Aus dem Niedriglohnsektor

  • „Ich klage auf gleiche Bezahlung“
    DAVID H., 53, verheiratet, 2 Kinder, Schichtleiter in der Weiterverarbeitung im Axel-Springer-Druckhaus in Berlin-Spandau, Monatslohn: 800 Euro netto
    "Zwei Metallbänke mit Tisch unter einer Treppe, das ist unser Pausenraum. Zwei Meter entfernt von der laufenden Maschine. In die Kantine können die Leiharbeiter bei uns nicht gehen. Weil wir mehr als die Springer-Beschäftigten bezahlen müssen, und die Preise echt saftig sind. Wir sind hier im Druckhaus 230 Leiharbeiter und knapp 300 Springer-Leute. Ich fege auch die Straße, wenn der Stundenlohn stimmt, aber hier stimmt er schon lange nicht mehr. Die Beilagen-Einleger von Springer haben einen Stundenlohn von 14,38 Euro. Unsere Leute, die danebenstehen und genau die gleiche Arbeit machen, bekommen 6,19 Euro die Stunde. Ich als Schichtleiter verdiene 7,16 Euro die Stunde, mein Springer-Kollege 19,38 Euro. Aber ich nehme das nicht mehr hin, dass sich unsere Leute für so einen Stundenlohn quälen. Wir haben insgesamt 165 Rentner und 29 Schwerbehinderte unter uns. Eine Rentnerin, ungefähr 60 Jahre alt, ist schon ganz am Ende, schnauft nur noch. Auf sie achte ich besonders, man hat ja eine Verantwortung.


    Bei einem Kollegen, den ich zum Ende des Monats mal zuhause besucht habe, stand im Kühlschrank nichts weiter als eine Flasche Mineralwasser. Das ist doch unvorstellbar, dass man nichts mehr zu essen hat. Ich habe vor Gericht unseren Arbeitgeber, die Stark GmbH, eine Leiharbeitsfirma, auf gleiche Bezahlung verklagt, also equal pay, wie man das nennt. Weil der Stundenlohn eben nicht stimmt, bekommen wir nämlich auch keine jungen und starken Leute. Unser Durchschnittsalter liegt bei 45 bis 60 Jahren.


    Wir haben Ingenieure, Ärzte, Studenten, Schlosser, Rentner und Rentnerinnen unter uns. Gut ein Drittel sind Frauen. 16 von meinen Kollegen klagen ebenfalls auf equal pay. Aber hier stimmen ja auch andere Dinge nicht, abgesehen von der Bezahlung. Vor einem Jahr wurden die Stapler-Fahrer abgeschafft. Jetzt ziehen wir ungefähr eine Tonne vom Wickel mit Beilagen von Maschine eins bis zu Maschine neun. Es gibt keine Bremse, die Unfallgefahr ist groß, und zudem ziehen wir das Dreifache von dem, was ein Mensch ziehen darf. An solchen Stellen versuchen wir, mit dem Betriebsrat etwas zu verändern. Oder an unserem Pausenraum, der keiner ist. Ich bin seit zwei Jahren auch Mitglied im Betriebsrat. Vor dem Landesarbeitsgericht bin ich mit meiner Klage auf gleiche Bezahlung inzwischen schon erfolgreich gewesen, aber Stark hat noch die Möglichkeit, Revision einzulegen. Dann geht's vorm Bundesarbeitsgericht weiter. Ich will keine Abfindung, das nutzt gar nichts, dann geht es im Betrieb ja so weiter."


    „Ich werde nicht von Hartz IV leben können“
    Friedrich Karl B., 59, geschieden, 2 Kinder, lebt auf einem Campingplatz bei Groß Gerau, war zuletzt als Schulhausmeister beschäftigt, für 1140 Euro netto im Monat
    "Ich habe immer wieder von vorne angefangen, ganz oft in meinem Leben. Gelernt habe ich Fernmeldetechniker. Aber ich habe schon immer gern gebaut. Und ich liebe Schrägen. 1976 habe ich mit einem Freund meine erste Schreinerei aufgebaut. Dann wurde am Flughafen in Nürnberg eine große Schreinerei für 30.000 DM verkauft und mit der habe ich mich allein selbstständig gemacht. Das lief zwei, drei Jahre gut, bis eine Küche nicht mehr bezahlt werden konnte. Mit einem Schlag lief das Geschäft nicht mehr. Ich habe Konkurs angemeldet, die Bank hat umgeschuldet, meine Eltern haben gebürgt. Ich habe mich seither nicht mehr verschuldet. Habe erstmal in einem Restaurant geputzt und Mülleimer geleert. Aber ich wollte weiter Möbel bauen. Und habe dann über Ebay angefangen, mit Bambus und Holz zu handeln, und schließlich aus Bambus meine erste Theke für das Restaurant gebaut, in dem ich gejobbt habe. Aus Bambus habe ich dann alles Mögliche gebaut, Betten, Tische, Stühle, so ziemlich alles.


    Bergab ging es mit dem Alkohol. Es kam zur Trennung von meiner Frau und den Kindern, ich saß auf einmal allein in unserem Haus und war depressiv. Ich bin dann zur Suchthilfe gegangen, für die ich später viele Jahre ehrenamtlich tätig war. Vor vier Jahren bin ich nach Groß Gerau gekommen, wegen der Liebe. Aber sie hielt nicht lange. Ich hatte irgendwann nur noch das Auto meines Sohnes, kein Geld und keine Arbeit mehr. Der Tod wäre eine Erlösung gewesen, aber ich bin dann in die Obdachloseneinrichtung gegangen, über die ich zu einer Wohnung und schließlich über die Job-Agentur zu der Fortbildung zum Schulhausmeister gekommen bin. Da habe ich zuletzt 1140 Euro netto verdient, aber jetzt ist die Förderung der Stelle nach drei Jahren ausgelaufen. Die brauchen mich in der Schule, aber die Schule hat kein Geld für die Stelle. Die bekommen als nächstes wieder einen Neuen aus der Förderungsmaßnahme, den ja die Agentur bezahlt.


    Ich lebe hier auf dem Campingplatz, weil das am billigsten ist, 2000 Euro im Jahr für den Platz, Strom und Wasser. Aber ich weiß genau, dass ich nicht von Hartz IV werde leben können. Ich werde noch einmal von vorne anfangen müssen."


    Aus der Ver.di-Gewerkschaftszeitung Publik: http://publik.verdi.de/2013/au…reportage/seiten-12-13/A5
    eingestellt von ver.di-Mitglied W. Buchenberg

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