Kopf- und Handarbeit
1. Dass Lohnarbeiter zwar ihre Hände, aber kaum ihren Verstand gebrauchen, ist ein
tiefverwurzeltes Vorurteil sowohl der sozialdemokratischen wie der
leninistischen Tradition der Arbeiterbewegung.
Die Identifizierung der
Arbeiterklasse mit (gering qualifizierten) Handarbeitern führte direkt zu
Arbeiterparteien und „Arbeiterregierungen“, die aufgrund ihrer höheren
Einsicht über der Masse der Arbeiter stehen mussten.
1.1 Das
Grimm’sches Wörterbuch von
1854 dachte bei Arbeiterklasse vorzugsweise an Handarbeiter:
„Unter
den Arbeitern, der arbeitenden Klasse denkt man sich vorzugsweise
Handarbeiter im Haus, im Felde, in den Fabriken, das Gesinde.“ (Band 1,
543)
1.2 Bernstein und Kautsky fanden bei klassenlosen (!?
beschäftigungslosen?) Intellektuellen, nicht bei den Lohnarbeitern einen
„höheren Standpunkt“:
„Die Ideologen haben aufgehört, eine
herrschende Klasse zu sein. Sie haben aber überhaupt aufgehört, eine
zusammenhängende Klasse mit besonderen Klasseninteressen darzustellen. Sie
bilden einen Haufen von Individuen und Koterien mit den verschiedensten
Interessen. Wie schon öfter bemerkt, berühren sich diese Interessen zum
Teil mit denen der Bourgeoisie, zum Teil mit denen den
Proletariats.
Dabei befähigt sie ihre Bildung, am ehesten einen höheren
Standpunkt in der Betrachtung der sozialen Entwicklung zu gewinnen. ...
Nur wenn wir die Bernsteinschen Sätze in diesem Sinne deuten, werden sie
uns begreiflich und verlieren sie ihren mystischen Charakter, hören sie
aber auch auf, irgendetwas gegen den historischen Materialismus zu
beweisen.“ K. Kautsky, Bernstein und die materialistische
Geschichtsauffassung. Neue Zeit, 1998/99, Bd. 2, 4-16.
1.3 Lenin
rechnete dagegen „die Intelligenz“ pauschal zur Kapitalistenklasse. Um
„beweisen“ zu können, dass es der Arbeiterklasse an der nötigen
Intelligenz mangelte, musste er z.B. ihre politischen Kämpfe für
gesetzliche Regelungen (im offenen Widerspruch zu Marx) zum
„nur-gewerkschaftlichen“ Kampf zählen.
„Wir haben gesagt, dass die
Arbeiter ein sozialdemokratisches Bewusstsein gar nicht haben
konnten. Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden. Die
Geschichte aller Länder zeugt davon, dass die Arbeiterklasse
ausschließlich aus eigener Kraft nur ein trade-unionistisches Bewusstsein
hervorzubringen vermag, d.h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich
in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu
führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze
abzutrotzen u.a.m. Die Lehre des Sozialismus ist hingegen aus den
philosophischen, historischen und ökonomischen Theorien hervorgegangen,
die von den gebildeten Vertretern der besitzenden Klassen, der
Intelligenz, ausgearbeitet wurden. Auch die Begründer des modernen
wissenschaftlichen Sozialismus, Marx und Engels, gehörten ihrer sozialen
Stellung nach der bürgerlichen Intelligenz an.“ W. I. Lenin, Was tun?
Ausgew. Werke in drei Bänden, Band I, 166.
1.4 Für 68er Linke
war es sogar denkbar, dass ein Arbeiter nichts als seine beiden Hände und
somit weder Kopf noch Verstand besaß.
„Herr N. ist Arbeiter, d.h.
er besitzt nichts als seine beiden Hände und die Fähigkeit, einen Kran zu
fahren.“ (Kommunistische Volkszeitung Nr. 30, 1975, S. 10).
2. Keine der hier zitierten
Vorstellungen stimmt mit den Analysen von K. Marx über die moderne
Lohnarbeiterklasse (Proletariat) überein.
Die Kriterien nach denen
Marx die gesellschaftlichen Klassen einteilt, sind nichts weiter als ihre
jeweiligen Eigentumsverhältnisse und die daraus abgeleiteten
Einkommensquellen.
Nach dieser rein ökonomischen Bestimmung gehören
zunächst alle zur Lohnarbeiterklasse, die keine Existenzmittel
(Produktionsmittel) besitzen außer ihrer Arbeitskraft und daher von ihrer
Arbeit leben müssen. Es sind Menschen, die „nur so lange leben, als sie
Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das
Kapital vermehrt.“ (K. Marx/ F. Engels, Kommunistisches Manifest, MEW
4, 468.) Dabei spielt es keine Rolle, ob sie überwiegend mit den Händen
oder überwiegend mit dem Kopf arbeiten. Allerdings spielt aber die
Bestimmung, dass ihre Arbeit das Kapital vermehrt, eine wichtige Rolle,
denn in Deutschland sind derzeit 90 % der Bevölkerung lohnabhängig, nicht
alle gehören damit schon zur Arbeiterklasse, weil nicht alle von ihnen
„Kapital vermehren“. Dieser Punkt soll gleich noch erläutert
werden.
„Arbeiterklasse“, „Proletariat“ oder „Lohnarbeiter“ sind
dabei nur unterschiedliche Namen für ein und dieselbe Sache. „Proletarier“
kommt aus dem Lateinischen und heißt soviel wie „Besitzloser“. Marx sprach
vor allem in seinen ökonomischen Schriften auch von der „Klasse der
freien Arbeiter“ (Kapital I, MEW 23, 185), der „Klasse der
Lohnarbeiter“ oder der „Lohnarbeiterklasse“ (Kapital II, MEW
24, 39.)
2.1 Die produktive Lohnarbeiterklasse und ihre
Unterteilung
K. Marx sah im Wesentlichen nur zwei Unterteilungen
der produktiven Lohnarbeiterklasse: Hinsichtlich der Qualifikation
unterschied Marx zwischen einfacher und komplizierter Arbeit und
hinsichtlich ihrer Stellung zur Mehrwertproduktion unterschied Marx
zwischen direkt produktiven Arbeitern und indirekt produktiven
(Zirkulations)Arbeitern.
2.1.1. Hinsichtlich der
Qualifikation betonte K. Marx die „Scheidung der Arbeiter in
geschickte und ungeschickte“, bzw. in „komplizierte Arbeit“ und
„einfache Arbeit“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 59), das heißt
qualifiziertere und unqualifizierte Arbeit: „Neben die hierarchische
Abstufung tritt die einfache Scheidung der Arbeiter in geschickte und
ungeschickte.“ (Kapital I, MEW 23, 371)
In Deutschland haben
derzeit von allen Erwerbstätigen rund 25 % keinen Berufsabschluss (niedrig
qualifizierte Arbeitskraft = einfache Arbeit), 63 % einen Berufsabschluss
(normal qualifizierte Arbeitskraft = mittel-komplizierte Arbeit), 12 %
einen Hochschulabschluss (höher qualifizierte Arbeitskraft =
höher-komplizierte Arbeit). In den letzten 100 Jahren ist der
Bildungsstand der Lohnarbeiter ständig gestiegen.
Entsprechend der
Marx`schen Werttheorie schafft höherqualifizierte oder komplizierte Arbeit
auch höheren Wert und damit größeren Mehrwert für das Kapital.
„Kompliziertere Arbeit gilt nur als potenzierte oder vielmehr
multiplizierte einfache Arbeit, so dass ein kleineres Quantum
komplizierter Arbeit gleich einem größeren Quantum einfacher Arbeit.“
(K. Marx, Kapital I, MEW 23, 59)
Marx sagte an anderer Stelle: „Ist
die Arbeit eines Goldschmieds teurer als die eines Arbeiters, so ist die
Mehrarbeitszeit des Goldschmieds im selben Verhältnis teurer als die des
Ungelernten.“ (K. Marx,
Theorien über den Mehrwert II., MEW 26.2, 386) Andererseits sind die
Ausbildungs- und Reproduktionskosten dieser Arbeitskraft höher, sie muss
also auch mit höherem Lohn bezahlt werden. Ihr höherer Lohn ist daher
keineswegs Ausdruck einer geringeren Ausbeutung als bei ihren weniger
qualifizierten Kollegen. „...Ich muss diese Gelegenheit zu der
Feststellung benutzen, dass, genauso wie die Produktionskosten für
Arbeitskräfte verschiedener Qualität nun einmal verschieden sind, auch die
Werte der in verschiedenen Geschäftszweigen beschäftigten Arbeitskräfte
verschieden sein müssen. Der Ruf nach Gleichheit der Löhne beruht daher
auf einem Irrtum, ist unerfüllbarer, törichter Wunsch.“ (K. Marx,
Lohn, Preis und Profit, MEW 16, 131)
Höherqualifizierte
Lohnarbeiter kosten also das Kapital mehr Lohn, liefern aber auch in der
Regel größeren Mehrwert: „... Unterschiede ... in der Höhe des
Arbeitslohns beruhen großenteils auf dem schon im Eingang zu Buch I, S. 59
erwähnten Unterschied zwischen einfacher und komplizierter Arbeit und
berühren, obgleich sie das Los der Arbeiter in verschiedenen
Produktionssphären sehr verungleichen, keineswegs den
Ausbeutungsgrad der Arbeit in diesen verschiedenen Sphären.
Wird
z.B. die Arbeit eines Goldschmieds teurer bezahlt als die eines
Taglöhners, so stellt die Mehrarbeit des Goldschmieds in demselben
Verhältnis auch größeren Mehrwert her als die des Taglöhners.“ (K.
Marx, Kapital III, MEW 25, 151) Heute müssen wir sagen: Wird die Arbeit
einer Lufthansapilotin teurer bezahlt als die einer Stewardess, so stellt
die Mehrarbeit der Pilotin für die Lufthansa-Kapitalisten in demselben
Verhältnis auch größeren Mehrwert her als die der Stewardess.
Auch
den Begriff „Arbeiteraristokratie“, in den später viel
hineingeheimst wurde, bezog Marx nur auf beste Bezahlung, weil beste
Qualifikation: der „bestbezahlte Teil der Arbeiterklasse, ... ihre
Aristokratie“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 697) Es hat nichts mit der
Marx’schen Klassenanalyse zu tun, wenn der Begriff „Arbeiteraristokratie“
polemisch mit bestimmten Tätigkeiten, z.B. Gewerkschaftsfunktionen,
verbunden wird.
In der Marx’schen Unterscheidung von einfacher und
komplizierter Arbeit verschwinden auch alle Unterschiede von Kopf- und
Handarbeit.
Meist ist lohnabhängige Kopfarbeit für das Kapital
qualifiziertere oder komplizierte Arbeit. Wie jedoch die Werkzeugmaschinen
die Dequalifizierung der Großzahl der geschickten Handwerker brachten, so
erzwingen heute Computer die Dequalifizierung der Großzahl der
Kopfarbeiter.
Ein Kopf-Lohnarbeiter kann einerseits für das Kapital
fertige Produkte herstellen wie der Lehrer gedrillte Schülerkopfe an einer
Privatschule herstellt: „Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der
Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister
produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern
sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Dass letzterer
sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik,
ändert nichts an dem Verhältnis.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 532)
Andererseits kann Kopfarbeit als notwendige Teilarbeit in die
kombinierte Arbeit des produktiven Gesamtarbeiters eines Unternehmens oder
der ganzen Gesellschaft eingehen: „Wie im Natursystem Kopf und Hand
zusammengehören, vereint der Arbeitsprozess Kopfarbeit und Handarbeit. ...
Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des
individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame
Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals,
dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner
stehen. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst
erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und
ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es
nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des
Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu
vollziehen.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23,
531)
„Gesamtarbeiter“ ist der wissenschaftliche Begriff der
Lohnarbeiterklasse, des modernen Proletariats. Marx sprach daher vom
„Kampf zwischen dem Gesamtkapitalisten, d.h. der Klasse der
Kapitalisten, und dem Gesamtarbeiter oder der Arbeiterklasse“. (K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 249)
Indem die moderne Lohnarbeit ihren
kooperativen, d.h. gesellschaftlichen, Charakter entfaltete und auf immer
mehr Gesellschaftsmitglieder verteilt wurde, verschwand notwendig das
traditionelle und enge „Arbeitermilieu“, dem allein unsere Linken
hinterher trauern. Dass die Arbeit der Handarbeiter an Bedeutung verlieren
wird, hatte Marx schon erkannt: „Das entwickelte Prinzip des Kapitals
ist gerade, das besondere Geschick überflüssig zu machen und die
Handarbeit, die unmittelbar körperliche Arbeit überhaupt als geschickte
Arbeit sowohl, wie als Muskelanstrengung überflüssig zu machen; das
Geschick vielmehr in die toten Naturkräfte zu leben.“ K. Marx,
Grundrisse, 482.
Mit abnehmenden Rolle der Handarbeit musste sich auch
die Rolle der Kopfarbeit verändern: : Denn „der kapitalistischen
Produktionsweise entspricht eine andere Art der geistigen Produktion als
der mittelaltrigen Produktionsweise.“ (K. Marx, Theorien über den
Mehrwert I., MEW 26.1, 257.) Die geistigen Arbeiten selbst vollziehen sich
„mehr und mehr ... im Dienst der Bourgeoisie ...,
(treten) in den Dienst der kapitalistischen Produktion...“ (K. Marx,
Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1,
274.)
„Alle intellektuellen Arbeiten, die direkt in der
materiellen Produktion konsumiert werden“ schloss K. Marx daher - ganz
wie A. Smith - „natürlich ein in die Arbeit, die sich fixiert und sich
realisiert in einer käuflichen und austauschbaren Ware ... Nicht nur der
direkte Handarbeiter oder Maschinenarbeiter, sondern Aufseher, Ingenieur,
Manager, Geschäftsführer (Commis) etc., kurz die Arbeit des ganzen
Personals, das in einer bestimmten Sphäre der materiellen Produktion
erheischt ist, um eine bestimmte Ware zu produzieren, dessen
Zusammenwirken von Arbeiten (Kooperation) notwendig zur Herstellung der
Waren ist. In der Tat fügen sie dem konstanten Kapital ihre Gesamtarbeit
hinzu und erhöhen den Wert des Produkts um diesen Betrag.“ (K. Marx,
Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1, 134)
An anderer Stelle erklärte Marx ebenso unmissverständlich: „Mit
der Entwicklung der spezifisch kapitalistischen Produktion wo viele
Arbeiter an der Produktion derselben Ware zusammenarbeiten, muss natürlich
das Verhältnis, worin ihre Arbeit unmittelbar zum Gegenstand der
Produktion steht, sehr verschieden sein.
Z.B. die ... Handlanger in
einer Fabrik haben nichts direkt mit der Bearbeitung des Rohstoffs zu tun.
Die Arbeiter, die die Aufseher der direkt mit dieser Bearbeitung zu tun
Habenden bilden, stehen einen Schritt weiter ab; der Ingenieur hat wieder
ein andres Verhältnis und arbeitet hauptsächlich nur mit seinem Kopfe
etc.
Aber das Ganze dieser Arbeiter, die Arbeitsvermögen von
verschiednem Werte besitzen, ... produzieren das Resultat, das sich ... in
Ware oder einem materiellen Produkt ausspricht; und alle
zusammen ... sind die lebendige Produktionsmaschine dieser Produkte,
wie sie, den gesamten Produktionsprozess betrachtet, ihre Arbeit gegen
Kapital austauschen und das Geld der Kapitalisten als Kapital
reproduzieren, d.h. als sich verwertenden Wert, sich vergrößernden
Wert.
Es ist ja eben das Eigentümliche der kapitalistischen
Produktionsweise, die verschiedenen Arbeiten, also auch die Kopf- und
Handarbeiten — oder die Arbeiten, in denen die eine oder die andre Seite
vorwiegt, — zu trennen und an verschiedene Personen zu verteilen, was
jedoch nicht hindert, dass das materielle Produkt das gemeinsame
Produkt dieser Personen ist oder ihr gemeinsames Produkt in
materiellem Reichtum vergegenständlicht; was andrerseits ebenso wenig
hindert oder gar nichts daran ändert, dass das Verhältnis jeder einzelnen
dieser Personen das des Lohnarbeiters zum Kapital und in diesem eminenten
Sinn das des produktiven Arbeiters ist. Alle diese Personen sind
nicht nur unmittelbar in der Produktion von materiellem Reichtum
beschäftigt, sondern sie tauschen ihre Arbeit unmittelbar gegen das
Geld als Kapital aus und reproduzieren daher unmittelbar außer ihrem
Salair (= Lohn, wb) einen Mehrwert für den Kapitalisten. Ihre
Arbeit besteht aus bezahlter Arbeit plus unbezahlter Mehrarbeit.“ (K.
Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1,
386f)
2.1.2.
Hinsichtlich der Stellung der Lohnarbeiter zur Mehrwertproduktion
unterschied Marx die Produktionsarbeiter von den
kommerziellen Arbeitern oder Zirkulationsarbeitern. Auch die
Zirkulationsarbeiter umfassen Lohnarbeiter, die überwiegend mit den Händen
(z.B. als LKW-Fahrer bzw. in der Transportindustrie) oder überwiegend mit
ihren Köpfen arbeiten (in z.B. Banken und Versicherungen).
Dass die
Handels- und Bankkapitalisten zur Kapitalistenklasse zählen, das haben
Marxisten nie bezweifelt. Seltsamerweise streiten sich Marxisten immer
noch darüber, ob die Beschäftigten dieser Handels- und Bankkapitalisten
zur produktiven Arbeiterklasse zählen oder nicht.
Auch das gelehrsame
„Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus“ spricht von der
„unproduktiven kommerziellen Arbeit“. (Historisch-kritisches
Wörterbuch des Marxismus, Band 2, Hamburg 1995, 777)
Marx stellte
zwar fest, dass diese Zirkulationsarbeiter ein anderes Verhältnis zur
Mehrwertproduktion haben als die Produktionsarbeiter, ließ aber nie einen
Zweifel daran, dass die Zirkulationsarbeit in Handel und bei Banken zur
Vergrößerung des kapitalistischen Profits beiträgt, dass ihre Arbeit also
für das Kapital produktiv ist. Der Unterschied ist kurzgefasst der, dass
die Produktionsarbeiter den Mehrwert direkt produzieren, während der
kommerzielle Arbeiter zwar nicht den vom Produktionsarbeiter geschaffenen
Mehrwert vergrößert („Der kommerzielle Arbeiter produziert nicht
direkt Mehrwert.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 311), wohl vermehrt er
aber den Profit der Kapitalistenklasse, „nicht indem er direkt
Mehrwert schafft, aber indem der die Kosten der Realisierung des Mehrwerts
vermindern hilft...“ (K. Marx, Kapital III, MEW 25, 311)
Soweit
diese kommerziellen Lohnarbeiter in Handel, Banken und Versicherungen
beschäftigt sind, sind ihre Lohnkosten „für das merkantile Kapital eine
produktive Anlage. Also ist auch die kommerzielle Arbeit, die es kauft,
für es unmittelbar produktiv.“ (K. Marx, Kapital III, MEW 25,
313)
Zwischen den
Zirkulationsarbeitern „und den direkt vom industriellen Kapital
beschäftigten Arbeiter (muss) derselbe Unterschied stattfinden, der
zwischen dem industriellen Kapital und dem Handelskapital und daher
zwischen dem industriellen Kapitalisten und dem Kaufmann
stattfindet.
Da der Kaufmann als bloßer Zirkulationsagent weder Wert
noch Mehrwert produziert....., so können auch die von ihm in denselben
Funktionen beschäftigten kaufmännischen Arbeiter unmöglich
unmittelbar Mehrwert für ihn schaffen.“ (K. Marx, Kapital III. MEW 25,
304.)
Über das Verhältnis von Kaufmannskapital zur
Mehrwertproduktion des industriellen Kapitals hatte Marx aber
festgestellt: „Sofern das Kaufmannskapital zur Abkürzung der
Zirkulationszeit beiträgt, kann es indirekt den vom industriellen
Kapitalisten produzierten Mehrwert vermehren helfen.
Soweit es den
Markt ausdehnen hilft und die Teilung der Arbeit zwischen den Kapitalisten
vermittelt, also das gesellschaftliche Kapital befähigt, auf
größerer Stufenleiter zu arbeiten, befördert seine Funktion die
Produktivität des industriellen Kapitals und dessen
Akkumulation.
Soweit es die Umlaufszeit abkürzt, erhöht es das
Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen Kapital, also die
Profitrate.
Soweit es einen geringeren Teil des Kapitals als
Geldkapital in die Zirkulationssphäre einbannt, vermehrt es den direkt in
der Produktion angewandten Teil des Kapitals.“ K. Marx, Kapital III.
MEW 25, 291.
Die vom Kaufmanns- und Bankenkapital angewandten
Lohnarbeiter tragen also indirekt zur Vermehrung des
gesamtgesellschaftlichen Kapitals bei. Indem sie die Profitrate erhöhen,
vermehren sie auch den gesamtgesellschaftlichen Profit der
Kapitalistenklasse.
Sie dienen dem gesamten Kapital einer Gesellschaft
als Hebel, eine größere Menge Kapital in Profit zu verwandeln als das ohne
diese Zirkulationsarbeit möglich wäre. „Dass Ursachen den Profit
erhöhen oder erniedrigen, überhaupt beeinflussen können,
wenn der Mehrwert gegeben ist, übersieht Ricardo.“ (K. Marx,
Theorien über den Mehrwert II., MEW 26.2, 378) Und mit Ricardo übersehen
das viele Marxisten.
Die kommerziellen Arbeiter sind also sowohl
für die Handels- und Bankenkapitalisten wie für die gesamte
Kapitalistenklasse indirekt produktive Arbeiter.
An der
zentralen Stelle des Kapitals, Band I., an der Marx noch einmal die
Bestimmung der produktiven Arbeiter im modernen Kapitalismus aufgriff,
heißt es ganz unmissverständlich: „Nur der Arbeiter ist produktiv, der
Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des
Kapitals dient.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 532)
Mehrwert
produzieren alle direkt produktiven Lohnarbeiter, ganz gleich ob
überwiegend als Hand- oder Kopfarbeit, - zur Selbstverwertung des Kapitals
dienen jedoch die indirekt produktiven Zirkulationsarbeiter in Handel,
Banken und Versicherung.
Beide Gruppen zusammen bilden den produktiven
Gesamtarbeiter. Beide vermehren als produktive Lohnarbeiter das Kapital,
das sich ihre unbezahlte Mehrarbeit aneignet, - „Mehrarbeit, ... die ihrem
Wesen nach immer Zwangsarbeit bleibt, wie sehr sie auch als das Resultat
freier kontraktlicher Übereinkunft erscheinen mag.“ (K. Marx, Kapital
III. MEW 25, 827)
Für die Arbeiterbewegung spielt die
Unterscheidung von Produktions- und Zirkulationsarbeitern nur insofern
eine ökonomische Rolle, weil die relative Zahl der Zirkulationsarbeiter
mit Entwicklung des Kapitalismus tendenziell abnimmt. (K. Marx, Kapital
III, MEW 25, 310f) Mit der Beseitigung der Warenproduktion fallen mit der
Zirkulationsarbeit auch die Zirkulationsarbeiter ganz weg.
Eine
Nebenrolle spielt diese Unterscheidung von Produktionsarbeiter und
Zirkulationsarbeiter insofern diese Unterscheidung mit dem Unterschied von
höher und niedriger qualifizierten Arbeit zusammenfällt. Vor allem in
Großunternehmen sind die Zirkulationsarbeiter als Einkäufer, Buchhalter,
Verkäufer etc. wie die Bankangestellten häufig höher qualifizierte
Lohnarbeiter: „Der eigentlich kaufmännische Arbeiter (= Angestellte)
gehört zu der besser bezahlten Klasse von Lohnarbeitern, zu denen, deren
Arbeit geschickte Arbeit ist, die über der Durchschnittsarbeit
steht.
Indes hat der Lohn die Tendenz zu fallen, selbst im Verhältnis
zur Durchschnittsarbeit, im Fortschritt der kapitalistischen
Produktionsweise. Teils durch Teilung der Arbeit innerhalb des
Kontors...
Zweitens, weil die Vorbildung, Handels- und Sprachkenntnisse
usw. mit dem Fortschritt der Wissenschaft und Volksbildung immer rascher,
leichter, allgemeiner, billiger reproduziert werden...
Die
Verallgemeinerung des Volksunterrichts erlaubt, diese Sorte aus Klassen zu
rekrutieren, die früher davon ausgeschlossen, an schlechtere Lebensweise
gewöhnt waren. Dazu vermehrt sie den Zudrang und damit die
Konkurrenz.
Mit einigen Ausnahmen entwertet sich daher im Fortgang der
kapitalistischen Produktion die Arbeitskraft dieser Leute; ihr Lohn sinkt,
während ihre Arbeitsfähigkeit zunimmt.“ (K. Marx, Kapital III, MEW 25,
311f)
3. Nach den hier erläuterten Kriterien der
Klassenanalyse von Karl Marx ergibt sich ungefähr folgende soziale
Zusammensetzung der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft:
-
Produktive Lohnarbeiterklasse: 77 %;
- Lohnabhängige
Bedientenklasse (mit Beamten): 12 %;
- Lumpenproletariat: 1
%;
- Selbstarbeitende Eigentümer (Kleinbürger): 7
%;
- Kapitalistenklasse und Grundbesitzer: 3 %.
Unsere
Gesellschaft kann sich nur von kapitalistischer Fremdbestimmung und
Ausbeutung befreien und die Gesellschaftsmitglieder können nur
selbstbestimmt leben und arbeiten, wenn die Lohnarbeit abgeschafft wird.
Die Lohnarbeit kann nur abgeschafft werden, indem jeder Mensch ein
Arbeiter wird und die Arbeiterschaft die ganze Gesellschaft umfasst:
„Einmal die Arbeit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein Arbeiter, und
produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein.“ (K.
Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 342)
Wo es dem
Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter,
Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklärenden
Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver
Schrift.
Wal Buchenberg,
21.1.2002
|