The Economist: Wie kam es zur Großen Krise 2008/2009?

  • Der Economist, als eine der führenden Wirtschaftsblättern, ist seinen Lesern immer noch Erklärungen schuldig. Eine Erklärung, wie es zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 gekommen ist. Eine Erklärung, warum sich die kapitalistischen Kernzonen von diesem Wirtschaftseinbruch noch nicht erholt haben.
    Um es vorweg zu nehmen: Der Economist bringt es in seinem Artikel „Crash course. The origins of the financial crisis“ nur zu einer Beschreibung, nicht zu einer Erklärung.
    Der Einfachheit halber zitiere ich den Economist auf Englisch.


    THE collapse of Lehman Brothers, a sprawling global bank, in September 2008 almost brought down the world’s financial system. It took huge taxpayer-financed bail-outs to shore up the industry.


    In den USA flossen Steuergelder in marode Industriebetriebe wie GM, in Deutschland und Europa wurden marode Banken verstaatlicht. Für die Industrie griff die deutsche Regierung in die Arbeitslosenkassen und subventionierte große Bereiche der Industrie mithilfe von Kurzarbeitergeld.
    Trotzdem war die Krise von 2008/2009 die schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren.


    Massive monetary and fiscal stimulus prevented a buddy-can-you-spare-a-dime depression, but the recovery remains feeble compared with previous post-war upturns. GDP is still below its pre-crisis peak in many rich countries, especially in Europe, where the financial crisis has evolved into the euro crisis. The effects of the crash are still rippling through the world economy…
    Was waren die Gründe für das Desaster? Der Economist nennt diese Krise „Finanzkrise“ und findet nur Ursachen im Finanzwesen:


    Start with the folly of the financiers. The years before the crisis saw a flood of irresponsible mortgage lending in America. Loans were doled out to “subprime” borrowers with poor credit histories who struggled to repay them.


    Der Economist behauptet, es sei „Dummheit“ (folly) der Banker gewesen, dass sie Kredite an Hauskäufer vergeben haben, die nicht kreditwürdig waren. Das meine ich nicht. Warum haben sich diese Banker überhaupt solchen einkommensschwachen Schuldnern zugewandt? Die einfache Antwort: Die einkommensstärkeren Schuldner waren schon verschuldet. Es mussten neue „Kundenschichten“ her. Außerdem zeigt sich an der Vorgehensweise der Bankleute, dass sie nicht aus „Dummheit“ handelten, sondern sehr genau wussten, was sie taten. Die Banken vergaben zwar an schlechte Schuldner freigebig Kredit, aber die faulen Kredite verkauften sie wie heiße Kartoffeln an Finanzspekulanten weiter.


    These risky mortgages were passed on to financial engineers at the big banks, who turned them into supposedly low-risk securities by putting large numbers of them together in pools. … The pooled mortgages were used to back securities known as collateralised debt obligations (CDOs), which were sliced into tranches by degree of exposure to default.
    Durch die Bündelung (pooling) von vielen schwachen Kreditverträgen sollte angeblich das Ausfallrisiko dieser Kredite sinken. Damit das den Anschein von Glaubwürdigkeit hat, klebten Ratingagenturen bereitwillig höchste Bonitätsgarantien (triple-A) auf diese Kreditbündel.


    Investors bought the safer tranches because they trusted the triple-A credit ratings assigned by agencies such as Moody’s and Standard & Poor’s. This was another mistake. The agencies were paid by, and so beholden to, the banks that created the CDOs.
    Damit waren die Banken das Kreditrisiko ihrer „Subprime-Kredite“ los – es sei denn sie kauften selbst solche Papiere. Wenn jemand dumm war, dann waren es nicht die Verkäufer dieser CDOs, sondern die Käufer – darunter viele europäische Banken und deren Kunden.


    Zum nächsten Grund, den der Economist für die Krise anführt:
    Low interest rates created an incentive for banks, hedge funds and other investors to hunt for riskier assets that offered higher returns.


    Also herrschte auch bei den Käufern der CDOs weniger Dummheit, als vielmehr ein Mangel an profitablen Anlagesphären. Warum jedoch blieben die Zinsen lange niedrig? Auch das wäre zu erklären.
    Der Economist gibt dafür den Chinesen die Schuld, die ihre boomenden Exporterlöse in amerikanische Staatspapiere anlegten. Dieser Grund kann niemand überzeugen. Die Niedrigzinsphase der Weltwirtschaft begann lange vor dem chinesischen Exportboom.
    Der entscheidende Faktor für niedrige Zinsen war die lahmende Wirtschaftsentwicklung in den kapitalistischen Kernzonen.
    Wie die folgende Grafik zeigt, halbierten sich die durchschnittlichen Wirtschaftswachstumsraten in den USA und den OECD-Staaten seit 1950 von über 4 Prozent bis unter 2 Prozent.



    Vor allem seit 1970 erlahmte die kapitalistische Wirtschaft der Kernzone. Das traf besonders die hochkapitalisierte Industrie. Die Entscheidungsträger der kapitalistischen Kernzonen reagierten mit verschiedenen Mitteln auf die niedrigeren Wachstumsraten ihrer Wirtschaft: Sie verstärkten den Kapitalexport, sie wichen von zentralen Industriebranchen auf Service- und Unterhaltungsbranchen aus. Und sie expandierten die Finanzbranche. Je weniger die normalen Profitquellen sprudeln, desto mehr blüht die Spekulation.
    Ganz früher wurde mit Tulpen spekuliert, später mit Aktien. Die moderne Finanzwirtschaft spekuliert mit „Finanzprodukten“. Das Interessante an den Finanzprodukten ist, dass die Käufer und Verkäufer oft nicht wissen, was die schöne Verpackung mit dem Triple-A-Siegel eigentlich enthält.


    When America’s housing market turned, a chain reaction exposed fragilities in the financial system. Pooling and other clever financial engineering did not provide investors with the promised protection. Mortgage-backed securities slumped in value, if they could be valued at all. Supposedly safe CDOs turned out to be worthless, despite the ratings agencies’ seal of approval. It became difficult to sell suspect assets at almost any price, or to use them as collateral for the short-term funding that so many banks relied on.


    Im dem sich anschließenden weltweiten Crash zeigte sich, dass auch die Finanzindustrie Müll nicht in Gold verwandeln kann, und keine Gewinne aus Luft schaffen kann.
    Plötzlich waren Papiere im Wert von Milliarden Euro wertlos. Plötzlich drängte jeder Gläubiger seine Schuldner darauf, den Schuldendienst peinlich genau einzuhalten, wenn nicht seine Schulden sofort zu begleichen. Jeder sah seinen Besitz dahinschwinden. Das traf Banken und Finanzinstitute in aller Welt, nicht zuletzt in Europa, da europäische Banken sich bis zur letzten Minute noch Papiere aufschwatzen ließen, die andere längst nicht mehr wollten.


    In dieser höchsten Not sprangen die Regierungen ein, kauften marode Banken und Firmen, die sonst keiner gekauft hätte, und fluteten das Finanzsystem mit Geld, weil die Finanzinstitute untereinander sich nicht mehr trauten, sich gegenseitig mit Geld und Kredit zu versorgen. Wo niemand mehr Schulden machte, machten Regierungen Schulden. Wo niemand mehr Kredite geben wollte, gaben Regierungen Kredit.
    Woher hatten die Regierungen das Geld?
    Die Regierungen hatten das Geld nicht. Zur Ausweitung des Finanzsystems und ihrer Bankaktiva hatten Banken zu „Hebeln“ (leverage) gegriffen, um heute mit Geld zu spekulieren, das sie erst morgen und übermorgen einnehmen würden. Die Regierungen dagegen „hebeln“ ihre Staatseinnahmen und geben heute Gelder aus, die sie erst morgen oder übermorgen einnehmen wollen. Banken spekulierten auf künftigen Profit. Regierungen spekulieren auf künftige Staatseinnahmen.
    Das ist um so katastrophaler, als auf diese Regierungen eine Kostenexplosion im Rentensystem und in der Krankheitsversorgung zukommt.


    Die Banken und Finanzinstitute in den USA und in Europa hatten vor der Krise nur mit dem Geld der Reichen gezockt. Seit die Regierungen in den USA und in Europa für die Schuldenkrise des kapitalistischen Finanzsystems aufkamen, zocken sie nicht nur mit dem Geld der Reichen, sondern auch mit dem Geld der Lohnabhängigen, mit unseren Renten- und Krankenkassenbeiträgen.
    Private Finanzlöcher wurden gestopft, indem öffentliche Finanzlöcher aufgerissen wurden. Der Kapitalismus in den Kernzonen schlingert weiter wie bisher. „Goldene Zeiten“ für uns Lohnabhängige sind da nicht zu erwarten.


    Gruß Wal Buchenberg

  • hallo Wal,


    ich habe mal eine frage zu den geldern, die aus unseren taschen herausgenommmen werden:


    haften tut ja in der wirtschaft eigentlich der eigentuemer; wenn aber nun auch die lohnabhaengigen, unsere renten- und krankenkassen, unsere steuergelder dafuer mithaften, muessten sich da nicht auch die eigentumsverhaeltnisse zu gunsten unsereins veraendern? also waere das jedenfalls nicht eine moeglichkeit, um uns unsere eigene rechnung etwas schoener zu rechnen?


    gruss
    roberto

  • Die Lohnabhängigen haften mit ihrer gesamten Existenz in der Tat für den Erfolg "ihrer" kapitalistischen Herren. Das ist im ökonomischen Krieg der Konzerne und Staaten buchstäblich genauso wie im Schießkrieg, da müssen ja auch ganze Jahrgänge der Arbeiterklasse, ganze Wohnviertel usw. dran glauben. "Sie starben, damit Deutschland lebe" hieß es z.B. nach dem Fall von Stalingrad im Völkischen Beobachter. Zum "schöner rechnen" sehe ich weit und breit keinen Ansatz

  • hallo Wal,
    ich habe mal eine frage zu den geldern, die aus unseren taschen herausgenommmen werden:
    haften tut ja in der wirtschaft eigentlich der eigentuemer; wenn aber nun auch die lohnabhaengigen, unsere renten- und krankenkassen, unsere steuergelder dafuer mithaften, muessten sich da nicht auch die eigentumsverhaeltnisse zu gunsten unsereins veraendern? also waere das jedenfalls nicht eine moeglichkeit, um uns unsere eigene rechnung etwas schoener zu rechnen?


    Hallo Roberto,
    deine Fragestellung habe ich nicht verstanden.


    Neoprene hatte dir ja geantwortet:

    Quote


    "Die Lohnabhängigen haften mit ihrer gesamten Existenz in der Tat für den Erfolg "ihrer" kapitalistischen Herren. "


    Das denke ich auch. Wobei man natürlich sagen muss, dass es einem gewissen Teil (vielleicht sogar der Mehrheit) der Lohnarbeiter im europäischen Kapitalismus in "guten Zeiten" relativ gut geht. Aber dieses "Gutgehen" ist immer gefährdet (prekär) und nur ausnahmsweise von Dauer.


    Du willst eine eigene Rechnung über die Eigentumsverhältnisse machen. Das finde ich gut.
    Ich führe mal die (wie ich meine) wichtigsten Zahlen dafür auf:



    Datenquelle Statistische Bundesamt


    Wie würdest du mit diesen Zahlen rechnen?
    Mir fällt daran auf, dass zwar zwei Drittel des im Jahr 2012 produzierten neuen Reichtums an die Lohnarbeiterklasse gefallen ist, aber letztlich ist davon nur ein Drittel (Nettolohn) direkt in die Hände der Lohnarbeiter gelangt. Das andere Drittel (Sozialbeiträge und Steuern) haben die Kapitalisten sofort an die Staatsbürokratie geschoben. Die diese Gelder verwaltet und nach ihrem Gutdünken verwendet - in Krisenzeiten auch für "Rettungsschirme" um Kapitalisten zu retten.


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,
    diese Graphik erscheint mir suspekt. Die Kapital-Einkommen sollen genauso gross sein wie die Netto-Einkommen der abhängig Beschäftigten? Das ist doch kaum anzunehmen. Und was ist mit den Kapital- und indirekten Steuern? Ich halte die Graphik für Augenwischerei.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Hallo Wal,
    diese Graphik erscheint mir suspekt. Die Kapital-Einkommen sollen genauso gross sein wie die Netto-Einkommen der abhängig Beschäftigten? Das ist doch kaum anzunehmen. Und was ist mit den Kapital- und indirekten Steuern? Ich halte die Graphik für Augenwischerei.
    Peter Nowak

    Hallo Peter Nowak,
    das sind die offiziellen Zahlen über Lohn- und Kapitaleinkommen wie sie den Finanzämtern in Deutschland im Jahr 2012 gemeldet wurden. Diese Zahlen benutzen alle Leute, die sich irgendwie zu volkswirtschaftlichen Fragen äußern. Sie zeigen eine Ausbeutungsrate m : v von knapp 50 Prozent. Heißt: zwei Drittel des gesellschaftlichen Arbeitstages der Lohnarbeiter ist bezahlt, ein Drittel ist unbezahlt.
    Ich sehe keinen Sinn darin, an diesen Zahlen lange herumzurechnen, damit sie besser ins linke Weltbild passen.


    Als Hinweis: Die Kapitaleinkommen verteilen sich auf 10 Prozent der Bevölkerung, die Lohneinkommen auf 90 Prozent der Bevölkerung.


    Datenquelle Statistische Bundesamt


    Und: Die offizielle Lohnquote (der Anteil des Lohneinkommens vom Volkseinkommen) lag in den 70er Jahren bei fast 75% und ist seitdem auf 65% gesunken.



    Gruß Wal

  • Hallo Wal,
    gut, wenn das die offiziellen Zahlen sind, haben wir sie caught in the act. Danach bezahlen die Unternehmen also gar keine Steuern, nur wir. Ein Hoch auf die Offenheit unserer Statistiker! Unklar ist halt nur, was mit dem 19 %igen Nettolohnabzug ist, der verschämt als "Mehrwertsteuer" bezeichnet wird.
    Und dann Deine Berechnung der "Ausbeutungsrate": willst Du sagen, dass wir durch den Staat als "geschäftsführendem Ausschuß" der Ausbeuterklasse nicht ausgebeutet werden? So wie ich das sehe, liegt die Ausbeutungsrate nach dieser Darstellung bei knapp 200%.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Gruß Wal Hallo Wal,
    gut, wenn das die offiziellen Zahlen sind, haben wir sie caught in the act. Danach bezahlen die Unternehmen also gar keine Steuern, nur wir. Ein Hoch auf die Offenheit unserer Statistiker! Unklar ist halt nur, was mit dem 19 %igen Nettolohnabzug ist, der verschämt als "Mehrwertsteuer" bezeichnet wird.
    Und dann Deine Berechnung der "Ausbeutungsrate": willst Du sagen, dass wir durch den Staat als "geschäftsführendem Ausschuß" der Ausbeuterklasse nicht ausgebeutet werden? So wie ich das sehe, liegt die Ausbeutungsrate nach dieser Darstellung bei knapp 200%.
    Peter Nowak


    Hallo Peter Nowak,
    nein, nicht so schnell mit den jungen Pferden!
    Die Staatskosten sind in diesen Zahlen ausgeblendet. Es handelt sich überall nur um Einkommen.
    Die Bruttolohnbestandteile der Löhne (gelbes Feld) habe ich extra ausgewiesen, um deutlich zu machen, dass diese Lohnbestandteile von der Staatsbürokratie gegriffen und nach Gutdüngen verteilt werden. Tatsächlich wird damit das "Sozialbudget" bezahlt. Von Arbeitslosengeld über HartzIV bis hin zu Kindergeld etc.pp. Es handelt sich um das Einkommen der inaktiven Lohnabhängigen.
    2012 betrug das Sozialbudget in Deutschland 782 Mrd. Euro. Darin sind aber die Personalkosten in diesem Sektor enthalten. (Die Löhne der Sozialbürokratie müssten auch deshalb hier rausgerechnet werden, weil sie schon in der Gesamtlohnsumme (1.377,5 Mrd) enthalten sind.)
    Im 19. Jahrhundert mussten die Lohnarbeiter selbst für die Risiken der Lohnarbeit (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit) vorsorgen. Das geschah oft über genossenschaftliche Kassen. Bismarck hat diese Vorsorgekassen verstaatlicht, was ihm heute noch alle Staatsgläubigen als Verdienst anrechnen. Tatsächlich wurden und werden die Lohnarbeiter durch die staatlichen Lohnabzüge entmündigt.



    Gruß Wal

  • Hallo Wal,
    Tatsache ist doch aber, dass den Lohnarbeitern die Kontrolle über diesen Teil ihres Lohnes bzw. Gehaltes entzogen ist. Sie können weder entscheiden, ob sie bezahlen oder nicht (was wir der SPD verdanken, die in der Weimarer Republik den automatischen Steuereinzug einführte), noch wozu die Mittel verwendet werden. Dass zum Beispiel die Rentenkassen im großen Stil geplündert werden, ist doch auch seit Bismarck bekannt. Also ist dieser Teil des Lohnes/Gehaltes Teil der Ausbeutung, wie der Nettolohnabzug der Mehrwertsteuer. So muss man es, denke ich, sehen und deshalb beharre ich darauf. Die wirkliche Ausbeutungsrate ist also ebenso höher wie die tatsäcfhliche Profitrate, die ja auch einige hundert Prozent beträgt.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Hallo Peter Nowak,
    die Kontrolle über die Bruttobestandteile des Lohns sind der Lohnarbeiterklasse entzogen. Das ist wahr und das ist ein Ärgernis, das nur durch die direkte Selbstverwaltung der Sozialversicherungen aus der Welt geschafft werden kann.
    Aber tatsächlich bilden diese Gelder in der Hauptsache wieder Lohneinkommen für die lohnabhängigen Rentner, Kranken, Arbeitslosen usw.
    Als "Ausbeutung" kann man meines Erachtens nur die Werte nennen, die in den Taschen der Kapitalisten landen.


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,
    nein, Ausbeutung ist es auch, wenn ich nicht entscheiden kann, was mit diesem Teil meines Lohnes geschieht. Zumal ja die Rentenkassen auch Kapitalgeber für die Ausbeuter sind, deshalb müssen ja ständig die Rentengesetze angepasst werden. Ausserdem ist der Staat (soweit wir die >BRD< als solchen akzeptieren wollen) ja nur der geschäftsführende Ausschuss der Ausbeuterklasse. Was in seinen Klauen landet, landet also in den Klauen der Ausbeuter.
    Achso noch was: eigentlich gilt ja angeblich das Verursacherprinzip, das heisst, wer einen Schaden verursacht, muss für die Kosten aufkommen. Nun sind aber die Verursacher der Arbeitslosigkeit zweifellos die Ausbeuter, ebenso in den meisten Fällen die Verursacher der Pflegebedürftigkeit von Arbeitern. Also müssten sie dafür aufkommen und auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich der Zwangsabzug vom Lohn für die Sozialversicherungen als Ausbeutung.
    Aber nochmal zum Ursprung zurück: wenn das nur die lohnabzüge für die Sozialversicherungen sein würden, müssten wir ja 50% unserer Löhne/Gehälter für Sozialversicherungen aufwenden. Das ist aber nicht der Fall, also stimmt doch da was nicht.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)


  • Hallo Wal,
    nein, Ausbeutung ist es auch, wenn ich nicht entscheiden kann, was mit diesem Teil meines Lohnes geschieht.


    Hallo Peter Nowak,
    das ist nur ein "halber" Gesichtspunkt. Leute, deren Lohn so gerade zum Leben reicht, können auch nicht wirklich entscheiden, was mit ihrem Lohn geschieht. Sie MÜSSEN ihn für ihren Lebensunterhalt ausgeben.
    Da stimmt dann, worauf Wat. hingewiesen hat: Die Klassenzugehörigkeit bestimmt sich nach der Einkommensquelle.



    Zumal ja die Rentenkassen auch Kapitalgeber für die Ausbeuter sind, deshalb müssen ja ständig die Rentengesetze angepasst werden. Ausserdem ist der Staat (soweit wir die >BRD< als solchen akzeptieren wollen) ja nur der geschäftsführende Ausschuss der Ausbeuterklasse. Was in seinen Klauen landet, landet also in den Klauen der Ausbeuter.

    Auch hier gilt: Woher stammt das Geld? Das Geld stammt aus dem Lohntopf. Die Kapitalisten rechnen den Bruttolohn (plus Lohnnebenkosten, die wir außer Acht gelassen haben) zu den Lohnkosten. Die Bruttolohnbestandteile bekommen zwar nicht die aktiven Lohnarbeiter, aber andere Teile der Lohnabhängigen: Rentner, Kranke, Arbeitsunfähige etc.


    Üblicherweise sagen alle Staatsgläubigen: Diese Armutsbevölkerung wird vom Staat unterhalten. Deshalb ist der Staat ein guter Sozialstaat. Ich sage: All dieses Geld stammt aus dem Lohntopf, nämlich aus dem Bruttobestandteil des Lohns. Tatsächlich wird diese Armutsbevölkerung auch aus Lohn bezahlt. Sie sind Lohnabhängige und gehören auch zur Lohnarbeiterklasse. Und die Bruttolohnbestandteile müssen direkt an die Lohnarbeiter ausbezahlt werden. Damit sie dieses Geld verwalten und verteilen. Das wird die bürokratische Schikane der Sozialbürokratie beseitigen und das Lebensniveau der Armen verbessern. Selbstverwaltung der Sozialversicherungskassen ist das linke Alternativkonzept gegenüber der Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen, das die Abhängigkeit von der Staatsbürokratie nicht beseitigt, sondern den Staatsbürokraten noch einen viel größeren Teil des gesellschaftlichen Reichtums in die Hände und zur Verwaltung gibt.




    Aber nochmal zum Ursprung zurück: wenn das nur die lohnabzüge für die Sozialversicherungen sein würden, müssten wir ja 50% unserer Löhne/Gehälter für Sozialversicherungen aufwenden. Das ist aber nicht der Fall, also stimmt doch da was nicht.

    Ja, die Zahlen sind nicht präzise. Bei Gelegenheit bohre ich da mal tiefer und versuche herauszufinden, wie hoch genau diese Sozialtransfers sind, die an nichtaktive Lohnabhängige ausbezahlt werden.
    Ich denke aber, diese Diskussion hat deine und meine Gesichtspunkte hinreichend deutlich gemacht:
    Du sagst mit Recht: Die Bruttobestandteile des Lohns erhalten die (aktiven) Lohnarbeiter nicht. Du sagst: Die Bruttobestandteile gehören dem Staat.
    Ich sagte mit Recht: Mit dem Großteil dieser Bruttolohnbestandteile wird der Lebensunterhalt von nichtaktiven Lohnabhängigen bezahlt. Ich sage: Die Bruttobestandteile des Lohns sind die Einkommensquelle der nichtaktiven Lohnabhängigen.
    Von mir aus können wir es fürs Erste bei diesem Stand belassen.
    Gruß Wal

  • Ausbeutung

    ... ist es immer nach der Mittelherkunft - nicht nach der Mittelverwendung.

    Hallo Wat,
    so what? (entschuldige das Wortspiel, konnte ich mir einfach nicht verkneifen). Der Profit der Ausbeuter stammt genauso aus der angewandten Arbeitskraft wie die Mästung ihres Staates oder die Beiträge der Sozialversicherungen.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Peter Nowak : War mein Hinweis darauf, daß es immer Ausbeutung ist, wenn die die herstellen/arbeiten, nicht auch wirklich in persona die sind, die entscheiden, was mit dem Geschaffenen geschieht/geschehen soll...
    ... wer diese Ausbeutung 'betreibt', ist da schon 'unwesentlicher'. ;-)

  • Hallo Wal,

    Hallo Peter Nowak,
    das ist nur ein "halber" Gesichtspunkt. Leute, deren Lohn so gerade zum Leben reicht, können auch nicht wirklich entscheiden, was mit ihrem Lohn geschieht. Sie MÜSSEN ihn für ihren Lebensunterhalt ausgeben.
    Da stimmt dann, worauf Wat. hingewiesen hat: Die Klassenzugehörigkeit bestimmt sich nach der Einkommensquelle.

    Selbstverständlich, die werden auch besonders stark ausgebeutet. Und die Klassenzugehörigkeit bestimmt sich meines Wissens nach durch die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und nicht nach der Herkunft der Einkommen. Oder willst Du sagen, dass ein VW-Knecht, der seinen Jahreswagen verhökert, Ausbeuter ist, weil der Erlös daraus nicht aus seinem Lohn stammt?


    Wal Buchenberg schrieb:
    "Auch hier gilt: Woher stammt das Geld? Das Geld stammt aus dem Lohntopf. Die Kapitalisten rechnen den Bruttolohn (plus Lohnnebenkosten, die wir außer Acht gelassen haben) zu den Lohnkosten. Die Bruttolohnbestandteile bekommen zwar nicht die aktiven Lohnarbeiter, aber andere Teile der Lohnabhängigen: Rentner, Kranke, Arbeitsunfähige etc. "



    Erstmal zu den sogenannten >Lohnnebenkosten<: Es ist nur äusserer Schein, dass die Ausbeuter die bezahlen. In Wirklichkeit werden die auf den Preis geschlagen und auch von den Arbeitern (nämlich als Konsumenten) bezahlt. Das Geseier der Ausbeuter über "zu hohe Lohnnebenkosten" vor einiger Zeit ging in Wirklichkeit nur darum, ihren Profit zu erhöhen. "Wer das Geld liebt, wird des Geldes nicht satt" (Bibel: Prediger 5, 10). Sodann bekommt den Hauptteil der "Bruttolohnbestandteile" der Moloch "Staat" (wenn wir die >BRD< mal als solchen ansehen wollen), nicht die Versicherungskassen.



    Wal Buchenberg schrieb:
    "Üblicherweise sagen alle Staatsgläubigen: Diese Armutsbevölkerung wird vom Staat unterhalten. Deshalb ist der Staat ein guter Sozialstaat. Ich sage: All dieses Geld stammt aus dem Lohntopf, nämlich aus dem Bruttobestandteil des Lohns. Tatsächlich wird diese Armutsbevölkerung auch aus Lohn bezahlt..."



    Richtig, wie gesagt, das "Verursacherprinzip" verlangt eine Änderung dieses Zustandes.



    Wal Buchenberg schrieb:
    " Und die Bruttolohnbestandteile müssen direkt an die Lohnarbeiter ausbezahlt werden. Damit sie dieses Geld verwalten und verteilen. Das wird die bürokratische Schikane der Sozialbürokratie beseitigen und das Lebensniveau der Armen verbessern."



    Das würde aber nur eine Bürokratie durch eine andere Bürokratie ersetzen. Zudem ist es unter den gegebenen Umständen unrealistisch, dass alle abhängig Beschäftigten die Kontrolle über diese Fonds ausüben könnten. Wahrscheinlich würden sich das dann die Gewerkschaftsheinis unter den Nagel reissen, genau wie die Kontrolle der Krankenkassen und da bringen sie auch nur was für die (höheren) Angestellten (z.B.: ich bin Vegetarier, Nichtraucher und trinke keinen Alkohol. kriege ich dafür irgendwelche Vergünstigungen? Nada! Aber wenn ein Schreibtischhengst seinen Bewegungsmangel durch die Mitgliedschaft in nem Sportverein kompensiert, zahlt ihm die Krankenkasse den Mitgliedsbeitrag! ). Das wird so also keinen Zweck haben. In diesem Regime muss geklotzt werden, nicht gekleckert.


    Wal Buchenberg schrieb:
    "Selbstverwaltung der Sozialversicherungskassen ist das linke Alternativkonzept gegenüber der Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen, das die Abhängigkeit von der Staatsbürokratie nicht beseitigt, sondern den Staatsbürokraten noch einen viel größeren Teil des gesellschaftlichen Reichtums in die Hände und zur Verwaltung gibt."




    Ja, die Forderung kenne ich noch aus seligen KBW-Zeiten. Zugrunde liegt dem aber das stalinistische Konzept von Funktionären, die das für die Klasse überwachen, was nur eine kleinbürgerliche Herrschaft an die Stelle der grossbürgerlichen setzt. Für die Arbeiter ist damit nicht wirklich was gewonnen. Zumal sich das für eine sozialistische Gesellschaft als kontraproduktiv erweisen würde, denn solche Apparate haben hohe Beharrungskräfte und werden sich nur schwer abbauen lassen. Wie soll dann aber der Staat verschwinden? Ich bin dafür, alle diese bürokratischen Apparate zu zerschlagen UND DANN die Regelung und Kontrolle in die Hände des in Kommunen organisierten Volkes zu übergeben. Das würde es zumindest möglich machen, dass die Betroffenen direkten Einfluss darauf nehmen (auf Höhe und Verwendung der Mittel), nicht über Funktionäre.


    Wal Buchenberg schrieb:
    "Ja, die Zahlen sind nicht präzise."



    Das ist sehr verharmlosend. Ich vermute mal, damit ist das gesamte Steueraufkommen erfasst, denn das könnte in etwa stimmen. Würde auch zum Regime passen, nicht zu zeigen, welchen Anteil die Ausbeuter daran haben, könnte ja zu "Unmut" führen.



    Wal Buchenberg schrieb:
    Bei Gelegenheit bohre ich da mal tiefer und versuche herauszufinden, wie hoch genau diese Sozialtransfers sind, die an nichtaktive Lohnabhängige ausbezahlt werden. Ich denke aber, diese Diskussion hat deine und meine Gesichtspunkte hinreichend deutlich gemacht:
    Du sagst mit Recht: Die Bruttobestandteile des Lohns erhalten die (aktiven) Lohnarbeiter nicht. Du sagst: Die Bruttobestandteile gehören dem Staat.
    Ich sagte mit Recht: Mit dem Großteil dieser Bruttolohnbestandteile wird der Lebensunterhalt von nichtaktiven Lohnabhängigen bezahlt. Ich sage: Die Bruttobestandteile des Lohns sind die Einkommensquelle der nichtaktiven Lohnabhängigen."


    Ist nicht ganz korrekt: Ich sage, MIT EINEM TEIL der Bruttolohnbestandteile wird das Einkommen der nicht beschäftigten Teile der Arbeiterklasse bezahlt, der HAUPTTEIL wird vom Staat (wenn wir die >BRD< als solchen ansehen wollen) vereinnahmt, um den Ausbeutern ihre "Infrastruktur" zu liefern, in Stand zu halten und zu verbessern.


    Wal Buchenberg schrieb:
    "Von mir aus können wir es fürs Erste bei diesem Stand belassen."



    Einverstanden.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Peter Nowak : War mein Hinweis darauf, daß es immer Ausbeutung ist, wenn die die herstellen/arbeiten, nicht auch wirklich in persona die sind, die entscheiden, was mit dem Geschaffenen geschieht/geschehen soll...
    ... wer diese Ausbeutung 'betreibt', ist da schon 'unwesentlicher'. ;-)

    Hallo Wat,
    ich stimme völlig zu, aber die ursprüngliche Frage war doch, ob es nicht ebenso Ausbeutung ist, wenn der Staat (wenn wir das >BRD<-Regime mal als solchen ansehen wollen) mir 50% meines Lohnes abknöpft, um sie wieder den Ausbeutern in ihr gieriges Maul zu stopfen. Schliesslich agiert das Regime ja nicht in meinem Interesse als Arbeiter, sondern im Interesse der Ausbeuter.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Peter Nowak : Klar ist das Ausbeutung, aber nicht durch den/ einen Staat, es bleibt in diesem Fall die Ausbeutung durch die Kapitalisten. Staat ist ein Machtinstrument, von und durch sich allein macht das nichts.
    Ich denke, da sind wir einig.


    Ja, sicher zeigt sich die Stellung in der Gesellschaft nach der Stellung zu den Produktionsmitteln - und damit danach - wovon das Leben bestritten wird.
    Der Besitz von Produktionsmitteln allein reicht by the way nicht aus - dann hätten die Lohnarbeiter schon (fast) alle...^^


    (Wenn der VW-Arbeiter seinen Wagen verkauft, hat er genau wen oder was ausgebeutet um a) den Wagen zu haben und b) das Geld dafür zu bekommen - nimm bitte nicht gar zu hinkende Beispiele - Danke)


  • Der Besitz von Produktionsmitteln allein reicht by the way nicht aus - dann hätten die Lohnarbeiter schon (fast) alle...^^


    (Wenn der VW-Arbeiter seinen Wagen verkauft, hat er genau wen oder was ausgebeutet um a) den Wagen zu haben und b) das Geld dafür zu bekommen - nimm bitte nicht gar zu hinkende Beispiele - Danke)

    1. Es handelt sich um die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, insofern um den Besitz. Aber die Verfügungsgewalt erfolgt entweder direkt durch oder im Interesse des Eigentümers der Produktionsmittel, insofern handelt es sich um das Eigentum an den Produktionsmitteln. In der Sowjetunion oder den sogenannten >sozialistischen< Staaten waren vorgeblich "die Werktätigen" selbst Eigentümer der Produktionsmittel (z.B. "VEB"), tatsächlich hatten sie aber weder die Rechte des Eigentümers noch des Besitzers (nicht einmal Streikrecht!), sondern diese wurden von den Funktionären ausgeübt, die eine neue (kleinbürgerliche) herrschende Klasse bildeten. Daher ist nichtmal die formale Bezeichnung ausschlaggebend, sondern die reale Verfügungsgewalt (was wird wann, von wem, in welchen Mengen wofür produziert). Alles andere ist Betrug.


    Zum VW-Arbeiter: Inzwischen ist es ja für die nicht mehr so einfach möglich, ihre Jahreswagen mit Gewinn zu verkaufen, insofern hast Du recht, dass das Beispiel hinkt. Aber erstens ist es völlig belanglos, dass sie den Wagen von ihrem Lohn/Gehalt bezahlt haben und zweitens haben sie zumindest bis dahin einen Profit beim Verkauf gemacht. Das zeigt zwar eine bürgerliche Denkweise, macht sie aber noch nicht zu Ausbeutern, denn es ist ja nur eine Ausnahme.

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • In der Sowjetunion oder den sogenannten >sozialistischen< Staaten waren vorgeblich "die Werktätigen" selbst Eigentümer der Produktionsmittel (z.B. "VEB"), tatsächlich hatten sie aber weder die Rechte des Eigentümers noch des Besitzers (nicht einmal Streikrecht!), sondern diese wurden von den Funktionären ausgeübt, die eine neue (kleinbürgerliche) herrschende Klasse bildeten. Daher ist nichtmal die formale Bezeichnung ausschlaggebend, sondern die reale Verfügungsgewalt (was wird wann, von wem, in welchen Mengen wofür produziert). Alles andere ist Betrug.


    Da sind wir uns ja so was von einig, noch einiger geht gar nicht :thumbsup:


    Btw. ob diese herrschende Klasse dann kleinbürgerlich ist, ist nicht mein Thema - daß eine Minderheit über die Mehrheit herrschte und wie es wieder dazu käme - das ist/wäre meins.


  • Wal Buchenberg schrieb:
    "Selbstverwaltung der Sozialversicherungskassen ist das linke Alternativkonzept gegenüber der Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen, das die Abhängigkeit von der Staatsbürokratie nicht beseitigt, sondern den Staatsbürokraten noch einen viel größeren Teil des gesellschaftlichen Reichtums in die Hände und zur Verwaltung gibt."


    Ja, die Forderung kenne ich noch aus seligen KBW-Zeiten. Zugrunde liegt dem aber das stalinistische Konzept von Funktionären, die das für die Klasse überwachen, was nur eine kleinbürgerliche Herrschaft an die Stelle der grossbürgerlichen setzt. Für die Arbeiter ist damit nicht wirklich was gewonnen. Zumal sich das für eine sozialistische Gesellschaft als kontraproduktiv erweisen würde, denn solche Apparate haben hohe Beharrungskräfte und werden sich nur schwer abbauen lassen. Wie soll dann aber der Staat verschwinden? Ich bin dafür, alle diese bürokratischen Apparate zu zerschlagen UND DANN die Regelung und Kontrolle in die Hände des in Kommunen organisierten Volkes zu übergeben. Das würde es zumindest möglich machen, dass die Betroffenen direkten Einfluss darauf nehmen (auf Höhe und Verwendung der Mittel), nicht über Funktionäre.


    Nicht bei mir und soviel ich von Wal und seiner Unterschrift unters Bochumer Programm weiß, bei ihm auch nicht...


    Du meinst also Zerschlagen und dann übergeben. Wer zerschlägt und wer übergibt. Meine innere Alarmuhr signalisiert mir da das leninsche/stalinsche Konzept.


    Nee, die Menschen selber müssen sich das aneignen wollen. Die Zerschlagung oder Enteignung bringt nur die (für mich) bekannte Sauce.
    Sie müßten mE 'gleich' zb. die Verwaltung der Sozialkassen in die eigenen Hände nehmen wollen.
    Dafür könnten sie möglicherweise sogar das alte Konstrukt der Verwaltung übernehmen. Es müßte 'nur' jeweils vor Ort angesiedelt sein, nur eine Kasse (ihre) beinhalten und alle anderen, die da jetzt noch drin rumwuseln, wie AG-Vertreter und Gewerkschaftler gehen vor die Tür. Stattdessen hat da vor Ort jeder seine eigene Stimme drin.

  • Das ist aber von entscheidender Wichtigkeit, zumindest für die Arbeiter. Daraus ist nämlich zu entnehmen, dass man den Intellektuellen (wenn wir sie mal so ansehen wollen) nicht die Führung überlassen darf. Das war aber in der SU und den anderen sozialistischen Ländern der Fall. Das niederträchtige daran ist, dass sie ihr eigenes Unvermögen der Arbeiterklasse anlasten (nebenbei: genau diese Verhaltensweise, nicht für die eigenen Fehler geradezustehen, ist der Grund, weshalb die Intellektuellen kein besonders hohes Ansehen unter Arbeitern geniessen, jedenfalls unter solchen, die mit ihnen zu tun haben). Dass Walter U. oder Honni Arbeiter waren spricht nicht dagegen, denn die sind in den Parteischulen ausgebildet worden und sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg Intelektuelle geworden.

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Du meinst also Zerschlagen und dann übergeben. Wer zerschlägt und wer übergibt. Meine innere Alarmuhr signalisiert mir da das leninsche/stalinsche Konzept.


    Nee, die Menschen selber müssen sich das aneignen wollen. Die Zerschlagung oder Enteignung bringt nur die (für mich) bekannte Sauce.
    Sie müßten mE 'gleich' zb. die Verwaltung der Sozialkassen in die eigenen Hände nehmen wollen.
    Dafür könnten sie möglicherweise sogar das alte Konstrukt der Verwaltung übernehmen. Es müßte 'nur' jeweils vor Ort angesiedelt sein, nur eine Kasse (ihre) beinhalten und alle anderen, die da jetzt noch drin rumwuseln, wie AG-Vertreter und Gewerkschaftler gehen vor die Tür. Stattdessen hat da vor Ort jeder seine eigene Stimme drin.

    Wer zerschlägt? Weiss ich nicht, nur wer es zerschlagen sollte, weiß ich: Die Arbeiterklasse mit ihren Verbündeten. Wer übergibt? Eigentlich die Revolutionäre sich selbst. Das verlangt eine Erklärung: Eine Revolution richtet sich gegen das Regime und ist daher ein zentrales Event. Die Regelungen sollten dann aber auf kommunaler Ebene geschehen, also muss das im Rahmen einer Verfassung geregelt werden. Das meinte ich mit "übergeben".
    Im Prinzip stimme ich Dir zu, nur dass meine Perspektive etwas weiter gesteckt ist. Für mich ist die Revolution nicht das Ende des Weges, sondern der Anfang. Sie schafft nur die MÖGLICHKEIT, sich wirklich zu einer herrschaftsfreien, klassenlosen, ökologischen Gesellschaft zu entwickeln, aber eben auch die Möglichkeit, wieder zum Ausbeuterregime zurück zu kehren. Meine Perspektive ist der Kommunismus bzw. die Anarchie (die sich ja nicht in der Zielvorstellung unterscheiden, sondern im Weg). Demzufolge kann ich zwar die aufgeblähten Verwaltungen als Übergangserscheinung akzeptieren, aber nicht als dauerhafte Einrichtung. Wenn also der Sozialismus nach Lenin durch das Absterben des Staates bestimmt ist (ein Anspruch, den er selbst nicht erfüllt hat!), dann muss zwangsläufig nicht nur die Produktionsweise (die Fabrikproduktion) geändert werden, sondern auch die Verwaltung Stück für Stück abgeschafft und wegrationalisiert werden. Die notwendige Arbeit muss auf das absolut erforderliche Mass begrenzt werden, nur dann wird es weitestgehende Entscheidungsfreiheit geben, ob ich vormittags für die Gesellschaft arbeite oder fischen gehe.
    Peter Nowak

    "So Ihr aber begehrt, ein wahrer Mann der Wissenschaft zu werden und nicht nur ein schäbiger Handlanger und Experimentator, so beherzigt meinen Rat und beschäftigt Euch mit sämtlichen Zweigen der Naturwissenschaft, einschließlich jenes der Mathematik" (Mary W. Shelly: Frankenstein)

  • Wer zerschlägt? Weiss ich nicht, nur wer es zerschlagen sollte, weiß ich: Die Arbeiterklasse mit ihren Verbündeten. Wer übergibt? Eigentlich die Revolutionäre sich selbst. Das verlangt eine Erklärung: Eine Revolution richtet sich gegen das Regime und ist daher ein zentrales Event. Die Regelungen sollten dann aber auf kommunaler Ebene geschehen, also muss das im Rahmen einer Verfassung geregelt werden. Das meinte ich mit "übergeben".
    Im Prinzip stimme ich Dir zu, nur dass meine Perspektive etwas weiter gesteckt ist. Für mich ist die Revolution nicht das Ende des Weges, sondern der Anfang. Sie schafft nur die MÖGLICHKEIT, sich wirklich zu einer herrschaftsfreien, klassenlosen, ökologischen Gesellschaft zu entwickeln, aber eben auch die Möglichkeit, wieder zum Ausbeuterregime zurück zu kehren. Meine Perspektive ist der Kommunismus bzw. die Anarchie (die sich ja nicht in der Zielvorstellung unterscheiden, sondern im Weg). Demzufolge kann ich zwar die aufgeblähten Verwaltungen als Übergangserscheinung akzeptieren, aber nicht als dauerhafte Einrichtung. Wenn also der Sozialismus nach Lenin durch das Absterben des Staates bestimmt ist (ein Anspruch, den er selbst nicht erfüllt hat!), dann muss zwangsläufig nicht nur die Produktionsweise (die Fabrikproduktion) geändert werden, sondern auch die Verwaltung Stück für Stück abgeschafft und wegrationalisiert werden. Die notwendige Arbeit muss auf das absolut erforderliche Mass begrenzt werden, nur dann wird es weitestgehende Entscheidungsfreiheit geben, ob ich vormittags für die Gesellschaft arbeite oder fischen gehe.
    Peter Nowak


    Dann haben wir zwei Beide da einen grundlegenden Dissens. Ich sehe die Revolution, die eigentliche entscheidende gegen das politische Konstrukt "kapitalistischer Staat", am Ende des Weges, um den Aneignungsprozeß der Menschen (Lohnabhängigen) abzusschließen.
    Steht sie am Anfang, machen sie ein paar mehr oder weniger Revolutionäre, meinetwegen auch mit Unterstützung der Lohnabhängigen und sie entscheiden, was dann die nicht gleich Revolutionäre schon dürfen oder sollen.


    Btw. so etwas meinte ich, als ich weiter oben schrieb: mein Thema [ist], daß eine Minderheit über eine Mehrheit herrschte und wie es wieder dazu käme.

  • Dann gehst Du stillschweigend davon aus, dass ich Lenins Unsinn, die Bolschewiki seien die Arbeiterklasse, reproduziere. Das ist aber nicht der Fall. Wenn ich Klasse sage, meine ich Klasse und nicht Partei oder Organisation. Insofern sehe ich nicht recht, wo da der Dissens liegen soll. Natürlich muss aber eine Revolution (wie jede gewaltsame Auseinandersetzung) sachkundig geführt werden, denn was geschieht, wenn es eine solche Führung nicht gibt, hat 1918 sehr schön gezeigt. Und die Strauchdiebe von der SPD gibt's ja immer noch. Der Punkt dabei ist aber, dass diese Organisation der Revolution NICHT die Macht übernehmen darf, denn das würde dann in der Tat nur eine Autorität durch die andere, einen Staat durch einen anderen, eine Ausbeutung und Unterdrückung durch eine andere ersetzen. Immerhin, die Pariser Commune hat gezeigt, dass sowas wirklich geschehen kann, aber das waren eben mehrheitlich Anarchisten (Proudhon-Anhänger) und was man heute "Terroristen" nennen würde (Anhänger von Blanqui).
    Peter Nowak

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