Warum können
Linke nicht kooperieren?
Vor 2700 Jahren schrieb der Dichter Hesiod: „Jeder Töpfer regt sich über den
anderen Töpfer auf und jeder Zimmermann über den anderen Zimmermann. Jeder
Bettler ist schlecht zu sprechen auf den anderen Bettler und jeder
Künstler auf den anderen Künstler.“ (Hesiod, Werke und Tage, 25f.)
Töpfer, Zimmermann wie auch der
Bettler sind einzelarbeitende Handwerker, jeder des anderen Konkurrent.
Was einer an Ansehen und Aufträgen gewinnt, das verliert der andere. Es
lohnt sich also, die Konkurrenz schlecht zu machen. Handwerker können und
brauchen nicht kooperieren.
Sofern Linke sich heute gegenseitig schlecht machen,
verhalten sie sich wie die Handwerker Hesiods. Sie meinen, sie könnten für
sich etwas gewinnen, wenn sie die „Konkurrenz“ – die andere politische
Richtung, die andere Organisation oder den andersdenkenden Linken schlecht
machen. Tatsächlich schadet sich die Linke damit selbst.
Moderne
industrielle Arbeit ist nicht selbständige Einzelarbeit, sondern
kooperative Arbeit. Alles, was heute Großes geleistet wird, ist nicht das
Arbeitsergebnis Einzelner, sondern das Ergebnis kooperativer Arbeit von
vielen. „Die Form der Arbeit vieler, die in demselben
Produktionsprozess oder in verschiednen, aber zusammenhängenden
Produktionsprozessen planmäßig neben- und miteinander arbeiten, heißt
Kooperation. Wie die Angriffskraft einer Kavallerieschwadron oder die
Widerstandskraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von
der Summe der von jedem Kavalleristen und Infanteristen vereinzelt
entwickelten Angriffs- und Widerstandskräfte, so die mechanische
Kraftsumme vereinzelter Arbeiter von der gesellschaftlichen Kraftpotenz,
die sich entwickelt, wenn viele Hände gleichzeitig in derselben
ungeteilten Operation zusammenwirken... Die Wirkung der kombinierten
Arbeit könnte hier von der vereinzelten gar nicht oder nur in viel längren
Zeiträumen oder nur auf einem Zwergmaßstab hervorgebracht werden. Es handelt sich hier nicht
nur um Erhöhung der individuellen Produktivkraft durch die Kooperation,
sondern um die Schöpfung einer Produktivkraft, die an und für sich
Massenkraft sein muss.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23,
344f.
Gesellschaftliche, das heißt kooperative Arbeit
verbindet die begrenzten Fähigkeiten und Kenntnisse jedes Einzelnen zu
staunenswerten kollektiven Ergebnissen, die alle Genieleistungen der
handwerklichen, individuellen Produktionsweise in den Schatten
stellen. „Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen
Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und
Handarbeiten — oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andre Seite
vorwiegt, — zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was
jedoch nicht hindert, dass das materielle Produkt das gemeinsame Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in
materiellem Reichtum vergegenständlicht; was andrerseits ebenso wenig
hindert oder gar nichts daran ändert, dass das Verhältnis jeder einzelnen
dieser Personen das des Lohnarbeiters zum Kapital und in diesem eminenten
Sinn das des produktiven Arbeiters ist.“ K. Marx, Theorien über
den Mehrwert I., MEW 26.1, 386f.
„Wie die durch die Kooperation
entwickelte Produktivkraft der Arbeit als Produktivkraft des Kapitals
erscheint, so die Kooperation selbst als eine spezifische Form des
kapitalistischen Produktionsprozesses im Gegensatz zum Produktionsprozess
vereinzelter unabhängiger Arbeiter oder auch Kleinkapitalisten. Es ist
die erste Änderung, welche der wirkliche Arbeitsprozess durch seine
Unterwerfung unter das Kapital erfährt. ... Die Voraussetzung der
Kooperation, gleichzeitige Beschäftigung einer größeren Anzahl von
Lohnarbeitern in demselben Arbeitsprozess, bildet den Ausgangspunkt der
kapitalistischen Produktion. ... Wenn sich die kapitalistische
Produktionsweise daher einerseits als historische Notwendigkeit für die
Verwandlung des Arbeitsprozesses in einen gesellschaftlichen Prozess
darstellt, so andrerseits diese gesellschaftliche Form des
Arbeitsprozesses als eine vom Kapital angewandte Methode, um ihn durch
Steigerung seiner Produktivkraft profitlicher auszubeuten. Die Kooperation bleibt
die Grundform der kapitalistischen Produktionsweise...“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 354.
Insofern und weil die Linken
Kooperation nicht gelernt haben, leben sie noch in einer vorindustriellen,
vorkapitalistischen Zeit. Sie verhalten sich nicht als kooperative Teile
eines gemeinsamen großen Projektes – der Emanzipation der Menschen von
Ausbeutung und Unterdrückung – sondern als einzelne Töpfer, Zimmerleute
oder Bettler, von denen jeder meint, er könne an Ansehen und Kunden
gewinnen, wenn er seine Konkurrenten schlecht macht.
Allerdings
spielt dabei auch eine negative Rolle, dass sich neben diesen
individualistischen Linken eine „proletarische“ Linke herausgebildet hat,
die unter dem Einfluss des Stalinismus ins entgegengesetzte Extrem
gefallen ist und fabrikmäßige bzw. feudale Kooperationsformen ausgebildet
hat, die auf Herrschaft und Unterdrückung, bzw. Führerschaft und
Gefolgschaft beruhen.
In einer „marxistisch-leninistischen“
Organisation sind nur die Führer freie und selbstbestimmte Menschen, alle
anderen sind ihre Untertanen oder ihre Gefolgschaft. Notwendigerweise
strebt in so einem Umfeld jeder fähige und energische Kopf dazu, selber
ein Führer zu werden und er muss daher seine eigene Organisation
bilden.
So reproduziert die „proletarische“ Linke mit ihren vielen
kleinen Organisationen den Streit und die Zersplitterung der
individualistischen Linken auf der Ebene der Kleinorganisation: Jeder
„Parteiführer“ ein kleiner Handwerksbetrieb mit seinen Gesellen, der
andere Handwerksbetriebe bekämpft.
Wal Buchenberg,
11.1.2003 |