Louis Blanc

„Der geistige Führer des vierten Standes war Louis Blanc. Er hatte in seiner ‚Histoire de dix ans‘ das erste Jahrzehnt der Regierung Louis Philipps mit einprägsamer Plastik und dolchscharfer Polemik abgeschildert und in seiner ‚Organisation du travail‘ sein nationalökonomisches Programm zur Darstellung gebracht. Seine Hauptforderung waren staatlich unterstützte Arbeiterproduktivgenossenschaften. Er war, wie wir schon erwähnten, einer der erbittersten Gegner des Manchestertums: die freie Konkurrenz ist nach seiner Ansicht die Ursache aller Missstände: des Arbeiterelends, der Handelskrisen, der Kriege; man müsse daher zum Gegenteil greifen: zur Assoziation. Die von ihm vorgeschlagenen  ‚sozialen Werkstätten‘ sind spezialisiert: sie vereinigen immer nur Arbeiter derselben Profession. Das notwendige Kapital hat die Regierung zu liefern. Der Lohn ist für alle gleich. Die Ernennung der Arbeitsleiter geschieht durch Wahl. Die jährlichen Überschüsse werden auf Lohnzuschläge, Altersversorgung und Erweiterung der Betriebe verwendet. Kurz: der Staat hat, wie Blanc sich sehr präzis ausdrückt, ‚der Bankier der Armen‘ zu sein.
Dieses Projekt wurde in Paris nach der Revolution (von 1848) von der ‚provisorischen Regierung‘ aufgenommen. Man errichtete ‚ateliers nationaux‘, in denen jedem Bürger Lohn und Arbeit geboten wurden. Sie wurden von allen Arten Erwerbsuchender überflutet; aber es stellte sich heraus, dass der Staat ihnen keinen genügenden Lohn, noch viel weniger aber genügend Arbeit bieten konnte. Schließlich beschäftigte man sie, um sie nicht ganz untätig zu lassen, mit völlig überflüssigen Erdgrabungen. Die Idee der Nationalwerkstätten hatte ein klägliches Fiasko gemacht, auf das seitdem alle bürgerlichen Wirtschaftstheoretiker mit triumphierenden Hohn verwiesen.“

Aus: Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit. München, S. 1116f.

Louis Blanc