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       3. 
      Störungen der Zirkulation 3.1. Waren werden in 
      Geld verwandelt Nehmen wir an, dass die sowjetische Produktion – mit 
      welchen Hindernissen und Störungen auch immer - durchlaufen ist, und ein 
      fertiges Produkt hergestellt wurde. An dem Produkt selber kann man nicht 
      unbedingt erkennen, in welchem Wirtschaftssystem es produziert wurde. Das 
      Getreide, das in Südamerika von leibeigenen Campesinos geerntet wird, 
      unterscheidet sich nicht von dem Getreide eines einzelwirtschaftenden 
      Bauern in Polen oder dem eines kapitalistischen Landwirtschaftsbetriebs in 
      Niedersachsen, der mit Lohnarbeitern bewirtschaftet wird. Für 
      Industrieprodukte gilt – mit Abstrichen – ähnliches.[1] Egal ob ein Produkt 
      in Einzelarbeit, genossenschaftlich oder in Lohnarbeit geschaffen wurde, 
      wenn es für Geld verkauft wird, ist das Produkt eine 
      Ware. Der Warenbesitzer 
      verkauft das fertige Produkt und nimmt dafür Geld ein. Falls es sich um 
      einen kapitalistischen Warenbesitzer handelt, erhält er im Normalfall 
      durch den Verkauf der produzierten Ware den Gegenwert seines 
      vorgeschossenen Kapitals (Ankauf von Arbeitskraft und Produktionsmittel) 
      plus einen Gewinn  zurück. Das 
      Ziel des Kapitalisten ist es, mit seinem vorgestreckten Geld mehr Geld zu 
      machen. Die Produktion von Waren, die notwendig dazwischen liegt, ist den 
      Kapitalisten nur ein notwendiges Übel. Der Zugewinn an Geld den ein 
      Kapitalist nach einer Geschäftsoperation gegenüber seinem investierten 
      Kapital in Händen hält, die Profitrate, ist seine Triebfeder und sein 
      Erfolgskriterium. „Am Schluss des Prozesses befindet sich der Kapitalwert 
      also wieder in derselben Form, worin er in ihn eintrat, kann also wieder 
      von neuem als Geldkapital eröffnen und durchlaufen. Eben weil die 
      Ausgangs- und Schlussform des Prozesses die des Geldkapitals (G) ist, wird 
      diese Form des Kreislaufprozesses von uns als Kreislauf des Geldkapitals 
      bezeichnet. Nicht die Form, sondern nur die Größe des vorgeschossnen 
      Kapitalwerts ist am Schluss verändert.“[2]  „G' ..., zusammengesetzt aus G, dem Kapitalwert, und g, 
      dem durch diesen erzeugten Mehrwert, drückt verwerteten Kapitalwert aus, 
      den Zweck und das Resultat, die Funktion des gesamten Kreislaufprozesses 
      des Kapitals.“[3] 
 Anders als der 
      Kapitalismus war das Sowjetsystem jedoch nicht darauf ausgerichtet, „Geld 
      zu machen“. Geldgewinn war nicht das Ziel der Sowjetwirtschaft, und wir 
      haben gesehen, dass der sowjetische Produktionszyklus auch nicht mit Geld 
      eingeleitet wurde, sondern mit einer Direktive. Geld stand auch nicht am 
      Ende eines jeden sowjetischen Produktionszyklus. Allerdings wurde auch 
      im Sowjetsystem für Lohnzahlungen Geld ausgezahlt, das erst mit dem 
      Verkauf von Konsumwaren wieder zurückkehrte. Für diesen besonderen 
      Kreislauf der Konsummittel für die sowjetischen Werktätigen galt: Geld 
      wird als Lohnzahlung benutzt um Arbeitskraft zu kaufen (G – A). Die 
      Arbeiter treten mit ihren Lohngeldern als Käufer von Konsummittel auf den 
      Markt (G – W). Die Lohngelder fließen automatisch durch den Warenverkauf 
      wieder an den Staat als Warenbesitzer zurück (W – G). 
      Kurz: G(Staat) – W(Arb.), 
      G(Arb.) - W – G(Staat) Bezeichnend für diesen 
      Geldkreislauf, ist jedoch, dass sich dabei das Geld nicht vermehrt. Die 
      Geldmenge, die als Lohnzahlung vom sowjetischen Staat in den Kreislauf 
      geworfen wurde, kehrte durch den Verkauf der Konsumtionsmittel an die 
      Werktätigen wieder an den Staat zurück.  Kein Kapitalist wäre 
      mit diesem Geldkreislauf zufrieden. Wenn seine vorgeschossene Geldsumme 
      gleich der eingenommen Geldsumme ist, dann fühlt er sich um sein Geld 
      betrogen. Natürlich kommt das vor, und es kommt auch vor, dass 
      Kapitalisten Verlust machen. Aber das machen sie nie lange, sondern 
      erklären dann schnell ihren Bankrott und ziehen sich aus dem Geschäft 
      zurück. Im Sowjetsystem konnte 
      im Konsumtionsbereich die in Lohn vorgestreckte Summe gleich der für 
      Konsumtionsmittel eingenommen Geldsumme sein oder das eingenommene Geld 
      sogar unter dem vorgestreckten Geld liegen, falls der Sowjetstaat 
      bestimmte Waren subventionierte, die in den Konsum der Werktätigen 
      eingingen. Der Staat verzichtete dann auf die Realisierung produzierter 
      Werte. Er verkaufte das hergestellte Produkt W' nicht unbedingt zum 
      tatsächlichen Wert (inklusive Mehrwert), sondern eventuell darunter. So 
      kam es vor, dass in der Sowjetunion das Brot billiger sein konnte als das 
      Mehl, das in dem Brot verbacken wurde. Allerdings konnten die 
      Direktivplaner die Subventionen für Konsumtionsmittel von vornherein bei 
      der Lohnzahlung einsparen. Sie zahlten in Höhe der 
      Lebensmittelsubventionen entsprechend weniger Lohn. Insofern die 
      Arbeitskraft im Sowjetsystem mit Entgeld bezahlt wurde, das auf dem Markt 
      in Waren (Konsumtionsmittel) verwandelt wurde, insofern bestand kein 
      Unterschied zur kapitalistischen Ware Arbeitskraft und ihrer Reproduktion 
      durch Warenkonsum. Wie die sowjetischen 
      Planer der großen, aber doch noch überschaubaren Anzahl von Betrieben 
      befahlen, was sie produzieren sollten, so versuchten sie einer 
      Millionenzahl von einzelnen Konsumenten vorzuschreiben, was sie 
      konsumieren sollen und was nicht. Das nur möglich innerhalb in einer 
      gefängnishaften Umgebung. Innerhalb der 
      Arbeitswelt ist auch der kapitalistische Lohnarbeiter dem fremden Willen 
      der Unternehmensführung unterworfen. In seiner Reproduktionszeit, der 
      „Freizeit“ ist der Lohnarbeiter zwar durch die Höhe des Lohns beschränkt, 
      hat aber ansonsten freie Entscheidung, was er mit seinem sauer verdienten 
      Geld macht.  Natürlich hatten die 
      sowjetischen Werktätigen das selbstverständliche Interesse, zunehmend mehr 
      Bedürfnisse zu befriedigen und wollten daher, dass ihr Konsum ausgeweitet 
      wurde. Im Sowjetsystem war aber der private Konsum wie im Kapitalismus als 
      Warenproduktion organisiert. So ergab sich das absurde Phänomen, dass die 
      sowjetischen Werktätigen scheinbar den Kapitalismus herbeisehnten, wogegen 
      mit mehr oder minder despotischen Mitteln die Parteibürokratie den 
      „Sozialismus“ durchsetzten. Das ist der reale Hintergrund für die Appelle 
      der Sowjetbürokratie an den „sozialistischen Menschen“, der nicht nur 
      klaglos die Bevormundung und Despotie des Sowjetsystems erträgt, sondern 
      geradezu herbeisehnt. Existiert hat dieser „sozialistische Mensch“ nur auf 
      Papier, wie im Gedicht des Sowjetbarden W. Majakowski, das uns heute nur 
      komisch vorkommt: „Ich 
      sehe mich als eine 
      Sowjetfabrik, um 
      zu produzieren das 
      Glück. ... Ich 
      will, dass 
      mir die Planer des 
      Staats alljährlich die 
      Arbeitslast in heißer 
      Debatte vorschreiben auf 
      strengem Kontrollzifferblatte. ... Ich 
      will, dass am 
      Abend, nach 
      Arbeitsschluss, der 
      Betriebsrat die Lippen 
      mir zuschließen muss.“[4] In 
      diesem Konflikt zwischen dem von der Bürokratie geschaffenen verplanbaren 
      Kunst-Menschen und den wirklichen Menschen mit ihrem selbstverständlichen 
      und fortschrittsträchtigen Bedürfnis nach reicherem und reichhaltigerem 
      Genuss[5] blieb die 
      Planungsbürokratie erstaunlich erfolgreich: Zuletzt machte die 
      Warenproduktion für den Konsumgüterbereich wertmäßig nur noch ein Viertel 
      der sowjetischen Industrieproduktion aus. Die Folgen davon werden uns in 
      den folgenden Abschnitten noch beschäftigen. 3.2. Produktionsmittelverteilung ohne 
      Geld Sowjetische Produkte, 
      die an die Konsumenten im eigenen Land oder auf dem Weltmarkt verkauft 
      wurden, waren Waren und ihre Produktion war Warenproduktion. Wir hatten 
      jedoch festgehalten, dass die sowjetischen Waren zwar wie kapitalistische 
      Waren für Geld verkauft wurden, nicht unbedingt aber für mehr Geld, 
      als ihre Produktion gekostet hat. Das aber ist Sinn und Zweck der 
      kapitalistischen Warenproduktion. Falls auf dem Weltmarkt sowjetische 
      Waren unter ihren Produktionskosten verkauft wurden, um knappe Devisen 
      einzunehmen, wurde ein Teil der aufgewandten sowjetischen Arbeitszeit 
      verschleudert bzw. an das ausländische Kapital 
      verschenkt. Innerhalb der 
      sowjetischen Produktionsmittelindustrie wurde zwar noch in Rubel 
      gerechnet, aber was als fertiges Produkt aus einem 
      Produktionsmittelbetrieb herauskam, wurde durch Direktiven an einen 
      anderen Betrieb zugewiesen. Innerhalb der sowjetischen 
      Produktionsmittelindustrie verwandelten  sich also die Produkte nicht in 
      Geld, sondern gingen wieder in den nächsten Betrieb als Arbeitsmaterial 
      oder Arbeitsmittel ein, um dort in ein neues Produkt verwandelt zu 
      werden. Betrachten wir einmal 
      die Produktionskette: Erzförderung – Stahlherstellung – 
      Maschinenherstellung von drei kapitalistischen Unternehmen und lassen 
      dabei die Arbeitskraft außer Acht. Diese Produktionskette sieht dann 
      folgendermaßen aus: Kapital I: G – 
      Fördermittel ... P ... Eisenerz – G’; Kapital II: G – 
      Eisenerz (von I) ... P ... Stahl – G’; Kapital III: G – Stahl 
      (von II) ... P ... Maschinen – G’. Kapitalistische 
      Unternehmen kaufen mit ihrem Geld die nötigen Produktionsmittel von einem 
      anderen Kapitalisten und produzieren ein neues Produkt, das es in Geld 
      rückverwandelt. Mit diesem Gelderlös – bzw. einem Teil davon – wird dann 
      derselbe Produktionsprozess erneut in Gang gesetzt. Die sowjetischen 
      Direktivplaner setzten aber ihre Produktionsprozesse nicht mit Geld, 
      sondern mit Direktiven in Gang. Der erste sowjetische Produktionsprozess 
      wäre also: Direktive/Sollziffer – 
      Fördermittel (an Betrieb 1) .... P ... Eisenerz. Kann sich hier der 
      nächste Produktionsprozess einfach anschließen? Nein, denn nicht der 
      sowjetische Betrieb 1 entscheidet, welcher Betrieb 2 wie viel Eisenerz für 
      die Stahlherstellung geliefert bekommt, sondern die Planerbürokratie 
      entscheidet das. Also meldet der Betrieb 1 nach erfolgter Produktion eine 
      statistische Ziffer (x Tonnen Eisenerz) an die Zentrale. Die Planer dort 
      entscheiden anhand dieser Planziffer, welcher Betrieb 2 wie viel Eisenerz 
      von dem Betrieb 1 erhalten soll. Als Formeln 
      ausgedrückt: Direktive an 1 mit 
      Sollziffer – Fördermittel ... P ... Eisenerz – Istziffer 
      1; Direktive an 2 mit 
      Sollziffer – Eisenerz (1. an 2.) ... P .... Stahl – Istziffer 
      2; Direktive an 3 mit 
      Sollziffer – Stahl (2. an 3.) ... P .... Maschinen – Istziffer 
      3. Der kapitalistische 
      Zirkulationsprozess kann nicht ohne Dazwischentreten von Geld, also nicht 
      ohne Verwandlung der Ware in Geld vonstatten gehen. Das Sowjetsystem kam 
      im Bereich Produktionsmittelproduktion – wie hier gesehen – ohne Geld aus, 
      musste aber dafür alle Produkte in statistische Ziffern 
      verwandeln. Die statistischen 
      Ziffern waren nicht nur Steuerungsinstrument, sondern auch 
      Erfolgskriterium der sowjetischen Wirtschaft. Ein sowjetischer 
      Produktionszyklus war dann erfolgreich, wenn die an die Planer gemeldete 
      Produktionsziffer, mindestens die Auftragsziffer erreichte, die die Planer 
      aus Ausgangszahl für ihre Direktive nahmen. Das hieß dann: Plan 
      erfüllt! Der Kreislauf der 
      Sowjetwirtschaft kehrte so zu seinem Ausgangspunkt zurück: Er begann 
      jeweils mit einer Direktive plus Soll-Planziffer und endete mit der 
      Ist-Planziffer. Die Direktive mit Sollziffer ist das spezielle Mittel, das 
      die sowjetische Produktion in Gang setzt, die Istziffer ist ihr 
      Resultat. Der Kapitalist 
      vergleicht sein realisiertes Kapital am Ende eines Kreislaufes mit seinem 
      vorgeschossenen Kapital und errechnet daraus seinen Gewinn. Die 
      Direktivplaner dagegen verglichen ihre Ist-Planziffern mit ihren 
      Soll-Planziffern und ermitteln daraus ihren Planungs- und 
      Produktionserfolg. 3.3. Die Tücken der 
      Planziffern Über den viel 
      beschworenen Unterschied zwischen sowjetischer Statistik und sowjetischer 
      Wirklichkeit braucht man sich nicht lange aufhalten. Auch der Kapitalist 
      hat am Ende seines Kreislaufs zum Teil nur „statistisches“ Geld in Händen, 
      in Form von Schuldforderungen, die er selbstverständlich auf seiner 
      Habenseite verbucht, obwohl sich oft genug herausstellt, dass seine 
      Schuldner zahlungsunfähig sind, so dass seine Geldforderung nur eine 
      Ziffer auf Papier bleibt und sich nicht in wirkliches Geld 
      verwandelt. Wesentlich für die 
      Sowjetwirtschaft war nicht, dass die Statistik log, sondern dass die 
      statistische Ziffer die einzige und damit scheinbar objektive Basis der 
      Direktivplanung bildete. Wer die Wahrheitsbasis der sowjetischen Statistik 
      kritisierte, trat nur für eine verbesserte Statistik ein. Jede 
      Verbesserung der Statistik brachte aber notwendig mehr Bevormundung und 
      Kontrolle. Die wesentliche Kritik am Sowjetsystem ist nicht, dass sich die 
      Produzenten und die Planer gegenseitig mittels Statistik betrogen, 
      wesentlich ist, dass die Werktätigen nicht von ihren Bedürfnissen 
      ausgehend selber bestimmen konnten, was, wie und in welcher Menge 
      produziert wird. Die sowjetischen Werktätigen waren weder Herren ihrer 
      selbst noch Herren der Produktion. Bis Mitte der 60er 
      Jahre wurde die sowjetische Planerfüllung allein nach der Produktionsmenge des Herstellerbetriebes gemessen, ganz gleich, ob 
      diese Produkte ausgeliefert und von einem produktiven oder individuellen 
      Konsumenten zum Verbrauch akzeptiert worden sind oder nicht.[6] 
       Die Produkte am Ausgang der 
      Produktion erschienen in der Statistik, bevor sie im produktiven oder 
      individuellen Konsum auftauchten. In der sowjetischen Statistik erschienen 
      notwendig mehr Produkte als im Konsum. Der Produktionserfolg bestand auf 
      dem Papier und blieb nur Papier. Erst seit 1965 zählten nicht verkaufte oder nicht 
      ausgelieferte Produkte nicht mehr in der Statistik. Davon abgesehen, dass 
      das immer noch einen Ansporn darstellte, dem Abnehmerbetrieb mehr zu 
      liefern als er bestellt hatte, oder anderes zu liefern als er bestellt 
      hatte[7], wogegen sich die 
      Abnehmer nicht wehren konnten, wurde durch diese Bestimmung immerhin die 
      Scheinproduktion für die Statistik erschwert. Die Regelung reduzierte den 
      statistischen Selbstbetrug der Planer. Natürlich bestimmten 
      die planerischen Vorgaben das Ergebnis der Produktion. Darin lag ja die 
      angebliche Überlegenheit des Sowjetsystems über den Kapitalismus. Aber die 
      planerischen Vorgaben bestimmten die Produktionsergebnisse in einer 
      widersprüchlichen Weise, die offenbarte, dass Planer und Produzenten 
      widerstreitende Interessen hatten. Bis Mitte der 60er 
      Jahre waren die Direktivpläne nur quantitativ bestimmt: Es mussten 
      soviel Tonnen Stahl, soviel Liter Öl, soviel Meter Stoff, soviel Tonnen 
      Getreide und soviel Stück Schuhe, Schiffe, Maschinen usw. hergestellt 
      werden. Der „Gebrauchswert“ aller Produkte wurde rein quantitativ 
      definiert. Das entsprach einer Logik des Mangels: Wer hungert, fragt nicht 
      nach Verschiedenheit und Geschmack des Essens, sondern nur nach der Menge. 
      Wer friert, gibt sich mit jedem wärmenden Stoff zufrieden, egal welche 
      Farbe er hat. Durch diese 
      quantitativen Vorgaben wurde sowjetischer Stahl, sowjetisches Glas, 
      sowjetisches Papier, sowjetische Maschinen und Fahrzeuge durchschnittlich 
      dicker und schwerer als ihre im Westen produzierte Gegenstücke. 
      Solange sowjetischer Kleiderstoff in Metern geplant wurde, wurden 
      die Stoffbahnen schmaler. Das wurde korrigiert durch Änderung der 
      Planziffern in Quadratmeter, aber damit waren Qualitätsverschlechterungen, 
      dünnere und fehlerhafte Stoffe vorprogrammiert.[8] 
      Der Produktionsplan 
      für Glühbirnen war in Watt festgelegt. Das führte zu chronischer Knappheit 
      bei 40- und 60-Watt-Birnen, weil die Produzenten mit 100-Watt-Birnen ihren 
      Plan viel leichter erfüllen konnten. Straßentransport-Unternehmen erfüllten ihre Pläne in 
      Tonnenkilometer. Also zogen sie lange Strecken den kurzen und schwere 
      Ladungen den leichten vor. Sogar Fahrten ohne Ladungen gingen in die 
      Planerfüllung ein, weil sie den Kilometer-Koeffizienten 
      vergrößerten.[9] 
 1974 berichtete die Prawda[10]: „Wasserrohre 
      wurden in einer Fabrik schwer und teuer hergestellt, aber leichtere Rohre 
      hätten die Planerfüllung erschwert... Das Management setzte sich 
      erfolgreich dafür ein, dass die Planziffer von Tonnen in Meter geändert 
      wurde, aber nur um festzustellen, dass die leichteren Rohre schwerer 
      absetzbar waren, weil die Transportunternehmen, die Projektplaner und die 
      Bauunternehmer alle ihre Pläne nach Gewicht erfüllten und daher lieber mit 
      schweren Rohren zu tun hatten.“ 
       Was immer die 
      Planungsbürokratie an Plänen ausarbeitete, für die Werktätigen waren es 
      fremde Pläne, nicht ihre eigenen. Es war ein fremder Wille, der ihnen 
      aufgezwungen wurde, nicht ihr eigener Wille, so dass jeder nur das 
      Notwendigste für die auferlegten Pläne tat. Sowjetischen Werktätigen waren 
      Ausführende, nicht selbstbestimmte Produzenten. Die Planbürokratie 
      reagierte auf passiven Widerstand anfangs mit Terror, der Ingenieure in 
      Arbeitslager oder in den Tod schickte, wenn die von ihnen entworfene 
      Technik versagte, andererseits verfeinerten und vermehrten die Planer 
      zunehmend ihre Vorschriften. Auch wenn mit zunehmender Reife des 
      Sowjetsystems die Werktätigen nicht mehr um ihr Leben fürchten mussten, so 
      wurde ihre eigene Ohnmacht und die Macht der Planerbürokratie immer weiter 
      ausgebaut. Die Einführung des 
      „Bruttoproduktionswertes“ als ergänzende Planziffer, die neben 
      die Mengenpläne trat und sie austarieren sollte, schuf neue Widrigkeiten: 
      Der Bruttoproduktionswert enthielt den Gesamtwert eines Produkts 
      einschließlich seiner Material-, Maschinen- und Lohnkosten. So waren die 
      Pläne leichter zu erfüllen, wenn teure und mehr Vorprodukte verarbeitet 
      wurden. Das wurde zur Quelle der sowjetischen Material- und 
      Energieverschwendung. Eine Reform von 1982 führte noch einen „normierten 
      Nettoproduktionswert“ (NNP) als weiteren Maßstab der Planerfüllung ein, 
      der dem in dem jeweiligen Betrieb neu zugesetzten Mehrprodukt entsprechen 
      sollte. Erst mit dieser Maßnahme wurde betriebswirtschaftliche 
      Effektivität stärker betont. Dass damit die Absurditäten des sowjetischen 
      Wirtschaftssystems nur verlagert, aber nicht beseitigt wurden, zeigt der 
      Fall des Leningrader Elektrizitätswerkes: die Beschäftigten dieses 
      Betriebes wurden nach 1982 mit Prämienabzug wegen Nichterfüllung ihres 
      Plansolls an ausgelieferter Elektrizität bestraft. Die Ursache für diese 
      Nichterfüllung des Plansolls war ein besonders milder Winter, in dem 
      weniger Heizwärme nachgefragt worden war.[11] 
 Mit jeder Reform wurden die Kontrollziffern vermehrt, 
      so dass sie sich zunehmend gegenseitig außer Kraft setzten. Die 
      Prawda[12] klagte 1983:  „Die Zahl der Kontrollziffern wächst, 
      und allein ihre schiere Anzahl garantiert schon, dass sie nicht erfüllt 
      werden, weil sie sich gegenseitig widersprechen... Ab 1979 gab es für die 
      monatliche Kontrolle der Produktionskosten ... 29 Indikatoren, im letzten 
      Jahr wurde ihre Zahl auf  75 erhöht. 
      Vierteljahresabrechnungen erforderten früher 92 Indikatoren, jetzt sind es 
      200.“ Hier gelangte das 
      sowjetische Wirtschaftssystem an seine selbstgeschaffene, innere Grenzen. 
      Um jede Eigenmächtigkeit und Eigenverantwortung der Unternehmen 
      auszuschließen, verfeinerten und vermehrten die Planerbürokratie ihre 
      Kontrollziffern immer mehr, bis diese so unübersichtlich und in sich 
      widersprüchlich wurden, dass die Planerbürokratie zunehmend den Überblick 
      verlor und die Betriebe wieder an Selbständigkeit gewannen. Da kein 
      Unternehmen mehr alle Kontrollziffern einhalten konnte, konnten sich die 
      sowjetischen Betriebe zunehmend aussuchen, welche Planziffern sie 
      einhalten wollten und welche nicht. Indem die zentrale 
      planerische Bevormundung immer mehr verfeinert wurde, brachte sie das 
      genaue Gegenteil von dem hervor, was sie erreichen wollte: wachsende 
      Lähmung der Planbürokratie und zunehmende Selbständigkeit der 
      Unternehmen. 3.4. Direktivpreise 
      und ihre Störungen Wir hatten gesehen, 
      dass für die Kapitalisten der Zweck ihrer Geschäftstätigkeit ist, dass sie 
      für ihr investiertes Geld mehr Geld zurückbekommen. Erst wird Geld in Ware 
      und dann wieder Ware in Geld verwandelt. Damit diese Verwandlung möglich 
      wird, muss die Ware in Geld berechenbar sein, die Ware muss einen Preis 
      haben, sonst ist sie nicht für Geld austauschbar. Der Preis ist die 
      vorweggenommene Menge Geld, in die eine Ware sich tauschen soll. Der Preis 
      drückt also die künftige Form der Ware aus. Karl Marx nannte den Preis 
      „die 
      Geldform der Ware“[13]. So wichtig Preise für 
      das Funktionieren des Kapitalismus sind, für die Sowjetplaner spielten 
      Preise eine untergeordnete Rolle, weil ihre Wirtschaft nicht auf 
      Gelderwerb ausgerichtet war. Wenn die individuellen Kosten eines 
      sowjetischen Unternehmens stiegen, in der Landwirtschaft z.B. wegen 
      Missernten oder in der Industrie z.B. durch längere Produktionsstockung, 
      durften die Verkaufspreise solcher Produzenten die individuelle 
      Kostensteigerung nicht widerspiegeln. Sie durften ihre Preise nicht 
      erhöhen.  Für viele Güter, vor 
      allem Brennstoffe und Rohstoffe lagen die festgesetzten Verkaufspreise 
      häufig weit unter den Produktionskosten. Die Erzeugerkosten für eine 
      Tonne Kohle lag im Jahr 1932 bei 19 Rubel, ihr festgelegter 
      Verkaufspreis an andere Betriebe war 9,65 Rubel. Die Erzeugerkosten für 
      eine Tonne Eisenerz betrug damals gut 10 Rubel. Es musste für 5,70 
      Rubel abgegeben werden. Eine Tonne Zement kostete in der Herstellung 46 Rubel und brachte im Verkauf 27 
      Rubel. Diese Preise wurden erst im Jahr 1936 
      angepasst.[14] Betriebliche 
      Unterschiede in den Kosten wurden überhaupt nicht, regionale Unterschiede 
      nur gering berücksichtigt. Umgekehrt durften Produktivitätssteigerungen, 
      die die Produktionskosten senkten, nicht als Preissenkung an die 
      Verbraucher weitergegeben werden. Die Preisfestsetzung 
      sollte ganz in der Hand der Planerbürokratie bleiben. Auch wenn es im 
      Kapitalismus längst nicht mehr so ist wie in der einfachen 
      Warenproduktion, dass der Preis einer einzelnen Ware ihrem Wert 
      entspricht, so versuchten sich die Sowjetplaner bei ihrer Preisgestaltung 
      bewusst und absichtlich vom Wert (bzw. den jeweiligen Produktionskosten) 
      zu entfernen. Diese Freiheit der Preissetzung unabhängig vom Wert war 
      jedoch nur scheinbar. Willkürliche Preisfestsetzungen durch die Planer 
      brachten ganz spezifische unangenehme Folgen für die 
      Sowjetwirtschaft. Je niedriger die 
      staatlichen Preise für Konsumgüter im Vergleich zu ihren 
      Herstellungskosten angesetzt waren, desto schneller verschwanden die 
      Produkte aus den Geschäften. Gleichzeitig entstand dann notwendig ein 
      Schwarzmarkt für diese Produkte. Die Getreidekrise von 1927, der Auslöser 
      der „stalinistischen“ Wirtschaftspolitik, wurde dadurch hervorgerufen, 
      dass die Bauern sich weigerten, ihr Getreide zu den zu niedrig 
      festgesetzten Direktivpreisen zu verkaufen. Im 
      Jahr 1927 wurden die Verkaufspreise für die knappen Güter Seife und Tee 
      gesenkt, was zur Folge hatte, dass sie fast völlig aus den 
      Geschäftsregalen verschwanden, um auf Privatmärkten zu erhöhten Preisen 
      wieder aufzutauchen.[15] Vor diesen ungewollten 
      Konflikten zwischen dem Wert der Produkte und ihrem staatlichen 
      festgesetzten Preis musste die sowjetische Planerbürokratie immer wieder 
      kapitulieren, indem sie für eine Zeitlang doppelte Preise zuließen. Dann 
      sollte eine Ware zu zwei Preisen verkauft werden: Zum staatlich 
      festgesetzten Preis im staatlichen Handel und zu einem deutlich erhöhten 
      Marktpreis in Sonderläden oder auf dem Schwarzmarkt. Tatsächlich stellte 
      sich auch hier ein einziger Preis dadurch her, dass diese Produkte mit 
      „doppeltem Preis“ aus den staatlichen Läden 
      verschwanden. Folgende Waren konnten 
      die Sowjetbürger im Jahr 1990 neben vielen anderen nur auf dem Schwarzmarkt kaufen, nicht in sowjetischen Läden. Tab. 1: Sowjetische Schwarzmarktwaren 
      1990[16] 
 Sämtliche Preise wurden anfangs in der UdSSR 
      durchschnittlich alle zehn Jahre angepasst. In den letzten Jahren der 
      UdSSR wurden die Preise in immer kürzeren Abständen angepasst, aber das 
      führte zu einer wachsenden Lähmung des Planungsapparates. Die zentrale 
      Planungsbehörde musste in den 80er Jahren jährlich 200.000 Einzelpreise 
      überprüfen und bestätigen, weitere 275.000 Preise[17] wurden in jedem Jahr 
      von den Einzelministerien neu festgesetzt, ohne dass das die strukturellen 
      Mängel des sowjetischen Direktiv-Preissystems behob. 3.5. Sonderläden für 
      Privilegierte Wie das System der 
      bürokratischen Direktivpreise den Schwarzmarkt schuf, so brachte es auch 
      die Sonderläden für Partei- und Staatsfunktionäre 
      hervor. Falls im Kapitalismus 
      die Versorgung mit einem Gut knapp ist, können sich die Reichen die 
      Versorgung mit diesem Gut jederzeit durch ihre hohen Einkommen sichern, 
      die sie in die Lage bringen, hohe und überhöhte Preise zu zahlen. Im 
      Kapitalismus herrscht allenfalls Knappheit für Konsumgüter der 
      Lohnabhängigen, zum Beispiel bei billigem Wohnraum. Reiche finden 
      jederzeit und überall Wohnraum. Ihre zahlungskräftige Nachfrage erzwingt 
      sich durch höhere Preisangebote den Zugang zu jeder knappen 
      Ware. Bei dem starren 
      sowjetischen Preissystem hätten selbst höchste Einkommen der herrschenden 
      Schicht nicht sichergestellt, dass sie ungehinderten Zugang zu allen 
      knappen Waren erhielten. Da die Preise bei Knappheit nicht steigen 
      durften, hatten die nächstbesten Kunden den Laden leergekauft, bevor der 
      Herr Genosse Parteisekretär seinen Kaviar bekam. Legalen Zugang der 
      herrschenden Klasse zu knappen Gütern konnte in der Sowjetwirtschaft nicht 
      über die Preise geschehen, sondern musste durch privilegierte Versorgung, 
      über Sonderläden, Sonderrestaurants, Sonderkrankenhäuser und 
      Sonderwohngebiete geregelt werden. Die ersten Sonderläden für Partei- und Staatskader, zu 
      denen die normalen Werktätigen keinen Zugang hatten, wurden während der 
      Versorgungskrise von 1927/28 unter Stalin eingerichtet[18] und 
      wurden seither zum notwendigen Systembestandteil. 
 [1] „Die vom Kapitalisten hergestellte Ware unterscheidet 
      sich soweit in nichts von der durch einen selbständigen Arbeiter oder von 
      Arbeitergemeinden oder von Sklaven hergestellten Ware.“ Karl Marx, Kapital 
      II. MEW 24, S. 386. [2] 
      Karl Marx, Kapital II. MEW 24,  S. 48f. [3] 
      Karl Marx, Das Kapital II. MEW 24, S. 52. [4] W. Majakowski: Ausgewählte Gedichte, Nach Hause 
      (1926). Berlin 1946, S. 68f. [5] „Also Explorieren der ganzen 
      Natur, um neue nützliche Eigenschaften der Dinge zu entdecken; 
      universeller Austausch der Produkte aller fremden Klimate und Länder; neue 
      Zubereitungen (künstliche) der Naturgegenstände, wodurch ihnen neue 
      Gebrauchswerte gegeben werden... die Entwicklung der Naturwissenschaft 
      daher zu ihrem höchsten Punkt...; die Kultur aller Eigenschaften des 
      gesellschaftlichen Menschen und Produktion desselben als möglichst 
      bedürfnisreichen, weil Eigenschafts- und Beziehungsreichen - seine 
      Produktion als möglichst totales und universelles Gesellschaftsprodukt - 
      (denn um nach vielen Seiten hin zu genießen, muss er genussfähig, also zu 
      einem hohen Grad kultiviert sein) - ist ebenso eine Bedingung der auf das 
      Kapital gegründeten Produktion... Entwicklung von einem sich stets 
      erweiternden und umfassenden System von Arbeitsarten, Produktionsarten, 
      denen ein stets erweitertes und reicheres System von Bedürfnissen 
      entspricht.“ Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, S. 
      312f. [6] 
      Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S. 
      91. [7] 
      vgl. Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., 
      S. 92. [8] 
      vgl. Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986. 
      S. 89. [9] 
      Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986. S. 
      90. [10] 
      zitiert nach Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third 
      Edition, 1986., S. 88. [11] 
      Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S. 
      94. [12] 
      zit. nach Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 
      1986., S. 83. [13] 
      Karl Marx, Kapital I. MEW 23, S. 110. [14] Nove, Alec: An Economic History of the U.S.S.R., 
      Harmondsworth 1972, S. 247. [15] 
      Carr, E.H. and Davies, R.W.: A History of Soviet Russia. Vol. 9 + 10: 
      Foundations of a Planned Economy (1926-1929) London 1. Ed. 1969, S. 
      692. [16] 
      nach: Altrichter, Helmut: Kleine Geschichte der Sowjetunion 1917-1991. 
      München 1993, S. 225. [17] Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third 
      Edition, 1986, S. 180. [18] Carr, E.H. and Davies, R.W.: A History of Soviet 
      Russia. Vol. 9 + 10: Foundations of a Planned Economy (1926-1929) London 
      1. Ed. 1969,. S. 703.  | |||||||||||||||||||||||||||