Wucher

 

1. Wucher ist vorkapitalistische Ausbeutung

Das zinstragende Kapital, oder wie wir es in seiner altertümlichen Form bezeichnen können, das Wucherkapital, gehört mit seinem Zwillingsbruder, dem kaufmännischen Kapital, zu den uralten Formen des Kapitals, die der kapitalistischen Produktionsweise lange vorhergehen und sich in den verschiedensten ökonomischen Gesell-schaftsformationen vorfinden.

Die Existenz des Wucherkapitals erfordert nichts, als dass wenigstens ein Teil der Produkte sich in Waren verwandelt und zugleich mit dem Warenhandel das Geld sich in seinen verschiedenen Funktionen entwickelt hat.

Die Entwicklung des Wucherkapitals schließt sich an die des Kaufmannskapitals und speziell an die des Geldhandlungskapitals.

Im alten Rom, von den letzten Zeiten der Republik an, wo die Manufaktur tief unter der antiken Durchschnittsentwicklung stand, war Kaufmannskapital, Geldhandlungskapital und Wucherkapital innerhalb der antiken Form auf den höchsten Punkt entwickelt. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 607.

 

Man hat gesehen, wie sich mit dem Geld notwendig die Schatzbildnerei einfindet. Der professionelle Schatzbildner wird jedoch erst wichtig, sobald er sich in den Wucherer verwandelt. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 607.

 

In allen Formen, worin die Sklavenwirtschaft (nicht patriarchalisch, sondern wie in den späteren griechischen und römischen Zeiten) als Mittel der Bereicherung besteht, wo Geld also Mittel ist, durch Ankauf von Sklaven, Land etc., fremde Arbeit anzueignen, wird das Geld, eben weil es so angelegt werden kann, als Kapital verwertbar, zinstragend. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 608.

 

Die charakteristischen Formen jedoch, worin das Wucherkapital in den Vorzeiten der kapitalistischen Produktionsweise existiert, sind zweierlei. Ich sage charakteristische Formen. Dieselben Formen wiederholen sich auf Basis der kapitalistischen Produktion, aber als bloß untergeordnete Formen. Sie sind hier nicht mehr die Formen, die den Charakter des zinstragenden Kapitals bestimmen.

Diese beiden Formen sind:

erstens, der Wucher durch Geldverleihen an verschwenderische Große, wesentlich Grundeigentümer;

zweitens, Wucher durch Geldverleihen an den kleinen, im Besitz seiner eigenen Arbeitsbedingungen befindlichen Produzenten, worin der Handwerker eingeschlossen ist, aber ganz speziell der Bauer, da überhaupt in vorkapitalistischen Zuständen, soweit sie kleine selbständige Einzelproduzenten zulassen, die Bauernklasse deren große Majorität bilden muss.

Beides, sowohl der Ruin der reichen Grundeigentümer durch den Wucher, wie die Aussaugung der kleinen Produzenten führt zur Bildung und Konzentration großer Geldkapitalien. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 608.

Wieweit aber dieser Prozess die alte Produktionsweise aufhebt, wie dies im modernen Europa der Fall war, und ob er an ihrer Stelle die kapitalistische Produktionsweise setzt, hängt ganz von der historischen Entwicklungsstufe und den damit gegebenen Umständen ab. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 608.

 

Der Wucher zentralisiert Geldvermögen, wo die Produktionsmittel zersplittert sind. Er ändert die Produktionsweise nicht, sondern saugt sich an sie als Parasit fest und macht sie miserabel. ... Daher der populäre Hass gegen den Wucher, am höchsten in der antiken Welt, wo das Eigentum des Produzenten an seinen Produktionsbedingungen zugleich Basis der politischen Verhältnisse, der Selbständigkeit des Staatsbürgers war. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 610.

 

Das Wucherkapital besitzt die Ausbeutungsweise des Kapitals ohne seine Produktionsweise. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 611.

 

Erst wo und wann die übrigen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise vorhanden sind, erscheint der Wucher als eines der Bildungsmittel der neuen Produk-tionsweise, durch Ruin der Feudalherren und der Kleinproduktion einerseits, durch Zentralisation der Arbeitsbedingungen zu Kapital andererseits. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 611.

 

Was der verschwenderische und korrumpierende Reichtum will, ist Geld als Geld, Geld als Mittel, alles zu kaufen. (Auch zum Schuldenzahlen.) Wozu der kleine Produzent vor allem Geld braucht, ist zum Zahlen. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 612.

 

Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel ist ... das eigentliche, große und eigentümliche Terrain des Wuchers. Jede an bestimmtem Termin fällige Geldleistung, Grundzins, Tribut, Steuer etc., bringt die Notwendigkeit einer Geldzahlung mit sich. Daher setzt sich der Wucher im Großen von den alten Römern bis auf die modernen Zeiten an die Steuerpächter ... an. Dann entwickelt sich mit dem Handel und der Verallgemeinerung der Warenproduktion die zeitliche Trennung von Kauf und Zahlung. Das Geld ist an bestimmtem Termin zu liefern. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 613.

 

2. Banken und kapitalistischer Kredit

entstehen im Kampf gegen Wucher

Die Entwicklung des Kreditwesens vollbringt sich als Reaktion gegen den Wucher. ...

Es bedeutet nichts mehr und nichts weniger als die Unterordnung des zinstragenden Kapitals unter die Bedingungen und Bedürfnisse der kapitalistischen Produktionsweise. Im Großen und Ganzen wird das zinstragende Kapital im modernen Kreditsystem den Bedingungen der kapitalistischen Produktion angepasst.

Der Wucher als solcher existiert nicht nur fort, sondern wird bei den Völkern entwickelter kapitalistischer Produktion von den Schranken befreit, die ihm alle ältere Gesetzgebung gezogen hat. Das zinstragende Kapital behält die Form von Wucherkapital gegenüber Personen und Klassen oder in Verhältnissen, wo nicht im Sinn der kapitalistischen Produktionsweise geborgt wird und geborgt werden kann; wo aus individueller Not geborgt wird wie im Pfandhaus; wo dem genießenden Reichtum für Verschwendung geborgt wird; oder wo der Produzent nichtkapitalistischer Produzent ist, kleiner Bauer, Handwerker etc. ...; endlich wo der kapitalistische Produzent selbst auf so kleiner Stufenleiter produziert, dass er sich jenen selbst arbeitenden Produzenten nähert. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 613f.

Was das zinstragende Kapital, soweit es ein wesentliches Element der kapitalistischen Produktionsweise bildet, vom Wucherkapital unterscheidet, ist in keiner Weise die Natur oder der Charakter dieses Kapitals selbst. Es sind nur die veränderten Bedingungen, unter denen es fungiert, und daher auch die total verwandelte Gestalt des Borgers, der dem Geldverleiher gegenübertritt.

Selbst wo ein vermögensloser Mann als Industrieller oder Kaufmann Kredit erhält, geschieht es in dem Vertrauen, dass er als Kapitalist fungieren, unbezahlte Arbeit aneignen wird mit dem geliehenen Kapital. Es wird ihm Kredit gegeben als potenziellem Kapitalisten. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 614.

Die Kreditassoziationen, die sich im 12. und 14. Jahrhundert in Venedig und Genua bildeten, entsprangen aus dem Bedürfnis des Seehandels und des auf denselben gegründeten Großhandels, sich von der Herrschaft des altmodischen Wuchers und den Monopolisierern des Geldhandels zu emanzipieren.

Wenn die eigentlichen Banken, die in diesen Stadtrepubliken gestiftet wurden, zugleich als Anstalten für den öffentlichen Kredit sich darstellen, von denen der Staat Vorschüsse auf einzunehmende Steuern erhielt, so darf nicht vergessen werden, dass die Kaufleute, die jene Assoziationen bildeten, selbst die ersten Leute jener Staaten und ebenso interessiert waren, die Regierung wie sich selbst vom Wucher zu emanzipieren und zugleich sich den Staat dadurch mehr und sicherer zu unterwerfen. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 615.

Während des ganzen 18. Jahrhunderts ertönt und die Gesetzgebung handelt in diesem Sinn ... der Schrei nach gewaltsamer Herabsetzung des Zinsfußes, um das zinstragende Kapital dem kommerziellen und industriellen unterzuordnen statt umgekehrt. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 616.

Diese gewaltsame Bekämpfung des Wuchers, diese Forderung der Unterordnung des zinstragenden unter das industrielle Kapital ist nur der Vorläufer der organischen Schöpfungen, die diese Bedingungen der kapitalistischen Produktion im modernen Bankwesen herstellen, das einerseits das Wucherkapital seines Monopols beraubt, indem es alle tot liegenden Geldreserven konzentriert und auf den Geldmarkt wirft, andererseits das Monopol der edlen Metalle selbst durch Schöpfung des Kreditgelds beschränkt. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 617.

Wir haben gesehen, dass das Kaufmannskapital und das zinstragende Kapital die ältesten Formen des Kapitals sind. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass das zinstragende Kapital in der Volksvorstellung sich als die Form des Kapitals als solches darstellt.

Im Kaufmannskapital findet eine vermittelnde Tätigkeit statt, möge sie nun als Prellerei, Arbeit oder wie immer ausgelegt werden. Dagegen stellt sich im zinstragenden Kapital der selbst reproduzierende Charakter des Kapitals, der sich verwertende Wert, die Produktion des Mehrwerts, als okkulte (geheimnisvolle) Qualität rein dar. K. Marx, Kapital III, MEW 25, 622.

Siehe auch die Artikel:

Bankkapital

Finanzkapital

Kredit

Zins und zinstragendes Kapital

 

 

-> Diskussionsforum

Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten. Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.