Die Revolution hat längst begonnen! Schon lange haben unsere Kapitalisten die persönliche
Leitung der Wirtschaft an Manager abgegeben, die nichts anderes sind als
bezahlte (und bestochene) Lohnarbeiter. Wo ein Kapitalist wirklich noch
etwas bewegt, wie Bill Gates bei Microsoft, wird er teils als Supermann
bestaunt, teils als Überbleibsel des patriarchalischen Kapitalismus
attackiert. Das Kapital hat zwar unsere technologischen
Möglichkeiten und persönlichen Fähigkeiten entwickelt, die Produktion
verwissenschaftlicht und vergesellschaftet, die Produktivität unermesslich
gesteigert und das Bildungsniveau der Lohnarbeiter ständig gehoben,
trotzdem entscheiden immer noch eine Handvoll Menschen über das Schicksal
von Millionen. Sozialistisch sind z. B. in Deutschland die frei
gewählten Betriebsräte, die mehr Wirtschaftsmacht ausüben als die von oben
eingesetzten und von oben dirigierten sowjetischen Betriebs-Direktoren je
konnten. In all diesen Auseinandersetzungen wird den
Herrschenden schon lange die Verfügungsgewalt über ihre Fabriken und
sonstigen Produktionsmittel streitig gemacht. Wo immer die Interessen der
Lohnarbeiter über die Interessen des Kapitals siegen, wird heute schon ein
Stück Kommunismus praktiziert. An tausend Stellen wird die Leitung der Wirtschaft und der Gesellschaft nicht mehr von den Kapitalisten, den Privateigentümern, ausgeübt, sondern von den Lohnarbeitern gemeinsam, von allen Gesellschaftsmitgliedern gemeinsam. Das ist der Stoff, aus dem der Kommunismus gemacht ist. Das Proletariat oder die Lohnarbeiter, die in
Deutschland 83 Prozent der Bevölkerung stellen, haben die sozialistische
Revolution und den Kommunismus längst begonnen. Sie wissen es vielleicht
nicht, aber sie tun es, weil ihre Interessen es erfordern. Was noch zu tun
bleibt, ist, das zur Gewohnheit und zur allgemeinen Regel zu machen, was
heute noch stückweise geschieht. Die sozialistische Revolution wurde in Deutschland
längst begonnen, aber die Linken warten immer noch darauf, dass sie von
den Massen aufgefordert werden, ein Startsignal zu geben und die
Marschrichtung für alle zeigen. Macht sich da nicht jemand
lächerlich? Friedrich Engels hatte 1882 über die Reife für den Kommunismus geschrieben: "... die Abschaffung der gesellschaftlichen Klassen ... hat also zur Voraussetzung einen Höhegrad der Entwicklung der Produktion, auf dem Aneignung der Produktionsmittel und Produkte und damit der politischen Herrschaft, des Monopols der Bildung und der geistigen Leitung durch eine besondre Gesellschaftsklasse nicht nur überflüssig, sondern auch ökonomisch, politisch und intellektuell ein Hindernis der Entwicklung geworden ist. Dieser Punkt ist jetzt erreicht." (MEW 19 : 225). Jeder von uns Lohnarbeitern erledigt nur eine Teilaufgabe und beherrscht nur ein Teilgeschick. Als einzelner zählt ein Lohnarbeiter nichts. Aber die Zeit, als es noch auf individuelles Geschick ankam, ist längst vergangen. Weil wir als lohnabhängige Teilarbeiter im gesellschaftlichen Arbeitsprozess alle zusammenwirken, halten wir weltumspannende Unternehmen in Gang, bauen Raumstationen und entschlüsseln die Gene des Menschen. Im gemeinsamen Arbeitsprozess verkörpern wir fast alles Geschick und fast alle Intelligenz dieser Welt. Da sollen wir nicht in der Lage sein, unsere Unternehmen und unsere Gesellschaft selber zu verwalten? An der Wende zum neuen Jahrtausend sind in Deutschland und allen entwickelten kapitalistischen Ländern nicht nur alle technischen und persönlichen Bedingungen für die Abschaffung aller Klassen entwickelt. Der Wille und die Fähigkeiten des Volkes, selber zu bestimmen und selber zu entscheiden, haben sich längst ausgebildet. Weil in Russland und weil in China dieser gesellschaftliche Reifegrad noch lange nicht erreicht war, sondern erst nach der Machtergreifung der kommunistischen Parteien durch despotische Maßnahmen von oben geschaffen werden sollte, war die Oktoberrevolution ohne einen Lenin, und die chinesische Revolution ohne einen Mao Zedong nicht machbar. Moderne Gesellschaften und moderne Revolutionen haben keinen Bedarf für Führer, die dem unwissenden Volk den richtigen Weg weisen. Warum wollen Linke immer noch die großen Führergestalten der rückständigen Revolutionen imitieren? Bis zum Programm der Kommunistischen Internationale von 1928 blieb es die Grundüberzeugung aller Marxisten, dass das gesamte kommunistische Programm prinzipiell und viele Forderungen auch aktuell mehrheitsfähig sind. Dieses revolutionäre Vertrauen in die Mehrheit ging
durch die Entwicklungen in der Sowjetunion und in Nazi-Deutschland
verloren: Beeindruckt von den Erfolgen der bolschewistischen Partei der
UdSSR, die ihre Macht auf keine Mehrheit in der Gesellschaft stützte, und
verunsichert durch die Schläge der Faschisten verloren viele Marxisten in
der Welt ihr Vertrauen in die Weisheit der Lohnarbeiter und der großen
Mehrheit und suchten Stärke und Siegesgewissheit in anderen Quellen: Diese politischen Taktiken haben gemeinsam, dass sie kein Vertrauen in die eigenen Lohnarbeiter und die Mehrheit des Volkes setzen. Alle diese Taktiken halfen nur unter ganz bestimmten Umständen und nur eine ganz bestimmte Zeit. Die Menschen, die sich darauf verließen, wurden enttäuscht, weil sie die grundlegende Wahrheit aus den Augen verloren hatten: Revolutionen werden nicht von einer Partei gemacht, sondern vom ganzen Volk. (K. Marx 1978, MEW 34 : 514). Die soziale Emanzipation ist die Sache der großen
Mehrheit. Wer sich für die soziale Emanzipation einsetzt, hat keine
anderen Aufgaben als die große Mehrheit. Die das verstanden haben, haben "es nicht mehr nötig, die Wissenschaft in ihrem Kopfe zu suchen; sie haben sich nur Rechenschaft abzulegen von dem, was sich vor ihren Augen abspielt, und sich zum Organ desselben zu machen." (K. Marx, Das Elend der Philosophie, MEW 4 : 143). Wal Buchenberg, 16.12.2000 |
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