Agitation oder Propaganda?

Es gibt eine politische Ungeschicklichkeit, die mitten im Gefecht das Schießen vergisst und statt dessen mit Grundsatzerwägungen daherkommt, ob man nicht besser an anderer Stelle und mit anderen Mitteln den Kampf begonnen hätte. Es ist eine Unerfahrenheit, die die Unterschiede von Strategie und Taktik und den von Agitation und Propaganda nicht kennt.

So wie es in der Kriegführung den Unterschied gibt zwischen Taktik und Strategie, so gibt es in der Politik den entsprechenden Unterschied zwischen Agitation und Propaganda. So wie Taktik und Strategie miteinander verbunden sein müssen, so muss auch Agitation und Propaganda miteinander verbunden sein. Sie sind aber nicht dasselbe und sie müssen jeder für sich beherrscht werden.

Taktik im Krieg ist auf eine kurzen Zeitraum oder eine einzelne Schlacht bezogen, Agitation in der Politik ist auf Tagesfragen bezogen. Taktik und Agitation zielen auf die Lösung von kurzfristigen Zielen, Propaganda und Strategie auf langfristige Ziele.

Über die Strategie heißt es bei Clausewitz "Vom Kriege": "Sie entwirft den Kriegsplan und an dieses Ziel knüpft sie die Reihe der Handlungen an, welche zu demselben führen sollen." (Clausewitz, 3. Buch I.) An anderer Stelle sagt Clausewitz: "Es ist also nach unserer Einteilung die Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges..." (Clausewitz, 2. Buch, I.)

Da die radikale Linke - anders als Armeeführer - keine Armee haben, die auf ihr Kommando hören, können sie nur auf schon stattfindende Bewegungen und Kämpfe reagieren. Ihre Agitation zielt dann (hoffentlich) eher darauf, wichtige Kampffronten mit gedanklicher Munition zu versorgen, als die Kämpfenden zu belehren und zu kritisieren. Falls wir nur kritisieren und belehren ohne praktische Hinweise, wie denn der aktuelle Kampf erfolgreicher geführt werden könne, dann lähmen wir die Bewegung, statt ihr weiterzuhelfen.

Agitation kommt von dem lateinischen "agitatio" = "in Bewegung bringen". Wer eine Bewegung lähmt, der macht keine oder eine schlechte Agitation. Agitation hat immer auch starke emotionale Elemente. Agitation regt auf und will aufregen.

Das Wort "Propaganda" kommt aus dem Kirchenlatein von der Redewendung: "Congregatio de propaganda fide" - Kongregation zur Verbreitung des Glaubens". Propaganda bezieht sich also auf die grundlegenden "Glaubensfragen" unserer Politik und richtet sich in erster Linie an die Einsicht.

Im Duden-Fremdwörterbuch heißt es dazu: "Propaganda = systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o.ä. Ideen..."  Zu beachten ist hier das Systematische.

Die Propaganda befasst sich mit den grundlegenden Fragen der antikapitalistischen Politik: Dem Charakter des Staates, der Kritik der politischen Ökonomie, der Abschaffung der Lohnarbeit, der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung in einer emanzipierten Gesellschaft.

Agitation befasst sich mit dem sozialen Sparprogramm der Regierung, mit reaktionären Gesetzen oder Gesetzesvorschlägen oder mit einer einzelnen Tarifrunde und ihren Forderungen.

Agitation und Propaganda haben beide ihre Notwendigkeit und ihren jeweiligen Zweck, aber auch ihre jeweils eigenen Mittel. Manche Leute sind gute Agitatoren, aber schlechte Propagandisten oder umgekehrt. Es ist halt nicht jeder auf allen Gebieten gleich gut.

Mit einem Cartoon kann man Agitation machen, aber keine Propaganda. Wenn ein Flugblatt nur aus negativer Kritik und aus "Glaubenslehren" (=Propaganda) besteht, dann hat es keinen "Gebrauchswert" für eine Bewegung. Wer nur Propaganda machen will und keine Agitation mit nützlichen Vorschlägen für die aktuellen Kämpfe, der ist für die aktuelle Bewegung nutzlos, und der braucht sich nicht wundern, wenn niemand auf ihn hört.

W. Buchenberg, 13.1.04