Ideologie

 

1. Illusorische gesellschaftliche Vorstellungen sind Ideologie

„Die Vorstellungen, die sich ... Individuen machen, sind Vorstellungen, entweder über ihr Verhältnis zur Natur oder über ihr Verhältnis untereinander, oder über ihre eigene Beschaffenheit. Es ist einleuchtend, dass in allen diesen Fällen diese Vorstellungen der – wirkliche oder illusorische – bewusste Ausdruck ihrer wirklichen Verhältnisse und Betätigung, ihrer Produktion, ihres Verkehrs, ihrer gesellschaftlichen und politischen Organisation sind. ... Ist der bewusste Ausdruck der wirklichen Verhältnisse dieser Individuen illusorisch, stellen sie in ihren Vorstellungen ihre Wirklichkeit auf den Kopf, so ist dies wiederum eine Folge ihrer bornierten materiellen Betätigungsweise und ihrer daraus entspringenden bornierten gesellschaftlichen Verhältnisse.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 25f.

 

„Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewusstseins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, ist Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluss ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache der Politik, der Gesetze, der Moral, der Religion, Metaphysik usw. eines Volkes sich darstellt, gilt dasselbe. Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen usw., aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu seinen weitesten Formationen hinauf. Das Bewusstsein kann nie etwas anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess. Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Vorstellungen wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebenso sehr aus ihrem historischen Lebensprozess hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 26f.

 

„Die Ideologie ist ein Prozess, der zwar mit Bewusstsein vom so genannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewusstsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt, sonst wäre es eben kein ideologischer Prozess. ...

Er arbeitet mit bloßem Gedankenmaterial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt und sonst nicht weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhängigen Ursprung untersucht, und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken vermit-telt, auch in letzter Instanz im Denken begründet erscheint.“ F. Engels, Brief an Mehring (1893), MEW 39, 97.

 

„Im Staate stellt sich uns die erste ideologische Macht über den Menschen dar. ... Der Staat aber, einmal eine selbständige Macht geworden gegenüber der Gesellschaft, erzeugt alsbald eine ... Ideologie. Bei den Politikern von Profession, bei den Theoretikern des Staats-rechts und den Juristen des Privatrechts nämlich geht der Zusammen-hang mit den ökonomischen Tatsachen erst recht verloren. Weil in jedem einzelnen Falle die ökonomischen Tatsachen die Form juristischer Motive annehmen müssen, um in Gesetzesform sanktioniert zu werden, und weil dabei auch selbstverständlich Rücksicht zu nehmen ist auf das ganze schon geltende Rechtssystem, deswegen soll nun die juristische Form alles sein und der ökonomische Inhalt nichts. ...

Noch höhere, d. h. noch mehr von der materiellen, ökonomischen Grundlage sich entfernende Ideologien nehmen die Form der Philo-sophie und der Religion an. Hier wird der Zusammenhang der Vorstel-lungen mit ihren materiellen Daseinbedingungen immer verwickelter, immer mehr durch Zwischenglieder verdunkelt. Aber er existiert.“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 302.

 

„... Die Welt im Kopf rekonstruieren ist Ideologie.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 574.

 

 

2. Ideologen produzieren und reproduzieren Illusionen

„Indem Dühring (ein linker Professor) von ,Prinzipien ausgeht, statt von Tatsachen, ist er Ideologe.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 574.

 

„Die Teilung der Arbeit, die wir schon oben als eine der Hauptmächte der bisherigen Geschichte vorfanden, äußert sich nun auch in der herrschenden Klasse als Teilung der geistigen und materiellen Arbeit, so dass innerhalb dieser Klasse der eine Teil als die Denker dieser Klasse auftritt (die aktiven ... Ideologen derselben, welche die Ausbildung der Illusion dieser Klasse über sich selbst zu ihrem Hauptnahrungszweig machen), während die anderen sich zu diesen Gedanken und Illusionen mehr passiv und rezeptiv verhalten, weil sie in der Wirklichkeit die aktiven Mitglieder dieser Klasse sind und weniger Zeit dazu haben, sich Illusionen und Gedanken über sich selbst zu machen. Innerhalb dieser Klasse kann diese Spaltung derselben sich sogar zu einer gewissen Entgegensetzung und Feindschaft beider Teile entwickeln, die aber bei jeder praktischen Kollision, wo die Klasse selbst gefährdet ist, von selbst wegfällt, wo denn auch der Schein verschwindet, als wenn die herrschenden Gedanken nicht die Gedanken der herrschenden Klasse wären und eine von der Macht dieser Klasse unterschiedene Macht hätten.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 47.

 

„Der historische Ideologe (historisch soll hier einfach zusammenfas-send stehen für politisch, juristisch, philosophisch, theologisch, kurz für alle Gebiete, die der Gesellschaft angehören und nicht bloß der Natur) – der historische Ideologe hat also auf jedem wissenschaftlichen Gebiet einen Stoff, der sich selbständig aus dem Denken früherer Generationen gebildet und im Gehirn dieser einander folgenden Generationen eine selbständige, eigene Entwicklungsreihe durchgemacht hat. ...

Es ist dieser Schein einer selbständigen Geschichte der Staatsverfas-sungen, der Rechtssysteme, der ideologischen Vorstellungen auf jedem Sondergebiet, der die meisten Leute vor allem blendet.

Wenn Luther und Calvin die offizielle katholische Religion, wenn Hegel den Fichte und Kant, Rousseau indirekt mit seinem republikanischen ‚Gesellschaftsvertrag den konstitutionellen Montesquieu ‚überwindet, so ist das ein Vorgang, der innerhalb der Theologie, der Philosophie, der Staatswissenschaft bleibt, eine Etappe in der Geschichte dieser Denkgebiete darstellt und gar nicht aus dem Denkgebiet herauskommt.

Und seitdem die bürgerliche Illusion von der Ewigkeit und Letztinstanzlichkeit der kapitalistischen Produktion dazugekommen ist, gilt ja sogar die Überwindung der Merkantilisten durch die Physiokraten und A. Smith für einen bloßen Sieg des Gedankens; nicht für den Gedankenreflex veränderter ökonomischer Tatsachen ...“ F. Engels an Mehring (1893), MEW 39, 97.

 

„... Regierung, Richter, Offiziere, Pfaffen etc. die Gesamtheit der alten ideologischen Stände, ... ihre Gelehrten, Magister und Pfaffen ... sie leben von dem Produkt des Fleißes anderer Leute, müssen also auf das unvermeidliche Maß reduziert werden.“ K. Marx, Theorien über produktive und unproduktive Arbeit, MEW 26.1, 273.

 

 

Siehe auch die Artikel:

Bewusstsein

Hegel

Philosophie

-> Diskussionsforum

Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.