Parlament und Wahlen
Die
proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren
Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl. K.
Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 473. Die
Lohnarbeiter stellen in modernen Gesellschaften die große Mehrheit der
Bevölkerung in Deutschland rund 75 % der Erwerbsbevölkerung. Wer für
Selbstbestimmung dieser Mehrheit ist, muss auch für
Mehrheitsentscheidungen eintreten. Zwar war Marx überall dort, wo kein
Parlament existierte oder es keine nennenswerte Macht hatte, für
Parlamentarismus eingetreten (siehe auch den Artikel: Demokratie),
aber Parlamentarismus ist nicht die beste politische Form, um die
Interessen der lohnabhängigen Mehrheit zur Geltung zu bringen.
Durch
Stimmabgabe bei Wahlen können wir uns zwar neue politische Herren wählen,
aber nur auf die Weise, wie wir durch Kündigung und Arbeitsplatzsuche uns
einen neuen kapitalistischen Arbeitsherrn wählen können.
Abschaffung
der Lohnarbeit und Selbstbestimmung der wirklichen Produzenten kann
innerhalb einer parlamentarischen Stellvertreter- und Zuschauerdemokratie
nur vorbereitet, nicht verwirklicht
werden. ...
Die Republik erscheint in Frankreich als das, was sie ist: die
klassische Form der Bourgeoisherrschaft und zugleich die ihrer
hereinbrechenden Auflösung. F.
Engels, Brief an W. Liebknecht (1877), MEW 34, 281f. 1.
Parlamentarische Mehrheiten bewirken wenig Die
Linke der verfassungsgebenden Versammlung in der Frankfurter
Paulskirche (18481849) diese Elite und dieser Stolz des
revolutionären Deutschlands, wofür sie sich selbst hielt war förmlich
berauscht von den paar armseligen Erfolgen, die sie davongetragen
hatten ... Jedes
Mal, wenn die Frankfurter Versammlung einem Vorschlag, der auch nur im
entferntesten an ihre eigenen keineswegs klar umrissenen Grundsätze
erinnerte, in homöopathisch verdünnter Form eine Art Sanktion erteilte,
verkündeten diese Demokraten, sie hätten Vaterland und Volk gerettet.
Diese armseligen Schwachköpfe waren im ganzen Verlauf ihres meist recht
obskuren Lebens so wenig an so etwas wie einen Erfolg gewöhnt, dass sie
tatsächlich glaubten, ihre lumpigen Änderungsanträge, die mit zwei
oder drei Stimmen Mehrheit durchkamen, würden das Antlitz Europas
verändern. Seit
Beginn ihrer parlamentarischen Laufbahn waren sie mehr als jede andere
Fraktion der Versammlung von jener unheilbaren Krankheit, dem
parlamentarischen Idiotismus, verseucht, einem
Leiden, das seine unglücklichen Opfer mit der erhabenen Überzeugung
erfüllt, dass die ganze Welt, deren Vergangenheit und deren Zukunft, durch
die Stimmenmehrheit gerade jener Vertretungskörperschaft gelenkt und
bestimmt wird, die die Ehre hat, sie zu ihren Mitgliedern zu zählen, und
dass alles und jedes, was es außerhalb der Mauern ihres Hauses gibt
Kriege, Revolutionen, Eisenbahnbauten, die Kolonisierung ganzer neuer
Kontinente, kalifornische Goldfunde, zentralamerikanische Kanäle,
russische Armeen und was sonst vielleicht noch Anspruch erheben kann, die
Geschicke der Menschheit zu beeinflussen , dass all das nichts ist im
Vergleich mit jenen unermesslich wichtigen Ereignissen, die mit der
ausnahmslos bedeutungsvollen Frage zusammenhängen, der das hohe Haus
gerade seine Aufmerksamkeit widmet. F.
Engels, Revolution und Konterrevolution, MEW 8, 87f. Und
es gehörte jene eigentümliche Krankheit dazu, die seit 1848 auf dem ganzen
Kontinent sich ausbreitete, der parlamentarische
Idiotismus, der die Angesteckten in eine eingebildete Welt
festbannt und ihnen allen Sinn, alle Erinnerung, alles Verständnis für die
raue Außenwelt raubt ... K.
Marx, 18.
Brumaire,
MEW 8, 173. Anderen
etwas vormachen und sich dabei selbst etwas vormachen das ist die
parlamentarische Weisheit im Kern. K.
Marx, Brief an Danielson (1881), MEW 35, 157. Selbst
die entschiedenen Mitglieder der Linken, statt sich der ganzen Versammlung
direkt gegenüberzustellen, geben die Hoffnung nicht auf, in der Kammer und
durch die Kammer noch zu etwas zu kommen und eine Majorität für die Linke
zu erlangen. Statt eine außerparlamen-tarische Stellung im Parlament
einzunehmen, die einzige, die in einer solchen Kammer ehrenvoll ist,
machen sie der parlamentarischen Möglichkeit zu Gefallen ein Zugeständnis
nach dem anderen, statt den verfassungsmäßigen Standpunkt nach
Möglichkeit zu ignorieren, suchen sie ordentlich die Gelegenheit, um des
lieben Friedens willen, mit ihm zu kokettieren ... K.
Marx, Adressdebatte, 1849, MEW 6, 373. 1.1.
Ein kleineres Übel wählen? Wer zwischen zwei
bürgerlichen Regierungen nach dem kleinerem Übel sucht, befindet sich
in der Lage von
Buridans Esel (der zwischen zwei gleich großen Säcken Heu
verhungerte), zwar nicht zwischen zwei Säcken Heu, um zu entscheiden,
welcher der anziehendere, wohl aber zwischen zwei Trachten Prügel, um zu
entscheiden, welche die härtere sei. K.
Marx, 18. Brumaire, MEW 8, 190. 2.
Wofür Parlamentswahlen genutzt werden können 2.1.
Verbreitung der Forderungen und Ziele der
Lohnarbeiter Die
rasche Organisation, wenigstens einer provinziellen Verbindung der
Arbeiterklubs, ist einer der wichtigsten Punkte zur Stärkung und
Entwicklung der Arbeiterpartei; die nächste Folge des Sturzes der
bestehenden monarchischen Regierungen wird die Wahl einer
Nationalvertretung sein. Das Proletariat muss hier dafür
sorgen: I.
dass durch keinerlei Schikanen von Lokalbehörden und
Regierungs-kommissaren eine Anzahl Arbeiter unter irgendeinem Vorwand
aus-geschlossen wird; II. dass überall neben den bürgerlich demokratischen Kandidaten Arbeiterkandidaten aufgestellt werden, die möglichst aus kommunis-tischen Bundesmitgliedern bestehen müssen und deren Wahl mit allen möglichen Mitteln zu betreiben ist. Selbst da, wo gar keine Aussicht zu ihrer Durchführung vorhanden ist, müssen die Arbeiter ihre eigenen Kandidaten aufstellen, um ihre Selbständigkeit zu bewahren, ihre Kräfte zu zählen, ihre revolutionäre Stellung und Parteistandpunkte vor die Öffentlichkeit bringen. Sie dürfen sich hierbei nicht durch die Redensarten der Demokraten bestechen lassen, wie z. B. dadurch spalte man die demokratische Partei und gebe der Reaktion die Möglichkeit zum Siege. Bei allen solchen Phrasen kommt es schließlich darauf hinaus, dass das Proletariat geprellt werden soll. Die Fortschritte, die die proletarische Partei durch ein solches unabhängiges Auftreten machen muss, sind unendlich wichtiger als der Nachteil, den die Gegenwart einiger Reaktionäre in der Vertretung erzeugen könnte. K. Marx, Ansprache der Zentralbehörde, März 1850, MEW 7, 251. Und
wenn das allgemeine Wahlrecht keinen anderen Gewinn geboten hätte, als
dass es uns erlaubte, uns alle drei Jahre zu zählen; dass es durch die
regelmäßig konstatierte, unerwartet rasche Steigerung der Stimmenzahl in
gleichem Maße die Siegesgewissheit der Arbeiter wie den Schrecken der
Gegner steigerte und so unser bestes Propaganda-mittel wurde; dass es uns
genau unterrichtete über unsere eigene Stärke wie über die aller
gegnerischen Parteien und uns dadurch einen Maßstab für die
Proportionierung unserer Aktion lieferte, wie es keinen zweiten gibt uns
vor unzeitiger Zaghaftigkeit ebenso sehr bewahrte wie vor unzeitiger
Tollkühnheit , wenn das der einzige Gewinn wäre, den wir vom Stimmrecht
haben, dann wäre es schon über und über genug. Aber
es hat noch viel mehr getan. In der Wahlagitation lieferte es uns ein
Mittel, wie es kein zweites gibt, um mit den Volksmassen da, wo sie uns
noch ferne stehen, in Berührung zu kommen, alle Parteien zu zwingen, ihre
Ansichten und Handlungen unseren Angriffen gegenüber vor allem Volk zu
verteidigen; und dazu eröffnete es unseren Vertretern im Reichstag eine
Tribüne, von der herab sie mit ganz anderer Autorität und Freiheit zu
ihren Gegnern im Parlament wie zu den Massen draußen sprechen konnten als
in der Presse und in Versammlungen. Was half der Regierung und der
Bourgeoisie ihr Sozialistengesetz, wenn die Wahlagitation und die
sozialistischen Reichstagsreden es fortwährend durchbrachen? F. Engels, Einleitung
von 1895 zu Klassenkämpfe in Frankreich, MEW 22,
519. 2.2.
Legalisierung von erkämpften Rechten und
Freiheiten Siehe
den Artikel: Gesetze 2.3.
Unter Umständen taugt ein Parlament zur Einleitung einer unblutigen
Revolution Vergleiche
dazu den Artikel: Friedlicher
Übergang. Das Ziel ... ist die
Emanzipation der Arbeiterklasse und die darin enthaltene Umwälzung
(Umwandlung) der Gesellschaft. Friedlich kann eine
historische Entwicklung nur so lange bleiben, als ihr keine gewaltsamen
Hindernisse seitens der jedesmaligen gesellschaftlichen Machthaber in den
Weg treten. Gewinnt z. B. in England oder in den Vereinigten Staaten die
Arbeiterklasse die Majorität im Parlament oder Kongress, so könnte sie auf
gesetzlichem Weg die ihrer Entwicklung im Weg stehenden Gesetze und
Einrichtungen beseitigen, und zwar auch nur, soweit die gesellschaftliche
Entwicklung dies erfordere. Dennoch könnte die
friedliche Bewegung in eine gewaltsame umschlagen durch Auflehnung der
am alten Zustand Interessierten; werden sie (wie im Amerikanischen
Bürgerkrieg und in der Französischen Revolution) durch
Gewalt niedergeschlagen, so als Rebellen gegen die gesetzliche
Gewalt. K. Marx,
Reichstagsdebatte zum Sozialistengesetz, MEW 34,
498f. Wenn
die Linke im Parlament siegen wollte, durfte sie nicht zu den
Waffen rufen. Wenn sie im Parlament zu den Waffen rief, durfte sie sich
auf der Straße nicht parlamentarisch verhalten. K.
Marx, 18. Brumaire, MEW 8, 144. Die
Völker werden bekanntlich mit den Königen unendlich leichter fertig
als mit den gesetzgebenden Versammlungen. Die Geschichte besitzt
einen Katalog vergeblicher Empörungen des Volkes gegen die
Nationalversammlungen. Sie bietet nur zwei große Ausnahmefälle. Das
englische Volk zerstäubte das lange Parlament in der Person
Cromwells, das französische Volk den gesetzgebenden Körper in der
Person Bonapartes. Aber das lange Parlament war lange schon zum
Torso geworden, der gesetzgebende Körper zum
Kadaver. K. Marx,
Konterrevolution in Berlin, MEW 6, 7. 3.
Rätedemokratie nach dem Muster der Pariser Kommune ist die beste
politische Form für Befreiung von Ausbeutung und
Unterdrückung Die Kommune war eine Revolution gegen den Staat selbst, gegen diese übernatürliche Fehlgeburt der Gesellschaft; sie war eine Wieder-belebung durch das Volk und des eigenen gesellschaftlichen Lebens. Sie war nicht eine Revolution, um die Staatsmacht von einer Fraktion der herrschenden Klassen an die andere zu übertragen, sondern eine Revolution, um diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft selbst zu zerbrechen. ... Die Kommune war die entschiedene Negation jener Staatsmacht und darum der Beginn der sozialen Revolution des 19. Jahrhunderts. Was daher immer ihr Geschick in Paris ist, sie wird ihren Weg um die Welt machen. K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 541f. Die
Mannigfaltigkeit der Deutungen, denen die Kommune unterlag, und die
Mannigfaltigkeit der Interessen, die sich in ihr ausgedrückt fanden,
beweisen, dass sie eine durch und durch ausdehnungsfähige politische Form
war, während alle früheren Regierungsformen wesentlich unter-drückend
gewesen waren. Ihr
wahres Geheimnis war dies: Sie war wesentlich eine Regierung der
Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die
aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die
ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte
... Die
politische Herrschaft des Produzenten kann nicht bestehen neben der
Verewigung seiner gesellschaftlichen Knechtschaft. Die Kommune sollte
daher als Hebel dienen, um die ökonomischen Grundlagen umzu-stürzen, auf
denen der Bestand der Klassen und damit der Klassenherr-schaft
ruht. Einmal die Arbeit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein. K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 342. Die
Kommune musste gleich von vornherein anerkennen, dass die Arbeiterklasse,
einmal zur Herrschaft gekommen, nicht fortwirtschaften könne mit der alten
Staatsmaschine; dass diese Arbeiterklasse, um nicht ihrer eigenen, erst
eben eroberten Herrschaft wieder verlustig zu gehen, einerseits alle die
alte, bisher gegen sie selbst ausgenutzte Unter-drückungsmaschinerie
beseitigen, andererseits aber sich sichern müsse gegen ihre eigenen
Abgeordneten und Beamten, indem sie diese, ohne alle Ausnahme, für
jederzeit absetzbar erklärte ... Diese
Sprengung der bisherigen Staatsmacht und ihre Ersetzung durch eine neue,
in Wahrheit demokratische, ist im dritten Abschnitt des
Bürgerkriegs
(von Karl Marx) eingehend geschildert. ... Der sozialdemokratische Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats. F. Engels, Einleitung von 1891 zum Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 623ff. Siehe auch die Artikel:
|
Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten. Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |