Der Berliner Professor Peter Grottian, der sich Verdienste bei der Unterstützung sozialer Bewegungen in Berlin erworben hat, schlägt nun vor, die Blockupy-Bewegung auf die Dispo-Abzocke zu konzentrieren. Dieser Vorschlag beweist - nach meiner Meinung - nur die Orientierungslosigkeit der Blockupy-Bewegung.
Grottian stellt richtig fest: „Die Blockupy-Bewegung hat bisher relativ abstrakt das Finanzmarkt- und Bankensystem attackiert. Nur in Ansätzen konnten Menschen bis in die Mitte der Gesellschaft in ihrem Zorn mobilisiert werden.“
Der ersten Aussage stimme ich zu. Die zweite Aussage ist schief, zeigt aber auf einen wunden Punkt der Blockupy-Bewegung. Schief ist die Aussage, weil in der Bewegung – nach meinem Eindruck – so gut wie keine nichtlinken Menschen mobilisiert wurden – geschweige denn aus der „Mitte der Gesellschaft“ - und auch derzeit nicht mobilisiert werden können.
Ich denke, wer die Leute „in ihrem Zorn mobilisieren“ will, für den sind die Banken der ganz falsche Gegner. Banken sind hauptsächlich und in erster Linie Dienstleister des Kapitals. Die Banken zahlen für die Kapitalisten die Löhne an uns Lohnarbeiter aus. Und die Banken vereinfachen und rationalisieren durch bargeldlosen Geldverkehr den Verkauf der Einzelhändler an uns Lohnabhängige.
Der Lohn ist unsere Existenzgrundlage. Lohn bekommen wir aber nicht von der Bank, sondern von dem Unternehmen, für das wir malochen. Die Höhe des Lohns entscheidet über unseren materiellen Wohlstand. Die Höhe des Lohns bzw. unserer Lohnersatzzahlung wie Stütze oder Rente entscheidet darüber, welche Warenmenge wir verbrauchen können und verbrauchen dürfen. Wenn uns das Geld nicht reicht, dann liegt das zunächst und vor allem an unserem zu niedrigen (Lohn)Einkommen, nicht an den Dispozinsen, die wir eventuell zahlen müssen.
Für uns Lohnabhängige sind Banken in erster Linie die Postboten, die uns eine Geldanweisung überreicht. Der Postbote kann wohl eine "Bearbeitungsgebühr" verlangen, hat aber sonst keinen Einfluss auf die Höhe des Betrages, den er uns bringt.
Wenn Lohnabhängige Probleme haben, haben sie sie nicht mit der Bank, sondern mit ihrem Unternehmen (Übermaß an Arbeit, zu geringer Lohn etc.) oder sie haben sie mit den Händlern (schlechte Qualität, verfälschte Lebensmittel, zu hohe Preise).
Kurz: Für Lohnabhängige sind die Banken der falsche Gegner.
Nun hat Herr Grottian entdeckt, dass die Banken in Deutschland mit dem Dispokredit Kohle machen. 39 Milliarden sollen es 2013 gewesen sein. Herr Grottian meint, das „fordert den zivilen Ungehorsam der Bürgerinnen und Bürger provozierend heraus“. Das ist lächerlich.
Ja, die Dispozinsen sind in Deutschland höher als anderswo. Das ist aber nur eine Frage der kapitalistischen Konkurrenz. Die nächste Antwort wäre, für stärkere Konkurrenz zu sorgen, und mehr Banken in Deutschland zuzulassen. Das würde die Bankgebühren senken.
Auf antikapitalistischen Kurs kommt man so nicht. Noch schlimmer: Eine Senkung der Dispozinsen könnte insgesamt dahingehend wirken, dass sich die Leute noch stärker privat verschulden.
Grottian gesteht zwar ein: „Der Dispozins sei zwar eher ein Nebenschauplatz dieses maroden Bankensystems, aber die Logik der Abzocke sei die gleiche...“
Ich denke, die „Logik der Abzocke“ ist eher ein Nebenschauplatz dieses maroden kapitalistischen Wirtschaftssystems.
Eine Linke, die hier versucht, Einfluss und Respekt zu gewinnen, verliert sich im Dickicht des „Finanzkapitalismus“. Wer sich den „Finanzkapitalismus“ statt den Kapitalismus als Gegner wählt, der tastet mit einem dünnen Stock im Nebel und kommt auf Abwege,
meint Wal
Anhang: Der Text von Peter Grottian, der als Erzählung daher kommt:
Die Blockupy-Bewegung erweitern
Ein Szenariovorschlag für die Vorbereitung der Proteste im Mai 2014
von Peter Grottian
Die Blockupy-Bewegung hat bisher relativ abstrakt das Finanzmarkt- und Bankensystem attackiert. Nur in Ansätzen konnten Menschen bis in die Mitte der Gesellschaft in ihrem Zorn mobilisiert werden. Die Aufgeregtheit über das Bankensystem bleibt solange folgenlos, bis der sichtbare Ärger und konkrete Zockererfahrungen zum Sand im Getriebe werden.
Darum ein Vorschlag für ein Szenario, wie die Blockupy-Proteste mit der Dispozinsabzocke verbunden werden könnte. Mitte Mai 2014: Vor und in über 30 Banken in 15 Städten der Republik finden Blockupy-Massenproteste gegen die Dispozinszocker statt. Das Blockupy-Bündnis hatte zu dezentralisierten Protesten aufgerufen – und nicht nur die Bewegung war präsent, sondern auch viele Bankkunden, die bis zu 14 Prozent Zinsen für Dispokredite bezahlen, die sich die Banken zum Fast-Null-Zins ausleihen. Die Veranstalter sprachen von 10000 Teilnehmern. Über Nacht hatten Aktivisten in den jeweiligen Städten die größten Abzockerbanken festlich geschmückt, um am nächsten Mittag zu einer fürsorglichen Begehung der führenden Abzockerbanken einzuladen. Die verantwortlichen Bänker wurden zu einer Rechtfertigung in den Schaltern herausgefordert. Der Dispozins sei zwar eher eine Nebenschauplatz dieses maroden Bankensystems, aber die Logik der Abzocke sei die gleiche und rechtfertige diesen ungewöhnlichen Proteste, betonten Sprecher der Blockupy-Bewegung.
Wer mit einem Kreditvolumen von fast 39 Milliarden Euro, wie es im Bundesbankbericht 2013 heißt, Menschen in prekären Lebensverhältnissen schröpft und allzuoft seine Konditionen intransparent läßt, fordert den zivilen Ungehorsam der Bürgerinnen und Bürger provozierend heraus. SPD-CDU/CSU-Bürgermeister haben als politisch Verantwortliche der Sparkassen einen schweren Stand. Die Zockerbanken blieben zumeist über mehrere Stunden friedlich besetzt, ohne daß die Polizei von den Bankverantwortlichen eingeschaltet wurde. Einige Filialleiter sagten, vorbehaltlich ihrer Gremienentscheidungen, eine Senkung der Dispozinsen zu. Die Aktivisten von Blockupy versprachen, erneut zu kommen, um das zu kontrollieren. Die öffentliche Berichterstattung war insgesamt positiv, Verbraucherverbände und soziale Gruppen unterstützten die Aktionen.
Warum ein solches Szenario?
Komplizierte und oft abstrakte Problemlösungen verlangen nach konkreten, selbsterfahrenen Politisierungs- und Mobilisierungsschritten.
Die für den Mai 2014 europaweit geplanten Proteste müssen daher erweitert werden. Es fehlt der individuell erfahrbare Zündfunke für die alltägliche Sauerei des Bankenwesens. Diese bündelt sich tagtäglich, millionenfach in der Dispozinsabzocke: Banken refinanzieren sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Nahe-Null-Zinsen. Gleichzeitig schröpfen sie aber die Kunden mit Dispozinsen von acht bis 14 Prozent. Davon sind alltäglich, allmonatlich zirka 15 Millionen Menschen betroffen – und wohl nicht nur diejenigen, die knapp oder ganz schlecht über die Runden kommen. Der Abzockeumsatz beträgt 39 Milliarden Euro. Jeder Dispoprozentpunkt spült den Banken ungefähr 390 Millionen Euro in die Kassen. In kaum einem europäischen Land verlangen die Geldhäuser so hohe Dispozinsen wie in der Bundesrepublik. Es ist an der Zeit, einem der gigantischsten Täuschungsprojekte Einhalt zu gebieten, das überdies die soziale Enteignung perfektioniert.
Unsere grundsätzliche Kritik an den Banken und der Finanzindustrie, vor allem an den vorläufigen EU-Vorstellungen, sind zu aktualisieren und sollen mit dem Exempel Dispozinsverbrechen verbunden werden. Der Reiz dieser politischen Strategie besteht in der Kombination von zivilem Ungehorsam und Mehrheitsfähigkeit in der Gesellschaft an einem Objekt, das jeder kennt und fast ausnahmslos kritisiert.
Quelle: Junge Welt