Wohin mit dem kapitalistischen Reichtum?

  • Die FAZ fragt sich: „Wohin mit der ganzen Liquidität?“ Mit „Liquidität“ meint der Zeitungsschreiber keine Flüssigkeiten, sondern Geldkapital, das keine Verwertung und Vermehrung findet, und deshalb ungenutzt bei den Banken gelagert wird.


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    Wie groß ist ein Reichtum von 909 Milliarden Dollar (770 Mrd. Euro)?

    Im Jahr 2020 lag die Lohnsumme für die gut 40 Millionen Lohnabhängigen in Deutschland bei 1.5 Billionen im Jahr. 1000 Milliarden - oder eine Billion - ist eine Summe, mit der 40 Millionen Lohnarbeiter und ihre Familienangehörigen in einem Dreivierteljahr ihren Lebensunterhalt bestreiten.

    Für diesen ungenutzten kapitalistischen Reichtum liefert die FAZ eine wenig überzeugende Erklärung:

    „John Canavan, Analyst von Oxford Economics, sieht in der Entwicklung die Bestätigung eines seit Jahren regierenden Trends: Statt in Forschung oder produktive Assetklassen zu investieren, parken Banken ihr Geld lieber sicher. Die Neigung sehe man auch bei den Aktienrückkauf-Programmen.“


    Diese Erklärung erklärt nichts, sondern beschreibt nur den Zustand. Und in dieser Erklärung steckt ein schwerer sachlicher Fehler:

    Nicht die Banken investieren in „Forschung oder produktive Assetklassen“, sondern die Kapitalisten. Die Banken sammeln nur das flüssige, unbeschäftigte Kapital, um es für neue Investitionen den Kapitalisten zur Verfügung zu stellen.

    Die Banken sind quasi das Wasser-Sammelbecken aus dem die Pferde (die Kapitalisten) Kredite saufen können. Was aber, wenn die Pferde (die Kapitalisten) kein neues Kapital saufen wollen? Dann sind die Banken ziemlich machtlos. Die Banken sind mehr oder minder passive Akteure, die industriellen Kapitalisten sind die aktiven Akteure auf dem Kapitalmarkt. Wenn die Kapitalisten nicht investieren - und dafür Kredite aufnehmen, bleiben die Banken auf ihrem Geld sitzen. Das Geld bleibt ungenutzt und verwandelt sich nicht in Kapital.


    Im Euroraum ist noch mehr Überschusskapital vorhanden als in der USA. Alles Geld, das bei der EZB über die gesetzliche Mindestreserve hinausgeht, ist Überschusskapital:


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    Der Economist vom 21. August 21 schreibt: "On current forecasts rich-world central banks' balance-sheets will have reached a combined $ 28 trn in size by end of the year..." (S.8). Das sind rund 24 Billionen Euro.


    Überschusskapital ist Geld, das sich nicht verwertet, das nicht vermehrt wird.

    Kapitalisten investieren nur dann und nur dort, wo Profite winken, wo Kapital verwertet wird. Das ist das gegenwärtige Dilemma des Kapitals: Es gibt mehr Kapital als profitable Anlagemöglichkeiten. In den letzten Jahrzehnten bot China einen Ausweg für überschüssiges Kapital. Nun ist der Kapitalexport nach China doppelt reglementiert: - einmal von der US-Regierung, die den technischen Aufstieg Chinas aufhalten will und westliche Investitionen in chinesische Schlüsselindustrien verboten hat, und andererseits von der chinesischen Regierung, die ihren technischen Aufschwung selbst steuern will und dem ausländischen Kapital Zügel anlegt.


    Im aktuellen Überfluss des Kapitals zeigt sich die innere Schranke des Kapitalismus: Kapital muss wachsen, aber gleichzeitig zerstört das Kapital die Quellen und die Ressourcen seines Wachstums.

    Karl Marx benannte das so:

    „Der krankhafte Überfluss des Kapitals bezieht sich immer wesentlich auf den Überfluss von Kapital, für das der Fall der Profitrate nicht durch seine Masse aufgewogen wird – und dies sind immer die neu sich bildenden frischen Kapitalableger – oder auf den Überfluss, welche diese, für sich selbst zur eigenen Aktion unfähigen Kapitale den Leitern der großen Geschäfts-zweige in der Form des Kredits zur Verfügung stellt. Dieser Überfluss des Kapitals erwächst aus denselben Um-ständen, die eine relative Überbevölkerung (Arbeitslosigkeit) hervorrufen, und ist daher eine diese letztere ergänzende Erscheinung, obgleich beide auf entgegengesetzten Polen stehen, unbeschäftigtes Kapital auf der einen und unbeschäftigte Arbeiterbevölkerung auf der anderen Seite.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 261.


    Siehe dazu: Karl Marx über die Überproduktion von Kapital

  • Hallo Peter,

    danke dir für den Hinweis!

    Die jährliche Lohnsumme ist zwar in meiner Quelle falsch angegeben, aber das hätte ich einfach nachrechnen können:

    Das Jahresdurchschnittseinkommen pro Lohnabhängige liegt derzeit bei 37.000 Euro. Bei 40 Millionen aktiven Lohnarbeitern in Deutschland ergibt das eine Jahreslohnsumme von rund 1,5 Billionen Euro.


    Mein Fehler schmerzt um so mehr, als es in der Linken Vorstellungen gibt, die den kapitalistischen Reichtum für schier unerschöpflich halten ("Die Kapitalisten sollen alles zahlen!"). Zu dieser naiven Vorstellung habe ich hier ungewollt beigetragen.


    Gruß Wal

    Edit: Screanshot meiner Quelle vom 20.08.2021:

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  • Das deutsche Finanzministerium meldete jetzt, dass derzeit "mindestens 222 Milliarden Euro von Deutschen auf Konten außerhalb der EU liegen". Sie liegen da in Steueroasen als "eiserne Reserve der deutschen Kapitalisten.

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