NAO und die Gewaltfrage

  • verfasst von Robert Schlosser(R), 19.07.2012, 18:19


    Hallo Kim,
    danke für die Blumen. Ich verfolge die Debatten auf dem Blog schon lange nicht mehr. Nur wegen meiner krankhaften Neugier schau ich spät abends manchmal kurz rein. Das Resultat ist immer das gleiche, entweder ärgern oder kopfschütteln. Den NAO-Prozessoren wird es nicht anders gehen, wenn sie etwas von mir lesen. Die mittlerweile sichtbar gewordenen Differenzen sind einfach zu groß.
    Es ist ja so:
    Gehst du auf die Seite, dann lachen dich die Organisationen an, die den NAO-Prozess unterstützen. Es gibt sogar eine Karte, wo man überall vertreten ist. Eigentlich müsste der Blog überlaufen von Beiträgen der Mitglieder dieser Organisationen, die sich austauschen und heftig miteinander diskutieren. Dass das nicht der Fall ist und der Blog eher die Auftrittsbühne für DGS, Systemcrash und ein paar andere Leute ist und bleibt, spricht schon Bände über den Prozess und die daran beteiligten Organisationen. Micha Prütz weist ja in seinem Willkommensgruß ausdrücklich darauf hin, dass hinter den Kulissen kräftig gewerkelt wird – von wichtigen Vertretern der demokratisch-zentralistischen Organisationen, nehme ich mal an. Na dann sollen sie mal basteln, hinter den Kulissen versteht sich. Viele Beiträge auf dem Blog bleiben ohne jeden Kommentar. Ich finde, dass sie es oft auch gar nicht wert sind, kommentiert zu werden, weil sie für einen NAO-Prozess eigentlich belanglos sind. Hin und wieder kommt etwas Leben in die Bude, weil irgendwer mit dem Bochumer Programm sympathisiert, oder mal wer anders an einem Essential kratzt.


    Ich glaube nicht, dass DGS sich „der Bochumer Position“ in der Frage des „revolutionären Bruchs“ annähert. Mag sein, dass sie etwas moderater die „gewaltsame Revolution“ propagieren will, aber „mit aller Energie“ für eine möglichst schmerzlose, friedliche soziale Revolution arbeiten, das will sie sicher nicht. Das geht auch nur wenn man im historischen Rückblick zu anderen Ergebnissen kommt, als alle am NAO-Prozess beteiligten. Frank Braun hat ja noch einmal kundgetan, dass alle Versuche einer friedlichen Revolution im „Desaster“ geendet seien. Das finde ich mutig und denke dabei nicht nur, aber in erster Linie wieder an die russische Revolution.


    Die „große sozialistischen Oktoberrrevolution“ war ein bewaffneter Aufstand, bei dem nur wenige Menschen getötet wurden. Man kann ihn fast friedlich nennen. Aus politischer Sicht, war das eine Glanzleistung der Bolschewiki, die sie an die Macht brachte. Aus militärischer Sicht war das auch eine Glanzleistung, weil kaum Blut floss. Schaut man jedoch von heute auf die russische Revolution, dann erweist sich der Aufstand als ein erster Vorgefecht, eine Handstreichaktion, mit der der Krieg nicht beendet wurde, sondern erst richtig begann. Wenn man die russische Revolution als eine erfolgreiche gewaltsame Revolution betrachtet, dann beginnt die Gewalt erst richtig nach dem weitgehend friedlichen Handstreich. Die gewaltsame Revolution in Russland, das war der jahrelange Bürgerkrieg. Wenn ein solcher Krieg entbrennt, dann hat der seine eigenen Gesetze und um ihn gewinnen zu können muss man Dinge tun, die man vielleicht gar nicht tun wollte. Um den Krieg zu gewinnen mussten die Bolschewiki sehr viel und sehr brutal Gewalt anwenden, Zwang ausüben usw. Die Verhältnisse, die dadurch geschaffen wurden auch noch als Kriegs“kommunismus“ zu bezeichnen, das wirft bereits ein Licht auf die Kommunismusvorstellungen, die sich bei den Bolschewiki breit gemacht hatte. Die breite Masse der Bevölkerung litt unendlich unter den Verhältnissen zu denen der Bürgerkrieg führte. Sie litt nicht nur unter der weißen Konterrevolution. Ich will das hier gar nicht weiter ausführen, aber aus meiner Sicht war das ein „Desaster“ und ich denke, die Masse der Bevölkerung wird das so empfunden haben. Sich heute in einer mehr oder weniger angenehmen Umgebung hinter den PC zu setzen und eintippen: „nur die gewaltsame Revolution führt zum Erfolg“, das macht mich fast sprachlos.
    Wenn man von Erfolg spricht, dann stellt sich die Frage, welche Verhältnisse nach der gewaltsamen Niederschlagung der Reaktion geschaffen wurden. Hatte es sich dafür gelohnt, diese Leiden auf sich zunehmen? Was zunächst folgte, war die NÖP und dann Stalins Programm der Industrialisierung und des „Sozialismus in einem Lande“. Ich werde auch das nicht weiter ausführen. Es stellte sich aber offensichtlich heraus, dass nach dem Gemetzel des Bürgerkriegs immer noch nicht alles „Ungeziefer“ auf russischem Boden ausgerottet war. Es ging weiter.


    Betrachtet man die russische Revolution unter dem Gesichtspunkt der Machteroberung und Machtverteidigung einer politischen Partei, der bolschewistischen Partei, dann hat sich die Gewalt gelohnt und Revolution war erfolgreich. Betrachtet man sie unter dem Gesichtspunkt der sozialen Emanzipation, dann hat sich all die Gewalt überhaupt nicht gelohnt, sondern es war ein „Desaster“.


    Wenn KommunistInnen heute daraus eine Lehre ziehen wollen, dann muss die gerade darin bestehen, das „mit aller Energie“ auf einen möglichst friedlichen Weg der sozialen Revolution hingearbeitet wird. Schließlich geht es nicht darum, eine politische Partei an die Staatsmacht zu bringen. Es erscheint ja mittlerweile oft so, dass die Ziele sozialer Emanzipation ein (beliebiges) Mittel sind, um die politische Macht zu erobern und nicht umgekehrt, politische Macht ein Mittel ist soziale Emanzipation zu verwirklichen.
    Solche „Desaster“ einer gewaltsamen Revolution - wie das in Russland - für unvermeidbar zu erklären, das halte ich für verantwortungslos und schlimmer. Das ist meine Meinung dazu und wenn ich deshalb nicht zum erlauchten Kreis der "subjektiven Revolutionäre" zähle, sondern zu den Reformisten, dann betrachte ich das als Kompliment. Und jetzt ist aber Schluss mit NAO.


    Ich bin 63 und da muss man sich überlegen, wofür man die verbleibende Lebenszeit nutzt. In meiner nächsten Umgebung habe ich schon mehrfach erlebt, wie schnell das Leben zu Ende sein kann.


    Viele Grüße
    Robert


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