende doch daraus ableiten lassen...


    Den Kern des vereinfachten Rechnungswesens aber, das wirst du immer wieder feststellen, wenn nicht-staatssozialistische Linke überhaupt zu dem Thema sich äussern, ist: Dass man am liebsten den Wachtsumsprozess im wesentlichen einfriert, da ja die Produktivität längst so hoch entwickelt ist. Als ob man es da mit einem stabilen und robusten Status quo und nicht einem Hexenkessel an verworrenen und nichtmal im Ansatz zu überschauenden Produktionszusammenhängen zu tun hätte... mit Folgeschäden... mit seit Jahrzehnten aufgeschobenen Problemlösungen... mit den in kapitalistischen Gesellschaften prinzipiell nie in Angriff genommenen Problemen...


    ... zu denen gehört das Problem der Konsensbildung und Steuerungsfähigkeit ihrer gesellschaftlich betriebenen (Re)Produktion durch die Produzenten an vorderster Stelle. Und... man darf erwarten... solang diese Frage nicht INNERHALB ("im Schosse...") der kapitalistischen Umgebung im Prinzip gelöst ist und wird, wird es keinen Übergang auf gesellschaftlicher Stufenleiter zu eigentumsfreier also nicht-kapitalistischer (oder nicht-kapitalismus-ähnlicher, zB staatssozialistischer) Vergesellschaftung geben. Nur wenn das getrennt wird, kommt die Frage in der Form des "und wie machen wir/sie es dann?" vor. Ich sage: Niemand macht "es", der die Antwort nicht weiss.


    PS Ich verweise mal auf einen früheren Beitrag von mir, in dem ich mich ausführlicher zu dem Thema geäussert habe.

  • In letzter Zeit habe ich mich genauer mit dem Anspruch der radikal staatskritisch-freiheitlichen Linken der Möglichkeit einer basis- bzw. rätedemokratischen Wirtschaftsplanung auseinandergesetzt. Dabei stellt sich für mich die simple Frage: Wie soll es möglich sein dass Millionen bis Milliarden von Menschen ihre Angelegenheiten planen? Haben die Lohnabhängigen überhaupt Lust dazu?


    Hallo Mario,
    wie viele der Lohnabhängigen hast du denn gefragt, und wie viele, von denen, die du gefragt hast, haben gesagt: "Nein!, Ich habe keine Lust, alles zu mitzuplanen – ich sitze lieber 8 Stunden hier an der Kasse, ich sitze lieber 10 Stunden in meinem LKW, ich stehe lieber 8 Stunden am Montageband?"
    Und: Du sprichst nur von Planung. Wer macht den in deinem Gesellschaftsentwurf die geplante Arbeit? So lange du eine Trennung hast von Planern und Verplanten, so lange hast du auch noch eine Zwei-Klassengesellschaft mit privilegierten „Kopfarbeitern“ oben und den dummen Malochern unten.


    Natürlich ist ein enormer Anteil der heutigen Passivität der Sozialisation und der 40-Stunden-Woche (oder mehr) geschuldet. Aber wer hätte Lust Teil einer Gesellschaft zu sein in der man ständig in irgendwelchen Gremien sitzen muss damit es gesellschaftlich vorangeht? Ist das Stellvertreterprinzip nicht gerade dadurch hervorgegangen dass die Delegation von Entscheidungen das Alltagsleben entlastet?


    Dazu gibt es klare Aussagen von allen „Utopisten“: Das Stellvertreterprinzip ist ein Klassenprinzip. Das ist nicht eingeführt worden, um die Verplanten „zu entlasten“.
    Klassen sind „durch die Teilung der Arbeit bereits bedingt ...“. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 33.
    Das Klassenprinzip ist (mit der Sesshaftigkeit) eingeführt worden, weil sich in der landwirtschaftlichen Revolution die materiellen Optionen der Menschheit zusammen mit der Arbeitsteilung entwickelten. „Die Spaltung der Gesellschaft in eine ausbeutende und eine ausgebeutete, eine herrschende und eine unterdrückte Klasse war die notwendige Folge der früheren geringen Entwicklung der Produktion. Solange die gesellschaftliche Gesamtarbeit nur einen Ertrag liefert, der das zur notdürftigen Existenz Aller Erforderliche nur um wenig übersteigt, solange also die Arbeit alle oder fast alle Zeit der großen Mehrzahl der Gesellschaftsmitglieder in Anspruch nimmt, solange teilt sich diese Gesellschaft notwendig in Klassen.“ F. Engels, Entwicklung des Sozialismus, MEW 19, 224f.
    Ja, Arbeitsteilung ist in allen unentwickelten Verhältnissen produktiver und deshalb notwendig. Ja, Arbeitsteilung hat 5000 Jahre lang eine fortschrittliche Rolle gespielt. Jetzt ist aber die Menschheit an einen Wendepunkt gelangt, wo die Arbeitsteilung nicht mehr genügt oder gar destruktiv wird.


    War hier nicht vielleicht auch ein Grund darin zu sehen weshalb nach der revolutionären Welle von 1917 bis 1923 ab Mitte der 1920er Jahre die stark aktivistisch orientierten Linken die weitgehend jedweder Vertretung entsagten (Anarchosyndikalisten, Rätekommunisten, Linkssozialisten allgemein) von den "Vertretungslinken" (sozialdemokratische und leninistische Parteien und Gewerkschaften) abgedrängt wurden?


    Ja, das ist richtig. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden die Feudalherren als Planer durch die kapitalistischen Eigentümer als Planer abgelöst. Das mündete mehr oder minder direkt in den 1. Weltkrieg.
    Im 20. Jahrhundert wurden zwei neue Planungsmodelle ausprobiert: Das kapitalistisch-sozialstaatliche Modell, bei dem die Großeigentümer sich unter staatlicher Aufsicht auf gemeinsame Planung von gemeinsam genutzten Einrichtungen (=Infrastruktur etc.) und auf gemeinsame Geschäftsprinzipien einigen.
    Die effektivste Ausprägung dieses sozialstaatlich-kapitalistischen Modells war der Hitlerstaat. Er bewies seine Effektivität im industriellen Morden zwischen 1939 und 1945, dem mindestens 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Dabei unterscheidet sich das stärker staatsinterventionistische Modell des deutschen Faschismus nur graduell von dem eher angelsächsischen liberalen Herrschaftsmodell.
    Das andere Modell des 20. Jahrhunderts war der Staatssozialismus, wo die Trennung in Staatsplanung (Volkswirtschaft) und Geschäftsplanung (Betriebswirtschaft) beseitigt war und eine zahlenmäßig kleine geistige Elite („DIE PARTEI“) für die gesamte Gesellschaft ALLES geplant hat.
    In beiden Modellen, dem sozialstaatlich-kapitalistischen Modell und im sozialistischen Staatsmodell war und ist die Masse der gesellschaftlichen Individuen nur Ausführende, nur Gehorchende.


    Anhand dieser Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kann jeder von uns sehen, wie weit wir kommen, wenn wir die Planung einigen wenigen überlassen. Wir überlassen ihnen damit die Entscheidung über unser Wohl und Wehe, über unser Leben und unser Schicksal.

    Die Frage stellt sich daher nicht: Wer will eigentlich die Selbstbestimmung. Die Frage heißt: Wo enden wir, wenn wir nicht die Kluft zwischen Planung und Durchführung, zwischen Planern und Ausführenden beseitigen?


    Auch in der Rätedemokratie gibt es "Volksbeauftrage" Diese unterliegen zwar theoretisch der Kontrolle "von unten" aber auch das erfordert ein hohes Maß an Akvitität und dauerhaftes (!) Engagement (wir sprechen hier von einem zeitlich unbegrenzten Engagement und Interesse!) eben dieser Basis.


    Die "Basis" ist immer und unter allen Umständen die Leidtragenden. Sie sind die Leidtragenden, weil sie fremde Entscheidungen ausführen und ausbaden müssen. Je größer dieser Leidensdruck für die Unteren ist, desto eher sind sie bereit, die (nur vermeintlich!) "zusätzliche" Last der Planung und Entscheidungsfindung auf sich zu nehmen.
    Der Leidensdruck wird dort unter der "Protestschwelle" gehalten, wo eine weitsichtige und erfahrende Führungsschicht existiert.


    Man muss sich nur vorstellen, was hier in Deutschland los wäre, wenn die herrschende Klasse tausende und zehntausende von ziemlich radikalen Gesellschaftskritikern (die Generation der 68er, zu der auch ich gehöre) nicht in die Schalthebel der Macht kooptiert hätten.
    Es gibt immer noch unverständige Linke, die sich wundern, welche erstaunliche Karriere die Führer der damaligen Protestbewegung gemacht haben. Das macht halt die Schläue und Erfahrenheit der deutschen Bourgeoisie aus, eine Schläue und Erfahrenheit, die heute der Protestbewegung und den Linken fehlt. Die soziale Ruhe in Deutschland ist zu 80 Prozent der Tatsache geschuldet, dass die ehemals Linken für eine Blutauffrischung der herrschenden Klasse in Deutschland gesorgt haben.


    "Und dieser Umstand ..., dass ein Mann ohne Vermögen, aber mit Energie, Solidität, Fähigkeit und Geschäftskenntnis sich ... in einen Kapitalisten verwandeln kann ..., befestigt die Herrschaft des Kapitals selbst, erweitert ihre Basis und erlaubt ihr, sich mit stets neuen Kräften aus der gesellschaftlichen Unterlage zu rekrutieren. Ganz wie der Umstand, dass die katholische Kirche im Mittelalter ihre Hierarchie ohne Ansehen von Stand, Geburt, Vermögen aus den besten Köpfen im Volk bildete, ein Hauptbefestigungsmittel der Pfaffenherrschaft und der Unterdrückung der Laien war. Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 614.


    Die kompletten Führungsmannschaften der Grünen Partei und beträchtliche Teile der SPD-Führungen waren früher einmal alle "linksradikal" und befassten sich mit den Fragen, mit denen du dich heute befasst.
    (Nebenbemerkung an Franziska: Dich treibt oft die Frage um: Wie wird eine/r links? Ich denke, viel wichtiger ist die Frage: "Wie und warum verliert eine/r sein Linkssein wieder?)

    Alle planen alles: Aber können sie das überhaupt (dauerhaft)? Wollen sie das überhaupt dauerhaft? Vielleicht gehe ich an die gesamte Angelegenheit aber auch zu abstrakt ran. Würde mich interessieren was ihr dazu zu sagen habt.


    Nochmals meine Rückfrage: Alle planen und arbeiten gemeinsam. Sind die Probleme, vor denen wir stehen, überhaupt anders zu lösen? Ich denke nicht.
    Alle planen und arbeiten gemeinsam. Solange dieses Arbeitsprinzip noch als eine Frage des Wollens scheint ("Wollen wir das überhaupt"?), so lange ist der Leidensdruck nicht groß genug, um eine wirkliche Änderung herbeizuführen,
    meint Wal.

  • Wal hat das für Materialisten zentrale Stichwort genannt: Arbeitsteilung. Materialisten (ich denke mal, das sind wir hier doch alle, nicht wahr ;) ) schauen halt nicht nur aufs Produktionsverhältnis, sondern auch auf seine Beziehung zum mittlerweile erreichten Stand der (Re)Produktion - wird es von ihr erzwungen, ist es ihr hilfreich und förderlich, und in der Beziehung alternativlos... oder... ist es mehr hinderlich, womöglich bereits Fessel? Kapitalismus mit dem unumgänglichen Zutrauen in die geheimnisvoll-undurchdringlichen Marktkräfte sieht da auf den zweiten Blick nicht mehr so gut aus: Hunderttausende kleinere und grössere Unternehmer und Manager wissen nicht, was sich in den (Re)Produktionsstrecken hinter wie vor ihnen abspielt, oder auch demnächst abspielen wird - aber entscheiden sollen und müssen sie. Und ausgerechnet dass sie NICHT wissen und NICHT vorhersehen (können), soll auch noch die STÄRKE dieses "Systems" ausmachen? ((Solcherlei Sprüche sind nicht mal mehr zum Lachen, die sind vielmehr Ausweis der Tatsache, dass die Fortexistenz des "Systems" schon lang nicht mehr, wenn es überhaupt je mal so war, von Begründungen und Legitimationen abhängt.))
    Die zentralen Plankommissionen im Staatssozialismus haben sich vormals gern damit gebrüstet, wie doch SIE die Anarchie der Warenproduktion hinter sich lassen... wer von denen hat denn die Frage aufgeworfen, ob SIE können, was sie ständig zu tun vorgaben? Und da meine ich nun keineswegs das, was ihnen wohl leidlich schlecht und recht grade mal gelungen sein dürfte - das Ausrechnen, wieviel Input für wieviel Output von welchen Industriebetrieben zustandegebracht werden muss, damit das ganze so halbwegs im Fluss bleibt (wenn dann doch mal was stockte, aus wieviel hunderttausend Ursachen - was hat man sich da nicht das Maul verrissen über das System und sein Scheitern am selbstgestellten Anspruch... das andre System hat ihn garnicht, und schwupps! kanns schon nicht dran versagen...)


    Ich meine also vielmehr den Anspruch, EFFIZIENT zu sein in allen möglichen Hinsichten, und das nicht bezogen auf die einzelne Anlage, sondern auf das Produktionssystem als GANZES. Solche Rechnungen, wie man sie erstmal vonseiten ökologischer Institute in Sachen Energiebilanz für einzelne Produktionsstrecken (vom Roh- zum Fertigprodukt) vorgelegt wurden - wo dann auf einmal so manche Umweltfreundlichkeit garnicht mehr so grossartig ausschaute. Und die WIRKLICH energieeffizienten Strategien auf einmal sehr sehr schmale Pfade und Durchlässe suchen mussten im Dschungel der verfügbaren Technologien... Und das galt dann solchen einzelnen Produkten wie etwa der Solaranlage... der soundso produziertem (prüfe dasselbe Endprodukt für hunderte alternative Zwischenschritte...).
    Wie, wenn man das mal für ARBEIT anfinge durchzurechnen? Aber nicht bloss bezogen auf Einzelprodukte... sondern auf die GESAMTPRODUKTION? Und dann für Emissionsarmut... Reyclingfähigkeit... Risikoprophylaxe in allen möglichen Hinsichten... vor allem, was den ökologischen Fussabdruck angeht... und dann das Querrechnen: ...wieviel Mehrarbeit kostet das dann wieder? wieviel Mehrenergie, wieviel Fläche und wasser wird da verbraucht für welchen Zugewinn? Welche ANDEREN Risiken werden vergrössert, wenn das EINE kleiner werden soll?
    Und wie ist das eigentlich mit der Sorgfalt der Erkenntnis-Gewinnung, die all solchen Rechnereien vorausgeht?
    Stimmt das denn alles, was jemand herausgefunden haben will?
    Muss aufwendig überprüft werden, was irgendeiner für überprüfensbedürftig hält?
    Wie entscheidet sich sowas?
    Und... wer will und KANN überhaupt sich mit all diesem Kram befassen? Produziert werden soll schliesslich auch noch...
    Damit das hier nicht mit bloss rhetorischem Fragen endet, will ich wenigstens soviel andeuten: Es ist die moderne technologische Strategie selbst, die hier an eine Schranke stösst. Nicht eine Schranke im Sinne von FESSEL, etwas am Sich-Entfalten-Hindern. Eher eine im Sinne von... Uferlosigkeit. Und Kapitalismus... liefert genau die Sorte Verblendung und Vernebelung, um dies uferlose technologische Wuchern weiterlaufen zu lassen. Un VERHINDERT die nicht nur theoretsiche, nein vor allem PRAKTISCHE Rückbesinnung und Fokussierung auf bewältigbare Fragestellungen, die in unserer Produktionsorgansiation längst ansteht. DARUM ist er eine Fessel für die weitere Entwicklung der Produktivkräfte... Und genau darum ist der kommunalistische Übergang zeitgemäss..

  • Soweit ich dich verstehe, Franziska, siehst du also ein Problem in einer zu hohen Komplexität und Undurchsichtigkeit der ökonomischen Vorgänge sowie eine Unnutzbarkeit der vorhandenen Technologie für dezentral-kommunale und emanzipatorische Zwecke. Sozusagen ist in den Verkehrswegen und Technologien des Kapitalismus die Herrschaft bereits "eingeschrieben", wie es Robert Kurz formulierte. Deshalb stehen wir vor einem bis dato selten diskutierten Problem. Falls ich falsch liege, korrigiere mich bitte.


    Zur Problematik wie das alles denn anfangen soll hat Werner Imhof im Oktober 2005 in einer Schrift festgehalten (nachzulesen im Archiv der "Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft" auf klassenlos.tk):


    "Eine massenhafte internationale Aneignungsbewegung wird wahrscheinlich überhaupt nur entstehen können, wenn die Vorstellung einer möglichen Vereinigung der Produzentinnen zu gemeinsamer Produktion mit gemeinsamen Produktionsmitteln bereits vorher vorhanden ist, zumindest bei einem maßgeblichen Teil der Lohnabhängigen, von dem die Bewegung ausgeht. Bleibt also die Frage, wie denn – da die Praxis das Bewußtsein bestimmt – sich dennoch das Bewußtsein einer möglichen anderen Praxis, einer anderen Form der gesellschaftlichen Produktion entwickeln kann. (…)


    Die Lohnabhängigen können sich gegenüber dem Kapital überhaupt nur zur Klasse "für sich" vereinen, um sich als Klasse aufzuheben; d.h. wenn sie sich nicht länger nur als Lohnabhängige begreifen, die Forderungen an das Kapital und die Regierung stellen, sondern als gesellschaftliche Produzenten, die gesellschaftliche Ansprüche an sich selbst und ihre eigene Arbeit stellen und die den gesellschaftlichen Zusammenhang und Zweck ihrer Arbeit auch gesellschaftlich organisieren wollen."


    Dabei steht dann die Frage im Raum ob das durch tagespolitische Kämpfe überhaupt zu erreichen ist und ob Franziska nicht doch Recht hat, dass eine Planungsdebatte schon sehr früh auf den Tisch kommen muss, soll in einer hoch krisenlastigen Situation auch noch eine Koordination genossenschaftlicher Produktion herbeigeführt werden.

  • Nun Mario - da zeigt sich in der Tat ein "bis dato selten diskutiertes Problem". Die Gründe, warum hier so wenig weitergedacht wurde, habe ich auch schon mal verusucht anzudeuten in meiner erweiterten Antwort an dich im Blogbeitrag über "Denkblockaden" (ursprünglich stand da noch: linke Denkblockaden, das kam mir aber erstmal zu vorschnell-allgemein vor, als dass ich es so stehenlassen wollte).


    Man KANN, wenn man unbedingt möchte, die Schwäche der derzeitigen - an Konzepten des theoretisch "frühen" Marx orientierten - linken Vorstellungen von historischer Dynamik durchaus mithilfe genau dieser Konzepte verdeutlichen. Das reicht dann bis hinein in deine eigene Wiedergabe dieser Gedanken, Mario, indem du nämlich den Werner Imhof zitierst und den auch bei ihm sich beinah reflexhaft einstellenden Spruch vom Sein oder der Praxis, das und die das Bewusstsein bestimmt. Es wurde ja diesem "Sein" immerhin eine Dynamik zugetraut, die - das genau sollte das sog. "Dialektische" daran sein - zu seiner EIGENEN Aufhebung führen soll. Und... was haben nicht die historisch-materialistisch eingestellten Marxleser nach solchen sich abzeichnenden Mustern einer Dynamik im Kapitalismus gesucht! Eigenartigerweise mit einem stark aufgeweichten, also viel zu breiten Begriff von dem, was da zu finden wäre: Etwas irgendwie Sprengendes, stark Krisenhaftes. Oft auf seiten der sog. "Widersprüche",die dann im wesentlichen als "Klassenkampf-Zuspitzung" gedeutet wurden, und die sich unmittelbar aus dem vorher schon eingerichteten Klassenverhältnis ergeben sollten - durch Momente des ProduktionsVERHÄLTNISSES also, NICHT der GESAMTEN PRODUKTIONSWEISE. Tatsächlich ist aber die von Marx ursprünglich formulierte Arbeitshyothese zu notwendigen Verlaufsmustern der historischen Entwicklung (zumindest da, wo und insofern wie diese Entwicklung "fortschrittlich" war) sehr stark bezogen gewesen auf ein Wechselverhältnis zwischen beiden Entwicklungsdimensionen, und da kommen neben den Produktionsverhältnissen vor allem die Produktivkräfte vor. In den "Widerspruchszuspitzungen" hinggen tauchen die Produktivkräfte nur noch auf als eine allgemeine Eintrittsbedingung - die Arbeiter sind da schon durch die technischen Anforderungen ihres Berufs soweit vor-erzogen (diszipliniert, auf Kooperation ausgerichtet, "modernisiert" und aus traditionalen Zusammenhängen herausgerissen usw), dass sie zur Teilnahme an Klassenkämpfen BEFÄHIGT und motiviert sind, die ihnen, andererseits, durch die ökonomische Dynamik speziell des Kapitalismus auch massiv aufgezwungen werden. Die Produktivkräfte und ihr Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen bzw. Gefesseltwerden durch sie treten da zwar noch in Erscheinung, aber nie so, dass sich da eine völlig neue AUFGABE stellt, die im Rahmen des alten, hier also bürgerlichen Produktionsverhältnisses nicht mehr lösen lässt. Die Produktivkraftseite ist vielmehr QUALITATIV immer dieselbe; die kapitalistische Weise, die technisch einzig angemessene moderne, gesellschaftlich-arbeitsteilige Reproduktion zu organisieren, behindert auch garnicht irgendeine Produktivkraftentwicklung - nur die Leute, die die Produktivkräfte nutzen oder, wie hier im Forum ja nicht ohne Berechtigung gesagt wird, die die Produktivkräfte SIND, werden am Leben gehindert und leiden. Der Widerspruch spitzt sich also zu als einer zwischen zwei Produktionsverhältnissen, dem von dem nur wenige etwas haben und die meisten nichts, und eben dem andern, von dem letztlich alle profitieren würden.
    In dieser stark auf die inner-gesellschaftliche Auseinandersetzung (den Klassenkampf) bezogenen Sichtweise ist das Wechsel-Verhältnis zwischen Produktivkraft- und gesellschaftlicher Entwicklung reduziert auf die Relation des "Hemmens" und "Förderns" von etwas im wesentlichen eigengesetzlich Verlaufendem; diese relativ bruchlose Eigengesetzlichkeit des technischen Fortschritts, ganz ohne "Dialektik", überträgt sich dann auf die obere, die Überbau-Dynamik: Da "entwickelt sich" auch was ziemlich von selbst, wird reif, und verlangt dann, aber auch erst dann, beherztes Zugreifen vonseiten der "wissenschaftlich" informierten Beobachter des Geschehens - jenen, die eben den rechten Zeitpunkt einzuschätzen wissen.
    ((Diese Tendenz der an Marx angelehnten Fortschritts-Konzepte hat inzwischen noch einen weiteren Schritt absolviert, den nämlich, die "Struktur"-Aspekte, das Von-selbst-Zustandekommen, erst recht das Sich-von-selbst-Erhalten der bürgerlichen Verhältnisse, inspiriert zB durch die Ausführungen zur ursprünglichen Akkumulation im Kapital, immer stärker in den Vordergrund treten zu lassen. Über Technik und ihre Weiter-Entwicklung wird da schon garnicht mehr geredet, die ist demnach längst auf dem Stand, wo beinah alles geht - irgendwie war sie das auch schon fast immer. In den letzten Stadien dieser Drift der linken Theorie-Konzepte treten, wenn überhaupt, nur noch genuin gesellschaftlich verstandene Gebilde zueinander ins Verhältnis, der Staat und die Gesellschaft, schliesslich die Gesellschaft zu sich selbst. Ein Wechselverhältnis mit einem ihr Äusserlichen kommt da garnicht mehr in Betracht. Parallel zu dem allen läuft die zunehmende Betonung des WOLLENS, wohingegen die Kategorie des Etwas-(noch)-nicht-Könnens und womöglich mühsam Herstellen-Müssens immer mehr in den Hintergrund tritt und verschwindet.))


    Der kurze Exkurs in eine Skizze linker Theoriegeschichte sollte zeigen: Worüber "bis dato diskutiert" wurde und wird, ist kein peripherer Punkt; der Bedarf nach Antworten auf bestimmte Fragen oder auch der Ausfall eines solchen Bedarfs ist Ausdruck fundamentaler linker Betrachtungsweisen der gesellschaftlichen und historischen Dynamik insgesamt.
    Das Imhof-Zitat macht nun Gebrauch von einer Gedankenfigur, die die vorausgehenden Konzept-Driften versucht zumindest oberflächlich zu überspielen, es kommen da Formulierungen vor, die zum Ausdruck bringen: die Produzenten oder Lohnabhängigen müssen oder werden etwas SELBER TUN. Das ist erstmal insofern Konzept-übergreifend, als es offenlässt, ob sie sich bloss zu etwas entschliessen müssen, das sie längst können, oder ob da AUFGABEN warten, die sehr wohl auf ein vorerst und noch länger bestehendes Unvermögen verweisen. Aufgaben, die man sich stellen muss/müsste, oder die sie sich stellen müssen/müssten; Aufgaben vielleicht auch, die sich ihnen, einem stellen, und die man als ungelöste spüren und erkennen, vielleicht auch anerkennen und als zu lösende (also ungelöste, obwohl fühlbar und sichtlich Bedarf besteht), womöglich sogar dringliche akzeptieren und sich zueigenmachen müsste.


    Hinter diesen kognitiven ("Bewusstseins"-) Operationen jenseits des blossen "Wollens" und sich Entschliessens (zur Revolte, dem Systemwechsel, der für sich beinah alles gut werden lässt) taucht dann aber wieder der Spruch au vom SEIN, das das Bewusstsein BESTIMMT.
    Die Lohnabhängigen sollen Herren des Verfahrens sein? sollen "ihre Geschichte selber machen" können, statt die Tendenzen, Systemwechsel und überhaupt das ganze autonome Bedingungsgefüge, die Notwendigkeiten und Möglichkeiten, kurz: ihr gegenwärtiges Sein, gehörig zu würdigen, und ihre Bestimmtheit durch es am Ende zu erkennen? Was sollen sie da eigentlich zugeben - einen Satz der Form: Wir können diesunddies nicht soundso sehen, wollen, einsehen, weil wir durch dasunddas bestimmt sind? Ganz ähnlich also, wie Patienten auf der Analytiker-Couch über sich reden sollen?


    Wenn dem "Sein" einmal die bestimmende Rolle zugesprochen wird, gibt es sie so schnell nicht wieder her. Die Leute sind nun mal bestimmt - welche Seins-Dynamik könnte sie DAVON befreien? Schmeisst das Sein selbst sie irgendwann in die Unbestimmtheit und Freiheit rein, die sie bräuchten, um sich ihm, "selbstbestimmt", gegenüberzustellen? Oder... lässt "es" sie langsam zu solcher Bewusstheit reifen, dass sie sich "ihm" und "seiner" überlegenen Weisheit gewachsen zeigen, anders ausgedrückt, dass sie sich die Pläne des Seins zueigen machen, und "seine" Ziele eigenständig nachvollziehen können, und so selbstbestimmt, aus Einsicht, wollen können, was das Sein will dass sie tun (und wozu es sie bestimmt)? Oder... setzt es sie irgendwann unter so höllischen Druck, dass sie (nach wie vor bestimmt!) garnicht mehr anders können als sich aufzulehnen und sich zur einzig Heil-bringenden Wende, zur Umkehr, zum höchst unbequemen Umsturz all ihrer Verhältnisse entschliessen?
    Wird an diesen Paraphrasen langsam mal deutlich, wie THEOLOGISCH diese Redefigur eigentlich ist?


    Was hier nicht mal im Ansatz begriffen und theoretisch bewältigt ist, lässt sich auf zwei Fragen zuspitzen:
    1. Wie kann man Vorgänge in der Gesellschaft erklären als Resultat des Zusammenwirkens von Einzelpersonen - ohne Zuhilfenahme irgendeiner Kategorie, die über das Einzelpersonen Zuschreibbare hinausginge?
    2. Wie kann man Vorgänge in der Geschichte erklären als Resultat von Lernprozessen, die sich im Leben von Einzelpersonen abspielen?
    Es ist nicht nur die linke Theorie, die an der Beantwortung dieser Fragen versagt. Die aktuellen Vorstellungen von Gesellschaft und Vergesellschaftung verfügen nicht über die für eine Beantwortung nötigen Kategorien. Solange theoretisch nicht klärbar ist, wie Geschichte und aktuelle Verhältnisse (ökonomische, politische...) aus den massenhaften Handlungen von (höchst unterschiedlichen) Einzelpersonen hervorgehen und den (höchst verworrenen) Verhältnissen, die SIE BEWUSST UND WILLENTLICH eingehen*) (uU allerdings mit von ihnen teilweise (von einen so, von andern anders) bewusst inkaufgenommenen, oder auch unerwarteten nicht vorhersehbaren Nebenfolgen) - solange ist nichtmal im Ansatz klar, wie sie Änderungen dieser Verhältnisse und deren Ergebnis zu ihrem Vorteil herbeiführen könnten, oder Bedarf navh solchen Änderungen entwickeln. Ein Kontinent an ungeklärten Fragestellungen liegt da vor uns. Wer die Geschicke der Leute freilich gelenkt sieht von Mächten, die grösser sind als sie - die Geschichte, das Kapital, der Markt, der Staat, die Gesellschaft, die gesellschaftlichen Verhältnisse, das System, den Diskurs - der hat keinen weiteren Bedarf nach Erklärungen. Auch nicht nach der, wie je daraus etwas wie "Emanzipation" entstehen soll.


    *) auch die vielzitierten Marx-Sätze von den Verhältnissen, die sie unabhängig von ihrem Willen eingehen, ebensosehr die Formel "sie wollen es nicht, aber sie tun es" gehören hierher

  • Es ist nicht immer leicht deinen Ausführungen zu folgen, vor allem da du gern arg verschachtelte Sätze verwendest und diese noch mit Klammersätzen verzierst, aber gut, ich habe versucht dir zu folgen und verstehe es so, dass du die Ansicht: "Es passiert Krise X und dann organisieren sich die Lohnabhängigen schon irgendwie und werfen ihr Klassendasein ab indem sie die Produktionsmittel aneignen und kooperativ miteinander in Verbindung treten und somit die Warenproduktion ad acta legen" für durch nichts gerechtfertigt siehst, da gar nicht klar ist weshalb sie dies tun sollten, wo denn die Notwendigkeit bei alledem liegen sollte und die Geschichte gezeigt habe, dass diese Notwendigkeit eben nicht besteht und ohne das nötige Wissen es für die Lohnabhängigen nicht einleuchtend sei die Warenproduktion hinter sich zu lassen.


    Die Problematik der Verwaltung gigantomanischer Technologie wird ebenfalls nicht in den Fokus genommen und so getan als wäre der Grad der technischen Entwicklung bzw. die "Aggregatszustände" (Robert Kurz) der Technologie für die postkapitalistische Gesellschaft einfach zu übernehmen. Soweit hätten das die Sozialisten/Kommunisten der Vergangenheit betrachtet (ob im 19. oder 20. Jahrhundert) und so würde es heute wieder/immer noch gesehen.


    Falls ich falsch liege, korriegiere mich abermals.


    Du meinst also, es müsste überhaupt diskutiert werden welche Voraussetzungen individuell wie zwischenmenschlich als auch technologisch gegeben sein müssten damit so etwas wie emanzipatorische Selbstorganisation überhaupt möglich sei und dauerhaft haltbar. Du meinst, es stünde also die Frage im Raum:


    "Wie kann man Vorgänge in der Gesellschaft erklären als Resultat des
    Zusammenwirkens von Einzelpersonen - ohne Zuhilfenahme irgendeiner
    Kategorie, die über das Einzelpersonen Zuschreibbare hinausginge?"


    Hier sehe ich bereits allerdings ein Problem - sofern ich dich richtig verstanden habe. Denn in der Psychologie ist zum Beispiel die Rede davon, dass, sobald zwei Menschen miteinander in Kontakt treten, sich ein interpersonales Verhältnis ergibt welches bereits über das Beschreibbare der Einzelpersonen hinausginge, ja, die Einzelpersonen sind sobald sie aufeinandertreffen nicht mehr die gleichen und sind es in Bezug auf andere Menschen noch weniger. Wie ich mich gegenüber Freunden verhalte muss ich es keineswegs gegenüber meinen Eltern und noch weniger gegenüber meinen Arbeitskollegen.


    Erst aus der Beschreibung aller Beteiligten und ihrer Entwicklungsgeschichte lässt sich ein - einzig kontextuell geltendes - Gesamtbild beschreiben. Nehmen wir Situationen hinzu in dem sich ein Kollektiv von 10.000 bis 10.000.000 Menschen zusammenfindet werden die Prozesse noch unüberschaubarer und nicht mehr auf die Einzelpersonen rückverfolgbar. Das Ganze ist somit immer mehr als die Summe seiner Teile.


    Ich denke, darin liegt das große Problem wie sich denn soziale Emanzipation richtungsweisend - und einen revolutionären Prozess theoretisch vorwegnehmend! - darlegen lässt. Ich sehe hier eine Art Unmöglichkeit, können doch bereits Individuen für sich selbst nicht mehr genau zurückverfolgen welche Parameter ausschlaggebend waren weshalb sie so sind, wie sie heute sind.


    Meiner Meinung nach haben wir es bei jeder (R-)Evolution mit einem kreativen und höchst spontanen Prozess zu tun, der sich nicht linear erklären lässt und auch nicht per Plan reproduzieren.


    Für reformistische Linke und Leninisten jedweder Coleur (ob Trotzkisten, Maoisten, Stalinisten, Whatever-Isten) sind solche wie von uns hier diskutierten Fragestellungen natürlich unverständlich und aus ihrer Sicht unnötig, da sie davon ausgehen, dass die Lohnabhängigen sich hinter der "Avantgarde" zu versammeln haben und die Parteikader als "Vorhut" und Truppe mit dem "höchsten Bewusstsein" aufgrund der "wissenschaftlichen Einsichten in die gesellschaftlichen Prozesse" genau wissen was zu tun sei und es überhaupt sowieso "erstmal" um den "Aufbau des Sozialismus" ginge dem stets die "Machtergreifung" und Errichtung des "Arbeiterstaates" vorausginge.


    Derartige politizistische Herangehensweisen, hier stimme ich zu, können der Logik gemäß gar nicht in die soziale Emanzipation führen, wird damit die Problematik der Aufhebung von Staat und Warenproduktion in Form einer genossenschaftlich/kooperativen Produktionsweise die für alle überschaubar einzig ist auf den Sanktnimmerleinstag verschoben und durch eine neue herrschende (Staats-)Klasse versperrt die statt kapitalistisches jetzt sozialistisches Vokabular verwendet ("adjektiver Sozialismus" wie Kurz das nannte).

  • Im Folgenden, in diesem zweiten Post, ein paar Ausschnitte zu den Phänomenen der Nichtlinearität und Emergenz (Definition: spontane Veränderung oder Bildung von Strukturen in einem System durch das Zusammenspiel seiner Elemente) und dass wir es wenn wir gesellschaftliche (Lebens-)Praxis und daraus hervorgehende (mögliche) Veränderungen diskutieren, stets von einem Komplexen System (Definition: räumlich und zeitlich ausgedehntes nicht-lineares System mit Interaktionen und Feedbackmechanismen zwischen einzelnen Teilen, das durch kollektive Eigenschaften gekennzeichnet ist, die verschwinden, wenn man die einzeilen Teile für sich untersucht) zu tun haben.


    Die Zitate stammen aus Gernot Ernsts Buch "Komplexität: Chaostheorie und die Linke", das zur theorie.org-Reihe gehört. Here we go:


    "Sie (Anmerk: die Revolution) ist nicht gelenkt und wenig lenkbar, sie geschieht in einem hohen Maß durch Interaktionen zwischen vielen Menschen, die ein Small-world-Netzwerk bilden und dadurch auch schnell Prozesse vermitteln können.


    Es ist möglich, in einem Gedankenspiel Dinge, die wir über dynamische Systeme wissen, auch auf Revolutionen anzuwenden, und das mit einem gewissen theoretischen Gewicht. Eine Situation kann potentiell in eine Revolution ausarten, wenn:


    - Viele Menschen fast gleichzeitig durch äußere Ereignisse so beeindruckt werden, dass sie aus ihrem Gleichgewicht geworfen werden (vergleichbar einem Tal in einer Fitness-Landschaft), so dass sie in der Lage sind, andere Verhaltensweisen auszuprobieren und anzunehmen. Gleichzeitig muss die Fitness-Landschaft auch Verhalten begünstigen, das für eine Revolution relevant sein kann, also zum Beispiel Auseinandersetzung, Kommunikation, Neugierde, Mut, wohingegen sie Verhaltensweisen benachteiligen muss, die Revolutionen schwächen also zum Beispiel Angst, Isolation, Starrheit und Ähnliches.


    - Die Menschen müssen nicht nur in der Lage sein zu kommunizieren, sondern sogar in der Lage sein, die Kommunikation zu intensivieren, durch Versammlungen, durch plötzliches Zeit haben (Arbeitslosigkeit, Müßiggang), aber auch durch technische Mittel (Brief, Telegraph, Telefon, schnelle Reisemöglichkeiten). Dabei spielt die Geschwindigkeit der Kommunikation eine große Rolle. Für Revolutionen muss es möglich sein, dass sich eine große Anzahl Menschen synchronisieren. Wenn regionale Gruppen oder bestimmte soziale Gruppen bereits in einem revolutionären Stadium sind, andereaber noch nicht, während andere vielleicht wiederum aus einem revolutionären Stadium herauskommen, kann es nicht zu einem Flächenbrand kommen. Wenn es den Telegraphen schon im Mittelalter gegeben hätte, wären die Bauernkriege vielleicht anders ausgegangen.


    - Damit regionale Prozesse sich verbreiten können, benötigt man Schlüsselpersonen, die in einem Small-world-Netzwerk Verbindungen zu mehreren anderen Gruppen haben und dadurch Informationen effektiv und überzeugend weiterverbreiten können.


    Aus diesen Faktoren lässt sich im Umkehrschluss auch herleiten, wie die Wahrscheinlichkeit für einen revolutionären Prozess vermindert werden kann. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Strategien wie Cointelpro (FBI gegen Black Panthers und Indianergruppen) oder entsprechende Strategien des CIA und KGB einzelne dieser Faktoren berücksichtigt wrden und bei der Ausbildung von Geheimdienstlern, Polizei und Armeeoffizieren gelehrt wird. Um ein Regime gegen Revolutionen zu schützen, müssen also:


    - Schlüsselpersonen im Netzwerk gezielt isoliert werden, durch Einbindung, Überzeugung, Inhaftierung oder Mord.


    - Es muss verhindert werden, dass Menschen die Kapazität haben, Verhaltensänderungen durchzuführen. Dies geschieht durch Ablenkung, Zerstreuung, Hunger, Verzweiflung, dem Auslösen von Angst und weiteren entsprechenden Strategien.


    - Die Kommunikation zwischen verschiedenen Regionen und Gruppen müsste erschwert, verlangsamt oder unter Umständen gezielt gesteuert werden (z.B. Kommunikation zwischen Gruppen, die sich gegenseitig verstärken können, verhindern, Kommunikation zwischen Gruppen, die sich in verschiedenen Aktivitäts-/Resignationsstadien befinden, fördern).


    - Revolutionäre Gruppen müssten auseinandergerissen und mit nichtrevolutionären Menschen vermischt werden (zum Beispiel Trennung von politischen Gefangenen, Zusammenlegung mit normalen, unpolitischen Kriminellen)."

    Der Autor fährt fort welche Strategien sich hierfür für Revolutionäre und Konterrevolutionäre ergeben:


    "In kapitalistischen Demokratien ist die Versuchung des Staates zuzuschlagen dagegen geringer, da hierfür die legalen Mittel eingeschränkt sind - und deshalb wären diese Systeme stabiler gegen rechte und linke Umstürze (Anmerk: da Konflikte zugelassen, kanalisiert und "integriert" werden anstatt aufgestaut und einzig repressiv unterdrückt).


    Was wäre also die Konsequenz für eine revolutionäre Bewegung? Alle revolutionären Bewegungen waren konfliktorientiert. Sie warteten auf Konflikte, die sich wie kleine Lawinen in größere Lawinen verwandeln könnten, bis es zur Revolution käme. Damit sie die Wahrscheinlichkeit solcher Lawinen erhöhten, beteiligten sie sich aktiv an den Konflikten, verschärften sie und verdeutlichten ihre Konturen. Mit vielen Konflikten stiege dann auch die Wahrscheinlichkeit für eine Revolution, so die unausgesprochene Annahme.


    Dies trifft aber nur zu, wenn alle Konflikte gleich groß und unabhängig voneinander sind. Entsprechend der Komplexitätstheorie stimmt das aber nicht. Kleinere und mittlere Konflikte tragen demnach zur Systemstabilität bei. Die Konsequenz für eine revolutionäre Bewegung wäre es also möglicherweise, nicht jeden Konflikt zu verschärfen, sondern eher abzuwarten.


    Demgegenüber würde jede konterrevolutionäre Bewegung gut daran tun, Konflikte nicht zu unterdrücken, sondern geschehen zu lassen und vielleicht sogar zu fördern. Im Endeffekt würde das zur Entspannung, vielleicht sogar zur Minderung der Wahrscheinlichkeit für Revolutionen führen."


    Eine derartige Analyse würde klarstellen, dass ein "Hindurchrobben" durch den Produktionsprozess, also der Aufbau immer mehr "Keimformen" oder "kommunistischer Inseln" (inklusive kleiner Konflikte die hier und dort schwelen) eher zur Stabilisierung des kapitalistischen Systems beitragen können und wahrscheinlich würden, sofern das System diese Prozesse zulässt und im Sinne von Warenproduktion und staatlicher Erfassung integrieren kann (Beispiele: Bürgerhaushalte, Schlichtungen, Wohnungsbaugenossenschaften, Kinderläden usw. Die 68er-Bewegung ist ein gutes Beispiel wie Widerständigkeit letztlich integriert und zur Modernisierung des Systems beigetragen hat; was im Übrigen nicht nur negativ zu werden ist. Dialektik und so.).


    Das trifft mit meiner Kritik überein sich "Kommunalisierung und Demokratisierung" als graduellen quasi-reformistischen Prozess vorzustellen. Werden "Bruch" und Massenbewegung nicht mitgedacht, sehe ich darin wenig Potenzial. Ebenso müsste hierbei der konföderative bzw. vernetzende Aspekt der Kommunen untereinander stärker in den Vordergrund rücken. Denn ohne nationale bis inter-/transnationale Vernetzung wird wenig zu holen sein.


    Abschließend noch etwas zum Gruppenverhalten in revolutionären und nicht-revolutionären Situationen. Ernst schreibt zu den Indikatoren ob eine Menschenmenge ihr Verhalten verändert folgendes:

    "1) Eine potentiell aufständische Bevölkerung erwartet ein bestimmtes repressives Verhalten von der Polizei.


    2) Sie geht davon aus, dass die Repression nicht effektiv sein kann, wenn viele (eine Menschenmenge) aktiv sind, hingegen aber effektiv ist, wenn nur einzelne Grüppchen protestieren. Das resultiert in der dritten Annahme.


    3) Jedes Subjekt schließt sich einer protestierenden Masse an, wenn eine bestimmte Anzahl n an Personen bereits dabei ist.


    4) Dieser Faktor n wiederum wird modifiziert durch den Grad der erwarteten Repression. Die beiden extremen Zustände sind folgende:


    - Es gibt keine Repression (R=0). Dann werden sich alle Subjekte unabhängig von der Anzahl n bereits protestierenden Personen der Bewegung anschließen.


    - Es gibt eine maximale Repression, unabhängig von der Anzahl n bereits protestierender Personen. Dann wird sich niemand, der noch Verstand hat, einer Rebellion anschließen. (...)


    Wichtig in diesem Gedankenmodell ist, dass es nicht iterativ ist. Es gibt nur eine solche Situation und man kann nicht aus Erfahrung aus früheren Situationen lernen. Damit ist das Verhalten der einzelnen Subjekte durch ihre Erwartungen geprägt. Die Beziehung zwischen einer erwarteten Repression R und der Anzahl der Personen, die bereits protestieren müssen, damit das betrachtete Subjekt ebenfalls auf die Straße geht, ist nichtlinear, es gibt einen Umschlagspunkt, von wo an plötzlich ganz viele auf die Straße gehen und damit eine positive Rückkoppelung auslösen. (...)


    Public-Relations-Abteilungen von Konzernen und auch Regierungen haben schon lange erkannt, dass politische Bewegungen und Widerstand nichtlinear erfolgen. Viele Unternehmen haben deshalb Gruppen, die Medien gezielt nach Veränderung analysieren, um bereits früh Entwicklungen zu erkennen, die zu einer "phase transition" oder einem emergenten Phänomen führen können. Die Unternehmen sind nur wenig besorgt, wenn Akvitivsten und politisch Bewusste einen Sachverhalt kritisch sehen. Wenn hingegen ein großer Teil der Bevölkerung plötzlich vom Thema emotionell berührt worden ist, ist es zu spät, ein Aufflackern von Protesten zu verhindern. An die Emergenz-Theorie angelehnt, werden fünf Phasen unterschieden:


    1) Phase 1 bezeichnet man als eine potentielle Situation. Einzelne Personen oder Organisationen entdecken ihr Interesse für ein Thema, aber nur wenige konzentrieren sich darauf. Es gibt keine öffentliche Diskussion. Diese Phase kann sehr lange bestehen.


    2) Phase 2 bezeichnet man als "bedrohlich" (aus Sicht der PR-Abteilungen). Einflussreiche Personen und Gruppen beginnen sich zu interessieren und finden zudem heraus, dass sie gemeinsame Interessen habe. Die Mediendeckung ist aber noch gering. Organisationen haben in dieser Situation große Möglichkeiten, auf die Diskussion einzuwirken.


    3) Phase 3 bezeichnet man als "aktuelle Phase". In der Öffentlichkeit wird das Thema als wichtig wahrgenommen und Diskussion gefordert. Die Medien nehmen das Thema auf und vermitteln Informationen, die viele Rezipienten ereichen. Gegensätzliche Positionen werden vertreten und die Seiten polarisieren sich. Die Möglichkeit eines Konzerns, Einfluss zu nehmen, wird geringer.


    4) Phase 4 ist die kritische Phase. Jetzt sind viele Menschen interessiert und fordern eine Lösung. Das Problem muss nun behandelt werden, die Situation entwickelt sich zu einer Krise.


    5) Phase 5 ist das typische Stadium, wenn eine Krise vorläufig gelöst ist, aber das Problem noch vorhanden ist. Man redet auch von einer schlummernden Krise. Die kann jederzeit wieder zu einer aktuellen Krise umschlagen. PR-Abteilungen überwachen eine solche Situation genau. (...)


    Es ist geradezu ein Naturgesetz, dass ein solches System in einem engen zeitlich begrenzten Rahmen eine Potentialität entwickelt, in der es zum Übergang in die Phase 2 oder höher angestoßen werden kann. Gruppen müssen in der Lage sein, schnell auf so eine Gelegenheit zu reagieren und dann bereits (proaktiv) einen Plan oder mehrere Optionen haben, wie man eine Situation für ihre Ziele ausnützen kann."


    Die breit von mir wiedergegebenen Ausführungen sollten ersichtlich machen, dass eine reduktionistische Herangehensweise, die sich einzig dem Individuum widmet und daraus auf den Gesamtprozess schließen will nicht möglich ist und wir schwerlich bis unmöglich verallgemeinerte Aussagen oder Fahrpläne in Richtung einer nachkapitalistischen Gesellschaft erstellen können.


    Viele von dir angesprochene Fragen, Franziska, können erst im Zuge eines "Umsturzes" der Verhältnisse diskutiert werden. Selbst wenn wir also "die richtige Antwort" hätten und uns nun auf den Weg machten diese den Lohnabhängigen zu vermitteln, würde im Zuge einer revolutionären Veränderung vermutlich alles hinfällig und etwas völlig anderes herauskommen. Das heißt nicht, dass jedwede Organisierung unnötig und Zeitverschwendung sei. Im Gegenteil, sie ist als Kompassfunktion, Bündelung und Korrektur spontan-kreativer Prozesse notwendig, kann sie aber nur "unsauber" einfangen.


    Ebenso wenig kann eine Organisation heute - und auch zum gegebenen Zeitpunkt - nicht sagen, was von ihren Ansätzen und Ideen letztlich durchkommt und in die Tat umgesetzt wird, geschweige denn ob die Situation derart günstig aussieht, dass es überhaupt umsetzbar sein wird (Fragen: Wie viele machen mit? Bleiben die dabei? Was macht die Konterrevolution? Wie sieht es mit der Versorgungslage aus? Ist XY überhaupt technologisch umsetzbar? usw. usf).


    So ernüchternd es also aussehen mag, da Revolutionäre darauf angewiesen sind, dass aberdutzende Parameter vorteilhaft ineinandergreifen, haben wir meiner Meinung nach nicht unerheblich viele Informationen welche Faktoren wichtig sind und wie eine alternative, nichtkapitalistische Ökonomie aussehen könnte (siehe Parecon, Praktiken zur solidarischen Ökonomie, Genossenschaften wie Mondragon oder Cecosesola, Ortschaften wie Marinaleda oder Wals Entwurf der genossenschaftlichen Produktionweise der "Kommune Bochum").

  • Mario - das mit der Sperrigkeit meiner Grübeltexte tut mir aufrichtig leid. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur dies anführen: Ich sehe mich leider gezwungen, stark vom linken Mainstream abweichende Auffassungen vorzutragen. Vielleicht ist ein Forumsbeitrag letztlich auch nicht das geeignete Format für die Vorstellung solcher Gedanken. Kann sein. Jedenfalls: Um dabei nicht allzuweit auszuholen, muss ich meine Ausführungen meist auch noch komprimieren. Dass das auf Kosten der Lesbarkeit geht, dürfte dann nicht mehr wundern. Ich bemühe mich freilich, meine Texte nachträglich zu verbessern. Das zieht sich allerdings oft über ein paar Tage hin.


    Also nochmal mein Gedankensgang:


    1. Die Histomat-Ausgangsfigur bei Marx lautete:
    "Die jeweils alte Produktionsweise (also Prod.kräfte PLUS dazu passendes Prod.verhältnis) macht, dass Prod.kräfte soweit fortschreiten, dass altes Prod-verhältnis nicht mehr dazu passt - es stellt sich rein technisch eine ganz neue Aufgabe, die nur durch eine andere Organiation der ges.Arbeitsteilung (Prod.verhältnis) gelöst werden kann"


    2. Diese Formel, in DIESER Bedeutung (sicher gibt es da andere Lesarten) wird aber in der staatssozialistischen ML-Tradition garnicht wirklich dem vorgestellten Übergangsszenario zugrundegelegt. Erst recht in linken nach-ML-Konzepten (zB MG/GSP, Zivilgesellschafts- und Systemtheorien) ist vom Produktivkraft-Fortschritt nicht mehr die Rede (der ist den meisten eher schon zu weit gediehen) - im Sinne von materiellen Problemlösungen, die anstehen, aber wegen des Prod.verhältnisses nicht angegangen werden können,, so dass die betreffende Art bon Stagnation sich immer deutlicher bemerkbar macht.


    3. Grund dafür ist, dass sowohl in der Erklärung der bestehenden Prod.weise als auch für ihre Überwindung ausschliesslich innergesellschatliche Zustände, Verhältnisse, Konflikte verantwortlich gemacht werden; die "Abschaffung" der falschen Verhältnisse IST bereits fast identisch mit der "Herstellung" einer optimalen Prod.weise - dann klappts auch mit den Prod.kräften. (Bzw die oder ihre gehemmte Entwicklung sind dort von vorneherein nie ein Problem). Es ist mehr die Gesellschaft selbst, die behindert wird - und nicht mehr "ihre" technologischen Fähigkeiten oder materielle Arbeitsorganisation.


    4. Die (Über)Betonung DES Gesellschaftlichen, vor allem des Unheilvoll-Gesellschaftlichen (als der Quelle ALLEN Übels; nach dessen Abschaffung alles gut werden muss) macht sich aus meiner Sicht nicht erst in der Konzeption des Übergangs in emanzipierte Verhältnisse bemerkbar. Sie beschädigt vielmehr bereits die (aus meiner Sicht "unterkomplexen") Analysen der bestehenden Verhältnisse, die radikale Linke vorlegen.


    5. Der Mangel der Theorie des Bestehenden entwickelt sich spätestens zum schrillen Widerspruch, wo es um Praxis geht - oder, wie du, Mario, es selbst formulierst, die darauf beruhenden praktischen Konzepte "können der Logik gemäß gar nicht in die soziale Emanzipation führen".


    6. Zentrale These, um den Widerspruch zu beseitigen: Die Einzelnen können sich nur emanzipieren von einer Praxis, die schon vorher ganz und gar als IHRE und Resultat des Zusammen- und Durcheinanderwirkens ihrer aller Handlungen (und Unterlassungen) begriffen iat. Auf Ebene dieser Praxis muss sich somit klären lassen, welche Elemente dieser Handlungen zu unguten Konsequenzen führen: (schlechte) Gründe, Irrtümer, mangelnde Motive (an etwas zu denken) uvam. Da die gesellschaftliche Praxis schon heute eine PRAXIS ist, muss sie sich auch mit Praxis- also Handlungskategorien erklären lassen - nur dann ist wäre diese Praxis auch änderbar. Damit sind die beiden von mir angeführten Fragerichtungen beim Erklären der Verhältnisse eröffnet.


    Forts. folgt

  • Die grosse Differenz, die hier deutlich wird, ist eigentlich die zwischen nicht-staatssozialistischen Kommunisten, und denen, die ich (aber nicht nur ich) "Kommunalisten" nenne. Die Differenz bezieht sich auf den Begriff "Revolution".
    Ich lass mir den Revolutionsbegriff (etwa im Zusammenhang mit "industriell") durchaus gefallen und einleuchten - als Namen für Epochenwechsel. Bloss: die dauern dann 100 Jahre oder mehr. Das ist die Perspektive.
    Nicht-staatssozialistische Kommunisten wollen alles, und zwar sofort. Oder.. demnächst.. Ich nenne das: politische Esoterik. Wer, Mario, soll denn das kopflos-spontane "revolutionäre" Schnellschusswerk vollbringen? Sorgfalt, Besonnenheit, Umsicht, Erprobung, Lernen zählen da nichts mehr? - es wird, es muss auch so gut gehen?
    Das Grosseganze soll soviel mehr sein als irgendeins seiner Teile?, und wenn schon auf sonst nicht - darauf dürfen die kleinen Teile, die paar Hansel wie wir hier, fest vertrauen? Ich vertraue aber nicht dem Grossenganzen, da kann ich ja genausogut bürgerlicher Ökonom und Kapitalismusfreund sein, die reden ja genauso daher; sondern halte mich an den mir liebsten unter allen Marxsprüchen: Die Entwicklung JEDES EINZELNEN ist Bedingung (und Mass) der Entwicklung (und Entwickeltheit) ALLER. Nicht DIE GESELLSCHAFT lernt, denkt, entscheidet, sondern eben DIE EINZELNEN. Das blosse Stattfinden von Kommunikation, etwa in Foren wie diesem, ist dabei blosse Randbedingung, und garantiert für nichts: Was wird denn da geredet, wie gut klappt die Transmission der wirklich weiterführenden Errungenschaften aus wenigen Köpfen in die aller (und umgekehrt) - vor allem: wer bestimmt, was weiterführend ist - wenn nicht eben jeder Einzelne? Und dann... muss er es erstmal kennen können... und somit ist SEIN Fassungsvermögen Mass des "gesellschaftlichen". Es sei denn... wir akzeptieren Arbeitsteilung... im Kennen und Wissen... im ("Vor"-)Denken... (und dann fast schon notwendig:) im Entscheiden... da ist sie ja schon, die Avantgarde (wer bestimmt und ernennt sie?)


  • Der von mir in meiner Darlegung oben und in der Zusammenfassung Punkt 6. angesprochene Mangel in der theoretischen Analyse des Bestehenden bzw seiner KRITIK hat ein strenges Pendant in den Aufgaben, denen sich, soweit ich das erkennen kann, die kommunalistischen Kommunen stellen müssen. Die KRITIK (oder Analyse) des Bestehenden benennt dabei VERSÄUMNISSE. Die Kommunen müssen das Versäumte nachholen.
    Um das ganz plakativ zu sagen: Kapitalismus ist, nach meiner Einschätzung, nicht Ursache, sondern ein verschärfter Ausdruck der folgenden Mängel bzw. Versäumnisse, die sich auch mit einer nicht-mehr-kapitalistischen Moderne weiterhin verbinden werden:
    a) es gibt keinen Begriff von NATUR;
    b) es gibt keinen Begriff von GESCHICHTE (oder den historischen Lernschritten, die kulturell aber nicht individuell absolviert sind, und die nötig sind, um Menschen überhaupt mal auf die Höhe der Kultur ihrer Zeit zu bringen)
    c) es gibt keinen Begriff von PERSON oder, ganz banal: von uns selber: Wo wir in der Natur und Geschichte stehen.
    Oder, kurz und knackig: "Wir" kapieren derzeit so gut wie nichts.


    Diese fehlenden Begriffe (ok, MIR fehlen sie; andere vermissen sie wahrscheinlich nicht einmal) lassen sich drei zentralen Aufgaben der zukünftigen Kommunen zuordnen:
    a*) sie müssen ÖKOLOGISCH produzieren - aber wie geht das?
    b*) sie müssen das "historische" Gefälle zwischen sich und den bürgerlich gebliebenen Menschen in ihrer Umgebung, die NICHT eigentums- und herrschaftsfrei und NICHT emanzipiert in "unserem" Sinne leben wollen (fragt mich nicht, WIEVIELE der Gesamtbevölkerung das sein werden - die Zahl wird bei annähernd 100% liegen - die Kommunalisten sind eine WINZIGE MINDERHEIT), überbrückbar zu machen lernen; nicht nur, um mehr zu werden und den Gegensatz zu ihrer Umgebung aufzuheben; sondern vor allem: um ihre historischen Errungenschaften, Ergebnis historischen Lernens, TRADIERBAR und somit nachhaltig zu machen: Wie soll man es erhalten, wenn es Nachwachsenden nicht zuverlässig vermittelbar ist? Und die Umgebenden bürgerlichen Individuen... das SIND die historisch unvollständig "Nach- und Mitgewachsenen", denen man den Weg zur eigenen Position bahnen lernen muss;
    c*) kommunalistisches Produzieren orientiert sich an den BEDÜRFNISSEN der Produzenten. Wie aber erkennen sie die? Wie trennen sie sie von Programmen, denen sie sich voreilig verschrieben haben - wie trennen sie sie von sekundären, kompensatorischen Bedürfnissen und affektiven Zuständen, die sie sich im Lebensvollzug und der lebensland entbehrungsreichen Arbeit an diesen Programmen erworben bzw zugezogen haben? Und, wenn und soweit da etwas erkannt wurde, ist es ja noch nicht befriedigend in eine Produktionsweise umgesetzt, die zugleich das in a* und b* formulierte Programm (auch eines; wie setzt man es bedürfnisgerecht um?) realisiert.


    In diesen wenigen Sätzen ist eine Epochen-Augabe (es ist nämlich in Wahrheit EINE Aufgabe - kein Punkt kann unabhängig von den andern verwirklicht werden) ausgesprochen. SPÄTESTENS indem vom Bedürfnis geredet wird, findet die "reduktionistische" Fokussierung auf UNS EINZELNE statt. Denn die Kategorie Bedürfnis gehört dem Einzelnen an. (In Wahrheit, so behaupte ich... gilt das für die andern beiden Punkten nicht weniger - schon wegen ihrer extrem engen Verwobenheit mit der Kategorie "Bedürfnis" (immerhin etwas Physisches - Ausdruck des Stücks Natur, das wir sind!). Aber das muss ein andres Mal begründet werden.)

  • Ich glaube weiterhin, du versuchst da etwas vorwegzunehmen, was sich nicht vorwegnehmen lässt. Du stellst Fragen die bis dato niemand beantworten kann und selbst wenn er versucht Antworten zu finden, und mögen diese auch noch so stark auf Praktiken beruhen, können wir einzig ausschließen was nicht funktioniert (siehe Geschichte) und auf Einzelfälle (genossenschaftliche/kommunistische Inseln im Kapitalismus) verweisen, die sich nicht verallgemeinern lassen, da diese Projekte mit der konkreten, ortsgebundenen Geschichte verknüpft sind.


    Kreativität ist m.E. der "Spirit" jedweden Anspruchs sozialer Revolution. Diese lässt sich aber nicht vorhersagen. Kreativität hat viel mit (oft von Fehlern behafteter, aber das lässt sich nicht vermeiden) Praxis zu tun.


    Erst im Zuge dieser Praxis und den daraus gemachten Erfahrungen entwickelt sich eine gewisse Intuition und Einsicht, die stets nur im Wechselwirken mit der Umgebung, d.h. der Natur und den sozialen Prozessen (ergo anderen Menschen) denkbar ist. Ein vom Kontext gelöstes "Selbst" das diese und jene Fragen für sich beantworten kann und nun anderen diese richtigen Einsichten nur beibringen müsste, gibt es nicht.


    Wir können sagen, dass dezentrale Produktion einer ökologischen Produktion eher entspricht, nicht aber wie diese genau aussehen wird, da uns die Synergieprozesse welche Menschen und Kommunen untereinander eingehen können und werden bis dato unbekannt sind.


    Wir können sagen, dass es darum gehen muss Mehrheiten zu organisieren die milieu-übergreifend einen Konsens finden eine nachkapitalistische Gesellschaft aufzubauen. Konflikte zwischen Revolutionären und "Noch-Bürgerlichen" sind dabei vorprogrammiert. Wie lange diese andauern hat wiederum mit dem Kräfteverhältnis zur gegebenen Zeit und der Konsensfindung zu tun. Alles Dynamiken, die bis dato unbekannt sind.


    Im Übrigen bin ich da nicht so pessimistisch wie du, dass das Engagement derart klein sein würde und es problematisch wäre Wissen zu tradieren. Wir sind ohnehin auf Mehrheiten angewiesen, sonst klappts eh nicht.


    Die Veränderung der Bedürfnisse, das hat Wal in seinem Modell der "Kommune Bochum" nochmals erwähnt, fällt mit der Veränderung der Verhältnisse in eins. Inwieweit welche Bedürfnisse affektiert sind, welche als "falsch" und "richtig" gelten, darüber können wir aus heutiger Sicht auch nichts sagen. Es wird darauf ankommen zu welchen Kompromissen die Gesellschaftsmitglieder bereit sind.


    Ohne öffentliche Debatte und Vermittlung können Einzelne diese Fragen heute nicht beantworten, weil ihre Antworten, ich schrieb es bereits, im Zuge des Transformationsprozesses eh hinfällig werden würden, da niemand weiß welche Dynamiken, Kräfteverhältnisse und Möglichkeiten sich ergeben.


    Den Einzelnen aus der gesellschaftlichen Dynamik, d.h. seiner Beeinflussung durch andere Menschen, herauszulösen und nun zu versuchen den "richtigen Weg" vorzudenken und diesen per Wissensvermittlung an den Mann/an die Frau zu bringen, wird nicht funktionieren. Ich kann hier nur abermals auf die von Gernot Ernst vorgebrachten Argumente zu Synergie, Nichtlinearität, Chaos- und Systemtheorie und psychologische Ausführungen zu interpersonalen Prozessen und meinen Senf zu Kreativität verweisen.


    Insofern ist eine Revolution ein geschichtliches Fenster das sich nah am Chaos bewegt und sehr viel Flexibilität freisetzt, aber auch stets auch enorm (!) ungewisse Parameter enthält. Ob sie gelingt oder scheitert hängt von den von mir zitierten Wahrscheinlichkeiten zusammen, über die wir aus heutiger Sicht wiedeurm nichts sagen können. Ein gewisses Vertrauen, ein gewisser "rationaler Glaube" (Erich Fromm) ist aus meiner Sicht also notwendig.


    Alles in allem finde ich, zeichnest du ein arg pessimistisches Bild und ich habe das Gefühl, du warst noch nicht bei vielen Protestinitiativen dabei. Ich jedenfalls hatte im Zuge des Höhepunkts der Occupy-Bewegung nicht das Gefühl, dass die von dir vorgebrachten Fragestellungen nicht geklärt werden könnten oder den Beteiligten nicht klar wäre, dass derartige Fragen stets gleichzeitig zu klären sind. Mag auch hier und dort reformistische Illusion vorgelegen haben, war das Potential dennoch erkennbar.


    Dass viele noch nicht revolutionär oder kommunistisch/kommunalistisch dachten, hat eher damit zu tun, dass ihnen ein grober (!) Fahrplan fehlte und die Situation noch nicht kritisch genug war und ist damit man über den Tellerrand hinausdenken müsste (zur Frage wann die Mehrheit denn die Reformillusionen fallen lässt und revolutionär wird hat Robert Schlosser bereits einiges geschrieben. Gernot Ernsts Ausführungen tun ihr übriges hinzu).


    Ich bin der Meinung, wäre der von uns hier skizzierte Fahrplan (versimpelt dargelegt im Bochumer Programm) von Hunderttausenden bekannt und diskutiert, würde sich auch eine "konkrete Utopie" abzeichnen und der kreative Prozess der Akteure würde die von dir vorgebrachten Fragen effektiver (da mehr Beteiligte, inklusive Experten, und mit der dann gegebenen breiten Praxis verbunden) diskutieren können als wir es hier in diesem Forum können.


    Ich verstehe inzwischen aber deine Sichtweise, dass du einen solchen "rationalen Glauben" für "politische Religion" hältst, da er in eine Art Hoffnung kuliminiert, die mehr nicht beizutragen hat als zu sagen: "Das sind die Eckpunkte wie wir sie aus dem Scheitern geschichtlicher Emanzipationsversuche für richtig erachten und hoffen, dass die Mehrheit dies am Tag X genauso sieht."


    Hier kommt ja dann die - vielleicht berechtigte? - Kritik der Leninisten ins Spiel, die da meinen, ohne Plan, ohne Organisierung gibt es dafür keine Garantie und jedwede Transformation verpufft in der Ziellosigkeit. Womöglich ein richtiger Moment alt-linken Denkens, nur eben zu einfach gedacht indem einfach auf die Eroberung der Staatsmacht verwiesen wird.


    Ein Problem besteht auch darin, dass wir keine umfassende kommunale Reproduktionsindustrie haben und wie es sich denn mit der Produktion von Produktionsmitteln verhält - die wahrscheinlich nur inter-kommunal-konföderativ denkbar ist.


    Wolfgang Pfreundschuh hat in seinem Kulturkritischen Lexikon ein paar Ausführungen getätigt, die in die von uns diskutierte Richtung gehen. Er schreibt (Quelle: Wikipool.net -> Kommunale Reproduktionsindustrie):


    "Für ein kommunales Grundeinkommen ist die kommunale Reproduktionsindustrie eine Bedingung der kommunalen Vertragswirtschaft. Sie soll die Grundsicherung der Reproduktion eines jedes einzelnen Einwohners gewährleisten, die auf der Basis des Vertrags zwischen Kommune und jedem einzelnen
    Einwohner getroffen wird und die jedem ein kommunal bestimmtes Grundeinkommen zusichert, ihn aber auch verpflichtet, einen hierfür notwendigen Mindestaufwand an Arbeit beizutragen, soweit er dazu in der Lage ist.


    Die Forderung nach einer kommunalen Reproduktionsindustrie ist zum einen eine Antwort auf den Niedergang des Sozialstaates unter den Bedingungen des Feudalkapitalismus, zum anderen die Rückführung seiner Grundlagen auf die Gesellschaft als Ganzes, Gesellschaft als Kommune, Region, Land, Nation und den internationalen Zusammenhang der Kommunen.


    Von daher wendet eine kommunale Reproduktionsindustrie alle Verhältnisse der Reproduktion und Produktionauf ihre Basis zurück und wird zum emanzipatorischen wirtschaftlichen Moment, weil es den Markt der Geldwirtschaft unnötig werden lässt: "Billiglöhne" und "Sozialkosten" werden auf Dauer beim heutigen Entwicklungs-, Kommunikations- und Bildungsstand nicht mehr möglich sein. Der globale Kapitalismus wird also an seiner selbsterzeugten "Soziallast" schon scheitern, bevor darin überhaupt eine Diskussion der Grundsicherung Wirkung zeitigen könnte oder müsste. Und nichts fürchtet die politische Klasse mehr, als dass der Staat sozial aus den Fugen gerät - und er steht kurz davor (siehe Staatsbankrott).


    Das ist der Grund dafür, dass alle Vorschläge zu einer Veränderung der Reproduktionsbasis der Menschen aufmerksam wahrgenommen werden. Der Niedergang der Sozialleistungen kann nur einen gewalttätigen Staat ergeben oder einen, in dem man sich zu behelfen weiß:


    Würden nämlich die in die Armutsverwaltung gesteckten Gelder (immerhin über 700 Milliarden Euro pro Jahr, das sind ohne Verwaltung schon 700 Euro pro Kopf und Monat) und noch einiges mehr (z.B. aus dem Militärhaushalt) zum Teil oder ganz in den Aufbau von kommunalen Reproduktionszentren gesteckt und hieraus sukzesive eine Art subsidiare Selbstversorgung durch Selbstorganisation der BürgerInnen ermöglicht, sowürde das objektiv der Anfang vom Ende des Kapitalismus sein, weil da heraus sich die Existenzangst als Arbeitsgrund ebenso erübrigt, wie bei der Grundsicherung, sich aber vor allem die Verwechslung von notwendigerReproduktion und der Produktion von Mehrwert auflöst und somit die Grundstrukturen einer neuen Gesellschaftsform sich aus der Not der alten ergeben können (siehe hierzu auch Brotkorbsozialismus). Hierfür muss vor allem von Geldforderungen abgesehen werden zugunsten
    der Geldausschüttung für soziale Selbsterhaltungsmittel.


    Es gibt nur einen Weg, auf den man sich konzentrieren muss: Eine grundsätzliche Auflösung der kapitalistischen Strukturen kann nur vom inneren eines Sozialwesens her entstehen und muss deshalb bei der sozialen Not der Bevölkerung ansetzen und diese umkehren (siehe Brotkorbsozialismus).


    Die Forderungen an den Produktionsstätten und auf dem Arbeitsmarkt müssen sich hieraus ableiten, auch der gewerkschaftliche Kampf letztlichein Kampf um ein anderes Sozialwesen sein. Die Illusion der Grundsicherung ist eine Illussion des Privateigentums, von Geld einfach leben zu können. Doch immer deutlicher wird, dass dies nicht geht, weil Geld nur zum Leben verhilft, wenn man daraus was anderes als Geld macht. Solche Perspektiven werden die weitere Entwicklung der Gesellschaft ausmachen. Es wird in Zukunft mehr um Kultur gehen müssen, als um reine Wirtschaftsquanten."


    Ein inspirierendes Realbeispiel ist die Landkooperative Cecosesola: http://kulturkritik.net/quellen/cecosesola.html


    ---


    PS: Ich glaube, dass es auch in einer nachkapitalistischen Gesellschaft Expertenwissen geben wird, da sich nicht jedes Wissen verallgemeinern lässt, noch jeder ein Interesse daran hat (ich interessiere mich für gewisse Dinge im Detail z.B. nicht und will auch nicht dazu genötigt werden es wissen zu müssen).


    Im Zuge des Abwerfens der "Muttermale der alten Gesellschaft" wird Wissen wahrscheinlich verallgemeinerter und offen zugänglich für jeden. Das reduziert wiederum die Macht des Expertentums. Völlig beseitigen wird es sich zu Beginn aber wohl nicht und ob dies überhaupt möglich ist können wir heute ebenso wenig sagen.


    Die Offenlegung jedweder Information und die Transparenz der gesellschaftlichen Debatten inklusive der Kontrolle der Experten sind m.E. die heute nennbaren konkreten Schritte.


    PPS: Aber ich gebe zu, es gibt diverse Fragen die auch ich mir beantwortet wissen will, ohne davon ausgehen zu können, dass die heutigen Antworten in Zukunft noch von Belang sind. Dennoch sind meine Fragen:


    - Wie sind Mehrheiten überhaupt aus der Passivität und Vereinzelungen herauszuholen und inwieweit wollen diese realistisch betrachtet auch über einen Zeitraum von Jahren und Jahrzehnten stets aktiv am Prozess beteiligt sein?


    - Wie soll die Einheit von Konsumenten und Produzenten ("Prosumenten") aussehen, wenn nicht ständig jede Woche (sofern alles über Bestellung läuft) alle (bzw. die (inter-)kommunalen Delegierten) in Räten sitzen sollen/wollen um Arbeitszeiten und Pro und Kontra von Güterwünschen zu verhandeln. Zu viel Bürokratie schreckt einfach ab.


    - Wie und woran werden Bestellungen (siehe Kommune Bochum) begrenzt und wie verhält es sich mit Luxuswünschen und unliebsamen Arbeiten?

  • Mario - du hast meine anscheinend allzu diskreten Hinweise auf die Besonderheit des kommunalistischen Ansatzes, zumindest wie ICH ihn vertrete, offenbar nicht verstehen können, drum sag ichs mal in aller Deutlichkeit: ES GIBT (da) KEIN "DANN", dem ich/wir vorgreifen könnten, und wird nie eins geben. (Sage zumindest ich.) Wenn je etwas deinem nichtlinearen Chaos, Freisetzung von kreativem Spirit und jenem Anfangspunkt "Eine Situation kann potentiell in eine Revolution ausarten, wenn.. viele Menschen fast gleichzeitig durch äußere Ereignisse so beeindruckt werden, dass sie aus ihrem Gleichgewicht geworfen werden" entsprechen würde - dann wäre es eine der Verlaufsformen, in denen sich bürgerliche Gesellschaften durch ihre Geschichte quälen. Übrigens haben sie ja meist auch so begonnen.


    Meine Vorstellung von Revolution im Sinne von epochaler Umwälzung habe ich oben angedeutet. Sie beginnt noch jedesmal ABSOLUT UNSCHEINBAR. Also genau so, wie (nicht nur) du das für völlig aussichtslos hältst. Ich verweise dazu auf meine schon beinah ironische Verwendung der früh-marxschen Gedankenfigur, wo sich Materialismus zumindest als das Zugeständnis buchstabiert, dass die Produktivkraft-Entwicklung ("dialektisch", naja) nicht einfach bruchlos neben der Art ihrer gesellschaftlichen Organisation herläuft, sondern als deren BASIS ihr - mit zunehmendem Fortschritt - auch Anforderungen stellt, die von dieser Organisation dann ebenso zunehmend VERFEHLT werden und eine andere und neue, ein neues Produktionsverhältnis anstelle des alten, ERFORDERLICH machen. Ironisch ist mein Bezug auf dies Theorem, weil es bestenfalls als eine von vielen Ausgangsideen zu einer - von mir aus "materialistisch" zu nennenden - Theorie der kulturellen Entwicklung und letztlich Geschichte anzusehen ist (eine Theorie, zu der man vorschnell die rudimentären einschlägigen Ideenskizzen von Marx und Engels aufblasen wollte).


    Die zunehmende Fokussierung aufs Gesellschaftliche, die ich der Linken im Zuge ihres historischen Reifungsprozesses bescheinige, hat aber genau dies zur Voraussetzung: Dass die Produktivkräfte nichts erzwingen und in keiner Weise durch ein ihnen zunehmend weniger gerecht werdendes Produktionsverhältnis behindert sind, es vielmehr allenfalls um die ("gesellschaftlichen") Zwecke ihrer Verwendung geht.
    Dabei unterstelle ich dieser Linken nicht einmal, sich zu Technik und Produktion ähnlich naiv um nicht zu sagen, PRIMITIV zu stellen wie die Parteigänger der herrschenden Verhältnisse.
    Sie ist nur leider (und wenn ich mit meinen Einschätzungen rechthabe, ist es auch anders nicht zu erwarten) bei diesem Thema "produktive Praxis", was die fundamentalen Kategorien betrifft, in denen es gedacht werden soll, ebenso religionsartig eingestellt wie bei der Beurteilung der dieser Praxis angemessenen Arbeitsorganisation.
    Die Praxis wird analysiert als "erreichtes Produktionsniveau", bei dem man es doch mal - als quasi einer maximal hoch entwickelten traditionalen Produktionsweise - bewenden lassen könnte - seine Erzeugung gehörte ja im Wesentlichen zu den historischen Dienstleistungen des "abzuschaffenden" Systems. Also in die Vorgeschichte...
    Wer redet da noch von der Notwendigkeit ständigen Forschens, technologischen Entwickelns, und darauf beruhender permanenter realer Umwälzungen der Produktionsweise und strategischer Fortschrittspfade (nicht zuletzt, um noch mehr Forschungs- und damit Fortschrittspotential produktiv freizusetzen)? Das soll künftig, als wäre es keine PRODUKTIVE Aufgabe und in die GESAMTE Ressourcenplanung zentral einzubeziehen, in aller Gemütlichkeit in der "disposable time" statt, der Zeit fürs Kreative und zündende Einfälle... Ansonsten gehörte das permanente "Umwälzen" eher zum Kapitalismus, und ist dann somit beendet.
    Wissenschaft und Forschung ist aber der Kern jeder modernen (und auch die Moderne überbietenden) Produktionsweise, sie zu ermöglichen sogar das Ziel jeder Reproduktion.
    Ich wiederhole: Das ist nicht kapitalistisch, das ist MODERN.
    Und nicht der Kapitalismus hat diese Entwicklung angestossen, sondern die MODERNE.
    Und... anders als Marx behauptet hat, ist er meines Erachtens diesem Weltverhältnis und Epochenprogramm, das die Moderne ist und sein will, keineswegs angemessen.
    Höchstens... der kulturell massenhaft in vormodernen Rahmen-Programmen aufgegriffenen Moderne - DAZU passt Kapitalismus. Allerdings.


    So ähnlich geht es aber auch der linken Vergesellschaftungsidee. Die Linke denkt nicht modern. Das typische Weltverhältnis der typischen Linken ist eine religionsartig-entdifferenzierte Form von Modernität. Es gibt, wie eben schon angedeutet, das erheblich schlimmere, weil aus dieser religiös-entdifferenzierten Form nochmal in gläubig-abergläubische Erwartungshaltungen gegenüber der ERFOLGSTRÄCHTIGKEIT der eigenen (kollektiven) Aktivitäten zurückfallende religiös-moderne NORMALDENKEN. Bloss... gegenüber dem Gehalt, um den es da geht, ist sowohl die linke, absolut-minoritäre als erst recht diese noch weiter entdifferenzierte Mentalität der gesamten Normalbevölkerung und ihrer "Eliten" zurückgeblieben bzw. hinter das in ihm erreichte Niveau zurückgefallen.
    Und zurückgeblieben sind (wie ich behaupte und an anderer Stelle ausführe) dem entsprechend dann auch die politischen Konzepte.
    Die Linke hat sich, in all ihren Fraktionen, nur EINEN Schritt von ihrem historisch nächst-verwandten und darum meist-kritisierten Pendant unter den Vergesellschaftungskonzepten entfernt, ich meine das marktwirtschaftliche.
    Während dort der Markt das all-mächtige, all-weise und all-heilsame SYSTEM sein soll, will die verbliebene Linke dasselbe - bloss eben gerade durch seine ABSCHAFFUNG. Genau dann spätestens aber ist der optimale Systemzustand erreicht, die Hindernisse für freie, solidarische, kreative Betätigung und Entfaltung des kollektiven "Spirit" ein für alle Mal weggeräumt.
    Solang aber der Heilszustand (das GANZ ANDERE, entgegengesetzte SYSTEM) nicht eingetreten ist, kann und darf man nichts vorwegnehmen - ALLES (eben das System!!!) wird ja so ganz anders sein, als jede vorwegnehmende Ausmalung sich träumen lassen könnte.
    Besser als ALLES was ihr euch vorstellen könntet, ihr vereinzelten Kleingeister!
    Pfingsten weltweit gewissermassen, Ausgiessung des Geistes über alle...


    Von den Aporien (ausweglosen Problemen) des modernen Weltverhältnisses redet da niemand mehr - Ökologie? Wissensverwaltung? Bedürfnisorientierung? - erledigt sich auf die bekannt-unbestimmt-optimale Weise von selbst.


    Aber dann... ((Mario oben: "Aber ich gebe zu, es gibt diverse Fragen die auch ich mir beantwortet wissen will...")) gibt es (ganz zuletzt, im "PPS") wie bei jedem Glauben, doch noch den ZWEIFEL, und die Zweifels-FRAGEN, wo man, bitteschön, schon vorweg ein bisschen mehr konkrete Gewissheit haben möchte, ob man auch den RECHTEN Glauben hat:
    a) Wie ist denn das Verhältnis der Pfingst-Begeisterten zum weniger begnadeten Rest der Bevölkerung (("Wie sind Mehrheiten überhaupt aus der Passivität und Vereinzelungen herauszuholen...")), angefangen bei den Andersgläubigen, die sich vielleicht nicht so einfach überrennen lassen, falls es dann für eine MEHRHEIT erstmal doch nicht reicht (die aber bitte synchron und ganz schnell, durch die "äusseren" Ereignisse, durch die"viele Menschen fast gleichzeitig...so beeindruckt werden, dass sie aus ihrem Gleichgewicht geworfen werden"): Wie missioniert, ah nein agitiert man den Rest? Wie verhält man sich bei Gegenwehr der bedrohten Mehrheiten - spätestens jenseits der nationalen Grenzen?
    ((Marios Szenario oben entwirft (soweit darf man offenbar entwerfen?) eine historische Situation, die derart paradiesisch ist, dass man sich fragt, wie sie je mal auf mehr als sagen wir 100 oder 1000 Kulturpioniere wird zutreffen können: Völlig entgleist, finden sie nicht nur die innere Stärke, Ruhe, Musse, sondern auch noch die äussere Bedingung des Freigestelltseins und der Verfügung über alle nur nötigen Optionen zum Experimentieren vor. Quasi Ferien von der Geschichte - daneben und raustreten dürfen und erst wieder reinkommen müssen, wenn die Praktiken erfolgreich funktionieren und eingeübt sind, und überhaupt alles fix und fertig an andre tradierbar eingerichtet ist... Ja genau, Mario - SO in etwa wird und kann es nur gehen. Bloss nicht für moderne Riesengesellschaften mit "Bruch" und "Mehrheiten"... sondern für die genannten 100-1000 Pioniere... die produktive Lebensführungs- und Alltags-Einrichtungs-Avantgarde im Sinne deines unten zitierten Kommentars... Wenn es mehr wären... dann wär das nicht mal mehr bloss ein sozialistisches Pfingsten, sondern obendrein Weihnachten Ostern und Himmelfahrtstag in einem... der alte Bloch hat ja so gern in diese Richtung schwadroniert und geschwärmt: Ubi Lenin, ibi Jerusalem... (hat er tatsächlich geschrieben und ernstgemeint))

    b) Wenn Planen des gesellschaftlichen Riesenorganismus im Kapitalismus schon so aufwendig ist (ohne dabei wirklich zu gelingen, wo doch bloss jedes Unternehmen für sich und allenfalls der Staat (oh: Bürokratie!) grade mal das Allernötigst-Notdürftigste für alle plant) - wie erst, wenn mal die wirklichen Anforderungen (ich hatte oben einen kleinen Vorgeschmack gegeben hinsichtlich der "systematisch" ausgerichteten Effizienz-Berechnungen) auf dem Tisch liegen?


    c) Und wie, wenn die dann auch noch EXPLODIEREN angesichts der vielfältigen individuellen Präferenzen ((Mario oben: "Wie und woran werden Bestellungen (siehe Kommune Bochum) begrenzt und wie verhält es sich mit Luxuswünschen und unliebsamen Arbeiten?"))? Die "Mehrheit" vollzieht, wie ihr angetragen, den "Bruch" - sonst ändert sich nix? Systemwechsel sehen anders aus...


    Wie schön, dass diese Zweifel aber auch wieder zu beruhigen sind: Solang nicht beinah alle mit an diesem Strang ziehen, maW das Reich Gottes ausgebrochen ist.. nein so redet die andere Konfession, das stört jetzt hier... solang jedenfalls ist alles eitel Menschenwerk und hinfällig. Kann also auch nichts widerlegen von dem, was immer erst noch kommt. Und vorher... bleiben wir im ewigen Wartestand.


    Auf dem Gebiet des Verhältnisses zur Welt als ganzer nannte man solch einen negativen, einen "Abschaffungsglauben" vor anderthalb Jahrtausenden mal: Gnosis.
    Auf dem Gebiet der Vergesellschaftung unter religiös-modernen Vorgaben heisst es: Kommunismus.
    Es ist leider eins so unmaterialistisch-vormodern wie das andre.
    -----------------------------------------------------
    Und WIE unmaterialistisch das ist, ganz deskriptiv und ohne Verurteilung, nur den Unterschied einmal festhaltend, gesprochen - das ist noch einmal am Bezug auf die Konzepte von Pfreundschuh zu sehen, ich zitiere mal den letzten Kommentar von Mario in meinem Blog (franziskas Blog, Kommentar vom 01.07.2014 16:33 zum Beitrag Thesen und Bemerkungen 3: Denkblockaden )


    "Ich kapier so langsam worauf du hinauswillst: Ich halte meine system- und chaostheoretischen Ansätze nach wie vor für korrekt, aber sie geben eben nur das "große Bild" ab. Sie erklären nicht wie Leute konkret, vor Ort zusammenfinden, was sie verbindet und was es denn ist, dass sie zusammengefunden haben und was sie perspektivisch zusammenschweißt. Die Linke konzentriert sich deiner Meiung nach zu stark auf die politisch-öffentliche Sphäre und vergisst den Lebensalltag der Menschen wo bereits elementare Prozesse stattfinden. Viele Linke finden ja selbst derart, über "private Veranstaltungen" und Freundschaften zusammen, blenden das aber irgendwie aus und meinen, es ginge nun stets darum dass die neu zusammengefundene Avantgarde jetzt die "dumme Masse" in der Öffentlichkeit belehrt. Das klassische Avantgardekonzept. Verstünde man "Avantgarde" aber anders, als jene die sich bewusst sind was sie zusammenschweißt, eingebettet in ihrem konkreten Lebensumfeld, sähe es anders, und wohl auch produktiver aus. Es wäre ein erster Schritt den unsäglichen Belehrungs-Politizismus hinter sich zu lassen und die realen Gegebenheiten zu verändern und eine Grundlage zu legen, praktisch wie im Bewusstsein, um am "Tag X" einen Plan parat zu haben. Ausgehend von einer neuen Arbeits- und Netzwerkorganisation von unten. Ich denke, die Problematik liegt darin, dass das kulturelle Miteinander völlig ausgeblendet wird oder bloß als Folklore und Symbolik hochgehalten wird. Der reale Lebensalltag interessiert nicht mehr. Aber dabei müsste es genau darum gehen: Den Aufbau eines alternativen Milieus. Alternative Treffpunkte, Clubs und Wohnmöglichkeiten. Und wenn wir überlegen war es genau dieses Milieu das die Arbeiterbewegung ja ausmachte, vereinte und zu einer Millionenbewegung werden ließ. Ich denke, darauf will auch Pfreundschuh hinaus wenn er von dem Aufbau einer kommunalen Reproduktionindustrie spricht.
    Mehr dazu siehe hier: kulturkritik.net/begriffe/wiki.php?bstab=W unter dem Begriff Widerstandskultur."


    An sich wäre das alles überaus erfreulich, was Mario da anführt - kommunalistisch durch und durch. Bloss... dass am Ende wieder "der Tag X" stehen muss, der unbestimmte aber unumgängliche Sprung, ohne den man sich ein Wachsen und Gedeihen der neuen Vergesellschaftungsform offenbar einfach nicht vorstellen kann.
    Und obwohl es "Reproduktionindustrie" heisst, ist von PRODUKTION weder bei Mario noch bei dem herbeizitierten Pfreundschuh irgendwo in nennenswerter Form die Rede. Technik scheint bei ihnen zu sein, was sich von selbst versteht. Forschung? Im wesentlichen gelaufen und an ihr Ende gekommen... Es geht um Inner- und Zwischenmenschliches, der Rest ist die Riesenwirtschaftsmaschine, bei der es gilt, die fertig eingerichteten Arbeitsplätze zu besetzen und die dort zuzubringenden Arbeitszeiten auszurechnen. Die Maschine scheint so organisiert (Danke, Kapitalismus, immerhin das für uns geleistet!), dass sie sich durch stetes Ableisten der "notwendigen Arbeit" (die offenbar von selbst bestimmt ist - Produktivität der einzelnen Produktionen scheint dauerhaft festgeschrieben - um die Optionen und Richtung ihrer Erhöhung wird nicht gestritten werden?) irgendwie von selbst miterhält (reproduziert). Produktion, Reproduktion, Wissen Technik Qualifikation, Fortschritt, aufgeschobene und ungelöste Probleme, Ressourcenerschöpfung, ökologische Katastrophen, Ungleichzeitigkeit (geschieht der "Bruch" national oder international?) - kein Thema! Welcher Art die "erschütternde" und die Weltbevölkerung synchron in Revolutionslaune versetzende Erfahrung sein soll... keine Ahnung. Du sollst dir kein Bildnis machen... Ansonsten ist (Pfreundschuhs Kapitalkommentar geht zumindest auf seiner derzeitigen Website grad mal bis K1 Kap.7 (Die Rate des Mehrwerts), ansonsten weiss er dass Feudalkapitalismus ist (was war vorher?)) wahrscheinlich weltweit wiedermal und ständig, bis auf weiteres, 1789, naja, die kapitalistische Variante...)
    Wie soll das gehen?

  • Es ist unter Linken üblich, zunächst sein Ziel zu definieren: die eigene Glücksvorstellung von einer künftigen, solidarischen Gesellschaft. Als nächsten Schritt suchen diese Linken dann nach den Helfern, die dieses vorher definierte Ziel auf die Erde holen und realisieren sollen.
    Spätestens da beginnt die erste große Schwierigkeit: Man stellt fest, es sind nur wenige, die das eigene Ziel akzeptieren und sich zu eigen machen wollen. (Dass es nur wenige sind, die das eigene Ziel teilen, ist auch nicht verwunderlich, denn dieses Ziel wurde ja nur von einem oder von wenigen formuliert und ausgewählt.)
    Hat man dann doch Helfer und Unterstützer gefunden, dann beginnt die nächste Schwierigkeit: Das Problem der „Vermittlung“: Wie bringe ich die Masse der Menschen dazu, mein/unser Ziel in die Tat umzusetzen?
    Das ist das Problem vom Widerspruch zwischen Avantgarde und Masse.
    Ich denke, dieses Problem ist unlösbar. Ich denke, jeder in dessen Denken der Widerspruch zwischen Avantgarde und dem Rest der Menschheit auftaucht, dessen Denken muss entweder zu intellektueller Versteinerung oder zur Verzweiflung führen.


    Die Linken streiten sich ständig und werden sich niemals einig, wer oder was „Avantgarde“ ist.
    Und ich glaube, die Linken finden niemals eine wirkliche Vermittlung zwischen ihrer eingebildeten Avantgarde und dem Rest der Menschen.
    Wer eine Avantgarde definiert, definiert gleichzeitig und notwendig die Masse für rückständig und minderbemittelt. Dieser Rückstand der Masse ist nicht heilbar – es sei denn durch eine Hierarchie, durch ein Kommandosystem von Befehl und Gehorsam.


    Kurz: Wer die Emanzipation von Allen denken und begreifen will, der muss auf den Avantgarde-Gedanken verzichten.
    Genau das hatte Karl Marx getan. Seine Beschreibung der Arbeiterklasse ist keineswegs romantisch. Aber in seinen Augen besitzt die Lohnarbeiterklasse alle Fähigkeiten und Fertigkeiten für die künftige Gesellschaft und damit für die eigene Emanzipation.


    Bitte lest mal die folgenden Gedanken von Marx unter der Fragestellung: Wo ist da Platz für eine Avantgarde? Ich finde bei Marx weder eine Notwendigkeit für eine Avantgarde, noch die Möglichkeit für eine Avantgarde.


    Gruß Wal Buchenberg


    Karl Marx über die Lohnarbeiter und ihre Revolution:
    „Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 181.


    "Der einzelne Mensch kann nicht auf die Natur wirken ohne Betätigung seiner eigenen Muskeln unter Kontrolle seines eigenen Hirns. Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsprozess Kopfarbeit und Handarbeit. ...Das Produkt verwandelt sich im Kapitalismus überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d. h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 531.


    „Die Maschinerie, mit einigen später zu erwähnenden Ausnahmen, funktioniert nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter oder gemeinsamer Arbeit. Der kooperative Charakter des Arbeitsprozesses wird jetzt also durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktierte technische Notwendigkeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 407.


    „Mit der Entwicklung der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise, wo viele Arbeiter an der Produktion derselben Ware zusammenarbeiten, muss natürlich das Verhältnis, worin ihre Arbeit unmittelbar zum Gegenstand der Produktion steht, sehr verschieden sein. Z. B. die ... Handlanger in einer Fabrik haben nichts direkt mit der Bearbeitung des Rohstoffs zu tun. Die Arbeiter, die die Aufseher der direkt mit dieser Bearbeitung zu tun Habenden bilden, stehen einen Schritt weiter ab; der Ingenieur hat wieder ein anderes Verhältnis und arbeitet hauptsächlich mit seinem Kopfe etc.
    Aber das Ganze dieser Arbeiter, die Arbeitsvermögen von verschiedenem Werte besitzen, ... produzieren das Resultat ...; und alle zusammen, als Werkstatt, sind die lebendige Produktionsmaschine dieser Produkte, wie sie, den gesamten Produktionsprozess betrachtet, ihre Arbeit gegen Kapital austauschen und das Geld der Kapitalisten als Kapital reproduzieren, d. h. als sich verwertenden Wert, sich vergrößernden Wert.
    Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und Handarbeiten – oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andere Seite vorwiegt, – zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was jedoch nicht hindert, dass das materielle Produkt das gemeinsame Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in materiellem Reichtum vergegenständlicht; was andererseits ebenso wenig hindert oder gar nichts daran ändert, dass das Verhältnis jeder einzelnen dieser Personen das des Lohnarbeiters zum Kapital und in diesem eminenten Sinn das des produktiven Arbeiters ist.
    Alle diese Personen sind nicht nur unmittelbar in der Produktion von materiellem Reichtum beschäftigt, sondern sie tauschen ihre Arbeit unmittelbar gegen das Geld als Kapital aus und reproduzieren daher unmittelbar außer ihrem Lohn einen Mehrwert für den Kapitalisten. Ihre Arbeit besteht aus bezahlter Arbeit plus unbezahlter Mehrarbeit.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert I, MEW 26.1, 386f.


    „Die Natur baut keine Maschinen, keine Lokomotiven, Eisenbahnen, Telegraphen, Spinnautomaten. Sie sind Produkte der menschlichen Industrie; natürliches Material, verwandelt in Organe des menschlichen Willens über die Natur oder seiner Betätigung in der Natur. Sie sind von der menschlichen Hand geschaffene Organe des menschlichen Hirns; vergegenständliche Wissenskraft.
    Die Entwicklung des fixen Kapitals (d. h. der Maschinerie und Technologie) zeigt an, bis zu welchem Grad das allgemeine gesellschaftliche Wissen ... zur unmittelbaren Produktivkraft geworden ist und daher die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebensprozesses selbst unter die Kontrolle des allgemeinen Intellekts gekommen, und ihm gemäß umgeschaffen sind.
    Die Entwicklung des fixen Kapitals zeigt an, bis zu welchem Grad die gesellschaftlichen Produktivkräfte produziert sind, nicht nur in der Form des Wissens, sondern als unmittelbare Organe der gesellschaftlichen Praxis; des realen Lebensprozesses.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 594.


    „Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelte sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 765.


    „Was die Teilung der Arbeit in der mechanischen Fabrik kennzeichnet, ist, dass sie jeden Spezialcharakter verloren hat. Aber von dem Augenblick an, wo jede besondere Entwicklung aufhört, macht sich das Bedürfnis nach Universalität, des Bestreben nach einer allseitigen Entwicklung des Individuums fühlbar. Die automatische Fabrik beseitigt die Spezialisten und den Fachidiotismus.“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 157.


    „Andererseits ist der Arbeiter selbst absolut gleichgültig gegen die Bestimmtheit seiner Arbeit; sie hat als solche nicht Interesse für ihn, sondern nur soweit sie überhaupt Arbeit ... ist ...Dies ist nicht die Art und Weise der Handwerker, Zunftgenossen etc., deren ökonomischer Charakter gerade in der Bestimmtheit ihrer Arbeit und dem Verhältnis zu einem bestimmten Meister liegt etc. ...“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 204.


    „Der Proletarier z. B., der ... seine Bedürfnisse ... befrieden will, wie jeder andere Mensch, und der nicht einmal die ihm mit jedem anderen Menschen gemeinsamen Bedürfnisse befriedigen kann, den die Notwendigkeit einer vierzehnstündigen Arbeit zu gleicher Stufe mit dem Lasttier herabdrückt, den die Konkurrenz zu einer Sache, einem Handelsartikel herabdrückt, der aus seiner Stellung als bloße Produktivkraft, der einzigen, die ihm übrig gelassen wurde, durch andere gewaltigere Produktivkräfte verdrängt wird dieser Proletarier hat schon hierdurch die wirkliche Aufgabe, seine Verhältnisse zu revolutionieren.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 270f.


    Die Geschichte zeigt, „dass sowohl zur massenhaften Erzeugung des kommunistischen Bewusstseins wie zur Durchsetzung der Sache selbst eine massenhafte Veränderung der Menschen nötig ist, die nur in einer praktischen Bewegung, in einer Revolution vor sich gehen kann; dass also die Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 70.


    „Die Zeit der Überrumpelungen, der von kleinen bewussten Minderheiten an der Spitze bewusstloser Massen durchgeführten Revolution ist vorbei. Wo es sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie mit Leib und Leben eintreten.“ F. Engels, Einleitung zu Marx Klassenkämpfe (6.3.1895), MEW 22, 513523 und MEW 7, 514ff.


    „Für den schließlichen Sieg der im Kommunistischen Manifest aufgestellten Sätze verließ sich Marx einzig und allein auf die intellektuelle Entwicklung der Arbeiterklasse, wie sie aus der vereinigten Aktion und der Diskussion notwendig hervorgehen musste.“ F. Engels, Vorwort zum Kommunistischen Manifest (1890), MEW 22, 57.


    „Revolutionen werden nicht von einer Partei gemacht, sondern vom ganzen Volk. K. Marx, MEW 34, 514.


    „Die Emanzipation der Arbeiterklasse (muss) durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden.“ K. Marx, Gründungserklärung der IAA, MEW 16, 14.


    „Die Menschen verzichten nie auf das, was sie gewonnen haben, aber das bedeutet nicht, dass sie nie auf die Gesellschaftsform verzichten, in der sie bestimmte Produktivkräfte erworben haben. Ganz im Gegenteil. Um das erzielte Resultat nicht zu verlieren, um die Früchte der Zivilisation nicht zu verlieren, sind die Menschen gezwungen, sobald die Art und Weise ihrer Wirtschaftsweise den erworbenen Produktivkräften nicht mehr entspricht, alle ihre überkommenen Gesellschaftsformen zu ändern.“ K. Marx, Brief an Annenkow (1848), MEW 4, 549.


    „Es ist also jetzt so weit gekommen, dass die Individuen sich die vorhandene Gesamtheit von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbestimmung zu kommen, sondern schon überhaupt um ihre Existenz sicherzustellen. Diese Aneignung ist zuerst bedingt durch den anzueignenden Gegenstand die zu einer Totalität entwickelten und nur innerhalb eines universellen (globalen) Verkehrs existierenden Produktivkräfte. Diese Aneignung muss also schon von dieser Seite her einen den Produktivkräften und dem Verkehr entsprechenden universellen Charakter haben. Die Aneignung dieser Kräfte ist selbst nichts als die Entwicklung der den materiellen Produktionsinstrumenten entsprechenden individuellen Fähigkeiten. Die Aneignung einer Totalität von Produktionsinstrumenten ist schon deshalb die Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten in den Individuen selbst. Diese Aneignung ist ferner bedingt durch die aneignenden Individuen. Nur die von aller Selbstbestimmung ausgeschlossenen Lohnarbeiter der Gegenwart sind imstande, ihre voll-ständige, nicht mehr beschränkte Selbstbestimmung, die in der Aneignung einer Totalität von Produktivkräften und der damit gesetzten Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten besteht, durchzusetzen. ...Bei der Aneignung der Lohnarbeiter müssen eine Masse von Produktionsinstrumenten unter jedes Individuum und das Eigentum unter alle untergeordnet werden. Der moderne universelle (= globale) Verkehr kann nicht anders unter die Individuen untergeordnet werden, als dass er unter alle untergeordnet wird. Die Aneignung ist ferner bedingt durch die Art und Weise, wie sie vollzogen werden muss. Sie kann nur vollzogen werden durch ein Vereinigung, die durch den Charakter der Lohnarbeit selbst wieder nur eine universelle (= globale) sein kann, und durch eine Revolution, in der einerseits die Macht der bisherigen Produktions- und Verkehrsweise und gesellschaftlichen Gliederung gestürzt wird und andererseits der universelle Charakter und die zur Durchführung der Aneignung nötige Energie der Lohnarbeiter sich entwickelt, ferner der Lohnarbeiter alles abstreift, was ihm noch aus seiner bisherigen Gesellschaftsstellung geblieben ist. K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 67f.


    „Die Menschen bauen sich eine neue Welt ... aus den geschichtlichen Errungenschaften ihrer untergehenden Welt. Sie müssen sich im Lauf ihrer Entwicklung die materiellen Bedingungen einer neuen Gesellschaft selber erst produzieren und keine Kraftanstrengung der Gesinnung oder des Willens kann sie von diesem Schicksal befreien.“ K. Marx, Moralisierende Kritik, MEW 4, 339.


    „Der Name, unter dem eine Revolution begonnen wird, ist niemals der, den das Banner am Tage des Triumphs trägt. Um überhaupt Aussichten auf Erfolg zu haben, müssen revolutionäre Bewegungen in der modernen Gesellschaft anfangs ihre Fahne von jenen Elementen des Volks ausleihen, die, obwohl in Opposition gegen die bestehende Regierung, sich völlig in Harmonie mit der bestehenden Gesellschaftsordnung befinden. Mit einem Wort, Revolutionen müssen ihre Eintrittskarten zur offiziellen Bühne von den herrschenden Klassen selbst empfangen.“ K. Marx, Lage in Europa, MEW 12, 235.


    Siehe Karl Marx über die Arbeiterklasse


    Siehe Karl Marx über die Revolution

  • Wal, deine Erwiderung scheint mir in zwei wesentlichen Hinsichten an den oben debattierten Auffassungen vorbeizugehen:
    1. Niemand hier spricht irgendwem Fähigkeiten ab, darum geht es hier nicht. (Bei den Fertigkeiten ist es anders, aber die hat im Moment vielleicht überhaupt niemand, man muss sie ausbilden und entwickeln; sagt ja auch Marx...)
    Worum es sich hier handelt, sind die MOTIVE etwas zu tun und zu lassen, und die Frage, wie und woran sie sich bilden, und wie weit man da überhaupt Aussagen machen kann.
    2. Der Begriff Avantgarde ist von mir nur in dem Sinn von Mario aufgegriffen worden - und auch das bestenfalls ironisch, man kann ihn gerne auch fallenlassen, es ging mir eh um einen völlig veränderten Inhalt - wie er in seinem Kommentar gemeint war, nämlich als Gruppe derer, die früher als andere motiviert sind, auf eine neuen Produktionsweise umzustellen und die anfangen, die dafür nötigen Techniken und Fertigkeiten zu entwickeln.
    Niemand zwingt diese Leute, das zu tun, niemand vermutlich wird sie auch daran hindern (da müsst es schon arge Rückfälle hinter erreichte politische Niveaus geben), und sie ihrerseits werden nie irgendjemanden zwingen.
    Wenn sie "wirken", dann einzig durch ihre Praxis - auf Leute, die ihnen mit verwandten, wenn auch ETWAS weniger entwickelten Motivlagen gegenübertreten. Derart, dass es der bereits eingerichteten Gruppe (neben ihrer sonstigen Arbeit) gelingt, immer wieder die Differenz zu einzelnen solchen, ihnen Nächststehenden zu überbrücken. Jeweils nächste "Nächststehende" werden auf diese Weise gewonnen (und bringen auch ihrerseits etwas ein, das die Gemeinschaft verarbeiten kann und muss) - und der kommunalistische Sektor der Gesellschaft wächst, langsam, sorgfältig, jeden Erweiterungsschritt sorgfältig absichernd und konsolidierend.
    Was auf diese Weise vor allem zur Routine wird, ist die Art und Weise, wie man, Standpunkt für Standpunkt, Leuten das Hineinwachsen in die fortgeschrittene kommunalistische Gemeinschaft ermöglicht - zunächst werden es bloss Erwachsene sein, die von sich aus schon (ohne eignes Verdienst) durch zufällig an sie gelangte Resultate historisch-kulturellen Lernens prädestiniert sind, sich für das Angebot, das die kommunalistische Gemeinschaft durch ihre anschaubare Praxis darstellt, zu interessieren (wieder geht es mehr um Motivlagen als sonst was) und die Annäherung an diese Gemeinschaft und die Art ihrer kollektiven Lebenseinrichtung zu vollziehen.
    Die Fernststehenden werden zuletzt gewonnen; und wenn das gelingt, ist die Gemeinschaft imstand, sich selbst und ihre Errungenschaften, mit den auf diese Weise gewonnenen Routineschritten des Motivierens (von anfänglich sehr anders Motivierten und Fernststehenden, über die je nächst angenäherten Positionen), den allerfremdesten überhaupt, nämlich den aus dem Naturzustand in sie hineinwachsenden Kindern und Jugendlichen, zuverlässig zu vermitteln. Keine Epoche zuvor hat das leisten können - weder für Erwachsene, noch für Kinder. Das wird EINE der grossen Neuerungen der neuen Epoche sein.
    Was zum andern zur Routine wird, ist der sehr langsame und behutsame Ausbau der Produktion in einem bestehenden Gelände, und die Zusammenarbeit, das Zusammenwachsen der kleineren Kollektive einer Region zu einer Produktionsgemeinschaft, die schwierigere Aufgaben meistern kann. Die Reihenfolge wird vorgegeben von den Elementarbedürfnissen und dem, was an Produktionsaufgaben dafür zu lösen ansteht.
    Wenn wir über Probleme der Industrie-Landwirtschaft (und zwar in ihren heute fortgeschrittensten, bereits ansatzweise "biologischeren" Formen, mit zB pflugloser Bodenbearbeitung, Gründüngung, Direktsaat dort hinein und entsprechenden Maschinen - wenig boden-verdichtend) sprechen würden, würde VIEL deutlicher werden, warum hier eine epochal neue technische, eine Reproduktions-Aufgabe zu lösen ist.
    Wie überhaupt meine Vorschläge sich zentral um (RE)PRODUKTION drehen, ihren Aufbau, und die ihr angemessene Produktions-Organsiation.
    Untrennbar ist da verbunden: das Bedürfnis-gemässe, und das Ökologische.
    Es ist am Ende nichtmal mehr die Frage, ob uns die Industrie-Arbeit gefällt oder als notwendiges Übel weiter das Leben der Produzenten beschädigt - sie beschädigt uU die Lebensgrundlagen aller in einem solchen Ausmass (und das beginnt bei der (agrar)industriellen Lebensmittelproduktion), dass diese Produktionsweise aufgegeben werden muss und die technischen Errungenschaften der Moderne nur in einem extrem ausgeklügelten, sorgfältig aufgebauten Produktionsorganismus, auf einem ganz schmalen technologischen Fortschrittspfad, weiter genutzt und entfaltet werden dürfen.


    Es gibt hier eigentlich nichts zu streiten. Wer auf "Revolution" als plötzlichem politischen Umschwung weiter warten will und vorher nicht aktiv werden möchte, den kann niemand davon abbringen.
    Umgekehrt wird wohl kaum von den hier vertretenen Kommunalisten - andere sehe ich hier nicht schreiben, auch Mario und der von ihm zitierte Wolfram Pfreundschuh machen nur kommunalistische Vorschläge - irgendjemanden abhalten wollen, wer immer es möchte und kann, eine kollektive Selbstversorgung, lokal und in kleinem Rahmen, wenn auch wachsend, aufzubauen.
    Die nicht-staatssozialistischen Kommunisten bei zB neoprene, wo ich und andre hier zeitweise geschrieben haben, haben uns angegriffen für solche Pläne, weil da Aktivitäten abgezogen würden für das Agitieren, eben das, was Mario das "politizistische Belehren" (die Vertreter dieser Strategie selbst sprechen gern von "Kritisieren") nennt. Der Mangel dieser Art, auf Leute loszugehen, könnte an anderer Stelle einmal genauer besprochen werden. Ansonsten vertritt, glaube ich, hier niemand diesen Ansatz.

  • Okay, Franziska, so langsam sehe ich, dass du scheinbar das klassische Keimform-Konzept vertrittst wie es seitens Christian Siefkes, Stefan Meretz uvm auf keimform.de vertreten wird. Die Idee, Einzelne könnten sich herauslösen und eine Art Peer-to-Peer-Ökonomie begründen. Ungestört, in ihrer Freizeit, neben ihrem Dasein als Lohnabhängige. Diese robben sich irgendwie durch den gesamten Produktionszusammenhang und bedürfen der großen Industrie nicht mehr, ja, diese sei letztlich sogar hinderlich und wir müssen alles neu aufbauen. Als Stückwerk, step by step.


    Wie das allerdings vonstatten gehen soll, wie mit konterrevolutionären Bestrebungen zu verfahren sei (diese gibt es angeblich nicht?) und wer sich für so einen Klitschensozialismus, der auf den erreichten Stand der Produktivkräfte verzichten denn praktisch engagieren will, bleibt fraglich.


    Ich lehne den Keimform-Ansatz nicht völlig ab und ich bin auch nicht der Meinung, dass man jedwede Industrie einfach unhinterfragt übernehmen könne und der sozialen Befreiung dienlich machen. Ich stimme z.B. mit Robert Kurz' Thesen in "Antiökonomie und Antipolitik" von 1997 überein, wenn dieser schreibt (und ist dabei deiner Sichtweise gar nicht so unähnlich):


    "Hinzu kommt die Tatsache, daß in einem warenproduzierenden System so gut wie kein gesellschaftliches Wissen über die gesamte Vernetzung der Reproduktion auf der materiellen, stofflich-sinnlichen Ebene existiert.


    Alle gesamtgesellschaftlichen Aggregierungen erscheinen nur in der Form abstrakter monetärer Fließgrößen (Einkommens- und Ausgabenströme etc.), wie sie von der "volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung" dargestellt werden, während die einzelnen Betriebe in materieller Hinsicht nur ihre eigenen Zulieferer und Abnehmer kennen, nicht jedoch den gesamten materiellen Vernetzungsprozeß, dessen Teil sie sind.


    Es gibt also eine geradezu groteske Unwissenheit der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Mitglieder über die materielle Aggregierung ihres eigenen Lebenszusammenhangs, der so fremd ist wie ein unentdeckter Kontinent. (…)


    Die Organisation einer emanzipatorischen Bewegung kann daher weder allein von den Strukturen der kapitalistischen Arbeitsteilung (Betrieben) noch allein von einer territorialen Basis (Wohngebieten) ausgehen, sondern sie muß bereits die (anti-)ökonomische Keimform einer alternativen Reproduktion enthalten.


    Eine solche emanzipatorische, das Privateigentum an den Produktionsmitteln überwindende Keimform "mikroelektronischer Naturalwirtschaft" ist aber nicht an beliebigen Punkten der (zunächst in kapitalistischer Form vorgefundenen) Struktur der Reproduktion darstellbar, sondern nur an den Endpunkten: dort, wo die Produktion in die Konsumtion übergeht.


    Denn nur an diesen Endpunkten ist die Konstitution eines sozialen Raums der Kooperation möglich, deren Tätigkeiten nicht wieder auf den Markt zurückführen, sondern in ihren Resultaten von den Beteiligten selber konsumiert werden. (…)


    Diese völlig andere Art der Vermittlung muß jedoch selber erst vermittelt, geübt, ausprobiert, erweitert und verfeinert werden usw., und deshalb bedarf es auch der Keimformen, die dort ansetzen, wo das Verhältnis von Produktion und Konsumtion greifbar wird ohne dazwischengeschobene Instanzen. Dieses Problem wird sich für jede emanzipatorische soziale Bewegung stellen, egal in welcher Größenordnung und in welchem Stadium der Krise kapitalistischer Reproduktion sie operiert."


    Da ein solches Vorgehen die Krise des Kapitalismus verschärfen würde, da alles was den Märkten genommen wird zu einer "positiven Rückkoppelung" im Sinne einer Verschärfung der Krise fungiert, dürfte ein derartiges Vorgehen seitens der "Oberen" wohl kaum einfach hingenommen werden. Man sieht ja bereits welches Repressionsaufgebot hochgefahren wird wenn ein paar Flüchtlinge eine Schule besetzen oder Bürgerinnen und Bürger gegen Gipfel und Projekte der Herrschenden Flagge zeigen (G8, Stuttgart21, Anti-AKW uvm).


    Kurz schreibt deshalb weiter: "Überhaupt muß noch einmal betont werden, daß die genannten Beispiele zwar auch im einzelnen praktiziert werden können (und das ist heute vor allem an den Punkten wünschenswert, wo es sich um eine elementare Logistik für die theoretische Gesellschaftskritik selber handelt), daß aber eine gesellschaftliche Wirksamkeit nicht in erster Linie durch die allmähliche Verallgemeinerung praktischer Einzelbeispiele erreicht werden kann. Das wäre die alte, im schlechten Sinne utopische Vorstellung. Vielmehr muß es das Ziel sein, eine Art Programm oder den Umriß einer Antwort auf die unvermeidliche "Was tun?"-Frage einer neuen sozialen Bewegung auszuarbeiten. (…)


    Gesellschaftliche Bewegungen können bekanntlich von Theorieproduzenten nicht aus dem Hut gezaubert werden, sondern sie entwickeln sich spontan, wenn auch natürlich nicht ohne bestimmte Initialzündungen und ohne die willentliche Aktivität bestimmter Personen. Aber es kann eben nicht im voraus feststehen, wo, von wem und auf welche Weise solche Bewegungen initiiert werden. Entscheidend ist jedenfalls, daß erst durch soziale Bewegungen hindurch Ideen für eine umwälzende Praxis eine gesellschaftliche Gestalt gewinnen können.


    Nur wenn viele Menschen gleichzeitig und an vielen Orten beginnen, "aus der Spur zu springen", weil sie nicht mehr in der bisherigen Weise leben wollen und können, wird die theoretische Möglichkeit zur tatsächlichen gesellschaftlichen Praxis. (…)


    Es wäre aber verfehlt, sich den Prozeß als ganzen in einer evolutionistischen Perspektive vorzustellen. Dies wird möglicherweise sogar der Vorwurf des unwilligen altmarxistischen oder postmodernen Lesers sein, dem "die ganze Richtung nicht paßt". Dieser Leser ist mit Wonne vor allem eines, nämlich in Bezug auf ungeliebte Argumentationen vergeßlich, und so hat er inzwischen wahrscheinlich schon wieder vergessen, daß das ganze Problem im Kontext nicht einer beliebigen Träumerei, sondern einer existentiellen Weltkrise des warenproduzierenden Systems steht, die auch ihn selbst am Wickel haben wird oder schon hat.


    So wenig die Entkoppelung als gesellschaftliche Praxis durch die allmähliche Verallgemeinerung einzelner Beispiele möglich ist, sondern nur durch eine soziale Bewegung hindurch, ebensowenig wird eine solche Entkoppelungs-Bewegung sich in aller Gemütsruhe evolutionär von Sektor zu Sektor durch das System der gesellschaftlichen Reproduktion hindurchrobben können.


    Daß die Richtung des "Aufrollens" im Verhältnis zum Programm des Arbeiterbewegungs-Marxismus entgegengesetzt ist, also nicht von den Grundstoffindustrien zur Konsumgüterproduktion geht, sondern umgekehrt, sagt nichts über die historische Geschwindigkeit des Prozesses aus.


    Hier ist auch ein wesentlicher Unterschied in der Frage der "Keimform" zwischen der protokapitalistischen und einer postkapitalistischen Transformation begründet. Die Dynamik der kapitalistischen Krise läßt den Zeithorizont des Übergangs dramatisch schrumpfen.


    Nicht Jahrhunderte einer evolutionären Entwicklung liegen vor uns, die in ferner Zukunft einen "politisch-revolutionären" Kulminationspunkt durchläuft, sondern der Durchgang durch ein weltgesellschaftliches Erdbeben von insgesamt höchstens einigen Jahrzehnten, in denen alles entschieden wird, ohne daß die Umwälzung überhaupt noch die Form einer "politischen Revolution" annehmen kann.


    Die "Keimform" entkoppelter Sektoren hat also einen ganz anderen Stellenwert als die "Keimform" der modernen Warenproduktion in der bürgerlichen Urgeschichte. Sie ist ein notwendiges Ferment, um die betriebswirtschaftliche Bornierung zu durchbrechen und eine soziale Aufhebungsbewegung reproduktiv zu stabilisieren; aber sie ist kein "Keim" im Sinne der pflanzlichen Metapher.


    Deshalb muß eine Theorie und Analyse der Entkoppelung gleichzeitig nicht nur von einer Theorie und Analyse der Krise, sondern auch von einer gesamtgesellschaftlichen Planungsdebatte begleitet sein. Die Theorie der Planung kann der realen Entkoppelungsbewegung vorausgreifen, weil diese möglicherweise sehr schnell in die Zwangslage versetzt wird, die Transformation nicht in kleinen Schritten, sondern in großen Schüben organisieren zu müssen."


    Weiter heißt es, die Notwendigkeit einer Konkretisierung betreffend: "Wenn man kein anderes Schiff hat, wird man auf hoher See bereit sein, selbst unter miesesten Bedingungen sich in sein Geschick zu fügen und alles zu tun, damit das Schiff als solches intakt bleibt. Wenn aber schon ein anderes Schiff bereit steht, auf das man ohnehin überwechseln will, kann man das alte getrost in Brand stecken und den verrückten Kapitän Ahab an der obersten Rahe aufknüpfen.


    Solange eine andere Reproduktion bloß in der Vorstellung existiert und auch diese noch auf dieselben Gesetzmäßigkeiten der alten Form beschränkt bleibt, ist eine Radikalität innerhalb der Form gar nicht möglich. Ironischerweise kann der soziale Kampf auf dem Boden von Lohnarbeit und Sozialstaat erst in dem Maße zugespitzt werden, wie das Ziel gar nicht mehr der Geldlohn ist.


    Nur wenn Sektoren einer autonomen, emanzipatorischen Reproduktion greifbar sind, ist es möglich, den system-immanenten sozialen Kampf völlig rücksichtslos und in Bezug auf das Schicksal der famosen Marktwirtschaft nihilistisch zu führen."


    Der Anspruch all dessen ist von Beginn an inter- bzw. transnational: "Als negatorische Bewegung stellt sie auch ein soziales Netzwerk dar, das in seiner Intention von vornherein transnational sein muß. Man könnte eine solche Struktur z.B. mit dem (informellen) Übersee-Netzwerk der Auslandschinesen oder mit den transnationalen Netzwerken von religiösen Sekten vergleichen, nur daß eben der Inhalt ein ganz anderer und emanzipatorischer wäre.


    Jedes Mitglied dieser vernetzten Bewegung müßte sich in diesem negatorischen Bezug auf der ganzen Welt bewegen können und überall dort, wohin dieses Netzwerk reicht, immer "zu Hause" sein. Der Management-Theoretiker John Naisbitt (Hongkong) hält solche Netzwerke wie das der Übersee-Chinesen für das Organisationsmodell des 21. Jahrhunderts, das den Nationalstaat ablösen wird."


    Im Falle sozialer Kämpfe mit den Kräften des Bestehenden bzw. der Konterrevolution gibt Kurz die Möglichkeit der so genannten "Kybernetischen Subversion" an: "Das soziale Kampfmittel der Zukunft wird daher die kybernetische Subversion sein, die legitime Forderungen auch ohne offizielle Legalität durchsetzen kann (in gewisser Weise analog zur Geschichte des Streiks).


    Kybernetische Subversion bedeutet ganz einfach, die Nervenwege der kapitalistischen Reproduktion (Transport und Verkehr, Energie, Information) durch "Unterbrechung" lahmzulegen. An die Stelle des Streiks wird also die Unterbrechung treten, die überall möglich ist.


    Die Blockade von Autobahnkreuzen durch PKK-Aktivisten oder französische Fernfahrer, die Blockade von Schienenwegen des Castor-Transports durch Atomkraftgegner oder der bewußt herbeigeführte Zusammenbruch des Verkehrs in Belgrad durch die Aktionen der Opposition zeigen, daß diese Art der Unterbrechung Schule macht. Noch mehr gilt das für die Wege der Energie und vor allem der Information.
    Eine Bewegung, die ohnehin die materielle Vernetzung der kapitalistischen Reproduktionsstruktur untersucht und aufdeckt, kann auch sehr schnell das know-how erwerben und verallgemeinern, um das kapitalistische Nervensystem nach Belieben zu lähmen."


    Soweit die Ergänzung seitens Robert Kurz, der ich weitgehend zustimme. Für den Beginn bedarf es womöglich keiner Massenbewegung, aber die Transformation kann langfristig nur bestehen und Aussicht auf Erfolg haben, wenn sie zu einer wird, sich verdichtet und beschleunigt. Beginnend von einer Aneignung und Entkoppelung der bestehenden Wohn- und (Re-)Produktionsmöglichkeiten.

  • Mario: Nein, die Ähnlichkeit zum klassischen Keimform-Konzept ist bloss "scheinbar".
    Ich kann schon darum nicht das sog. "Durchrobben" durch die bestehende Produktionsstruktur befürworten, weil ich diesen Aufbau technologisch für eine Sackgasse halte. Diese Auffassung deutet sich in meinem Forumsblog an unter dem Titel einer Kritik der "industriellen technologischen Strategie". Dazu stehen einige votwegnehmende Bemerkungen in dieser "Zwischenbemerkung".
    Ich glaube, dass eine völlig neue Produktionsweise aufgebaut werden muss - eine, die anderen technologisch-strategischen Prinzipien als den modern-industriellen folgt. (Ich drücke die völlig anderen Zielsetzungen ja immer wieder aus mit der Formel: Ökologisch - bedürfnisorientiert - Ungleichzeitigkeiten abbauend. Und deute noch an, dass diese Anforderungen eigentlich EINE sind (durch "Bedürfnis-orientiert" allein bereits abgedeckt).
    Die Anforderungen sind ausserdem so, dass die Experimental-Gemeinschaften (das werden sie selbst im Wachsen lange Zeit bleiben, weil immer neue Aufgaben zur Lösung anstehen) für andre Reproduktionsformen (Lohnarbeit) keine Zeit haben. Deshalb müssen sie auf ihnen überlassene oder selbst eingebrachte private Reíchtumgsressourcen zurückgreifen.


    An der Kurz-Zitat-Collage fällt mir auf, welch schrille Widersprüche der Anspruch auf schnelle "Gesellschaftlichkeit" nach sich zieht:
    Nicht nur, dass die Frage, woher denn plötzlich all die vielen Linken kommen sollen ("Krise"?), VÖLLIG unbeantwortet ist...
    Es wird dann auch noch, nachdem die kapitalistisch betriebene Reproduktion der Gesellschaft zurecht als für sie "unentdeckter Kontinent" beschrieben ist, eine allgemeine "Planungsdebatte" eingefordert.
    Aber bitte VOR der Umwälzung... damit man "das Schiff" (oder doch Kontinent?) Kapitalismus dann aber auch wirklich verlassen kann!
    Und es muss ganz schnell gehen... sonst geht das Schiff (der Kontinent?) womöglich vorher mit Mann und Maus unter (Atlantis??). Wo doch Weltkrise ist... Aber anders gäbs wieder keinen Anlass zum Verlassen des Schiffs/Kontinents bzw. Betreten des anderen (Arche?).
    Am Anfang werden. nein dürfen es grad eben noch wenige sein, naja eine transnationale linke Diaspora, vernetzt wie andere Subkulturen zB die Zeugen Jehovas... Macht nix, die können Schiff/Kontinent durch geschickte Sabotage auch alleine versenken. (Dann MUSS ja der Rest gefälligst umsteigen...)
    Dass das auch umgekehrt mit einem selber gemacht werden kann, verhindert das "Entkoppeln": Unsern Konsum eignen wir uns schon mal vorab an, und machen ihn vom sonstigen Produktionsgeschehen unabhängig. DAS ist natürlich was ganz andres als die "grosse Industrie" (die man so schnell nicht verwalten lernen kann) wegzulassen - da draussen dampft und schnurrt sie ja immer noch (wenn auch jederzeit subversiv-kybernetisch stillzulegen). So kann man die Aneignung ("
    dort ansetzen, wo das Verhältnis von Produktion und Konsumtion greifbar wird ohne dazwischengeschobene Instanzen") aufschieben, bis die Planung (Debatte läuft!) steht. Bis dahin ist man - "entkoppelt". Wenn auch nicht zu lange... uswusw


    (Man kann noch anfügen, was sich bei Kurz nicht findet, aber was Mario nahelegt: "Konterrevolutionäre" (das ist eigentlich heute die gesamte Normalbevölkerung, also "alle Andern", oder?) sind ein Problem. Wie man ihm beikommt? Naja, indem man ganz schnell ganz viele wird... Aber bist du (vorher) nicht radikal und das flächendeckend (zur Not als Kadertruppe im Vorgriff auf die Rekrutierung des regulären Heers: kybernetisch-subversiv), versuchst stattdessen harmlos zu sein (nur so ein bisschen kybernetisch usw)... dann kriegen sie dich erst recht (Warum aber sollten sie?). Nebenfrage, Mario: Welche Krise soll um Gottes willen verschärft werden durch "Herausnahme" von was? Was da allein an ökonomischen Meinungen unhinterfragt herumgeistert...)


    Das geringste Problem macht sich Kurz, aber natürlich nicht nur er, mit der Frage: Wo die neuen Linken eigentlich herkommen sollen. Oder, ob Konsens unter denen, die sich (dann) irgendwie links(radikal) einordnen, überhaupt entsteht, und was ihn verhindert. (Das ist ja alles "dann"... "dann" ist schliesslich alles anders als heute, weil heute ja nicht "dann" ist... wenn es "soweit" ist. Naja, in den nächsten Jahrzehnten muss dann aber schon mal "dann" sein... sonst gehts nimmer.)
    Das ist insofern konsequent, als ja das System sich irgendwann die ihm Angehörenden, nachdem "es" von sich aus entstanden ist, subsumiert und eingenebelt hat.... Seither laufen sie in seiner "Spur". Wie schön, dass es, das System, selbst, wie im Dornröschen-Märchen, die im System-Schlaf, dem System-Fluch Befangenen dank seiner eigenen, systematisch unvermeidlichen "Krise", dann auch wieder freigibt. Plopp. Abgesehn von einigen Muttermalen (oder wie nennt man das) kommen sie aus der Epoche raus, als wär nix gewesen... und können nun endlich ganz allgemeinmenschlich kollektiv zu wirtschaften anfangen. Nein - erst schnell noch Planungs-Debatte. Aber dann.


    Das, was mir an diesem ganzen Denken am übelsten aufstösst, ist: WIE wenig an brennend offenen Fragen dort für theoretisch bedenkens- und überhaupt beantwortenswürdig gehalten wird - wieviel dort offenkundig unbegriffen, unanalysiert, unerklärt bleiben kann. Weil es sich ("dann"?) offenbar von selbst erledigt. Die Frage ist allenfalls WAS tun, von dem, das sich allem Anschein nach ("dann"?) von selbst dafür anbietet. Die Frage WIE überhaupt? braucht nie gestellt zu werden. Das ist das Eigenartige: Auf DIESEM Niveau kann, äusserst kurzatmig und mit Erkenntnissen, die offenbar jeder aus dem Stand heraus hat, also Banalitäten, über Zukunftsstrategien hin und her geredet werden. Oder eigentlich eher: Schnelle Urteile gefällt werden, zack zack geht das, dies wird abgewiesen, jenes erledigt (da "utopisch"). Aber geh EINEN Schritt über diese Feststellungen hinaus - und es trifft dich der Bannstrahl: NOCH ist ja nicht "dann" - alles weitere und die Details - "dann". Und Gegenargumente, Fragen nach der Ausführung sind Details. Das gehört sich nicht... "jetzt".


    PS: Zu diesem fatalen Dualismus von "jetzt" (noch nicht) und "dann" wurde, durchaus aus Anlass der früher begonnen Debatte mit Mario, im oben schonmal verlinkten Forums-Blogbeitrag zu (linken) Denkblockaden argumentiert. An den sei also nochmal erinnert...

  • In dieser inner-kommunalistischen Auseinandersetzung verkehren sich auf seltsame Weise die Fronten. Denn...


    ...ausgerechnet diejenigen, die (wie ich) die zentralen Zielsetzungen jeden modernen Produzierens ernstnehmen: Forschung, technologische Entwicklung, und deren Übersetzung in eine aktuelle Reproduktion und einen von da ausgehenden Fortschrittsentwurf - ausgerechnet die, die das ernstnehmen und GENAU DARUM das Problem der kollektiven Planung, nämlich Wissensverwaltung haben (und noch einige Probleme mehr) - ausgerechnet die werden von den Befürwortern des (im grossen ganzen hinreichend entwickelten) Produktivkräfte-Niveaus auf seinem gegebnem Stand verdächtigt, zur Vormoderne zurückzuwollen - darum, weil diesen Befürwortern des - produktivkräftemässig gesprochen - (dann nachkapitalistischen) Status quo die extrem aufwendige (und schon darum primitiv-moderne) industrielle Form der Umsetzung der modernen Werte völlig alternativlos vorkommt.


    Aber nichts zeigt die Verwurzelung dieser Freunde des vergangenen Fortschritts in vormodernem Denken mehr an als diese Gedankenfigur: dass man sich auf dem erreichten Niveau doch mal einrichten könne; dass Forschung und Entwicklung kein Teil, womöglich sogar der zentrale, der Produktion ist; und dass die gesellschaftliche Wissensverwaltung dabei kein Schlüsselproblem darstellt.
    Entweder es ist nicht modern; oder (Forschungs- und Fortschritts-)Planung ist ein Problem: nämlich der Wissensvermittlung, -verbreitung, (kollektiven) Verarbeitung.


    Und so mit "Gesellschaft".
    Entweder sie ist nicht emanzipiert und selbstgesteuert (von wem und wie illusionär immer stattdessen: dem Markt oder der Partei oder eben diffus: "der" Gesellschaft", wer immer das ist), oder die gesamten Probleme der kollektiven Verständigung brechen über die Produzenten herein, nicht nur die der kollektiven Wissensverarbeitung, sondern auch die der Findung dauerhaft haltbarer Prinzipien dafür und der Einigung darauf, und der Fähigkeit zu ihrer Vermittlung an anders oder womöglich sich noch garnichts Denkende (die Nachwachsenden).


    Die Linke sieht die Nichtlinken nicht als selbständig Denkende und Urteilende; und in der Hinsicht als Ihresgleichen; stattdessen bespricht sie diese andern als im Bann jener "Verhältnisse" gefangen, die sie bekanntlich "unabhängig von ihrem Willen" eingegangen sind.
    Mit dieser Einordnung hat sich die Linke jeder Einwirkmöglichkeit begeben, und sich selber zur Passivität verdammt. Nichtmal zu VERSTEHEN gibt es noch etwas, denn das System (K1-3) begriffen zu haben, heisst alles Relevante kennen. Der Rest ist Warten - Warten auf den Bruch des Banns (den "Bruch", den Plopp, die KRISE - wenn das System die in ihm Gefangenen massenhaft freisetzt), oder Warten auf hinreichend viele grundlos oder abgründig individuelle solche Brüche und Entscheidungen gegen das Bestehende. Und obwohl doch alle determiniert sind, sind einige determinierter - die einen, Ausbeuter, Kapitalisten, Machthaber, sind, obwohl doch genauso verblendet und auf ihre "Charaktermaske" festgelegt, irgendwo doch verantwortlich, die andern hingegen büssen wohl in den Augen der strengen Betrachter durch ihre Betroffenheit als Opfer, was sie durch Nichtauflehnung (mit)verschulden.


    Aber so, als System, hat die Linke nun mal die Verhältnisse im Gefolge von Marx gedeutet; ihr Verhältnis zu den Leuten im System ist davon geprägt, eine unüberbrückbare Distanz (im erzwungenen Reden über "sie" in der dritten Person kommt es zum Ausdruck; wie redet man sie, die Bewusstlosen, unbewusst Ausgelieferten, zur Einsicht Unfähigen, je an? Am besten garnicht!)
    Entweder sie sind unmündig, oder die Linke braucht eine komplett neue Theorie.


    Die Frage, wie die grosse Ausnahme zustandekommt, die Linke selbst, ausgerechnet die nächstliegende Frage von allen, wenn man mehr werden will, wird nicht gestellt. Marx selbst murmelt was Verlegenes von wegen Bildungselementen und besonderer indivdueller Anstrengung.


    Aber... es gibt ja auch keine Antwort auf die Frage, wie man ANDERS als links wird. Da wird man schliesslich vom "Sein" geprägt. Nichts scheint marxistischen Linken näher zu liegen, als diese Erklärung. Dabei sollte nichts sie mehr verwundern und Anlass zum Fragen sein...


    MIR geht es jedenfalls so: Ich verstehe die Normalmenschen da draussen nicht, sie sind mir absolut fremd... und ich finde nichts wichtiger und dringlicher als Antworten zu finden auf die Fragen: Wie denken die Leute da draussen, WAS denken sie, höchst unterschiedlishes, und in Abhängigkeit von dem, was andre ihnen sagen... und was hindert sie zu denken wie ich?


    Jemand wie Wal hat seine beinah physische Abneigung gegen solches Fragen schon mehrfach bekundet.
    Ich selbst erinnere mich an einen vergleichbaren Ekel, der offenkundig die Autoren der so ganz anders als Wal gepolten MG bzw des GSP befiel, wenn sie - sprachlich gewissermassen mit spitzen Fingern, einmal aus Gründen der Vollständigkeit der System-Erklärung, "Psycho"-Themen anzupacken hatten...
    Ein ewiges Anhängsel der eigentlichen Theorie, eine Zumutung, ein Übergriff gar, eine Indiskretion... ein Wühlen im (fremden) Dreck.
    Daneben aber gibt es die Idealisierung der Opfer... "Sie", die so ganz anders sein werden, wenn "sie" nur erst einmal "soweit" gekommen sind...
    Und die Verurteilung der Täter, der Mächtigen, der Politiker und Besitzenden, die doch eigentlich (auch) nur die Systemzwänge umsetzen... (tun das nicht alle?). Aber entweder tun sie es irgendwie zusätzlich auf gemeine Weise, statt zerknirscht, wie es ihnen offenbar anstünde... frech und die Opfer verhöhnend, statt ihr Tun bereuend und letztlich ablehnend... Offensiv und voll Zuversicht, wo sie eigentlich ratlos und verzagt sich zu geben hätten. Dafür kann man sie, die doch auch nur im Bann der Verhältnisse leben, schon ein bisschen hassen... (Bloss, dass sie bei den Opfern populär sind... und die Linken... eher nicht.)


    Man darf fast sicher danach gehen: Wo moralische Empörung hochkocht, ist eine Lücke im Begreifen.
    Täuschung, Fehler, Gründe für Fehler, mangelnde Motive der ansdern, etwas bis dahin Unterlassenes zu tun (zB Begriffe zu bilden) - gibt es für die derzeitige Linke nicht. Nur den Bann (der Verhältnisse). Und eben sie - die offenbar unerklärlich davon Verschonten, die Linken, die dem System danken, oder doch es verfluchen? müssten, dass es, aber warum nur, in seiner unerklärlichen Bosheit etwa? immerhin sie hat - vor der Zeit? - zustandekommen lassen...

  • Ok, deine Argumentation ist nachvollziehbar, Franziska. Vor allem wie denn Krise, Planungsdebatte und Entkoppelung ineinander greifen sollen und vor allem, dem vorausgehend, wie denn der linke Konsens zu organisieren ist (Kurz nimmt hierbei Bezug auf die Durchsetzung des Marxismus in der Arbeiterbewegung, was auch Jahre der theoretischen Auseinandersetzung gekostet hätte um z.B. den utopischen Sozialismus zu verdrängen).


    Aber um es einmal bildlicher und konkreter zu machen: Wie stellst du dir einen realistischen Ablauf denn vor? Was muss organisiert werden? Was wird nur spontan-kreativ zu klären sein? Wo ist deiner Meinung nach anzufangen? Alternative Ökonomie in Kleinstversuchen neben dem kapitalistischen Alltag ohne auf Lohnarbeit angewiesen zu sein? Wie sich da mit anderen Kooperativen/Genossenschaften assoziieren, wenn nicht für den Markt produziert werden soll? Wie sieht es mit der Machtfrage aus?


    Würde mich mal interessieren, wenn du hier vielleicht einen ungefähren Ablauf, wie du es dir als machbar vorstellst, zeichnen könntest.


    Was hierzu interessant sein könnte sind die Erfahrungen der Demonitze it!-Aktionen wie von Geldfreies-Berlin.tk im Bereich der solidarischen Landwirtschaft gemacht wurden. Siehe erster Post: "Die post-revolutionäre Möhre. Hier und Jetzt": http://demonetize.it/blog/geldfreies-berlin/


    Dort kommen viele von dir angesprochene Fragen vor. Kannst dir (andere natürlich auch, wäre cool wenn sich noch mehr an der Debatte beteiligen) ja mal ansehen.

  • Danke, Mario, für deine Hinweise. Wenn jemand Texte von aussen hier ins Gespräch bringt, gehe ich davon aus, dass sie ihm so wichtig sind wie selbst Gesagtes. Grundsätzlich sollten wir uns hier als Einzelpersonen gegenübertreten, die ihre eigenen Auffassungen an Ort und Stelle ausdrücken, und mit dem Platz versuchen auszukommen, der halt in einem Forumsbeitrag bloss verfügbar ist. Ich muss mich jetzt also auch kurz fassen, wenn ich auf deine Aufforderung eingehe. Drum schreibe ich nur drei sehr einfache Prinzipien hin, die freilich - wenn sie beherzigt würden - aus der bisherigen (radikalen) Linken etwas Neues, und, wie ich glaube, besseres machen würden ((worin das alte Linkssein durchaus aufgehoben wäre, ums ein letztes Mal mit dem alten Hegel-Kalauer zu sagen)):


    vom Kritisieren weg- und übergehen zum Begreifen (das Kritisieren ergibt sich daraus);
    vom Gesellschaftlichen (Prod.verhältnis) zum Produzieren (Prod.kräften) (die Vergesellschaftung ergibt sich daraus);
    vom Grossen zum Kleinen (das Grosse ergibt sich daraus).


    Als wichtigster Grundsatz sollte aber vor und über allem stehen: BEDÜRFNISGERECHT. Daraus ergeben sich (wie zu zeigen wäre) auch die Prinzipien.


    Warum gehen in der Gartenbau-Kooperative (auf deren Berichte du verlinkt hast) bald die altbekannten Konflikte um Leistungsbereitschaft und gerechte Lastenverteilung los?
    Natürlich, weil Lasten zur Verteilung anstehen, und Anstrengung gefordert ist.
    Die wird man, ohne gewaltige Umstellungen in der Produktionsweise, so schnell auch nicht los.
    Der blosse Entschluss dazu reicht nicht mal ansatzweise (obwohl, den Gesichtspunkt immer als leitenden im Blick zu haben, ein notwendiger Anfang ist).


    Das Gartenbau-Kollektiv tauscht seine Anstrengung gegen die der "Begärtnerten". Würden da Ungleichgewichte entstehen, würde wohl bald auch von Ausbeuten oder "Ausgehaltenwerden" gesprochen.
    Fixiert man sich dann auf die ("gerechte") Verteilungsfrage, bleibt - wie so oft dann - der alternative Ansatz ausser Betracht: Niemand soll sich anstrengen. Dann bräuchte man auch keine Gerechtigkeit.


    Witzenhausen, wo diese Leute wohnen, hat einen Namen in der alternativen Szene, wegen des Studiengangs Ökologische Landwirtschaft und einem weiteren Lehrinstitut (DEULA).
    Das dürfte kein Zufall sein, die Leute werden, denke ich mal, dort ausgebildet worden sein.
    Das "Ökologische" an der Nahrungsmittel-Produktion scheint eine echte Leistungsanforderung - eine weitere, unter so vielen; noch schlimmer: Je ökologischer, desto vormoderner und mutmasslich schweisstreibender.
    Für das ökologische Bauen und Renovieren scheint Ähnliches zu gelten.
    Und mit "low tech" beim Geräte- und Maschinen- oder gar Anlagenbau wird alles verbunden, bloss nicht das Attribut RAFFINIERT.
    (Vgl. Kurz und seine "mikroelektronische (!) Naturalwirtschaft").


    In diesen drei Abteilungen einer alternativen Lebenseinrichtung steckt bereits eine Epochenaufgabe.
    In den drei Prinzipien, die ich genannt habe, auch.
    R.Kurz denkt, zurecht, immer wieder auch über die "Logistik" der Aussteigenden und System-Kritiker nach.
    Die Frage ist also, in Marx' Formulierung, wie man Jagen Fischen und Kritisieren (oder eben besser: Begreifen) verbindet.
    Und: Wie man der bisher nicht leistbaren Anforderung, GLEICHZEITIG das Grosse (Gesellschaft, weltweit) und die kleine Lebenseinrichtung vereinbar zu machen, dadurch gerecht wird, dass man sie in ein sorgfältig bedachtes STRATEGISCHES NACHEINANDER überführt - wo man genau durch das, was man als nächstes (im Rahmen seiner Kräfte und Möglichkeiten) tut, zugleich den bestmöglichen nächsten Schritt in einem insgesamt auf eine neue Einrichtung aller Verhältnisse weltweit zielenden (Versuchs)Entwurf macht.
    Die Einsicht, worin so eine Strategie und Entwurf besteht, müsste man freilich schon haben; sonst wird man sich auf das Kleinklein eines Selbstversorgungs-Gartenbaus oder einer "renaturierenden Kultivierung" nicht einlassen.
    Ab hier... geht oder ginge es in die Details - das ist die Kehrseite der Besinnung aufs "Kleine": es wird auf einmal SEHR konkret. Wer konkret und praktisch wird, gibt viele Optionen auf. Er muss wissen, was er tut. Weil fast alle das NICHT wissen, und KEINEN strategischen Entwurf haben, misstrauen sie (zurecht) aller konkreten Praxis, und wollen sich alle Optionen offenhalten. Sie dürfen sich dann aber nicht beschweren, wenn es erst noch unpraktisch bleibt - man kann nicht ALLES zugleich. Nicht auf Anhieb.
    Würde es praktischer werden...
    ...müssten wir über fortbestehende Unzulänglichkeiten des Permakulturkonzepts für Selbstversorger reden und zB über Prinzipien des Bodenaufbaus, Bodenlebens, der (ganz radikal) Frage der Vermeidbarkeit von Düngung uvam...
    ...über die Frage, was zu einer mutmasslich vollständigen Ernährung gehört, und darum auf dem eigenen Grundstück unbedingt sollte hergestellt (und konserviert) werden können (incl. Gewächshäusern - womöglich (aber wie?) beheizten), aber ohne Tiere (naja Geflügel - zur biologischen Schädlingsbekämpfung...) - weil zu aufwendig)...
    ...oder, um mal was ganz andres zu erwähnen, die steuerfreie Übertragung von Reichtum aufgeteilt in Tranchen in Höhe des Schenkungsfreibetrags (derzeit 20T Euro) - um sich die Bürokratie einer Genossenschaftsverwaltung vom Hals zu halten. Würde das zunehmend massenhaft (wenn du auf dem Land lebst, beginnt "Masse" bei sehr kleinen Gruppen) umgesetzt, muss man überlegen, wie man die ausfallende geldliche Steuerleistung durch - womöglich vorauseilende - Angebote ehrenamtlicher Tätigkeiten in den Gemeinden, wo man lebt, (mehr als) kompensiert. Die FEINDSELIGE Grundeinstellung zur Umgebung sollte man vielleicht lieber durch, sagen wir mal, eine tendenziell THERAPEUTISCHE oder soll ich sagen, KLNISCHE ersetzen (es gibt da eigentlich kein gutes Bild, auch diese wecken mancherlei falsche Assoziationen); jedenfalls wäre diese Haltung wahrscheinlich näher an dem Befund (noch so ein Medizinerwort), der sich aus einem BEGREIFEN ergibt..


    Alles Begreifen hat auch eine emotionale Seite, du musst ertragen, was du siehst. Dies ist nun historisch nicht die erste Epoche, die in die Phase ihrer Stagnation und sich abzeichnenden Scheiterns eintritt - also eine Periode, wo allzu lang aufgeschobene Problemlösungen sich in zunehmenden Ausfällen bemerkbar machen, und zugleich die immer schon vorhandenen Schwächen des epochalen Weltverhältnisses (und der Vergesellschaftungsformen, zu denen es führte) natürlich nicht behoben sind, also immer krasser sich als VERSAGEN (selbst) AN (den selbstgestellten) AUFGABEN (wieviel mehr an den objektiven) zeigen. Andererseits hat die Epoche auch Errungenschaften, an die anzuknüpfen ist; bloss, dass sie VIEL weniger wert sind, und meist an anderer Stelle liegen, als die Vertreter der Epochenprinzipien selber glauben. In dieser verwirrenden historischen Gemengelage muss man sich orientieren lernen - und auf einiges gefasst machen - nicht NUR Schlimmes - aber das eben auch. Historisches Bewusstsein und das Ein- und Nachfühlen der Situation früherer Kulturpioniere kann sich da als hilfreich erweisen. Denn... ob wir das wollen oder nicht: Das ist es (glaube ich), was wir sind. Heisst: Eine winzige Minderheit, die noch einige Zeit eine blieben wird (und zwar selbst dann, wenn sie "erfolgreich" ist - sowohl aus ihrer, als auch der Aussensicht).

  • Ja, wenn man erstmal hintersteigt worauf du hinauswillst, finde ich deine Fragen sehr interessant und konkret. Vieles davon ging mir selbst bereits durch den Kopf und man erlebt ähnliche Fragen immer wieder auf linken Kongressen wenn das Thema der "konkreten Utopie" hochkommt. Oft schwirrt da nur ein großes Fragezeichen im Raum, ob bei Vortragenden oder Zuhörer. Das Problem besteht eben darin, dass es keine gemeinsame strategische Ausrichtung gibt und Unklarheit darüber welche Strategie der Wahrscheinlichkeit nach denn eher zur Sozialemanzipation führt.


    Noch eine Fundsache: Das Hans-Jürgen Krall-Institut verficht einen Ansatz, welcher den hier diskutierten Bestrebungen eines "Aufrollens" des Kapitalismus nicht unähnlich ist. Das Institut beschreibt in seiner Schrift "Praktischer Sozialismus" die Möglichkeit über einen gewerkschaftlichen Fond eine Gemeinwirtschaft zu finanzieren die den Lohnabhängigen in Streikzeiten den Rücken frei hält und somit die Möglichkeit eröffnet Arbeitskämpfe mit Perspektive auf Sozialisierung der Produktionsmittel rücksichtslos führen zu können. Dazu schreiben sie:


    "Der praktische Sozialismus ist die Verlaufsform der Organisierung von einer sozialistischen Gemeinschaft innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zur vollständigen sozialistischen Organisation der Gesellschaft unter gegenwärtigen Bedingungen. (…)"


    Damit wird in etwa das angesprochen, was hier Konsens sein dürfte. Später wird etwas angesprochen, das deinen Ausführungen, Franziska, gar nicht so unähnlich ist: Der Fokus muss auf dem Einzelnen liegen, denn in ihm kommen alle Fragen zusammen. Wortwörtlich:

    "Letzen Aufschluss über die konkreten Zusammenhänge aber gibt die zu reflektierende Praxis, die nach dem
    sozialistischen Prinzip den empirischen Einzelnen und sein Glück ins Zentrum setzt.


    Im Verlauf dieser Praxis begegnen dem Einzelnen ausnahmslos alle gesellschaftlichen Widersprüche in einer für seine Zielsetzung kollektiver Selbstbestimmung relevanten Weise.


    Denn der empirische Einzelne, d.h. der Einzelne, verortet innerhalb der gesellschaftlichen Totalität, die alltäglich tausendfältig auf ihn einwirkt und auf die auch er selbst unentwegt zurückwirkt, dieser Einzelne ist selbst, um mit Marx zu sprechen, jenes „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“, das zu begreifen ist. (…)"


    Auf der anderen Seite wird gesagt, dass eine Aneignungsbewegung nicht umhin kommt mit dem zu beginnen was sie vorfindet, um überhaupt erstmal Fuß fassen zu können. Von daher können sich Fragen einer möglichen Umstrukturierung erst stellen (oder besser gesagt die bereits diskutierten Fragen erst praktisch angegangen) wenn vorhandene Produktionsstätten angeeignet wurden:


    "Der praktische Sozialismus als eine Bewegung der Wiederaneignung der Produktionsmittel durch die unmittelbaren Produzenten, kann sich nur entlang der bestehenden Arbeitsteilungsverhältnisse, entlang der bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse der Unternehmen untereinander ausbreiten. Auch wenn mit Sicherheit neue Beziehungen geknüpft, alte gekappt werden müssen, bleibt doch die Struktur eines basalen Beziehungsgeflechtes erhalten. Der innere Aufbau einer solchen einheitlichen proletarischen Organisation ist darum auch nur rätedemokratisch sinnvoll denkbar."


    So sehr ich deine Ansichten also teile, glaube ich, kommen wir nicht umhin erstmal mit dem zu arbeiten was wir unter kapitalistischen Bedingungen vorfinden um dann auszusortieren was wir davon weiterhin verwenden können und wollen und um überhaupt erstmal ein Plateu zu schaffen von dem aus Produktionsmittel der Warenproduktion entzogen werden können.


    Das allein deshalb, da der Kapitalismus, aufgrund seiner Totalität, nach-kapitalistischen Keimformen nicht die Muße und den Raum geben wird wie es, anders als im Feudalismus, mit den kapitalistischen "Keimen" der Fall war. Aber auch dort gingen bereits neue Produktionsweise und politische Aktionen Hand in Hand (bis der Prozess letztlich in den bürgerlichen Revolutionen kulminierte). Dass es obendrein wohl zu einer anderen Industrie kommen wird und muss (ähnlich wie der Kapitalismus gegenüber dem Feudalismus mit neuen Arbeitsmethoden und Maschinen einherging), liegt auf der Hand.


    Ich persönlich finde ja z.B. Ansätze wie Open Source Ecology sehr vielversprechend. Dort wird industriell-moderne Produktion mit offenem Zugang, ökologischem Anspruch, Kooperation und Dezentralität verbunden. Durch mehr gesellschaftliche Freiräume und Mittel könnte da meiner Meinung nach noch viel mehr herausgeholt werden. Ähnlich wie mit FabLabs.

  • Danke für deinen Zuspruch, Mario - da wären wir ja, wenigstens unter Kommunalisten, schon mal einige Schritte weiter. Ob die Mitlesenden uns soweit folgen wollen, oder sich entsetzt über unsere, spätestens meine radikalökologische Schrebergarten- und Kirchturmsperspektive (aber dafür bin ich doch recht breit aufgestellt) abwenden, wissen wir nicht.


    Dass die Krahl-Leute den Einzelnen wichtig finden, gefällt mir natürlich. Warum richtig, darüber wäre viel länger zu reden. Dass der Einzelne ein oder das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse ist... naja, es hört sich (in den Zitaten zumindest) noch nicht so schlagend an. Die Frage muss doch in die Richtung gehen: Was gehört unumgänglich dem und den Einzelnen an, und kann ihnen, bedauer- oder erfreulicherweise, wie immer, nicht (zB "arbeitsteilig") weggenommen werden? Der Masstab der Bedürfnisgerechtigkeit, wenn er ernstgenommen wird, deutet die Richtung der Antwort an...


    Ansonsten muss ich an zwei Stellen (das folgt aus der bislang von mir vertretenen Position) widersprechen:


    a) das "Aneignen" muss nicht immer nur in Gestalt der Betriebsbesetzung gedacht werden, es kann durchaus per Schenkung stattfinden (im Fall von Land ist das uU sogar der einzig mögliche Weg, um das Vorkaufsrecht der Landwirte zu umgehen - es erstreckt sich nicht auf Schenkungen, und ist - ursprünglich als Bollwerk gegen Bodenspekulation gedacht - heute ein gewisses Hindernis für die Ausbreitung alternativer Anbauverfahren, vielleicht nicht das grösste, aber eines. Nur um mal anzudeuten, nach wieviel Seiten man sich da umschauen muss... (von der Spekulation der verbliebenen Agrarbetriebe auf extrem lukrativen da subventionierten Mais- und Rapsanbau wg. Biodiesel noch garnicht zu reden; ebensowenig vom richtig rücksichtslos betriebenen Flächenverbrauch beim Ausweisen von Verkehrswegen, Gewerbegebieten und den hübschen Einheits-Neubau-Siedlungen am Rand der verfallenden Altbau-Dorfkerne...).


    b) "...sich ausdehnen entlang der vorhandenen Produktionsbeziehungen", das hatten wir schon bei R.Kurz oben. Für das, was radikalökologishe Selbstversorger (vielleicht) alles machen (sollten/werden), sind die Arbeitsgeräte womöglich noch garnicht erfunden (natürlich gibts auch schon wieder jede Menge Zeugs, das man auf Verwendbarkeit durchmustern muss). Aber das meiste davon ist dermassen "low" tech, dass mans mit wirklich wenig Aufwand selbst herstellen kann. Die Frage ist eher, wie (spätestens recycelt) die Produktionskreisläufe geschlossen und die gesamte Fertigungstiefe in die eigne Verfügung geholt wird. (Da könnte langfristig eine Schwäche des Open Source Ecology Projektes liegen - da wird uU zuviel auf verfügbare Vorprodukte (nicht nur recycelte Rohmaterialien) aus Industrieproduktion zurückgegriffen.) Dezentral, regional-subsidiär (indem "überbetrieblich" in der (Gross)Region für die (Gross)Region produziert wird), modular, robust, cradle-to-cradle, natürliche Werkstoffe... sind so einige erste Bestandteile einer anderen technologischen Strategie. Solang man den Anbau nicht beherrscht, braucht man darüber nicht zu sprechen. Und der kommt, wenn er - radikalökologisch orientiert, entlang der Ansätze, die dafür schon existieren - gelingen sollte, sehr weitgehend ohne "Arbeit" ieS und Arbeitsgeräte aus - hingegen nicht ohne Beobachtung und exzellente Kenntnisse von Naturzusammenhängen... Eine ganz andere Entwicklungsdimension von "Agrartechnologie"...


    Ein Hinweis zu den oben stehenden drei Prinzipien und ihrem proklamierten Bezug zu "Bedürfnisgerechtheit".
    Wir haben allgemein, aus neheliegenden Gründen, heute einen sehr eingeschränkten Begriff von Bedürfnis. Denkt etwa an den Spruch: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Bedürfnis und Bedarf ist da immer nur bezogen auf Dinge, die wir brauchen zum VERbrauchen ("Konsumieren"), Lebensmittel, Wohnung, Kleidung, Heilmittel. Niemand denkt heutzutage dabei an Formen der Lebenseinrichtung, die wir brauchen, um GUT zu leben, etwa das Einhalten und Beachten von Leistungsgrenzen (aber auch Leistungsantrieben), das (in diesen Grenzen, entlang dieser Antriebe und ihrem Wechsel, flexibel) angenehm abwechslungsreich und zugleich ohne Hetze tätig Sein, oder das Verfolgen genuin eigener Wissens-Interessen, die sich als authentische Frage- und Klärungsinteressen aus dem einem Bekanntgewordenen und Erfahrenen zwanglos ergeben.
    Erst auf diesem Hintergrund wird dann deutlich, wie man "bedürfnigereccht" und einen Grundsatz wie "vom Kritisieren zum Begreifen" überhaupt zusammenbringen kann: Auch das Begreifen(wollen) hat, wenn es bedürfnisgerecht betrieben wird, seine Grenzen, kommt nur in diesen Grenzen (und der damit vorgegebenen "Geschwindigkeit") voran.


    ((Darauf spiele ich immer wieder an, wenn ich sage, dass Leute ein MOTIV brauchen, wenn sie von sich aus (sich oder andre) nach etwas fragen sollen oder, dass sie voon sich aus etwas problematisch finden müssen, wenn sie sich für die Antworten derer, die ihnen darin vorangegangen sind, interessieren, und sich daran (Begriffs-bildend) abarbeiten sollen ("Der Kern aller Bildung ist Begriffsbildung.")
    Was sollte sie aber motivieren - wenn nicht Erfahrung und wieder Erfahrung (selbst die verselbständigte oder gar obsessive Neigung zum (oder übermässige Aufmerksamkeit fürs) Denken, wie man sie unter "TheoretikerInnen" wie, etwa, mir (leider) antrifft, beruht auf spezifischen (und sehr eindrücklichen, uU kindlichen) Erfahrungen damit, welche Konsequenzen (uU in ihrer Bedeutung überschätzten) drohen könnten, wenn etwas unbegriffen ist. An dieser kleinen Nebenbemerkung zeigt sich etwas Verallgemeinerbares: Ein ursprünglich garnicht objektiv berechtigtes Motiv kann Ausgangspunkt für Anstrengungen sein, die zuletzt zu (zunächst garnicht gesuchten oder vermuteten) Einsichten führen, hinter die man dann nicht mehr zurückkann; oder die dann wirklich zu weiterem Nachdenken herausfordern.))


    Die Rede von Bedürfnissen ist darum so schwierig, weil es kein "natürliches Bedürfnis" gibt, das nicht von "gelernten", also gewussten und subjektiv zueigengemachten Bedarfs-Notwendigkeiten überformt werden kann - wo man sich sorgt, ängstigt, auch um die Möglichkeit, etwas zu versäumen und Chancen zu verpassen. Daraus entstehen allenthalben die Programme, auch politische, die uns alle veranlassen, Leistungsgrenzen auf breiter Front zu überschreiten.
    (Dies soll gleich ergänzt sein durch die Erinnerung daran: Dass aufgrund von Macht- und Eigentumverhältnissen einige deutlich bessere Chancen haben, andere zur Beachtung und Beförderung IHRER "Programme" und zur Missachtung eigner Bedürfnisse (aber auch eigner Programme) zu nötigen . Also diesen sehr abstrakten Hinweis nicht missverstehen im Sinn einer kurzschlüssigen Psycho- und Wellness-Lösung "mach dich frei von...", die nur hinausläuft auf eine effizientere Freizeit-Regeneration der Arbeitskraft...)


    Die drei Prinzipien benennen, wie man jetzt sieht,wichtige "Programm"-Felder, speziell linke. Zunächst hat es den Anschein, dass gewissermassen inner-programmatisch gesprochen wird, also etwa die ZWECKMÄSSIGKEIT des Kritisierens, Gesellschafts- und "Totalitäts"-bezogenen Agierens infragegestellt wird (zugunsten von Begreifen, Produzieren, "kleinem Rahmen"). Dass es dabei auch noch "bedürfnisgerecht" zugehen soll, käme da quasi nur als viertes Prinzip, als eine rein äusserlich zu beherzigende Anforderung hinzu. So ist es aber nicht gemeint. Die Bedürfnisgerechtheit ist vielmehr die Leitformel, die die Anpassung der (hier "linken") (Vergesellschaftungs)Programme, also das Kritisieren, auf die ganze Gesellschaft bezogen usw ERZWINGT. Sie zu missachten, so die Behauptung, führt dazu, erst gegen sich selbst und dann aber ganz schnell gegen andre GEWALT auszuüben. Diese Gewalt stört erst, auf Dauer aber ZERSTÖRT sie jeden Erfolg. Nicht in irgendeinem konstruktiven Sinn. Sondern durchaus so, dass alle Lebensverhältnisse bloss zerrüttet sind, ohne dass daraus notwendig gelernt würde: Dieselben Grundsätze der Programmbildung: festgestellter Bedarf geht vor (vor Bedürfnis nämlich), führen (selbst bei geänderten Programmen) gleich ins nächste Desaster.
    Die Behauptung lautet also: Wer - bei sich und andern - Bedürfnisse, gerade auch die bislang garnicht in Betracht gezogenen, nicht achtet und beachtet, der befürwortet Formen der Vergesellschaftung und überhaupt des Lebens, die nicht haltbar sind.
    Und wenn etwas aus der bisherigen Geschichte, die ja lang genug leidvoll genug verlaufen ist, zu lernen ist: Dann das.

  • Gut, du meinst also, dass sich diese Fragen vorab - in all ihrer Komplexität - in Internetforen und auf Kongressen klären lassen und dann machen wir uns ans Werk? Ich halte das für illusionär. Gleichermaßen die Denkweise, die vorhandene Industrie bliebe vollends unangetastet und wir bauen auf irgendwelchen Feldern oder in Hinterhöfen etwas neues auf, kaufen uns alles ein und rücken step by step durch den Produktionsprozess vor, möglichst ohne Bezugnahme auf Klassenkämpfe und Besetzungen, denn schließlich wären diese Herangehensweisen zu "ruckartig" und die Akteure können nicht überschauen und in ruhe planen was denn nun der "richtige" Schritt sei.


    Ich gehe hingegen davon aus, dass wir hinter den Grad der bisherigen Vergesellschaftung nicht zurückfallen können und nicht umhin kommen Kernelemente der bisherigen Industrie - vorerst - zu übernehmen und diese miteinander kooperativ zu vernetzen. Auch meine ich, dass es Fehler geben wird, wahrscheinlich teils eklatante Fehler, da es aufgrund unkontrollierbarer Parameter gar nicht möglich ist einen einmal erdachten Plan dann letzten Endes auch so umzusetzen.


    Ich wehre mich nach wie vor gegen die Behauptung, was wir jetzt nicht klären könnten, könne dann nicht geklärt werden, da die dann gegebenen Kontexte noch gar nicht vorhanden sind! Wer sagt denn, dass unsere bisherigen Überlegungen nicht nur Luftschlösser sind? Wer sagt, dass sich das alles zu gegebener Zeit so umsetzen lässt? Wer sagt nicht, dass jemand aufgrund kreativer Einsichten, welche kontextuell bestimmt sind, auf eine Lösung kommt, die wir bisher nicht kennen?


    Ich stimme dir ja zu, dass es mehr um Begreifen statt Kritik, mehr um Produktion statt Gesellschaft, mehr um Mikro statt Makro gehen muss, also im Kern um die Frage: "Wie organisieren wir die Produktion beginnend im kleinen Rahmen von unten nach oben, und das möglichst so, dass alle Akteure über das nötige Wissen verfügen so dass sich keine Wissenshierarchien aufbauen und das alles auch noch zur gerechten und ökologischen Deckung der Bedürfnisse aller führt?"


    Natürlich können wir sagen es muss dezentral, bezüglich Wissen, Information und Erfahrung transparent (Open Source, Open Access usw.) netzwerk-artig, überschaubar (den Grad der Komplexität in gewisser Weise zurückdrehend; siehe modulare Produktionsmittel und Energieversorgung im Stile von Open Source Ecology) und ökologisch ablaufen. Wie sich das alles aber verbinden lässt, was vielleicht gar nicht machbar und wo vielleicht niemand mitmachen will, oder andere bessere Initativen zeigen, das lässt sich doch gar nicht vorausahnen.


    Klar, alles was du vorgebracht hast sind treffliche Probleme. Diese müssen angegangen werden. Ich kenne die Lösung nicht, und ich vermute, niemand kann eine vorbringen. Vielleicht haben wir sogar Pech und einige emanzipatorische Ansprüche lassen sich gar nicht einlösen.


    Ich sehe das Herleiten von Modellen ab einer gewissen Detailtiefe jedenfalls in eine Sackgasse abdriften und letzten Endes diskutieren wir Verhältnisse, deren 1:1 Aufbau wir gar nicht garantieren können. Ich halte es für wichtiger ÜBERHAUPT erstmal eine kritische Masse an Akteuren zu gewinnen die der Meinung sind, es gehe um eine kommunal-genossenschaftliche Herangehensweise jenseits von Staat und Markt und es sei wichtig bereits heute mit der Debatte zu beginnen wo wir denn anfangen können uns XY anzueignen oder aufzubauen um die "Aneignungs- und Entkoppelungsbewegung" voranzubringen. Ist das nichtmal gegeben, halte ich alle weiteren Schritte für müßig.


    Es wäre als wenn wir bloß über theoretische Physik quasseln ohne jedwede Empirie. Die brauchen wir aber. Schlussendlich meine ich, dass sich Erfahrungen nur bedingt übertragen lassen, da Regionen und ihre Geschichte, inklusive Mentalität der Leute, verschieden sind. Was also in Venezuela (siehe Cecosesola) oder Spanien (siehe Mondragon) soweit funktioniert, muss es hier nicht.


    Zu alledem noch ein paar Auszüge aus Robert Kurz' "Antiökonomie und Antipolitik", wo er Punkte anspricht, die wir bereits diskutiert haben:

    "Diese Auseinandersetzung spitzt sich zu in der Frage der Keimform. Aus Angst, hinter die kapitalistischen Produktivkräfte zurückzufallen,
    bestehen auch der kritische Marxismus und die postmoderne Linke vage auf einer unmittelbar gesamtgesellschaftlichen Umwälzung, obwohl sie andererseits (zumindest teilweise) auch Etatismus und Politizismus kritisieren. Hier wird eine Unklarheit und Inkonsequenz sichtbar, denn die Ablehnung einer Keimform sozialökonomischer Reproduktion jenseits des Werts ist zwangsläufig mit einem etatistischen Verständnis der Umwälzung "von oben" verbunden, d.h. vom zentralen archimedischen Punkt der Macht aus.

    Auch der Verweis auf Räte als Organe der gesellschaftlichen Repräsentation ist unzureichend, denn die Räte müssen ja irgendetwas repräsentieren, also sich aus Elementen zusammensetzen. Die Crux der historischen Räte-Bewegungen bestand gerade darin, daß sie nur die kapitalistischen Formen der "Arbeit" (Betriebe bzw. Unternehmen, die von Haus aus über den Markt vermittelt sind) repräsentieren konnten, nicht dagegen die Keimformen einer Reproduktion unabhängig von der Vergesellschaftung durch die Realabstraktion des Werts. Genau deswegen fiel die Organisationsform der Räte wieder in die etatistisch orientierte bürgerliche Form der politischen Partei zurück, wurde von dieser kommandiert und aufgesaugt.


    Diese Crux hatte freilich auch etwas mit dem Charakter der Produktivkräfte auf dem Kulminationspunkt der kapitalistischen Entwicklung zu tun. Der alte Arbeiterbewegungs-Marxismus konnte für seinen etatistischen und zentralistischen Begriff der Transformation in gewisser Weise den Stand der Produktivkräfte selbst ins Feld führen: Von den Zeiten der Dampfkraft und Eisenbahn bis zur Blüte der fordistischen Industrien waren die Aggregate der wissenschaftlich-technischen Potenzen tatsächlich nur in einem relativ großen gesellschaftlichen Maßstab darstellbar. Das galt ganz buchstäblich für die Maschinen, Gebäude und die Techniken der Zufuhr von Energie. Klein stand das Individuum vor den maschinellen Ungetümen. Und "groß" war das Synonym für Fortgeschrittenheit. Daraus resultierte auch eine gewisse, geradezu kindische Gigantomanie: Unternehmen und Nationen wetteiferten darin, die
    größte Turbine der Welt, das höchste Gebäude der Welt, den größten Tanker oder das größte Schlachtschiff der Welt usw. zu bauen.


    Dementsprechend groß war auch der organisatorische Maßstab, um diese Produktivkräfte überhaupt realisieren und mobilisieren zu können. Das war auch schon bei der Urzeugung des Kapitalismus ein Faktor. Denn die früheste Keimform der Moderne war hinsichtlich der Produktivkräfte eigentlich eine
    Destruktivkraft: die Innovation der Feuerwaffe. Die gewaltigen Kanonen der frühen Neuzeit und die dazugehörigen gigantomanischen Befestigungswerke konnten nicht mehr in der dezentralen und naturalwirtschaftlichen Form der alten Agrargesellschaften dargestellt werden, sondern erforderten die Mobilisierung von Rüstungsindustrie, stehenden Heeren, Geldwirtschaft und gesellschaftlicher Zentralisierung.


    Erst auf diesem Boden konnten sich die Keimformen der kapitalistischen Produktionsweise entwickeln. Und alle Träger weiterer Entwicklungsschübe des
    warenproduzierenden Systems, der Sozialismus und seine Parteien eingeschlossen, blieben in der Vorstellung einer durchzentralisierten, pyramidenartig strukturierten Vergesellschaftungsform befangen. Nicht nur die Diktaturen "nachholender Modernisierung", sondern auch die entwickeltsten westlichen Demokratien sind negativ-utopische, in jeder Hinsicht Pyramiden bauende "Sonnenstaaten". Die bürokratischen Apparate und die nationalen bzw. kontinentalen großräumigen Märkte entsprechen Produktiv- bzw. Destruktivkräften, deren Aggregate nur von großen "Armeen der Arbeit" und des Krieges in Bewegung gesetzt werden können."


    Abschließend noch eine Fundsache seitens Stefan Meretz in "Produktivkraftentwicklung und Aufhebung. Die Keimform-Hypothese im Diskurs". Klang mir jedenfalls arg nach deiner Sichtweise einer möglichen Transformation, Franziska (der ich nicht völlig entgegenstehe, wie hoffentlich klar wurde):


    "Keimformen eines Neuen entwickeln sich immer schon im Alten. Sie werden stärker, werden zu einer nicht mehr zu übersehenden Funktion im alten System, übernehmen dann die bestimmende Rolle und transformieren schließlich das alte Gesamtsystem in ein Neues, in dem sich alles nun nach der neuen dominanten Funktion ausrichtet. Dieser beschriebene Prozeßablauf ist typisch für dialektische Entwicklungsprozesse. In allgemeiner Form kann man fünf Stufen für qualitative Entwicklungssprünge so beschreiben (Holzkamp 1983):


    Stufe 1: Entstehen der neuen Keimformen, die sich später entfalten
    Stufe 2: Veränderung der Rahmenbedingungen des alten dominanten Gesamtprozesses (»Krisen«)
    Stufe 3: Funktionswechsel vorher unbedeutender
    Keimformen zur wichtigen Entwicklungsdimension neben der noch den
    Gesamtprozeß bestimmenden Funktion (erster Qualitätssprung)
    Stufe 4: Dominanzwechsel der neuen Entwicklungsdimension zur den Gesamtprozess bestimmenden Funktion (zweiter Qualitätssprung)
    Stufe 5: Umstrukturierung des Gesamtprozesses auf die Erfordernisse der neuen bestimmenden Entwicklungsdimension


    Damit ist klar, was eine Keimform nicht ist: Sie ist nicht schon das Neue selbst, nur sozusagen im Kleinformat. Sie ist auch nicht eine Art kondensiertes Neues, das alle Potenzen schon enthält und nur noch wachsen muss (weswegen die bloße Rede vom »Keim« irreführend ist). Keimformen sind frühe
    Erscheinungen eines sich im Alten herausbildenden prinzipiell mit dem bestehenden System unverträglichen neuen Prinzips, das als solches notwendig nur in Sonderräumen existieren kann (Stufe 1). Nur unter den Bedingungen einer sich ändernden systemischen Umgebung, einer Krise des alten dominanten Prinzips der Systemerhaltung (Stufe 2), können sie eine neue Funktionalität erlangen und aus den Nischen heraustreten (Stufe 3). Altes und neues Prinzip gehen hier in einen offenen Schlagabtausch über.


    Ob das Neue sich durchsetzt, ist ungewiss. Nur wenn sich das neue Prinzip als real überlegen ausbilden kann, kann es das alte Prinzip als Kern der Systemerhaltung ablösen. Ist dieser Schritt vollzogen und gibt es systemisch keine Möglichkeit der Rückentwicklung mehr, dann ist der Dominanzwechsel vollzogen (Schritt 4). Im Zug der Durchsetzung erfolgt im zunehmenden Maße ein Umbau der Systemstruktur auf die Logik des neuen Entwicklungsprinzip hin. Durchsetzung und Systemumbau etablieren sich als wechselseitige, sich gegenseitig stabilisierende Prozesse (Stufe 5) - bis zu neuen Keimformen und Systemkrisen auf dem erreichten neuen Entwicklungsniveau."

  • Mario: „Ich wehre mich nach wie vor gegen die Behauptung, was wir jetzt nicht klären könnten, könne dann nicht geklärt werden, da die dann gegebenen Kontexte noch gar nicht vorhanden sind! Wer sagt denn, dass unsere bisherigen Überlegungen nicht nur Luftschlösser sind? Wer sagt, dass sich das alles zu gegebener Zeit so umsetzen lässt?“


    Mario, warum sollen unsere Überlegungen denn Luftschlösser sein? Wenn es so wäre, dann würde ich mir gleich gar keine Gedanken über eine Gesellschaftsform machen, in der es sich gut leben lässt. Und warum soll andererseits der Gedanke, dass wir erst eine Menge Leute sein sollen, die Betriebe in Kooperation übernehmen usw. denn kein Luftschloss sein? Also irgendwie weiß man nie so genau wo man dran sein soll? Es wäre schöner, eine angemessene Kritik an franziskas Gedanken, vorzubringen, die du im Prinzip ja befürwortest. So kommt mir das aber so vor, wie, wenn ich Leute von einer politischen Sache überzeugt habe, ich schließlich hören muss, „das ist ja gut und schön, aber alles Utopie“ und die dann ihr übliches Tagesgeschäft wieder wie gewohnt angehen.


    Ich seh das auf jeden Fall nicht so. Ganz im Gegenteil beschreibt doch franziska gerade, wie eine Gesellschaft sich (kommunalistisch) reproduzieren kann, ohne Menschen und Natur zu zerstören und sie zeigt sogar noch ganz konkret den Weg auf – ganz im Gegensatz zu solchen (leeren) Aussagen, dass große Industriebetriebe kooperativ miteinander vernetzt werden sollen etc. (da möchte ich nicht wissen, was für ein Murks da rauskommt) - , wie man dort hinkommt. Du findest das sogar richtig, aber du meinst, da würde man schon heute auf was festgelegt. Aber warum soll ich mich auf eine stabile, gesunde, ausgeklügelte Reproduktionsweise denn nicht festlegen? Wie solls denn überhaupt anders gehen? Darüber wäre erst mal zu reden, um es schließlich zu begreifen oder abzulehnen. Das heißt natürlich nicht, dass im Detail (zu korrigierende) Fehler gemacht werden.


    Und gerade die von franziska vorgeschlagene Vorgehensweise, erst mal eine von außen abgesicherte kommunalistische Reproduktion aufzubauen und zu entwickeln, könnte kaum empirischer sein, wo nämlich, noch bevor so etwas als neues Weltverhältnis gelten würde, Fehler korrigiert werden können. Und selbst wenn das Konzept sich als völlig verkehrt herausstellen würde, dann hätten im schlimmsten Fall ein paar hundert oder tausend Leute ihr Vermögen verloren, im Gegensatz zu Fehlern bei der Übernahme von Großbetrieben, wo dann nun wirklich niemand mehr weiß wo es lang geht, wo hinten und vorn ist (das wissen die Macher ja heute nicht mal) und dabei das Risiko in sich birgt, dass es zum Zusammenbruch eines ganzen Reproduktionsprozesses und Millionen Toten kommen kann ( s. Chinas „Großer Sprung nach vorn).


    Zu den Aussagen von Merz: Das ist ja mehr oder weniger ein alter Hut und trifft auf alle Gesellschaftssysteme zu: vom Faschismus bis zum Kommunalismus bzw. einer Erneuerung des Kapitalismus aus sich selbst heraus. Da kann man m. E. nichts mit anfangen.


    Beste Grüße
    Kim

  • Hallo Franziska,
    du hast geschrieben:


    Ich
    glaube, dass eine völlig neue Produktionsweise aufgebaut werden muss -
    eine, die anderen technologisch-strategischen Prinzipien als den
    modern-industriellen folgt. (Ich drücke die völlig anderen Zielsetzungen
    ja immer wieder aus mit der Formel: Ökologisch - bedürfnisorientiert -
    Ungleichzeitigkeiten abbauend. Und deute noch an, dass diese
    Anforderungen eigentlich EINE sind (durch "Bedürfnis-orientiert" allein
    bereits abgedeckt).


    Ich weiß nicht, ob ich mich einmischen soll in diese Diskussion. Aber an diesem Statement reibe ich mich einfach. Quasi verlangst du, dass ich mich einem Glauben unterwerfen soll. Da bin ich dann auf dieser Ebene nicht mit dabei und müsste noch mitgenommen werden. Vielleicht liegt mir nur die Kritik der wirklichen Verhältnisse mehr.
    Das ganze mal als ein Feedback zu eurer Diskussion.

  • vorweg zu sturzbach:
    Dir liegt an Kritik, ich übersetze das mit: Nachweis der notwendigen Schädlichkeit einer Handlungsweise, zusammen mit dem Nachweis, dass die damit notwednig verbundenen Schäden ohne gleichgrosse oder grössere Schäden (zumindest erhebliche Risiken in diese Richtung) zuverlässig vermieden werden können.
    Die "Kritik" der wirklichen Verhältnisse, wenn sie den Namen verdient, hat also nicht nur die erste Abteilung, sondern muss (was zB Mario ständig abgebrochen, zumindest abgekürzt haben will) auch von der Alternative reden. Falls du je "agitiert" hast, wirst du feststellen, dass die Ablehnung linker Systemalternativen sich fast durchgängig speist aus Argumenten (vonseiten der Adressaten) der Art: Das geht überhaupt nicht (kann ich mir nicht vorstellen) - das geht schon, aber wird nicht SOVIEL besser, dass der Aufwand lohnt - das wird schon besser, aber unsere eigentlichen Probleme liegen anderswo. (Vieleicht auch, aber das ist schon keine Argumentation ieS des Adressaten mehr: MEINE Probleme liegen anderswo.)


    Vielleicht verstehst du, sturzbach, warum - von diesem Begriff von Kritik her gesehen - mir deine Entgegnung oder Entgegensetzung nicht einleuchtet.


    Es gibt eine Erwiderung auf Marios statement und Zitate; leider muss jetzt auch ich anfangen, dafür länger auszuholen.
    Ich wähle dafür wie schon früher den Weg einer Veröffentlichung als Blog-Beitrag. Falls dieser als für die Debatte einschlägig und verwertbar angesehen wird, kann man sich ja ab jetzt darauf zitierend beziehen.


    Noch ein Wort zum Stichwort "Glauben". Ich sehe weit und breit keine Ableitung weder für die "Krisenerwartungen" der radikalen Linken noch für die daran oder aber an unvermittelt, "frei" vollzogene massenhafte Entscheidungen geknüpften Hoffnungen oder Strategien eines "Bruchs". Daran muss man also erst recht glauben. Deine Beschwerde, sturzbach, lautet also, dass dir zugemutet wird, einen Glauben durch einen andern zu ersetzen. Der Unterschied ist: Dass ich für meine Ableitungen die Argumente durchaus vorzutragen bereit bin, und ja nicht behauptet habe, dass man diese nicht erst abwarten müsse. Es ist bloss, angesichts des ständigen und durchaus vor-theoretischen Abwinkens bei den von mir angesprochenen Themen, schwer zu erwarten, dass ich etwa mitten in einer Debatte wie dieser hier, so ohne weiteres mit Aufmerksamkeit für solche Ableitungen und Beweisgänge rechnen darf. Das ist auch der Grund, warum ich meine Darstellung fürs erste in mein Forums-Blog auslagere, und abwarte, ob es für diese Theorien überhaupt Leser und Diskussionspartner gibt. Die Erklärungen sind notwendig ZUNÄCHST theorie-programmatischer Art. Tatsächlich ist aber das Theorie-Programm eine Exposition wichtiger Grundbegriffe und Hinweis auf mögliche Zusammenhänge. Es ist schwer zu sagen, wie anders Interesse erzeugt werden könnte. Die Alternative dazu, die aber nicht minder mühsam ist, geht über das Aufgreifen etablierter Themen und Theorien und sorgfältige Detailarbeit DARAN, ich versuche das parallel (ebenfalls in meinem Forums-Blog) mit ökonomischer Theorie. Beides ist anstrengend; beides setzt voraus, dass man in etwas möglicherweise Falsches oder zu nichts Führendes Mühe investieren soll. Das kann aus dem Stand heraus von niemandem erwartet werden. Darum verhalte ich mich hier vorsichtig und belasse es bei Ankündigungen. Für mehr ist hier derzeit kein Platz.

  • Der Beitrag von Kim war während meiner Antwort an sturzbach aus irgendwelchen Gründen nicht sichtbar, drum hab ich ihn noch nicht berücksichtigt.
    Vielleicht gibt es an dieser Stelle wenn schon keinen Dialog, so doch ein paar weitere Hinweise.
    1. Es ist von mir wiederholt betont worden, und zeigt sich im Grund an fast jedem Punkt, wo man sich mal unter die Schlagabtausch-Oberfläche vorarbeitet: Dass die praktischen in Wahrheit theoretische Auseinandersetzungen sind, dass die Unentscheidbarkeit der Konflikte zwischen Praxis-Vorschlägen sich zurückführen lässt auf weiträumige Ausfälle im Begreifen dessen, womit man es da zu tun hat.
    Ich sage es mal ganz direkt und mäkelig: Die verbliebene radikale Linke hat darum so verwirrend viele theoretische Meinungen und Ansätze, weil es keine wirkliche Theorie gibt. Der furchtbarste Mangel dieser Linken ist ihr Mangel an Begriff.
    2. Mario unterschiebt mir oben eine äusserst seltsame Meinung, für die er eigentlich nirgendwo einen Anhaltspunkt finden wird: Auf Kongressen und Internetforen soll etwas herausgefunden werden? Das ist die Welt der Autoren, die Mario zitiert, vielleicht auch seine; meine ist es nicht. Eher schon die Arbeit "auf irgendwelchen Feldern und Höfen", Höfe dabei ohne den Zusatz "Hinter"; und, in der Tat, die werden zusammengekauft und/oder verschenkt. Aber dann beginnen auch schon die sehr empirischen, sehr experimentell und forschungsorientierten PRODUKTIVEN Bemühungen. Sie gelten etwas technisch, produktivkraft-mässig völlig Neuem, das man weder in der (Agrar)Industrie da draussen noch auf den alternativen Hinterhöfen finden wird. Der "Kontext", den Mario immer bemüht, ist jetzt wie "dann" derselbe, denn es geht hier um ungelöste Produktionsaufgaben (für deren Lösung es aber erforschungswürdige Ansätze gibt). Die Lebensformen, die sich daran anknüpfen, sind so SELBSTVERSTÄNDLICH kollektivistisch und eigentumsfrei, dass das nicht mal mehr zum Thema gemacht wird. Und von den Leuten, die sich danach DRÄNGEN, in Gemeinschaften mit solch einer Lebensführung aufgenommen zu werden, muss niemand je auf einem Keimform-Kongress gewesen sein, oder sich in einem Internetforum mit Argumenten präpariert haben: So zu leben und sich einzurichten, tut ihm und ihr einfach gut.
    3. Das allein wäre noch kein hinreichendes Argument. Dass man selbst eine prekäre Reproduktionsbasis gefunden hat (die Frage der "Logistik" für linke politische Arbeit hat immerhin auch R.Kurz umgetrieben; hier wäre eine Antwort darauf!), enthebt einen ja nicht der Notwendigkeit, sich zum Rest der (Welt)Gesellschaft um einen herum zu stellen -WÄHREND man sich reproduziert, und das erstmal als Angehöriger einer winzigen Minderheit. Das Produzieren so zu gestalten, dass es für alle Beteiligte mit der Wendung nach Aussen vereinbar wird, IST der aktuelle Kontext. Worauf willst du denn warten, Mario - auf welches "dann", auf wieviel Leute (die dann wieder mit dir zusammen auf die noch ganz anderen "Kontexte" und das weitergehende "dann" warten, bei dems dann aber richtig losgehen soll... ohja, mit VIELEN VIELEN Fehlern, aber DANN ist schliesslich "dann", da machen Fehler nichts mehr aus (Kim hat sich zu dieser Seltsamkeit schon geäussert))?
    4. Im Zentrum steht die ganz einfache Frage, die ich wieder und wieder aufwerfe: Warum sind wir so, wie wir sind, wollen das, was wir wollen - und die andern nicht? Was fehlt denen, das wir haben? Wie vermittelt man es ihnen zwangfrei? Zwangfrei, auf solch ein "kognitives" Thema bezogen, bedeutet: Zwanglos anknüpfend an die bestehende Erfahrung des andern, und die Fragen, die sich für IHN dort stellen, ihm den nächsten Schritt ermöglichen. Dazu muss ich selber die Schrittfolge kennen - ich hab sie ja selbst, anfangend vom selben bildungslosen Ausgangsnaturzustand des Kindes und Jugendlichen, zurückgelegt.
    5. Warum ist diese naheliegendste aller Fragen für derzeitige Linke so uninteressant - vordergründig; denn wenn insistiert wird, merkt man: sie ist geradezu TABU. Warum? Weil vor allem, das eine Antwort liefern könnte, sich bleischwer und unüberwindlich der Satz vom Sein, das das Bewusstsein bestimmt, aufbaut. Diesem Satz könnte man (wie so oft in den schwerfälligen Disputen der linken Theologen) eine ganz einfache Wendung geben, die ihn leicht einsehbar und so garnicht mehr sozial-metaphysisch erscheinen liesse: "Seins-artig" wie ein Stück selbsterzeugter Natur sind die MANGELHAFTEN Begriffe von ihrem Tun, die den Leuten ungut auf die Füsse fallen, weil ständig alles anders kommt als gedacht - wüssten sie es, würden sies bedenken, so würden sies auch ändern. Es geht da nicht so sehr um ein "nicht wissen" (sie wisen es nicht, aber..."), viel mehr, und so ists präziser ausgedrückt, um ein Nicht-Gedachthaben an, Nicht-Aufmerksamsein auf (die Möglichkeit von...) - also Unterlassungen von jederzeit Nachholbarem; um es zu tun und nicht länger zu unterlassen, fehlt aber ein MOTIV.
    So einfach könnten Auflösungen sein, so leicht (und produktiv) die nächsten Denkschritte - wenn nicht... auch im bleiernen Festhalten am Dogma vom Bewusstseins-determinierendem Sein eine Unterlassung aufscheinen würde: Hier wird nämlich gesprochen vom gesellschaftlichen Sein; und, naja, letztlich dann auch vom Bewusstsein der Gesellschaftsmitglieder, garnicht als Einzelner, sondern als - Gesellschaft. Gesellschaften haben ein Bewusstsein, nicht Einzelne? Da wird einem schon etwas metaphysisch zumut... DER Satz lässt sich eben nicht mehr so einfach mal ins Produktiv-Fortspinnbare wenden, stattdessen wandelt er sich um in das Bekenntnis eines "materialistischen" (ausgerechnet) Glaubens, über den und das man nicht mehr hinauskommt.
    6. Einzelne sind uninteressant in dieser Sozialreligion, natürlich dann auch einzelne und vereinzelte Linke, die Frage nach ihnen ist uninteressant, sie sind ja keine Gesellschaftsmacht, Klasse, sonstwie relevant, die paar Hansel, die sie derzeit NOCH sind. An Mario ist zu studieren, wie entlastend dies Denken wirkt: Die Lösungen aller "trefflich" aufgezählten Problemewird "dann" geradezu System-Charakter haben - solang Einzelne (wer sonst) sich dran zu schaffen machen, kanns ja nur scheitern - WEGFEGEN wird der entfesselte revolutionär-produktive Geist alles mühsam daherkriechende Kleinklein und Stückwerk - verstehst du,Kim: DAS ist der entscheidende Unterschied zwischen jetzt und "dann" - und der Grund, warum Lösungen jetzt grundsätzlich misstraut werden muss, und auf die andern, "dann", zu warten ist.
    7. Und es stimmt schon: Da endet die Gemeinsamkeit. Man muss sich deswegen ja nicht beschimpfen. Bloss reden... reden kann man wohl auch nicht mehr miteinander. Die Voraussetzungen sind einfach zu verschieden.

  • @franziska


    Ich mag mich ja verlesen, aber irgendwie meinst Du bei Deinen Antworten immer nicht verstanden worden zu sein, gut so empfindest Du das wohl.
    Dann schreibst Du aber im wesentlichen (so verstehe jedenfalls ich das), das, was Du schon einmal geschrieben hast, anders noch einmal. Ich hatte beim Verfolgen der Beiträge hier aber so verstanden, daß der andere schon genau dagegen argumentiert hat (oder es wenigstens versucht).


    Du schreibst in Deinem Blog immer mal wieder von Denkblockaden, sorry, warum sind die allgemein oder bei anderen... ;)


    Ich finde, daß Du 'zumachst' an einigen Stellen, an denen Du Antworten suchst, Dir aber wiederholt von Mario und zb. mir bereits mehrmals aufgeschrieben bekamst, warum wir sie nicht geben (können/wollen).


    Sei mir nicht bös, ich werd nicht einmal versuchen, heute auf Detailfragen Antworten zu geben, wenn vielleicht auch nicht Du, aber möglicherweise findet sich wer anders, der diese so plausible findet, daß er sie zur 'Generallinie' macht/machen will.


    Emanzipation gibts nun mal nicht mit Bedienungsanleitung, dann ist es keine Emanzipation. Wenn Du von einzelnen sprichst, haben sie insofern alle ihre eigene. Die muß dann sicherlich zu einer Klassenemanzipation führen..., wenn es mal etwas werden soll, alle Unterdrückung der Menschen durch Menschen hinter sich lassen zu können.


    Menschen entscheiden eben auch, ob sie das überhaupt u/o jetzt u/o wann wollen. Jeder einzelne für sich...
    Ist diese Entscheidung nicht frei(willig), wirds alles andere danach schon gar nicht


    Ich finde es etwas daneben, anderen vorzuwerfen, sie würden möglicherweise " nur rum-warten", usw.


    Laß uns bitte nicht auf dieses Level gehen. Danke.


    Liebe Grüße - Wat.

  • Vielleicht sollte man die Leser kurz darüber informieren, dass Wal sich in einen internet-freien Wanderurlaub verabschiedet hat und darum derzeit nicht mitdiskutieren kann. Falls jemand sich gewundert hat, dass von ihm so garnichts kommt.
    ------------------------------------------
    zu Wat
    Naja das macht man wohl so, dass man versucht, sich da und dort nochmal deutlicher zu erklären, wenn man glaubt nicht verstanden worden zu sein
    :)
    Nur beklage ich mich garnicht darüber (kann man ja auch nicht so gut, verstandenwerden ist schliesslich nichts, das man vernünftigerweise FORDERN darf), und auch sonst beklage ich mich eigentlich nicht, sondern versuche nur aus meiner Sicht die Differenzen zu beschreiben, die da derzeit sichtbar werden.
    Und mein Eindruck ist NICHT, dass Mario mit dieser Ausschliesslichkeit wie du auf den Punkt hinauswill, dass man, wenns um EMANZIPATION gehen soll, doch den Entscheidungen der ANDERN (Einzelnen) nicht vorgreifen darf.
    Also DIR, liebe Wat, kann man ja den "Vorwurf" (hm... mache ich VORWÜRFE? möcht ich eigentlich nicht...) am allerwenigsten machen, du würdest den und die Einzelnen nicht in Betracht ziehen, bei dir gehts ja schon fast in die umgekehrte Richtung, vor lauter Einzelnen-Autonomie fragt man sich, wie so auf SICH Bedachte je mal was ZUSAMMEN auf die Beine stellen sollen, bei soviel Rücksicht aufeinander.
    Aber das war, wie mir scheint, nicht Marios Hauptproblem, der sagt nämlich: Wir können hinter das gegenwärtige Vergesellschaftungs-Niveau nicht zurückfallen, und er sagt: Kernelemente der bisherigen Industrie müssen - vorerst - übernommen werden. Nicht, dass es bei Mario GARNICHT ums Mitmachen und die Entscheidungen der Einzelnen geht - er wirft ja die Frage auf, ob Vorhaben vielleicht daran scheitern, dass Leute sich nicht beteiligen wollen. Aber er sieht eben noch andre Probleme, Sach- und Koordinationsprobleme, die nicht so sehr mit dem Wollen der Einzelnen als ihrem (Nicht)Können (vor allem auch dem Zusammenführen dieses Könnens) zu tun haben. Und... Mario benennt ja auch Elemente eines Vorgehens, die nun ihm speziell vorschweben, das "Open Source Ecology"-Projekt und andere Prinzipien, er hält es für wichtig, seinen/unseren kommunalistischen Ansatz erstmal breiter zu verankern usw.
    Und es ist ja richtig, dass wir hier in diesem Forum derzeit näher beieinander zu sein scheinen, zumindest in dem, was wir nicht wollen, als wir es anderswo mit anderen wären, um das mal in aller Vorsicht auszudrücken.


    Ich könnte nun speziell DEINEN Einwand, Wat, sehr einfach entkräften, indem ich drauf hinweise, dass sich hier absolut einzelne Leute unterhalten, darüber was ihnen so vorschwebt und was sie befürworten würden; und sie BERATEN darüber und sagen sich ihre Gründe für und gegen. Niemand spricht für irgendjemand ausser sich selbst. Autonomer und einzel-person-bezogener gehts nicht. Das kann man eigentlich nur noch ablehnen dadurch, dass man sagt, aber wenn wir uns hier einigen, greifen wir dem vor, was all die Abwesenden da draussen später wollen könnten, drum sagt man am besten nix. Und wer Emanzipation will, muss sich eben so verhalten, das kann man ihm/ihr doch nicht auch noch vorwerfen.


    Aber wenn JEDE zwang- und druckfreie Beratung schon im Verdacht der Bevormundung von gleichwem steht, der daran irgendwann später beteiligt sein könnte - wie sollen wir denn dann je zu GEMEINSAMEN Projekten kommen?
    Wenn Leute jetzt schon anfangen, ihr Leben neu einzurichten, wird niemand gezwungen, der nicht mitmachen will, und nichts ist endgültig. Bloss... IRGENDWANN muss jemand wohl auch mal sagen, oder sich drauf besinnen, was er/sie überhaupt will... sonst kehrt sich der Zwang aus lauter zuvorkommender Zwanglosigkeit um, und überhaupt niemand darf IRGENDWAS tun, bevor nicht ALLE sich erklärt haben. Und das... kann dauern.

  • Nochmal kurz zur Erwiderung auf Mario oben.
    Ich sehs nicht so, dass das ein ganz und gar argumentloses Konfrontieren vom Positionen ist. Wobei überhaupt mal die Kontroversen zu benennen und sich zu verständigen über die Punkte der Nichtübereinstimmung und da halbwegs (gemeinsame) Übersicht herzustellen, bereits eine Arbeit für sich darstellt. - Es steht bloss derzeit die Antwort von Mario aus auf einige Anfragen bzw. Einwände (ok, einfach nochmal in leicht veränderter Form dasselbe hingeschrieben):
    a) Wieso rechnet er überhaupt damit, dass sich die Zahl der Leute, die auf dem gegenwärtigen Level (wo man nix genaues wissen kann, bevor nicht...) sich an zwangfrei-kommunalistischer Reproduktion beteiligen wollen, noch wesentlich vergrössern wird? Derart, dass die andern, also wir, die jetzt schoon wollen, am besten garnicht erst anfangen, weil da bald schon wieder alles über den Haufen geschmissen werden wird...
    b) Wieso rechnet er, umgekehrt, dermassen wenig damit, dass GENAU DADURCH DASS Leute anfangen und etwas Vorzeigbares erarbeiten, sowohl in ihrer faktischen Reproduktion und den involvierten Technologien als auch in Gestalt der zwischen ihnen erreichten Verständigung, ursprünglich Fernerstehende und skeptische Sympathisanten dieser Bewegung aufmerksam werden und in genau das Gespräch gezoge werden könnten, das Mario doch offenbar führen möchte? (Gespräch, Wat... da wird niemand zu nichts gezwungen!)
    c) Wieso sieht eigentlich Marrio nicht selbst, wie hohl (und genau das hab ich, und auch Kim in seinem Beitrag, ihm vorgehalten) die Erwartungen an ein dann, später usw sind, die er vorbringt? Es gibt da bei ihm überhaupt nichts ausser der leeren Formel, "dann" sind soviel mehr Leute beteiligt, "dann" wird alles anders. Und das wurde als quasi-religiös etikettiert. Während im Gegenteil ich sage: Nur wenn Leute sich bereits verständigt haben, können sie GEMEINSAM neue Einsichten verarbeiten und ihre fehlerhafte Praxis korrigieren; nur in sich verständigte und gemeinsam reaktionsbereite können auf die Ideen neu Hinzukommender ALS KOLLEKTIV reagieren und sie produktiv verarbeiten. Umgekehrt können die unter sich NICHT verständigten Einzelnen, die hinzukommen, nur bei einem solchen Kollektiv hoffen, dass ihre vereinzelten neuen Gesichtspunkte kollektiv verarbeitet und in eine kollektive Reproduktion mit aufgenommen werden können, an der sie ab da voll-verantwortlich mitbeteiligt und einbezogen sind.
    d) Damit ist das ALLERwichtigste Argument bzw. die Anfrage von allen an Mario auf dem Tisch: Wie glaubt er denn, dass kollektive Verarbeitung von Informationen und Erkentnissen gehen soll? Das ist doch der limitierendste Faktor schlechthin, das Problem der Probleme, dessen Ungelöstheit letztlich hinter Herrschaft, Eigentum, Kapitalismus, autoritären Hierarchien und (Selbst)Entmündigungs-Strategien steckt.
    e) Und da ist die Situation hier und auch in jedem andern Forum repräsentativ: Denn irgendwann muss man ja mal sich und andern auch Rechenschaft ablegen können darüber, warums mit der Verständigung hier und jetzt dermassen schlecht klappt und "dann" aber soviel besser gelingen soll? Wie sollen sich radikale Linke, diese winzige Minderheit, die sich derzeit in hunderte Einzelströmungen und Meinungen zerlegt, je einigen - wie erst der Rest da draussen mit ihnen?
    Darauf gibts kene Antwort, wenigstens was das Prinzip angeht - JETZT?
    Und das soll das Prinzip der Emanzipation NICHT als ganzes infragestellen?
    Wir gelten doch genau darum als Traumtänzer für die Leute da draussen, weil wir darauf keine gescheite Antwort haben ausser "jetzt nicht, aber dann..."!
    f) Und nur um das noch in Erinnerung zu rufen, als wärs nicht schon genug, was da steht, sage jetzt speziell ICH, dass das ökologische Produzieren technologisch eine völlig neue Problemfront aufmacht; und ebenso und am grundlegendsten die Frage (die übrigens sogar Mario oben beinah als allererste mit aufgeworfen hat): Wie soll das alles bedürfnis-gerecht werden und bleiben, angesichts all der Herausforderungen?
    Keine Antwort darauf, wenigstens im Prinzip?
    g) Mir schwebt eine vor. Bloss.. das Interesse daran ist bei Mario (und derzeit auch den andern hier im Forum, vielleicht ausser Kim) derart gering, dass ich damit garnicht erst anfange das vorzustellen Dafür gilt oder würde gelten, dass man da, grad so wie Mario für den kommunalistischen Ansatz unter andern Linken, hier unter Kommunalisten erstmal Verständnis für die Problemstellung herstellen müsste.
    Naja, das versuch ich ja grad...

  • Nur kurzer Einwurf, ich möchte den Thread nicht zerreißen:


    @franziska, Du selbst sprichst, so verstehe ich das, immer wieder und zu allererst von "bedürfnisorientiert".
    ... und das ist für mich nicht nur ein Begriff für Konsum.
    Wenn "bedürfnisorientiert" so was wie der Dreh- und Angelpunkt ist bzw. sein soll, dann ist es zuallerst das Befürfnis, so etwas/ überhaupt etwas anders haben zu wollen (als es jetzt ist).
    ... und das kann mE nur bei jedem einzelnen anfangen.
    'Danach' bin ich wieder ganz 'logisch' und materialistisch: Allein kriegt keiner was gebacken außer sein Ende.

  • Franziska, ich denke wir haben eine Situation erreicht, wo wir unsere Argumente stets wiederholen, aber zu keinen neuen Erkenntnissen kommen. Das liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass wir von unterschiedlichen Transformations-, Lern-, und Vermittlungstheorien ausgehen.


    Wir gehen d'accord, dass es anfänglich um die Fragen geht, wie ein gemeinsames Begreifen, Produzieren und überschaubares Beginnen aussehen könnte. Ab dann scheiden sich unsere Geister. Zur Thematik meine bisherigen Argumente im Überblick:


    1. Ich halte den Prozess - abgesehen von einer Grobbeschreibung und vagen Vorausnahme, die viel mit Wunschdenken zu tun hat - für nicht planbar da nicht-linear und stets in Verbindung mit den real vorhandenen Bedingungen.


    2. Wenige können Ergebnisse nicht vorwegnehmen, da keine reale Praxis vorhanden.


    3. Mehr Beteiligte die Dynamik ändern, da das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist und andere Ergebnisse herauskommen wenn sich Beteiligte und Umgebung verändern.


    4. Aus alledem ergibt sich die konkrete, räumlich wie zeitlich gebundene Emergenz, die ein nicht-planbarer, kreativer Prozess ist.


    5. Zu alledem braucht es Raum fürs Experimentieren. Raumfrage und Aneignung dieses Raumes daher wichtigste Frage sozialer Aufhebungsbewegung.


    6. Soll ein "Umkippen", ein qualitativer Sprung erfolgen, das alte durch ein neues Paradigma ersetzt werden, bedarf es einer kritischen Masse (Mehrheiten). Wie finden sich diese Mehrheiten? Durch Umdenken. Weshalb denken Menschen um? Durch Krisen. Das heißt, das Bestehende stellt ihren gewohnten Lebensablauf in Frage und es bedarf neuer Ansätze welche den veränderten Bedingungen gemäß angemessen sind. Krise bedeutet auch, dass (Selbst-)Entfaltung an seine Grenzen stößt und es einer Sprengung alter Formen bedarf (Revolutio: das in neuer Qualität "auf-sich-zurückkommen").


    7. Ich halte diese Darlegungen für nicht religiös, da mit dem modernen Forschungsstand bezüglich Kreativitätsforschung, Chaostheorie und Netzwerkentwicklung vereinbar und durch diesen gedeckt. Wird diese Deckung dennoch als religiös bezeichnet, so entgegne ich die Vorstellung einer durchweg rationalen Vorausplanbarkeit für unrealistisch und zum Scheitern verurteilt, in diesem Sinne für den Rückfall in den Utopismus schlechtester Ausführung.


    8. Alles in allem halte ich Pionierarbeit für wichtig, dennoch ist ihre Verallgemeinbarkeit in Frage zu stellen und sie wird letztlich keine transformatorischen Prozesse zur gesellschaftlicher Durchsetzung verhelfen, wenn sie nicht mit sozialer Bewegung einhergeht die auf vorhandene Kämpfe im politischen wie ökonomischen Sinne Bezug nimmt. Das schließt auch Alltagspolitik und Initiativen für Abschaffung von Hartz IV, Pro-Arbeitszeitverkürzung, Arbeitskämpfe, Vergesellschaftung von Wohnraum uvm. mit ein.


    Da ich gerade wenig Zeit habe die von mir gewünschten Details persönlich auszuformulieren, möchte ich abermals auf ein längeres Zitat zurückkommen, dessen Quelle der Text "Krise und Befreiung - Befreiung in der Krise" von Ernst Lohoff (1996) ist. Dort heißt es ersteinmal, in völliger Übereinstimmung mit dem was bisher diskutiert wurde:


    "Wo eine Bewegung und eine andere Gestaltung des sozialen Beziehungsgeflechts erst einmal zu keimen beginnt und Menschen jenseits der Beliebigkeit des Warenzusammenhangs und in Abgrenzung davon sich so etwas wie ein selbstbestimmtes Terrain erobern, können auch embryonale Ansätze gerade der Unwirtlichkeit der versachlichten Vergesellschaftung wegen sehr schnell zu Attraktoren werden und eine bemerkenswerte Eigendynamik entwickeln."


    Lohoff kommt dann aber auch auf die ebenfalls hier diskutierten "Unsauberkeiten" zu sprechen:

    "Es versteht sich von selbst, daß eine solche Entwicklung nie ohne Brüche, innere Widersprüche und retardierende Momente vonstatten gehen kann. Aber das ist kein Grund, sie als unmöglich und das Verhängnis als unausweichlich zu sehen. Genauso unhaltbar wie die Heilserwartungen einer positiven Geschichtsteleologie ist auch jeder negative Teleologismus. Das Spiel ist offen. (...)


    Die Aufhebung der Warengesellschaft fällt auch nicht mit der Selbstverwirklichung irgendeiner vorgängigen Gegensubjektivität zusammen. Sie ist vielmehr mit der sukzessiven Befreiung vom warengesellschaftlichen Subjektivitätszwang identisch. Gerade diese Tiefendimension als ein Prozeß der sozialen und psychischen Selbstveränderung läßt es nicht zu, daß die Umwälzung sich nach innen als friedliches Eiapopeia vollzieht und die Gestalt eines immerwährenden, nur von kleineren oder größeren Scharmützeln mit dem äußeren Feind unterbrochenen Straßenfestes annimmt. Sie wird eher von massiven inneren Konflikten begleitet sein. Wie in der Brust jedes einzelnen verschiedene Seelen miteinander kämpfen, so führen die ersten Schritte zu einer bewußten Gestaltung des gesellschaftlichen Raums, und sei es nur im Stadtteilrahmen, zwangsläufig zu einer Unmenge von Meinungsverschiedenheiten und handfesten Gegensätzen; und es führt kein Weg daran vorbei, sie postdemokratisch auszutragen oder zumindest provisorische Arrangements zu finden. (...)


    Wenn diesen zentrifugalen Kräften zum Trotz dennoch die Formierung sozialer Bewegung gelingen kann, dann nur deswegen, weil die Frontziehung auf der Makroebene das ganze Geflecht von Binnenkonflikten, das mit den ersten Schritten zur Selbstorganisation ans Licht kommt, überlagern wird. Der Kampf gegen verschiedene Aspekte der arbeitsgesellschaftlichen Zurichtung sorgt für jene Integration, die in den Medien der Selbstorganisation erst nach und nach aus eigener Kraft herzustellen gelernt werden kann. (...)


    Gesellschaftliche Selbstorganisation bedeutet immer auch den Kampf um ihre eigenen materiellen Voraussetzungen. Sie (die soziale Bewegung) muß Staat und Markt dazu zwingen, den institutionalisierten und akkumulierten stofflichen Reichtum auch dort neuen gesellschaftlichen Kräften zugänglich zu machen, wo das im Widerspruch zur warengesellschaftlichen Logik und ihrem Rechtssystem steht. ...


    Die allgemeinste Voraussetzung postarbeitsgesellschaftlicher Aneignung ist im Grunde mit der Wohnungsfrage schon benannt. Jede Aktivität, sei sie nun markt- bzw. staatsförmig oder selbstorganisiert, braucht ihren adäquaten Raum. (...)


    Wo ein selbstorganisierter Zusammenhang der Reproduktion sich formieren soll, darf Grund und Boden nicht weiterhin Ware bleiben. Die Entscheidung, was mit Nutzungsflächen zu geschehen hat, und wer sie zu welchem Zweck benutzen darf, muß von den Kriterien des Marktes und der Verwertung entkoppelt werden und selbstverwalteten kommunalen Institutionen anheimfallen. Wie für die Regimes der nachholenden Modernisierung die Nationalisierung von Grund und Boden eine zentrale Voraussetzung für die Umsetzung ihrer Entwicklungskonzepte war, ebenso muß für eine postmonetäre Gesellschaft die Kommunalisierung von Grund und Boden erkämpft werden.


    Natürlich wird es Zwischenschritte auf diesem Wege geben. In der Krise werden auch Grund und Boden ebenso wie Gebäude außer Kurs gesetzt, und Akte wilder Aneignung drängen sich da fast von alleine auf. Die Grundorientierung muß aber zumindest in theoretischer Hinsicht klar sein, und für die soziale Bewegung wird sie sich in den praktischen
    Auseinandersetzungen klären. (...)


    Wer nur ein wenig stochert, stößt sofort auf einen gewaltigen Misch- und Graubereich, in dem Ansätze von Selbstorganisation nicht nur manövrieren, sondern auch eine enorme Dynamik entwickeln könnten. Das neue Terrain hat natürlich auch seine Untiefen, die es auszuloten gilt. So mancher Kompromiß und so mancher halbherzige Schritt wird zunächst in Vereinnahmung enden oder sich ad absurdum führen. Die möglichen Entwicklungen lassen sich a priori nur bedingt antizipieren."


    Fazit: Ich halte Antworten, die über die hier dargelegten Punkte hinausgehen, gleichsam wie Lohoff, Kurz oder Pfreundschuh, aus heutiger Sicht für nicht antizipierbar. Die Gründe habe ich versucht darzulegen. Von daher kann ich nicht sagen, und ich denke das kann niemand, wie eine transparente und "bedürfnisgerechte" Vermittlung von Lernprozessen aussehen könnte (abgesehen vom offenen Zugang aller zu allen Inhalten, Quellen, Sitzungen und Vereinbarungen). Nach meinem Dafürhalten bedarf es ersteinmal kritischer Mehrheiten in Form sozialer Aneignungs- und Aufhebungsbewegung die ihren gemeinsamen Punkt in der Kommunalisierung und Demokratisierung (siehe Bochumer Programm) der gesellschaftlichen Reproduktion findet und ihr Hauptaugenmerk auf die Wohn- und Raumfrage legt. Alles weitere ist offen.


    Nachsatz zur Wichtigkeit der Krise als Erschütterung des Bestehenden: "Zinn (1989) entwickelt die These, die bürgerlichen Gesellschaft sei durch eine Art ''historischen Betriebsunfall'' entstanden, nämlich durch die Pest im 14. Jahrhundet und die damit verbundene Zerstörung feudaler Strukturen sowie das gleichzeitige Aufkommen der Feuerwaffen, deren Massenproduktion die Herausbildung staatlicher Zentralgewalten und die Geldwirtschaft forciert (Ersetzung der bäuerlichen Sachabgaben durch Steuern). Das würde immerhin erklären, warum nur in Europa die Keimformen der Warengesellschaft in der Lage waren, die feudalen Strukturen zu sprengen." (Claus Peter Ortlieb in EXIT!)

  • Mario: „1. Ich halte den Prozess - abgesehen von einer Grobbeschreibung und vagen Vorausnahme, die viel mit Wunschdenken zu tun hat - für nicht planbar da nicht-linear und stets in Verbindung mit den real vorhandenen Bedingungen.“


    Eine Theorie über einen nachmodernen Reproduktionsprozess hat nichts mit Wunschdenken zu tun, sondern ist das Ergebnis wissenschaftlicher Vorgehensweise und logischen Denkens.


    Mario: „2. Wenige können Ergebnisse nicht vorwegnehmen, da keine reale Praxis vorhanden.“


    Da würde ich sagen, Praxis ist zur Genüge vorhanden, vor allem wie es nicht gehen kann, wenn wir Lohnarbeiter uns emanzipieren wollen.


    Mario: „4. Aus alledem ergibt sich die konkrete, räumlich wie zeitlich gebundene Emergenz, die ein nicht-planbarer, kreativer Prozess ist.“


    Emergenz, na ja, ist nur die Frage was da dann auftaucht.


    Mario: „5. Zu alledem braucht es Raum fürs Experimentieren. Raumfrage und Aneignung dieses Raumes daher wichtigste Frage sozialer Aufhebungsbewegung.“


    Ob sie die Wichtigste ist, weiß ich jetzt nicht. Aber in dem Punkt bin ich mit dir d’accord.


    Mario: „6. Soll ein "Umkippen", ein qualitativer Sprung erfolgen, das alte durch ein neues Paradigma ersetzt werden, bedarf es einer kritischen Masse (Mehrheiten). Wie finden sich diese Mehrheiten? Durch Umdenken. Weshalb denken Menschen um? Durch Krisen. Das heißt, das Bestehende stellt ihren gewohnten Lebensablauf in Frage und es bedarf neuer Ansätze welche den veränderten Bedingungen gemäß angemessen sind. Krise bedeutet auch, dass (Selbst-)Entfaltung an seine Grenzen stößt und es einer Sprengung alter Formen bedarf (Revolutio: das in neuer Qualität "auf-sich-zurückkommen").“


    Ja, die Leute denken um, sie fangen an zu sparen, werden zu Nationalisten oder Schlimmerem usw. Kommunisten/Kommunalisten werden dabei wohl die Wenigsten. Dass da Massen oder Mehrheiten zustande kommen ist halt das Wunschdenken von nicht wenigen Linken oder eben religiös, wie franziska sagen würde.


    Mario: „7. Ich halte diese Darlegungen für nicht religiös, da mit dem modernen Forschungsstand bezüglich Kreativitätsforschung, Chaostheorie und Netzwerkentwicklung vereinbar und durch diesen gedeckt. Wird diese Deckung dennoch als religiös bezeichnet, so entgegne ich die Vorstellung einer durchweg rationalen Vorausplanbarkeit für unrealistisch und zum Scheitern verurteilt, in diesem Sinne für den Rückfall in den Utopismus schlechtester Ausführung.“


    Tja, wenn du das so auslegst, Mario, hättest du schon recht - was in 1000 oder 10000 Jahren die Menschen treiben, weiß der Teufel allein. Was wir in 25, 50 0der 100 Jahren tun müssen, wenn, wie du sagst, „bedürfnisgerecht und transparent entschieden werden und alle Gesellschaftsmitglieder den ungefähr gleichen Überblick genießen“ sollen, dann muss (und kann) man das allerdings heute schon – durch den Entwurf einer (nur dafür geeigneten) Reproduktionskostentheorie - prinzipiell bestimmen. Das sich eine „Emergenz mit Paradigmawechsel“ zum Kommunalismsus/Kommunismus irgendwie aus Netzwerk, Open Source oder FabLabs ergeben soll, halte ich dagegen doch eher für (Kinder)Glauben an die Wundertüte.


    Mario. „8. Alles in allem halte ich Pionierarbeit für wichtig, dennoch ist ihre Verallgemeinbarkeit in Frage zu stellen und sie wird letztlich keine transformatorischen Prozesse zur gesellschaftlicher Durchsetzung verhelfen, wenn sie nicht mit sozialer Bewegung einhergeht die auf vorhandene Kämpfe im politischen wie ökonomischen Sinne Bezug nimmt. Das schließt auch Alltagspolitik und Initiativen für Abschaffung von Hartz IV, Pro-Arbeitszeitverkürzung, Arbeitskämpfe, Vergesellschaftung von Wohnraum uvm. mit ein.“


    Das stimmt, wenn die Perspektive stimmt.


    Beste Grüße
    Kim

  • Eigenartig, Mario: Jetzt, wo wir uns immerhin zum Grund der ursprünglichen Differenzen vorgearbeitet haben, und du ihn sogar benennst ("dass wir von unterschiedlichen Transformations-, Lern-, und Vermittlungstheorien ausgehen") - genau jetzt soll der Dialog abbrechen, wo er eigentlich erst beginnt?
    NATÜRLICH geht es um diese Theorien; sofern die Leute, durch deren Zitate du sprichst, welche haben.
    Und... EIN Unterschied gleich vorweg: Transformationstheorie als eigne Abteilung entfällt bei mir; wo es um gesellschaftliche also menschliche (personale) Praxis geht, gibts nichts andres zu besprechen als Lernen und Vermitteln der Einzelnen (aller zusammen). Da ändert nichts SICH, ausser genau DADURCH.
    So. Damit ist in aller Einfachheit schon die WESENTLICHSTE theoretische Differenz auf den Punkt gebracht: Was ich und wir hier für wesentlich halten, ebenso auch, was wir für ungeklärt und herauszufinden; was wir für dabei von allgemeinem Interesse, oder aber für "zu speziell" und daher vorläufig uninteressant erklären - das kann JEDER einsehen, wenn es denn einsichtig ist. Ich sage: Er kann; und müsste hinzusetzen: Wenn er (zwangfrei) motiviert ist, darüber nachzudenken und sich ein Urteil zu bilden, nötige Kenntnisse zu erwerben usw.
    Das Wesentliche ist - spätestens nach Absolvieren der nötigen Verständigungsprozesse (solcher, wie sie hier beginnen, sofern sie nicht vorzeitig wieder abbrechen) - in jedermanns Kopf.
    So muss und soll das sein - sage ich. Es ist Teil der DEFINITION dessen, wo jedenfalls ich hin will. Ob es je dahin kommt, weiss ich nicht, höchstens vermag ich anzugeben, ob dem (und welche) Hindernisse entgegenstehen, die weggeräumt werden können (dh sie erscheinen nicht von vorneherein unüberwindlich); ich kann also sagen, dass es nach derzeitigem Wissen möglich ist.
    Was ich soeben als Definition bezeichnet habe, nennst du "Grobbeschreibung und vage Vorausnahme, die viel mit Wunschdenken zu tun hat". Mit Wunschdenken hat dies Definieren, was zu wollen ist, soviel zu tun: Dass klar gesagt wird, was man ablehnt, was NICHT zu wünschen ist, und das so vollständig, dass eben der Rahmen für das Erwünschte vollständig bestimmt ist, und alle weiteren Details und Konkretisierungen soweit charakterisiert sind, dass klar ist, wo sie in eine unerwünschte Entwicklung abgleiten würden.


    ad 1: Dies ist ein spezifisch historisch-kultureller und praktischer Prozess. Man muss unter Menschen,, die sich über linke Theorien unterhalten, endlich einmal dahin kommen, die Besonderheiten dieser Art Prozess gemeinsam festzuhalten. Wieso "nichtlinear" (eine äusserst abstrakte quantitative Bestimmung vermutlich hinsichtlich der "Ausbreitungsgeschwindigkeit") nicht vereinbar sein soll mit den von mir genannten Bestimmungen, ist mir unklar. Der Hinweis auf diese Art der Ausbreitung kann nur dann etwas über seinen Inhalt aussagen, wenn dieser Inhalt sich demnach pro Zeiteinheit ebenso nicht-linear vermehrt: Die von allen Beteiligten zu bewältigende Stoffmenge und Komplexität stiege dann mit jedem neu Hinzukommenden weiter an (und, da der Prozess sich offenbar ausbreitet wie eine Epidemie, explodiert auch diei Zahl dieser "Hinzukommenden"). Tatsächlich bleibt aber die Stoffmenge und der wesentliche Inhalt sich gleich, wenn es sich bei allen um ein (bedürfnisgerecht verlaufendes) Begreifen und Verständigen handelt: Die Begriffssysteme aller haben sich hernach angeglichen - ihre Begriffe von dem, was ihnen allen wichtig ist und Aufmerksamkeit verdient, und was nicht, haben sich in gleicher Weise ausdifferenziert und sind dann bei allen dieselben. Neu hinzukommende Erfahrung, die im Sinne IRGENDEINES von diesen unter sich Verständigten von Belang ist, ist es dann für ALLE und wert, an alle zu gelangen. Ab da also ändert sich (differenziert sich) das Begriffssystem aller durch neu hinzukommende Erfahrung synchron - die (Welt)Gesellschaft lernt dann kollektiv - der Inhalt, den IRGENDEINER als wesentlich ansieht, ist derselbe wie bei allen andern. ((Diesen Synchronisierungs-Effekt erwarten sich Leute wie Mario von "Krisen"...))


    Genau diesen Zustand herzustellen ist die anstehende Produktions-Aufgabe; ihre Lösung schliesst den Rückgang auf bedürfnis- und naturgerechte Formen der Lebensführung ein. Dass hier nicht drei verschiedene Zielsetzungen äusserlich zusammengefügt und zusammengefasst werden, sondern immerzu von ein und derselben gesprochen wird - das würde die genauere Betrachtung der Bestimmungen von Praxis, Kultur, Geschichte, Natur usw zeigen. Wenn man sich diesen Themen und Kategorien nur endlich einmal zuwenden würde.
    Anm. Ich bin sehr damit einverstanden, wenn man das Sich-Verständigen als natürlichen Prozess auffasst (und nicht in einen unaufhebbaren Dualismus hineingerät, wo Kultur der Natur entgegengesetzt wird); wenn man nur endlich einmal sagen würde, was für ein Prozess das ist - welche Rolle etwa die Sprache darin spielt. Um mal eine Andeutung zu machen: In sich verständigte Gruppen von Individuen haben unter sich ein Lernniveau ausgebildet, und verhalten sich dadurch nach aussen, wie man es zuvor bloss an lern-fähigen Einzel-Organismen (Tieren) und noch früher bloss an der Evolution der Gesamtheit lebender Organismen angetroffen hat. Das ist doch mal eine "handfest" materialistisch-biologische Bestimmung....)


    ad 2: Wenn das Ziel so bestimmt wird wie von mir in den voraufgehenden Absätzen, dann sind Entwicklungsschritte Einzelner - das Wesentliche daran (das als solches zu erkennen ist) - REPRÄSENTATIV FÜR ALLE ANDERN. Hier wird mir in nichtöffentlichen Mitteilungen von Mitlesenden die Auffassung nahegelegt, die Massen da draussen müssten, ja sollten sogar garkeine "Emanzipationslinken wie wir" werden. Dazu sage ich: Dass zwar das "Emanzipationslinke" mancherlei Momente in sich befasst, die seinen Vertretern vielleicht nicht so ganz bewusst sind; aber wenn die bewusstgemacht sind, ist es eine Art der Einstellung, die SELBSTVERSTÄNDLICH ALLE andern zwanglos einnehmen müssen, wenn der oben genannte Zustand erreicht werden soll. Ich kann doch nicht die wichtigsten Konzepte vernünftiger Praxis, über die ich verfüge, leugnen und verleugnen, wenn ich mich mit andern zusammentue, und dies dann noch ein Zusammentun (und nicht eine Selbstaufgabe) nennen. Es sei denn, ich werde durch die andern von der Unvernunft und Unangebrachtheit meiner Emanzipations-linken Konzepte zwanglos überzeugt.

    ad 3: Das Wesentliche am Ganzen ist also dasselbe in ALLEN seinen Teilen, wenn es ein vernünftiges ist, und SIE vernünftige. Wie sich die Inhalte dieses Ganzen bei Vernünftigen ändern (nämlich ausdifferenzieren!) "wenn sich Beteiligte und Umgebung verändern" - genau darüber müssen sich die heutzutage (unfreiwillig; als Ergebnis ungeplanter historischer Lernprozesse) Fortgeschrittensten unter allen Rechenschaft ablegen. Denn nur dann begreifen sie den Lern-Weg und die Inhalte, die auf ihm (zwangfrei) zu vermitteln sind, den die andern von IHREN Startpunkten aus zurückzulegen haben (an denen die Fortgeschrittenen, in diversen unwesentlichen Varianten, selbst einmal gestanden haben).
    Wenn Resultate historischen Lernens (davon sprechen wir) nicht irgendwann zuverlässig an jedem neu Hinzukommenden (das sind spätestens die Nachwachsenden, also Kinder und Jugendliche; ich komme immer wieder darauf zurück) zwanglos reproduzierbar gemacht (und das heisst im wesentlichen: begriffen) werden - dann gehen sie unweigerlich wieder verloren, oder sie fallen in ihnen unangemessene Rahmen-Standpunkte zurück, die durch die zurückfallenden Inhalte eigentlich schon überwunden waren.


    (Das ist bis heute der Fall: Die Ergebnisse historisch absolvierter Lernprozesse wurden und werden in Formen angeeignet, die von diesen Inhalten eigentlich überwunden sind.)


    Anm. Dieses Zurückfallenkönnen eines fortgeschrittenen Inhalts in einen ihm historisch vorausgehenden Rahmen ist Konsequenz der Tatsache, dass historisches Lernen im wesentlichen ein AUSDIFFERENZIEREN und Dazulernen ist: Differenzierter heisst, es werden MEHR Bedingungen beachtet, unter denen einzig Handeln rational durch Erfahrung bestimmt wird; eine so begründete Handlungsweise kann übernommen werden in einen Rahmen, wo die Bedingungen (Arten des Begründens aus der gegebnen Erfahrung), unter denen sie entworfen wurde, schon wieder nicht mehr beachtet werden - das Handeln selbst läuft zwar noch weiter, seine Gestaltung unterliegt aber ab dann vergleichsweise entdifferenzierten, primitiveren , weniger spezifischen Regelsystemen als dem fortgeschrittenen, unter dem es konzipiert wurde. Das gilt zB für alle Formen genuiner Religion, die (wie ich meine) grundsätzlich massenhaft auf "abergläubisch-primitiver Grundlage" "angeeignet" werden.
    Anm. Diese Asymmetrie in der Art, wie "Entwerfer" einer Praxis und diejemigen, die sie von diesen "übernehmen", diese Praxis jeweils begründen, ist nicht nur grundlegend für das "kulturelle" Ausbreiten und "Aneignen" einer historisch fortgeschrittenen Praxis durch Eliten und Massen; sondern vor allem auch für das Funktionieren von "gesellschaftlichen" Institutionen generell. Und genau deswegen muss das alles auch überwunden werden: Vergesellschafung durch Institutionen; Tradierung durch "Kulturbildung".


    ad 4: DENN, nochmal erläutert: Personales, "menschliches", nämlich vernünftiges (kein quantiativer, sondern ein rein qualitativer Begriff) Lernen ist nicht ständiges UM-Lernen, wie Mario das zu unterstellen scheint; sondern DAZU-Lernen. Das heisst, gewichtige Einsichten, nämlich in das, was wichtig ist und Aufmerksamkeit verdient und was nicht, ändern sich historisch NICHT MEHR: Der historische Lernprozess ist ein DIFFERENZIERUNGSPROZESS.
    Das gänzlich Neue (Emergente) eines Epochenschritts in der Bildungsgeschichte des Einzelnen wie "der Gattung" (wo ihn irgendwann Einzelne als erste gemacht haben) besteht in fundamentalen EINSCHRÄNKUNGEN dessen, was bis dahin vernünftig erschien: Worin vernünftiges Handeln besteht, wird GENAUER als zuvor bestimmt, genauer gesagt: Es wird überhaupt endlich einmal bestimmt, und war zuvor noch in wesentlichen Hinsichten unbestimmt geblieben.


    ad 5: An dieser meiner Art, Behauptungen zu vorzutragen, nämlich autoritär versichernd und unvermittelt Aufmerksamkeit dafür einfordernd, ist (als bedürfte es solcher Beispiele noch, jeder kennt sie ja leider zur Genüge aus seiner eigenen Biographie) einzig zu demonstrieren, wie Zwangfreiheit in der Verständigung und Vermittlung NICHT aussieht. Der Freiraum, von dem Mario in seinem 5.Punkt spricht, ist wesentlich einer der Musse und des zwanglosen Austauschs mit Andern. Dazu muss man ZEIT haben und sich nehmen (dürfen); man muss sie (spezifisch) haben WOLLEN für solch einen Zweck, und darf nicht ständig Besseres und Wichtigeres vorhaben. Das wars im wesentlichen, was ich das Motiv zum Ausbilden neuer (bis dahin fehlender) Begrffe genannt habe.
    Anm. An dieser Stelle ahnt man vielleicht, warum das "Bedürfnis-gerechte" Vorgehen einen derart zentralen Stellenwert hat: Es gibt ein sich mit individueller Erfahrung (die einem auch durch andre zwanglos vermittelt, zugänglich gemacht, berichtet werden kann) ausbildendes Bedürfnis, zu begreifen, nämlich Begriffe auf einem Praxisgebiet zu bilden, oder sich zu besinnen auf das, was einam da relevamt und "wesentlich" erscheint, und wie das alles untereinander zusammenhängt. Es gibt ein Bedürfnis zu LERNEN bei solchen, wie wir es sind: Neugier und Begreifenwollen. Darauf kann man (muss man, darf man)
    sich stützen; darauf kann man sich verlassen.


    6. Mein ironisch-verdrehendes Aufgreifen von Marios Punkten kann hier unmittelbar fortgesetzt werden: Denn in seinem Punkt 6 spricht Mario von "Krise" als Anlass des "Umdenkens" (qualitativer Sprung, neues Paradigma usw).
    Was Mario hier zu sagen hat, offenbart vor allem eins: Er hat nicht die geringste Vorstellung davon, WAS eigentlich das Neue und die Mehrheit Verbindende sein soll - worin das neue Paradigma eigentlich bestehen soll.
    Er müsste es dafür ja schon in sich selbst ausgebildet haben.

    7. Dies Vorwegnehmen, was die Andern werden müssten, und was eine Errungenschaft wäre - das denkt sich Mario immer nur unter dem Titel "Vorausplanen" - Entwerfen dessen, was (von wem denn?) GETAN werden soll. Aber darum geht es hier noch garnicht, sondern um das, was von den Andern irgendwann endlich GEDACHT werden muss, wenn sie sich weiter vernünftig betätigen, ihr Verhalten ein HANDELN bleiben soll. Die Punkte, an denen es in Gefahr gerät unvernünftig, im Kern: unverständlich zu werden, und den Bezug zur weiter anwachsenden Erfahrung zu verlieren - DAS sind (wie ich glaube) die Krisen, die zum, nein nicht UM-, sondern GENAUER Denken veranlassen. Welches sind überhaupt die hauptsächlichen Haltepunkte ("Epochen") auf dem so, "Krise" für "Krise" (in diesem Sinn) zu absolvierenden Bildungsweg (dem historischen wie dem individuell-nachholenden)? Wir reden zB über "religiöses Denken". Ist es eine solche Epochen-Station? Eine nämlich, wo denen, die dort halten, ihr eigenes Denken VOLLSTÄNDIG RATIONAL BESTIMMT erscheint - und sie auf ihren Grundlagen keinerlei Anlass haben, davon abzugehen. Das "Krisenhafte" schleicht sich von ganz wo anders her, völlig unerwartet und unbemerkt, in ihr Leben - am Ende haben sie aufgehört, religiös zu denken, und können nicht angeben warum.
    (Und nur, wenn dieser Prozess seinerseits nicht nur absolviert, sondern rückblickend verstanden wird, begreift man, warum es genau so und nicht anders gehen konnte.)
    Warum oder warum nicht etwas zurecht "religiös gedacht" zu nennen ist, darüber müssten wir uns, Mario, also erstmal sehr viel genauer verständigen. Das Wort "religiös" ist bis jetzt nur eine vage Anspielung und Andeutung, und kann, ohne solche Verständigung, garnicht mehr sein (ähnliches gilt für: idealistisch, oder (als Gegensatz dazu, wie bei mir oben in der Anm. zu Punkt 1) materialistisch ua).


    8. Rein illustrativ gesprochen und der erforderlichen Verständigung über religiöses Denken nicht vorgreifend: ALLE Konzepte, die einem Gebilde (dem intelligenten Schwarm, "der Gesellschaft", "der Klasse" ua) mentale Prädikate (Absichten und das "Haben" oder Ausbilden der dahinterstehenden Gründe) zuschreiben, das "grösser" sein soll als das einzelne Individuum (dessen Denken sich doch in dem aller andern - nach absolvierter Verständigung - wiederholt!) - alle solche Konzepte sind aus meiner Sicht eine Form politisch- (also nicht auf Natur-, sondern historische, Kultur-, gesellschaftliche und individuelle Prozesse bezogen) religiösen Denkens.


    ((Die genaue Formel lautet: Gebilde, Zustände, Vorgänge, Dispositionen ua werden dabei bis auf weiteres einer hypothetisch anzunehmenden optimalen Beschaffenheit für fähig gehalten, die man nur unter Zuhilfenahme mentaler Prädikate (solcher, die man sinnvoll nur vernünftigen Organismen, also (Einzel-)Personen, zuschreiben kann) charakterisieren kann - freilich nur, indem diese Prädikate völlig UNBESTIMMT bleiben und dadurch aus ihrem Verwendungszusammenhang (im Rahmen praxis-bezogener Lern- und Entscheidungsprozesse) gerissen werden.


    Anm. Religiös Denkende haben keinen Begriff von den Zusammenhängen zwischen Ebenen des Entscheidens (und keinen Anlass, ihn auszubilden), weil sie selbst - und zwar genau AUFGRUND ihres religiösen Verhältnisses zur Welt - in einer traditionalen Lebensform leben, worin sie zwar durchaus punktuelle Verbesserungen im Rahmen des Bestehenden anstreben (das Mittelalter ist voll von technischen Erfindungen und Verbesserungen), aber keine wirklichen Entscheidungen auf allen Ebenen treffen - wie genuin moderne Menschen (die ständig technische Möglichkeiten und Reproduktionsanforderungen angesichts ständig anwachsender Erfahrung wechselseitig in prekären (gesellschaftlich abgestimmten) Lebensentwürfen einander anpassen müssen - oder müssten; wenn es genuin modern Denkende in nennenswerter Anzahl gäbe; leider ist die Modernität der einschlägigen Pioniere "gesellschaftlich" "kulturell" bloss in vormodernen Rahmenkonzepten angeeignet worden... der noch relativ beste davon ist der religiös-optimalhypothetische (die Formel s.o.) (religiöse Formen eines modernen Weltverhältnisses ist bei praktisch allen derzeitigen radikal Linken anzutreffen) - der seinerseits in den normalen, bloss noch "gläubig"-erwartungsvollen und darum magisch-abergläubischen des Normalbürgers zurückgleitet.
    DER reagiert freilich auf "Krisen" der von Mario ins Auge gefassten Art - die ihn leider immer bloss zum Dazulernen in SEINEM Rahmen (geänderte Einstellungen, womit zu rechnen ist und was er "aus Erfahrung" (wie er das nennt) erwarten DARF) bringen; sie machen ihn meist nichtmal religiös.


    Anm. Wer nicht weiss, was vernünftigerweise draus zu folgern wäre, weiss auch nicht, wann eine Krise in welcher Hinsicht "produktiv" sein könnte. Die Pest war es (vgl. dazu zB Frantisek Graus: Pest Geissler Judenmorde) nicht - sie "passte irgendwie ins Bild", das sich währned der 1.Hälfte de 14.Jh. ohnehin verbreitet hat: Nichts stimmt mehr (Schisma, 100jähriger Krieg, Mongolen, neue Waffensysteme, Klimaverschlechterung usw). Und wie weiter? Daraus folgte erstmal garnichts... Petrarca, Boccaccio, Chaucer? Wiclif/Hus-Reformation, Konzil? Portugiesische Übersee-Ambitionen? "Verrechtlichung","Monetarisierung", "Rationalisierung" und (beginnende) Zentralisierung der Staats-Verwaltung? Und was nicht noch...? Alles das gab es NEBEN der Krise, nicht DURCH sie... und aus ganz anderen Entwicklungsantrieben. Wichtige Folge der Pest allenfalls: Es wurde sehr viel Land frei... Die Arbeitslöhne stiegen. (Und... das Zutrauen in die Wissenschaft sank...) - Wenn es irgendeinen verallgemeinerbaren Verlauf für Epochenübergänge gibt, der sich aus den letzten 6000 Jahren ableiten lässt... dann so, dass es diese unscheinbaren Neuentwicklungen "aus GANZ anderen Motiven" NEBEN der immer grösseren Anfälligkeit der zuendegehenden (aber darum nie aufhörenden) Epoche gibt...
    Epochen stossen eben nicht bündig aneinander - mit "Krisen" als "Übergangszonen"...
    ------------------------------------------
    (Es lohnt sich, das weltgeschichtlich einzig verfügbare und weithin vollständige Double der europäischen Geschichte, die chinesische, einmal auf Parallelen (also das Gleichartige im vordergründig Unterschiedenen) hin anzusehen - vor allem mit Blick auf die Momente von Modernisierung, aber auch fundamentale Strukturmerkmale vormoderner Gesellschaftsepochen. Wenn man dann nicht dank starrsinniger Histomat-Vorgaben in die Sackgasse einer Needham-Fragestellung rennt, steht man, zumindest ich derzeit, das mag auch auf Mangel an Detailkenntnissen beruhen, verblüfft vor der Striktheit der Analogien (geschätzter Zeitabstand zuletzt etwa 200-250 Jahre). Die wesentlichen UNTERSCHIEDE bei grundsätzlicher Ähnlichkeit des Entwicklungsgangs könnte man einmal geographisch begründet sehen (die Binnen-Gliederung des politisch und kulturell erschlossenen Gesamtraums: in China gering; Art und Siedlungsstruktur an seinen Grenzen (Verhältnis besiedelte Landfläche zu Küstenlinie; offene Grenze zu Steppennomaden), zum andern in der Tatsache, dass das spezifisch Mittelalterliche, nämlich die EINE Hochreligion (durchgehend dieselbe für alle Regionen und Klassen) in China nie lang genug ausgebildet war, um früh eine dauerhafte Ausifferenzierung von Politik und Kult (als eigenständigen Entwicklungsdimensionen) in Gang zu setzen. Die Bedeutung dieer Unterschiede relativiert sich aber im Mass, wie eben die Gesamtentwicklung nicht mehr als von wenigen, etwa DIESEN genannten Elementen, abhängig gesehen wird, sondern viel mehr Entwicklungsdimensionen als massgeblich für die Resultierende "historischer (Epochen)Fortschritt" begriffen werden (einen sehr bedenkenswerten Vorstoss in diese Richtung liest man im Anhang ausgerechnet des oben angeführten Spezialwerks von Frantisek Graus zum Spätmittelalter: Dort wird für eine historische Gesellschaftstheorie (oder soziologisch reflektierte Geschichtswissenschaft) vorgeschlagen, BÜNDEL einer Pluralität Entwicklungsdimensionen und deren Ver- und Entflechtung (in bestimmten Räumen) zu betrachten. Vergleicht damit das Marxsche Minimalbündel (aber immerhin!) der Ver- und Entflechtung von Produktivkraft- und Produktionsverhältnis-Entwicklung durch verschiedene Epochen und Räume. Es geht dabei um nicht weniger als um die Frage, was wie weit womit in der Geschichte ERKLÄRT werden kann. Und das... bis hin zur andauernden, zur gegenwärtigen "Geschichte"...))


    PS: Auch die Osmanen hatten früh Kanonen, und keine schlechten; sogar die Chinesen hatten welche... Das Inka-Reich wiederum hatte die Pocken (mit ähnlichen Sterbeziffern wie die europäische Pest)...)

  • „Was ich und wir hier für wesentlich halten, ebenso auch, was wir für ungeklärt und herauszufinden; was wir für dabei von allgemeinem Interesse, oder aber für "zu speziell" und daher vorläufig uninteressant erklären - das kann JEDER einsehen, wenn es denn einsichtig ist. Ich sage: Er kann; und müsste hinzusetzen: Wenn er (zwangfrei) motiviert ist, darüber nachzudenken und sich en Urteil zu bilden, nötige Kenntnisse zu erwerben usw.“


    Ja so ist es, franziska. Und warum sind die Einzelnen nicht motiviert? Weil sie sich immer in bzw. (wegen Pluralismus) mehrere fremder Betrachtungsweisen zwingen lassen (wollen), statt über das eigene Leben nachzudenken und wie man es, ohne stets dabei andere und sich selbst schädigen zu müssen, auf angenehme Weise verbringen könnte. Leider geht es ihnen immer um etwas Höheres (Gott, Nation etc.) oder ein Ideal (Humanismus, Sozialismus etc.) über das sie sich identifizieren oder ein Abstraktum (Geld etc.) über das sie sich aufeinander beziehen und nie oder nur selten um das nahe liegendste: das gute Leben – das eigene und gleichwohl das der andern. In dieser Haltung aber ist die Unterdrückung des Einzelnen angelegt. Ohne diese Haltung zuvor abzulegen, können sie sich aber auch nicht emanzipieren.

  • Gut Kim, da kann natürlich ich wieder nur zustimmen ^^
    Aber wenn Rückbesinnung auf gutes Leben von Einzelnen und DESSEN Vergesellschaftung ernsthaft das Ziel sein soll - dann beginnt man vielleicht, angesichts all der Kategorien, die wir hier quasi allesamt in die Hand nehmen und umdrehen und auf ihre Brauchbarkeit DAFÜR prüfen müssen (von denen, die uns noch fehlen und garnicht ausgebildet sind, garnicht zu reden) - man beginnt, sage ich, vielleicht zu ahnen, was für ein Umschwung, was für eine Revolution ALLER bestehenden Verhältnisse das wäre, und was für epochale Ausmasse die dafür nötigen Anstrengungen in der Neuerfindung in allen Lebensbereichen annehmen...
    "Revolution ist kein Deckchensticken."
    Bloss... sie spielt sich auf GANZ anderen Gebieten ab als die vormalige... die, die den beschleunigten Übergang in "moderne" und am Ende immer bürgerliche Verhältnisse anzeigte...

  • Ich werde deine Entgegnung in den nächsten Tagen noch einmal durchgehen und durchdenken. Ich denke aber dass man sich auf die Punkte Kommunalisierung, Modularisierung/Dezentralisierung der Produktion und Permakultur einigen kann. Zu deiner Frage nach einem geeigneten gemeinsamen Begriffsystem gibt es den Ansatz der so genannten "Mustersprache". Siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Pattern_Language


    "Eine Mustersprache (engl. pattern language) ist eine Sammlung von Entwurfsmustern, also bewährten Verfahren zur Lösung typischer Probleme, die bei gestalterischen Tätigkeiten in einem bestimmten Anwendungsgebiet auftreten. Dabei werden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt:


    Es wird eine einheitliche Sprache aus Namen für Probleme und deren Lösungen definiert, um die Kommunikation zwischen Entwicklern zu erleichtern. Unerfahrenen Entwicklern werden Problemlösungen für typische, immer wiederkehrende Entwurfsprobleme geboten. Sie können somit von Erfahrungen anderer profitieren.


    Der Begriff wurde ursprünglich vom Architekten Christopher Alexander geprägt. In seinem an Laien gerichteten Buch A Pattern Language. Towns, Buildings, Construction stellte er 1977 die erste Mustersprache vor. Das Konzept wurde in andere Fachbereiche übernommen, zunächst in die objektorientierte Softwareentwicklung und die Mensch-Computer-Interaktion (Human-Computer Interaction, HCI), später in die Organisationsentwicklung und die Pädagogik.


    Eine sehr einfache Definition des Begriffs der Mustersprache findet sich im Portland Pattern Repository von Ward Cunningham:


    „Eine Menge von Mustern wird zur Mustersprache wenn jedes ihrer Muster, sobald es gelöst ist, zu mehr Mustern führt, die anschließend betrachtet werden sollten.“ "

  • (Ich möchte einer eventuellen Erwiderung Marios nicht vorgreifen - drum wiederhole ich ein paar Gedanken, um die Grundstruktur der Debatte nochmal hervortreten zu lassen.)
    Erneut gibt Mario mir ein Stichwort - mit seinem Verweis auf "pattern-langage". Dem Wikipedia-Artikel zufolge ist das eigentlich eine Strategie für komplexe Aufgabenlösungen - da, wo für Einzelproblemstellungen im Rahmen des Ganzen (von denen man somit ihren "Ort" und "Art" kennen muss) bereits vorbildhafte Musterlösungen existieren, die man für weitere Anwendungsfälle bloss angemessen abwandeln muss. Vorausgesetzt ist, dass sich die Lösungswege, die über Teillösungen im Rahmen eines "Ganzen" verlaufen, grundsätzlich ähneln - dass überhaupt die übergreifende Problemstellung, eben die zu lösende Globalaufgabe, ebenso ihre Zerlegung in Teilaufgaben, die gleichen "Muster" aufweist. Das Vorgehen stammt charakteristischerweise aus der modernen Städteplanung und vor allem der Software-Entwicklung mit Ablegern zur Organisations- und vermutlich Unterrichtsplanung (darum wird vermutlich "Pädagogik" als Anwendungsfeld genannt).


    Es wiederholt sich hier also das Thema "komplexes Ganzes und seine Teile" (weiter oben noch als "Das Ganze ist MEHR als seine Teile").


    Das Ganze, von dem WIR hier reden, ist ein "gesellschaftlich-arbeitsteilig organisierter Reproduktionsprozess", mit den Einschränkungen "Kommunalisierung, Modularisierung/Dezentralisierung der Produktion und Permakultur".
    Marios Idee scheint zu sein: Wenn man die derzeit globale, zumimndest kontinentale und nationale Riesenwirtschaft erst einmal emanzipatorisch auf kommunales Niveau heruntergebrochen hat, könnten uns solche Transfers von Muster-Problemlösungen von einer Kommune zu anderen (bei grundsätzlich vergleichbarem Aufbau der kommunalen Produktionsstruktur) erheblich einfachere und bewältigbarere Planungs-Aufgabenstellungen liefern.
    Die Problemstellung selbst ist also QUANTITATIV reduziert und so entschärft und entlastet - es muss einfach nicht mehr so viel, so weiträumig mitbedacht werden - aber ZU klein geraten ist es auch nicht; der Gesamtwust an Produktionsaufgaben ist schon mal vorab geteilt in regional/dezentral und überregional - damit sind überschaubare Planungs-Departments entstaden, wo man sich der Stoff-Fülle vielleicht eher gewachsen zeigen wird. (Solche Teil/Ganzes- Beziehungen und Aufgabenzerlegungen tauchen ja bei vielfältigen Gross-Organisationen - Grosskonzernen, Militär, Verwaltungen usw - auf - darum erscheint ja auch das pattern-language-Verfahren anwendbar.)


    Die Differenz zwischen Mario und mir - die Differenz zwischen dem gemässigt-kommunalistischen Konzept (das immerhin schon Zugeständnisse hinsichtlich der "Dezentralität" macht) und meinem, maximal-radikalen ist, wieder einfach auf den Punkt gebracht:


    Mario geht aus von einer PRIMÄREN Vergesellschaftung auf dem zu wählenden Niveau - eben einer unter modernen Vorgaben notwendigen Minimalgrösse des Gesellschafts-"Körpers", der sich da halbwegs dezentral in seinem lokalen Rahmen reproduziert - etwa als Kommune Bochum. (Die alteuropäische Stadt, Kommune, als Vorbild: ernährt aus dem Land drum herum, sie als Markt und Zentrum; mit übergeordneten Zentren und ihren (dann nich tmehr rein landwirtschaftlich gedachten) Einzugs- und Zuliefergebieten in ihrer Peripherie).
    Der Einzelmensch und Entscheider bekommt dann (aber von wem?)
    irgendwie in diesem Riesenorganismus seinen Platz zugewiesen - meist zweigespalten: an einer Stelle leistet er (als Produzent) seinen Beitrag zur Gesamtleistung, an einer andern nimmt er (als Konsument) seinen persönlichen Anteil am Ertrag entgegen. Zwischen beidem vermittelt eine unpersönliche Maschinerie, die - wenn überhaupt von jemand - jedenfalls von den meisten nicht gekannt und nicht durchschaut, geschweige denn beherrscht, geformt, gelenkt werden kann (die Frage nach VIELEN die da lenken, ist dann noch garnicht beantwortet).
    An diesem Problem arbeiten sich dann die sämtlichen Versuche ab, kollektive Steuerung modern-arbeitsteiliger Produktion durch die Produzenten einmal konkret zu denken.


    Die radikale Lösung hingegen stellt den Einzelnen und seine Lebensführung (mit andern) an den Anfang jeder "planmässigen" Vergesellschaftung. Da geschieht jetzt und später nichts, was nicht FÜR JEDEN BETEILIGTEN JEDERZEIT nachvollziehbar und auch tatsächlicih nachvollzogen, beeinfluss- und gestaltbar und tatsächlich gestaltet wäre - das GEMEINSAM Gesellschaftliche ist Teil der Lebenseinrichtung der Vergesellschafteten.
    Dieser Ansatz, der in ganz anderer Weise als die bisherigen "revolutionär" werden könnte, antwortet auf ein Problem, das sich die wenigsten unter den radikalen Kritikern der kapitalistischer Industriegesellschaften überhaupt stellen, das ich aber seit Anfang meiner Mitarbeit hier im Forum in den Mittelunkt stelle: Wie soll die moderne Form der Wissenser- und verarbeitung überhaupt je von Einzelnen umgesetzt und getragen werden? Sie überfordert nach kürzester Zeit jeden, der sich ihre Leitziele zueigengemacht hat. Und NUR, wer an die Stelle der Einzelnen unbestimmte Gross-Subjekte - die Kommune, die Gesellschaft, die Forschergemeinschaft, die Arbeiterklasse, die Produzentenassoziation usw setzen kann - und die für in gleicher Weise - nur eben QUANTITATIV expandiert (erinnere oben das "QUANTITATIV reduziert" im Zshg. mit Kommune) - verarbeitungsfähig hält wie Einzlne - nur der kann den jedes Einzelleben und sein Fassungsvermögen schnell um absurde Grössenordnungen überschreitenden Zuwachs an epistemischen, technologischen, Reproduktons- und Fortschrittsoptionen, die zur Entscheidung zwischen ihnen anstünden, und den Gedanken seiner Verarbeitung durch IRGENDEIN Subjekt oder Entscheider (auch einem gleichwie dazu BEFUGTEN, die Partei, die zentrale Planungskommission) überhaupt noch zusammenbringen.


    Das eigentliche Epochenproblem ist nicht der Kommunismus, sondern die Werte und Zielsetzungen der MODERNE. (So steht es seit langem in meinem Profil.)


    Nicht allein, ob man und wer moderne Arbeitsteilung kollektiv planen DARF, ist die Frage, sondern vor allem, wie und ob man oder irgendwer es (je) KANN.


    Die Offensichtlichkeit dieser Problemstellung, mit der Mario übrigens den thread gestartet hat, ist eins der wichtigsten Hindernisse dafr, dass Leute sich ihr überhaupt zuwenden.


    Denn... es gibt ja ein vergleichbares Gross-Subjekt (noch so eins!), das bereits installiert ist, und die Aufgabe vermeintlich schlecht und recht löst (das wird ihm mittlerweile längst als seine grösste Errungenschaft bescheinigt!): der MARKT.
    An den muss man freilich glauben (ihm KREDIT in vielfältigster Form geben), um das, was sich IN seinen Formen abspielt, als daDURCH bewirkt, und dann auch noch OPTIMAL gestaltet (besser als es jeder Einzelne könnte) interpretieren zu können.
    (Wie sollte das "optimal" auch je zu widerlegen sein - wer kennt denn die unglaublichen Fehlentscheidungen, die womöglich stündlich, sekündlich, da draussen getroffen werden - und das unvermeidlich? Der müsste ja einen gott-ähnlichen Blick von draussen auf das Geschehen werfen - er müsste - zumindest im theoretischen Nachvollzug - leisten, was angeblich "der Markt" im Vollzug seiner heilsamen Lenkungsfunktion an wenigstens kognitiven Leistungen vollbringt - der ALLwissende, ALLgütige...; von seinen korrigierenden Eingriffen noch ganz zu schweigen - der ALLmächtige (wo und solang man ihn nur gewähren lässt und seiner überlegenen Weisheit nicht ins Handwerk pfuscht...)
    So denken bekanntlich die Anhänger des Marktglaubens. Aber die radikalen Linken sind von dieser sozialreligiösen Lenkungsillusion nicht weniger besessen...


    (Für eine Kritik der Moderne, wie ich sie vorbringen würde, gibt es darum derzeit keinen Bedarf und kein Interesse. Aber nicht wegen der (alternativen, linken) Lenkungsillusion allein. Viel schlimmer: Ohne es zu merken, hat diese radikale Linke ein NICHTMAL GENUIN MODERNES Verhältnis zur Welt - sondern ein in einem vormodernen Rahmen angeeignetes modernes. Das macht sich für mich vor allem daran fest, dass die derzeitigen linken Planungsdebatten immerzu nur Formen der EINRICHTUNG einer kollektiven Produktion betrachten, und dabei die genuin modernen Themen: Wissenschaft, technologische Entwicklung, ständige Revolutionierung der Produktionsweise und Fortschrittsstrategie, nicht einmal ansatzweise erwähnen. Das gehört - vom "revolutionären" linken Standpunkt aus betrachtet - der kapitalistischen Vergangenheit an. Der Standpunkt ahnt nichtmal, wie vergangen er selber ist...)


    (Das war jetzt nichts Neues von meiner Seite. Solang wir aber mit dem alten Zeug nicht zuendegekommen sind, gibts keinen Grund, sich mit den weiter oben genannten Themen zu befassen: fehlender Begriff von Natur, Geschichte, Selbst - oder mit meinen dazu gehörenden Vorschlägen, sich (zunächst, vorrangig)) mit (ökologischer) Produktion, Begreifen (des Unterschieds zur Restbevölkerung)(zum Zweck seiner Aufhebung), und dem Aufbau (zunächst) robust-kleinteiliger aber lebensfähiger, weil lebbarer ("bedürfnisgerecht") elementarer Formen des Lebensführung zu beschäftigen.)

  • "Alle planen alles - wie?" - Ein Thema, welches sich immer wieder auch in anderen Threads/Themen ergibt und nicht jedesmal insgesamt hierher umziehen kann, um den Ausgangspunkt und Diskussionsfluß dort nicht zu durchbrechen, aber evtl. auch hier weitergeführt wird oder werden möchte.


    Guckst Du bitte: "Arbeiterforderungen von 1848" - Danke.

  • Hallo Leute,


    nach längerer Zeit wollte ich mal wieder was zur Planungsdebatte beitragen, die mich stark umtrieb. Gerade in Auseinandersetzung mit äquivalenzökonomischen Theorien wie jene von Heinz Dieterich, Paul Cockshott und Allin Cottrill als auch Michael Alberts und Robin Hahnels "Participatory Economics" (Parecon), stellen sich für mich weiterhin unlösbare Fragen welche die Machbarkeit von Planwirtschaft in unserer heutigen komplexen Welt fraglich erscheinen lassen. Meine bisherigen aus alledem hervorgehenden Thesen, wovon einige bereits in anderen Posts meinerseits angerissen wurden, lauten:


    - Planwirtschaft kann höchstens die Reproduktion betreffen, aus ihr ist aber keine freie Reichtumsbildung und Entwicklung der Gesellschaft möglich.


    - Planwirtschaft ist nur in überschaubaren Regionen inklusive einer überschaubaren Bevölkerung und Produktvariation wie -anzahl machbar. Zumindest wenn sie demokratisch sein und nicht an Informations-Overload scheitern soll bzw. eine Koordinatoren-/Planer-Klasse vermieden werden soll.


    - Es bedarf voraussichtlich eines ("künstlichen") Konsumgüter-Marktes, weil:


    a) es haut nicht hin (wie in Wals Modell der Kommune Bochumund von Albert in "Parecon" vorgeschlagen) Menschen - vor allem in Bezug auf einen längeren Zeitraum des Vorausplanens - einfach zu fragen was sie wollen, da ihre Angaben nur eine Momentaufnahme sind und Bedürfnisse sich spontan in Begegnung und Auseinandersetzung mit den Gegenständen entwickeln. Dies ist Voraussetzung einer gesellschaftlichen Entwicklung in Vielfalt.


    b) eine gegenseitige, absolute Transparenz des individuellen Konsums der direkt miteinander lebenden Gesellschaftmitglieder, wie in Parecon als Grundlage der Allokation gefordert, ist aufgrund von Gruppendruck und daraus hervorgehenden Konformismus nicht wünschenswert. Die erhöhte "Eingriffstiefe" auf den Einzelnen aufgrund "demokratischer Detailplanung", sowie die damit verbundene Debatte welcher Konsum vom Kollektiv überhaupt als angemessen gilt schränkt außerdem die Wahlfreiheit ein. Das Ergebnis ist abermals eine Verstärkung des Konformismus und gesellschaftlicher Stillstand.


    c) die Demokratisierung der Planung bis in den individuellen Konsum hinein verlagert den bürokratischen Aufwand, welche im Realsozialismus eine Zentralplanung übernahm, auf das Individuum und erscheint deshalb nicht attraktiv.


    d) Zur heutigen Planung in einer komplexen, informations-intensiven Industriegesellschaft bedarf es Rechengrößen die über eine bloße Tonnenplanung in Naturalien hinausgeht. Andererseits ist eine direkte Berechnungsder in den Gütern steckenden Werts inklusive Einführung von Arbeitszeitgutscheinen höchstwahrscheinlich genauso wenig durchführbar noch aufgrund der zentralplanwirtschaftlichen Architektur eines solchen "Computer-Sozialismus", wie beispielsweise von Dieterich und Cockshott vertreten, nicht wünschenswert.


    e) Soll sich Rätedemokratie nicht als Herrschaft einer Avantgarde verselbstständigen, müssen die in den Räten zu beratschlagenden Themen von Beginn an Bezug auf die Ökonomie haben und dürfen nicht bloß als Allgemeinplatz von "sozialistischer Politik" existieren, die dann beliebig ausgeschmückt wird, wie dies im "Realsozialismus" der Fall war. Damit sind die oben genannten Fragen wie dies bewerkstelligt werden soll aber keineswegs geklärt. EIne langfristige Tauglichkeit rätedemokratischer Organisation im Sinne emanzipatorischer Vergesellschaftung bleibt fraglich.


    f) Insofern (bisher) einzig Reproduktions- und Makro-Planung (Rahmenvorgabe an Investition in diesen oder jenen Sektor) als machbar gelten, scheint zum gegenwärtigen Erkenntnisstand einzig eine Art Marktsozialismus machbar.


    Soweit meine Gedanken. Vielleicht kann und will ja jemand was zu beitragen.


    Grüße



    Mario

  • Hallo Mario,
    schön, mal wieder von dir was zu lesen!


    Zu deinem Text:
    Wer meint, dass "die Menschen" zu blöde oder zu spontan sind, um für sich selber planen und arbeiten zu können, der benötigt tatsächlich eine klügere und weniger spontane Minderheit, die für Alle plant.


    Dass jemand über fremde Bedürfnisse plant und entscheidet, wirft dann aber alle die Fragen auf, die du aufwirfst. Wobei es keinen wesentlichen Unterschied macht, ob diese Minderheit für 1000, 10.000, 100.000 Menschen oder für eine Million planen und entscheiden will.
    Planung und Entscheidung für Fremde haut nur hin, wenn diese Planer und Entscheider allwissend und allmächtig sind. Allwissend, um all die fremden Bedürfnisse zu kennen. Allmächtig, um dafür sorgen zu können, dass für diese fremden Bedürfnisse auch alle Produkte und Dienstleistungen produziert und bereitgestellt werden.


    Kurz: Solange "die Menschen" nicht für sich selber planen können, kann nur Gott helfen.
    Und solange dieser "kommunistischen Gott" eine Traumgestalt bleibt, bleibt nur die Planlosigkeit. Es bleibt der Markt mit allen seinen Gebrechen: Armut, Lohnarbeit, Fremdbestimmung samt einer reicheren, wissenderen, herrschenden Klasse über uns.


    Gruß Wal

  • Mir geht es nicht darum ob Menschen "zu blöde" sind, sondern um handfeste Problemstellungen der individuellen Freiheit und der Durchführbarkeit von Planung. Du schreibst, Planung für Fremde haut nur hin, wenn die Planer allwissend und allmächtig sind. Eine ähnliche langfristige Planbarkeit über Monate oder gar ein Jahr wird aber beispielsweise von Entwürfen wie Parecon oder der Bochumer Kommune vom Individuum abgefordert (jedenfalls gehe ich davon aus, dass ein längerer Zeitraum des Vorauswissens notwendig ist, da wirtschaftlich sonst wenig zustande kommt).


    Weiterhin wird es ja dennoch eine Art Büro geben müssen, welches all die Daten sammelt und dann in einen Plan fasst.


    Ich möchte nicht Behaupten, dass eine solche Planung für den Bereich der notwendigen Arbeit (Reproduktion) nicht machbar oder wünschenswert wäre. Ich möchte mit meinem Eingangspost auf Fragestellungen zu individueller Selbstbestimmung und Entwicklung hinaus, wie sie damals zum Thema ob es im Sozialismus ein Mehrprodukt gäbe mit Wolfram diskutiert (bzw. eher angerissen) und m.M.n. nicht zufriedenstellend aufgelöst wurden.


    Ich behaupte, in Anlehnung an Wolfram, dass gesellschaftlich qualitativer und kultureller Fortschritt und ein Vorbeugen von Konformismus/Spießigkeit innerhalb des Sozialismus nur möglich ist, wenn Einzelne und Gruppen sich aus der Reproduktion "absetzen" können indem sie ein - ggf. zu prüfendes - Vorhaben anmelden und die Gesellschaft ihnen hierfür die notwendigen (Produktions-)Mittel bereitstellt um sich an eigenen ökonomischen Ideen und Projekten zu probieren; wobei die Initiatoren des Projekts dann wiederum verpflichtet wären durch ihr Angebot von Gütern oder Dienstleistungen ihre eigene Reproduktion sicherzustellen.


    Ähnlich eines Crowdfunding-Verfahrens, wenn man so will. Allerdings in Form eines nicht-kapitalistischen (genossenschaftlichen) "Unternehmertums". Erst somit wäre ein "Reich der Freiheit" im ökonomischen Sinn überhaupt denkbar, womit sich Ökonomie dann zunehmend im alltäglichen Kulturleben aufheben würde. Und m.M.n. war das auch damals in der Debatte gemeint, nicht bloß ein Verweis auf mehr Freizeit wo sich jeder dann neben "der Wirtschaft", quasi als Hobby, ausprobieren könne.


    Bisher kann ich mir das aber nicht anders als in Form eines Konsumgüter-Marktes denken. Wobei die Frage bestünde ob dieser an sich ein Problem darstellen würde, denn, nach Karl Polanyi jedenfalls, waren Güter-Märkte als solche noch nicht Ursache kapitalistischer Produktionsweise. Erst die Schaffung, wie er es nennt, "fiktiver Waren", also von Arbeits-, Kapital-, und Bodenmärkte, hätten den Initialfunken kapitalistischer Produktionsweise ausgemacht.

  • Das ist mir bekannt, Wat. Allerdings ist mir nicht klar wie die von mir genannten Probleme sonst behoben werden könnten. Alle bisherigen Theorie-Ansätze die den Gütermarkt aushebeln wollen finde ich weder überzeugend noch die dazugehörigen Implikationen wünschenswert. Das Problem liegt ja eben darin wie der Bedarf der Verbraucher erfasst wird. Einfaches "Abfragen" halte ich aus den genannten Gründen für nicht wünschenswert bzw. ebenso wenig überzeugend. Weiterhin ist unklar wie eine Kosten-Erfassung ohne Preismechanismus ablaufen soll. Eine Planung in Naturalien in Zusammenhang mit einem "Ach, es ist doch genug für alle da" dürfte in Zeiten der ökologischen Krise gleichermaßen wegfallen, und höchstwahrscheinlich nicht durchführbar sein.

  • Wie sie behoben werden könnten @Mario Ahner?


    Im Detail kann und will ich das immer noch nicht sagen, schließlich weiß ich ja nicht, was Du z.B. so alles herstellen könntest.


    Ich weiß, was ICH mit den nötigen Produktionsmitteln immerhin schon mal selbst (mit-)herstellen könnte.
    Es bliebe trotzdem noch so einiges für mich dazu zu lernen und es könnte niemals alles sein.


    So oder so, Haben-wollen schließt unabdingbar auch selbst Machen-können und Machen-wollen ein!


    Wenn das kein Thema ist, ist gemeinsame Planung auch keins.


    Liebe Grüße - Wat.

  • Hallo Wat.,
    ich bin mir nicht sicher, ob die Probleme, die du ansprechen und lösen willst, auch die Probleme sind, die Mario angesprochen hat, und für die er keine Lösung findet. Er geht ja davon aus, dass "die Menschen" nicht vorausplanen können, weil sich „ihre Bedürfnisse in Begegnung und Auseinandersetzung mit den Gegenständen entwickeln.“


    da ... Bedürfnisse sich spontan in Begegnung und Auseinandersetzung mit den Gegenständen entwickeln. Dies ist Voraussetzung einer gesellschaftlichen Entwicklung in Vielfalt.

    Mit so einer individuellen Spontaneität, die sich am Gegenstand und nicht in Kooperation mit anderen Menschen entwickelt, konnten die Menschen vielleicht als kleine Gruppen während der Epoche des Sammelns und Jagens überleben. Aber auch damals war ein Jäger ziemlich schlecht dran, wenn er seine Pfeile erst schnitzte, wenn er dem Wild begegnet ist. Seitdem es Zivilisation gibt, ist der Raum für individuelle Spontaneität ziemlich geschrumpft - und auch kollektive Spontaneität hilft da nicht weit.


    Ein modernes Auto besteht aus rund 10.000 Einzelteilen. Diese Teile und ihre Vorprodukte kommen aus aller Welt. Für den Weg zwischen Asien und Europa benötigt ein Container mit Autoteilen drei Wochen. Zusammengebaut werden diese 10.000 Teile in der Endmontage in wenigen Tagen. All das funktioniert nicht mit „individueller Spontaneität“, sondern mit Vorausplanung und Kooperation.


    Siehe meinen Überblick über die Verkehrssysteme von der Antike bis heute.


    Dass ausgerechnet der kapitalistische Markt für Mario ein „Reich der Freiheit“ sein soll, erstaunt mich doch sehr.

    Erst somit wäre ein "Reich der Freiheit" im ökonomischen Sinn überhaupt denkbar ... Bisher kann ich mir das aber nicht anders als in Form eines Konsumgüter-Marktes denken.


    Keine dieser Waren, die der Markt feilbietet, ist „spontan“ dort hingelangt. Keine dieser Waren, die der Markt feilbietet, kann mensch „spontan“ mit nach Hause nehmen. Der Warenproduzent hat Wochen, Monate oder Jahre Vorausplanung und Kooperation benötigt, um seine Ware auf den Markt zu bringen. Wir Lohnabhängigen brauchen Jahre der Ausbildung, um einen bezahlten Lohnjob zu erhalten, und dann brauchen wir ziemlich genaue Vorausplanung, um unser knappes Lohn-Budget über den Monat zu strecken. Normal ist, dass wir ohne Spontaneität, aber mit einem Einkaufszettel losgehen, wenn wir das kapitalistische "Reich der Freiheit" besuchen. Der Einkaufszettel ist der schriftliche Nachweis unserer Bedürfnisse.
    Ja, es gibt Leute, die „ihre Bedürfnisse in Begegnung und Auseinandersetzung mit den Gegenständen entwickeln“ und dann ebenmal dieses und dann noch jenes spontan kaufen. Aber das sind nicht die Leute, deren Probleme wir im Marx-Forum aufgreifen und klären können.


    Innerhalb der sozialistischen Ideen war es Fourier, der dem "Spontankommunismus" von Mario am nächsten kam. Fourier glaubte, dass sich für jede einzelne Arbeit, die grade vonnöten ist, ausreichend Leute finden würden, denen diese konkrete Arbeit auch Spaß macht. Man muss nicht - wie ich es tat - zwei Jahre in einer Kommune gelebt haben, um Zweifel am Funktionieren dieser Arbeitsverteilung zu haben. Wobei Fourier noch den Pferdefuß mitschleppt, dass die Individuen alle an eine einzige Tätigkeit ihr Leben lang gefesselt bleiben sollen. Wer Berufserfahrung hat, weiß: Jede noch so interessante Arbeit wird zur Last, wenn man sie über Jahre hinweg Tagaus Tagein wiederholen muss.


    Das Marxsche Rezept heißt hier: Ständiger Arbeitswechsel und möglichste Arbeitszeitverkürzung für Alle. Nur wenn die NOTWENDIGE Arbeit (=die geplante Arbeit) auf drei oder vier Stunden am Tag (einschließlich Planungszeit) beschränkt ist, haben tatsächliche alle Gesellschaftsmitglieder erstens die Zeit, sich in komplexe Sachverhalte einzudenken und zweitens die Muße anschließend zu Künstlern, zu denken oder Neues zu schaffen.
    "Jenseits der notwendigen und bedürftigen Arbeit beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 828.


    Mario hat nicht begriffen, dass Neues vor allem Mußezeit braucht. Er denkt immer in der Kategorie Geld. Sein "Reich der Freiheit" ist frei verfügbares Geld. Er möchte einen Zugriff auf den gesellschaftlichen "Mehrwert" oder "Crowdfunding" usw.
    Mario denkt in den Kategorien der Klassengesellschaft, wo die große Mehrzahl eine kleine Elite von der Reproduktionsarbeit freistellt, damit die für "kulturellen Fortschritt" sorgen.


    Ich behaupte, in Anlehnung an Wolfram, dass gesellschaftlich qualitativer und kultureller Fortschritt und ein Vorbeugen von Konformismus/Spießigkeit innerhalb des Sozialismus nur möglich ist, wenn Einzelne und Gruppen sich aus der Reproduktion "absetzen" können indem sie ein - ggf. zu prüfendes - Vorhaben anmelden und die Gesellschaft ihnen hierfür die notwendigen (Produktions-)Mittel bereitstellt um sich an eigenen ökonomischen Ideen und Projekten zu probieren; wobei die Initiatoren des Projekts dann wiederum verpflichtet wären durch ihr Angebot von Gütern oder Dienstleistungen ihre eigene Reproduktion sicherzustellen.

    Dass von Fall zu Fall irgendwer aus irgendwelchen Gründen von notwendiger Arbeit freigestellt werden muss, ist kein Thema. Aber bei Mario ist diese Freiheit vom Zwang der Arbeit nicht sach- oder projektgebunden.
    Mario will, dass eine konstante Menschengruppe ("Einzelne und Gruppen") von notwendiger Arbeit befreit werden. Hier handelt es sich um die Fortführung der Klassengesellschaft - mit dem neuen Logo "kulturelle Dienstleister".


    Siehe auch Karl Marx über die Kommunistische Gesellschaft


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,


    wir scheinen vollends aneinander vorbeizureden. Ich sprach nirgends davon, dass es keiner gesellschaftlichen Planung bedürfe, noch schwelge ich in irgendwelchen Illusionen einer Geldreform. Es geht hier um etwas anderes. Da ich gerade wenig Zeit habe, möchte ich hierzu Wolfram zitieren, der es besser auf den Punkt bringt worum es mir geht. Jedenfalls beinhaltet sein Kommunalismus-Entwurf die Frage nach der Möglichkeit sich aus der Reproduktionsarbeit "herauszusetzen" und die Gesellschaft damit mit einem Mehrprodukt zu bereichern, das nach einer gewissen Zeit Teil der Reproduktion werden kann, sofern der gesellschaftliche Reichtum einen neuen Standard für alle erreicht hat. "Crowdfunding" meint hier, dass die Kommune von den Bürgern gewollte Projekte initiiert, die nicht unbedingt gleichzeitig notwendige Arbeit sein müssen. Erst hierdurch entsteht kulturelle Entwicklung (Stellen die ich besonders wichtig finde habe ich fett markiert):


    "Zur Grundsicherung gehört alles, was die Notwendigkeit des gegebenen durchschnittlichen gesellschaftlichen Selbsterhalts erfüllt. In einer entsprechenden Beschlussfassung nach Diskussion wissenschaftlicher Vorlagen können die bestätigt oder abgewiesen oder neu beordert und dann umgesetzt, also auf eine erforderliche und also gesellschaftlich verbindliche Arbeitsleistung der arbeitsfähigen Menschen im Allgemeinen verteilt werden (nach heutigen Schätzungen könnte diese z.B. mit 2 Stunden pro Tag und arbeitsfähigem Menschen bewältigt werden). Aber meist waren Erfindungen, Bauvorhaben, Kulturgüter und dergleichen nicht konkret notwendig.

    Wirklichen Reichtum bildende Arbeit, also eine Arbeit, welche die menschlichen Verhältnisse durch neue Sinnbildungen und dergleichen anreichert, ist nicht unbedingt notwendig, oft nicht mal nützlich. Sie stellt eine Mehrarbeit dar, die entweder einzelne Individuen einbringen oder die auch von einer Gruppe gewollt sein kann.

    Wo eine Gruppe – z.B. eine Genossenschaft – diesen Willen teilt, muss das organisiert werden. Das gibt es heute z.B. schon durch das so genannte Crowdfunding, das noch auf Geld beruht. In einer Ergänzungswirtschaft könnte das auch vertragsmäßig mit Arbeitsversprechungen von einzelnen, von Kommunen oder Regionen machbar sein.

    So war mein Gedanke von einer „Sozialistischen Aktiengesellschaft“ entstanden. Schließlich soll es auch weiterhin große Projekte geben, die nicht individuell bewältigt werden können und doch nicht unbedingt notwendig – eben wirkliche Bereicherung sind. (…)

    Aus der Arbeitsverpflichtung kann man entbunden werden, wenn man dem entsprechende Arbeitsanteile aus eigener Unternehmung beisteuert. Hierdurch ist freies Unternehmertum möglich, allerdings nicht auf der Basis von Kapital. So können auch eigene Leistungen sich gegen die Gemeinde verrechnen und eigene Einfälle und eigenen Einsatz belohnen, wenn er Produkte hervorbringt, die sich als Bereicherung der Gesellschaft bestätigen. Auch kann gesellschaftliches Vermögen dem Einzelnen zur Verfügung gestellt werden, wenn er glaubhaft belegen kann, dass sein Projekt ein Mehrprodukt erbringt.

    Ein Mehrprodukt entsteht entweder durch einzeln initiierte Mehrleistung (z.B. besondere Ideen, Erfindungen, Überstungen usw.), die auch mit einer besonderen Entlohnung honoriert wird, oder durch gesellschaftlichen Beschluß wie in der Planwirtschaft (z.B. als Großprojekt). Auch dies erfordert besondere Entlohnung. Das Mehrprodukt selbst wird aber gesellschaftlich verwaltet, zur Erhöhung des Lebensstandards eingesetzt oder zur Förderung bestimmter Projekte oder Unternehmungen verwendet oder für überregionale Verträge eingesetzt.

    Die Güter, die auf diese Weise zustande kommen, sind kein Privateigentum, wohl aber Eigentum der Erzeuger und der Kommune zugleich, einmal bei ihrer Erzeugung durch kommunale Vertragsbeziehungen mit den Erzeugern (z.B. als Vorschuss oder Sozialvertrag) und dann auch nach ihrer Erzeugung durch den Übergang in ein Gemeineigentum nach Abtragung des Aufwands (Amortisation) gegenüber dem Erzeuger."

  • Hallo Mario,
    die Theorie von Wolfram von der „sozialistischen Aktiengesellschaft“ und von einem „kommunistischen Mehrprodukt“ hat in meinen Augen den Pferdefuß, dass sie ziemlich unvereinbar ist mit den Ansichten von Karl Marx.



    Nach Ansicht von Marx, kann es und soll es im Kommunismus kein „Mehrprodukt“ geben:
    „Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken.
    Jedoch würde die letztere, unter sonst gleich bleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer
    wären. Andererseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nötige Arbeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW23, 552.
    Es gibt im Kommunismus kein "Mehrprodukt". Mehrprodukt ist ein Reichtum, auf den die Gesellschaft keinen Zugriff hat, ein Reichtum, der außerhalb gesellschaftlicher Kontrolle steht.



    Weiter:
    Nach Ansicht von Marx gibt es im Kommunismus keine Tätigkeiten, auf die Einzelne ein Privileg oder einen Anspruch haben.
    Nach der Ansicht von Karl Marx gibt es „in einer kommunistischen Gesellschaft keine Maler, sondern höchstens Menschen, die unter anderem auch malen.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 379.
    Nach der Ansicht von Karl Marx kann es in einer kommunistischen Gesellschaft daher auch keine „Erfinder“ geben, sondern höchstens Menschen, die unter anderem auch Erfindungen machen. Dasselbe gilt für Ärzte, Ingenieure, Lehrer oder was auch immer.



    „In der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun....“K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 33.
    Nach der Ansicht von Wolfram soll im Kommunismus freiverfügbare Zeit für Einzelne geschaffen werden.
    Nach der Ansicht von Marx soll im Kommunismus freiverfügbare Zeit für Alle geschaffen werden, denn „Auf Schaffen frei verfügbarer Zeit beruht die ganze Entwicklung des Reichtums.“ K. Marx, Grundrisse...., 30.



    Wolfram will Einzelne von notwendiger Arbeit befreien. Marx will die notwendige Arbeit auf Alle verteilen.
    „Wenn alle arbeiten müssen, der Gegensatz von Überarbeiteten und Müßiggängern wegfällt – ... und außerdem die Entwicklung der Produktivkräfte, wie das Kapital sie hervorgebracht hat, in Betracht gezogen wird, so wird die Gesellschaft den nötigen Überfluss in 6 Stunden produzieren, mehr als jetzt in 12, und zugleich werden Alle (Hervorhebung von w.b.) 6 Stunden Freizeit, den wahren Reichtum haben; Zeit, die nicht durch unmittelbar produktive Arbeit absorbiert wird, sondern zum Genuss, zur Muße, so dass sie zur freien Tätigkeit und Entwicklung Raum gibt.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III,, MEW 26.3, 252.



    Marx ging im 19. Jahrhundert davon aus, dass im Kommunismus die damalige notwendige Arbeitszeit um 50% verkürzt werden kann. Nach heutiger Arbeitszeit gerechnet, wäre jeder von uns im Kommunismus noch 4 Stunden am Tag in gesellschaftliche Verpflichtungen eingebunden.
    Mir ist ein Rätsel, warum intelligente Menschen wie Wolfram und Du sich nicht in der Lage sehen, in einer täglich frei verfügbaren Zeit von vielleicht 6 oder 8 Stunden, alle die Dinge zu tun, für die sie extra von „der Arbeitsverpflichtung entbunden“ werden wollen.


    Gruß Wal

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