• Wie denkt ein Demenzkranker?

    Täglich habe ich mit zwei Menschen zu tun, die an (vaskulärer) Demenz leiden, und täglich gibt es neue Aufreger, wenn ihr Verhalten nicht dem entspricht, was meine Frau und ich uns vorgestellt oder gewünscht hatten.

    Ich frage mich dann, was geht in diesen Menschen vor?

    Das sind meine Vorstellungen, was in ihren Köpfen vorgeht:

    Meine Vorstellung beginnt bei den gepunkteten Bildern, mit denen wir Farbenblindheit überprüfen. Wie zum Beispiel hier



    So ein gepunktetes Bild symbolisiert für mich unser „gesundes Denken“. Wir sammeln ständig hunderte Daten und Informationen (das Bild enthält rund 500 farbige Punkte) und verarbeiten das zu einem Urteil. In dem Farben-Bild ergibt das Urteil eine Zahl.


    Bei einem Demenzkranken gehen im Hirn immer mehr Datenverbindungen verloren, dann fehlen im Kopf des Demenzkranken von den 500 Punkten vielleicht 10, 30 oder 50 Punkte, und mit jedem Tag und jeder Woche gehen ihm weitere Bildpunkte verloren. Für einen Demenzkranken sieht das obige Bild ungefähr so aus:


    Das Fehlen von Bildpunkten bleibt dem Demenzkranken nicht verborgen, er hat größere Mühe als wir, einen Gedanken zu finden und zu formulieren. Und er hat Mühe, seine Gedanken zu kommunizieren. Bei uns Außenstehenden kommt dann an, dass wir das Verhalten und die Äußerungen des Demenzkranken unangemessen, unverständlich oder falsch finden. Der Demenzkranke macht aber dasselbe wie wir: Daten („Bildpunkte“) zu Gedanken und Verhalten verbinden, aber es gelingt ihm nicht mehr so leicht wie uns.



    Die Analogie mit dem gepunkteten Bild im Kopf geht noch weiter:

    Meine Schwiegermutter ist Jahrgang 1934. Sie akzeptierte die Autorität ihrer Eltern, die Autorität der Hitlerregierung und die Autorität ihres Lehrherrn, die Autorität von Ärzten. Mit dieser „Vorbildung“ erzog sie ihre Kinder und führte sie ihr Business. Sie gab ihren beiden jüngeren Schwestern niemals recht, sie gab niemals ihren Kindern oder anderen jungen Leuten recht. Zu ihrem Glück fand sie einen geduldigen Ehemann.



    Ich denke, die „Bildpunkte“ die in ihrem Kopf Autorität und Tradition verkörpern, sind die Punkte, die in ihrem Hirn Bestand und Dauer haben: „Wenn Autoritäten nicht recht bekommen, geht die Welt (noch mehr) aus den Fugen“. Konkreter: Wenn sie als Mutter nicht recht bekommt, geht ihre Welt (noch mehr) aus den Fugen.

    Alle anderen „Bildpunkte“ verschwinden schneller aus ihrem Kopf: ihre Lebenserfahrung, ihre Berufserfahrung, ihre positiven Erfahrungen mit jüngeren Menschen usw.

    Was bleibt, ist ihr „Persönlichkeitskern“. „Ich bin die Mutter und ich muss mir von Tochter und Schwiegersohn (meinen Kindern) nichts sagen lassen!“


    Siehe auch:

    Demenz steckt in jedem von uns

  • Newly created posts will remain inaccessible for others until approved by a moderator.