Heimarbeit (Telearbeit)

(bei Karl Marx „Hausarbeit“ genannt)

 

1. Arbeit in der Werkstatt des eigenen Hauses war Basis und Blüte des mittelalterlichen Handwerks

Erst durch die kapitalistische Fabrikkonkurrenz verkam die Arbeit zu Hause zur Zufluchtstätte verarmter Handwerker und Bauern.

„Solange die Industrie Hausindustrie blieb, solange jede Bauernfamilie oder wenigstens jedes Dorf sich seinen Bedarf an Industrieprodukten selbst erzeugte, ohne viel in den Handel zu bringen, solange war die Industrie selbst feudal ...

Solange sie selbst bloße Manufaktur, ländliche Industrie blieb, brachte sie wenig Produkte des Binnenlandes zur Ausfuhr, erzeugte sie wenigen auswärtigen Handel, ...

Aber die Maschinen wurden erfunden und die Maschinen ruinierten die Handarbeit. Die Preise der Industrieprodukte fielen so rasch und so tief, dass zuerst die Manufaktur und allmählich selbst die alte feudale Hausindustrie zugrunde gingen.“ F. Engels, Österreich, MEW 4, 506f.

 

„Mit der Einführung der Maschinerie änderte sich ... alles. Der Preis wurde nun bestimmt durch das Maschinenprodukt, und der Lohn des hausindustriellen Arbeiters fiel mit diesem Preise. Aber der Arbeiter musste ihn nehmen oder andere Arbeit suchen, und das konnte er nicht, ohne Proletarier zu werden, d. h. ohne sein Häuschen, Gärtchen und Feldchen – eigen oder gepachtet – aufzugeben. Und das wollte er nur im seltensten Fall. So wurde der Garten- und Feldbau der alten ländlichen Handweber die Ursache, kraft deren der Kampf des Handwebstuhls gegen den mechanischen Webstuhl sich überall so sehr in die Länge zog und in Deutschland (1890) noch nicht ausgefochten ist.

In diesem Kampf zeigte es sich zum ersten Mal, namentlich in England, dass derselbe Umstand, der früher einen verhältnismäßigen Wohlstand der Arbeiter begründet hatte – der Besitz des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln –, jetzt für sie ein Hindernis und ein Unglück geworden war.

In der Industrie schlug der mechanische Webstuhl seinen Handwebstuhl, im Landbau schlug die große Agrikultur seinen Kleinbetrieb aus dem Feld. Aber während auf beiden Produktionsgebieten die vereinigte Arbeit vieler und die Anwendung der Maschinerie und der Wissenschaft gesellschaftliche Regel wurde, fesselten ihn sein Häuschen, Gärtchen, Feldchen und sein Webstuhl an die veraltete Methode der Einzelproduktion und der Handarbeit. Der Besitz von Haus und Garten war jetzt weit weniger wert als die vogelfreie Beweglichkeit.“ F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 652.

 

„Der Ruin des Kleinbauern, unvermeidlich von der Zeit an, wo seine industrielle Hausarbeit für den Selbstgebrauch durch das wohlfeile Konfektions- und Maschinenprodukt, und sein Viehstand, also seine Düngerproduktion, durch die Zerstörung der ... gemeinen Mark und des Flurzwangs vernichtet wurden – dieser Ruin treibt die dem Wucherer verfallenen Kleinbauern der modernen Hausindustrie gewaltsam zu. ...

Nun ist aber diese ländliche Hausindustrie und Manufaktur ... selbst nur die Vorstufe einer weiteren Umwälzung. Wie schon Marx nachgewiesen (‚Kapital I, S. 494–504‘), schlägt auch für sie, auf einer gewissen Entwicklungsstufe, die Stunde des Untergangs durch die Maschinerie und den Fabrikbetrieb. Und diese Stunde scheint nahe bevorzustehen.“ F. Engels, Vorwort zur Wohnungsfrage, MEW 18, 654.

 

„Und nur die Vernichtung des ländlichen Hausgewerbes kann dem inneren Markt eines Landes die Ausdehnung und den festen Bestand geben, deren die kapitalistische Produktionsweise bedarf.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 776.

 

2. Heimarbeit in kapitalistischen Verhältnissen bedeutet

niedrigere Löhne und längere Arbeitszeit

„Schrankenlose Ausbeutung billiger Arbeitskräfte bildet die einzige Grundlage der Konkurrenzfähigkeit der Heimindustrie.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 499.

Die Ausbeutung billiger und unreifer Arbeitskräfte ... wird in der ... Heimarbeit schamloser als in der Manufaktur, weil die Widerstands-fähigkeit der Arbeiter mit ihrer Zersplitterung abnimmt, eine ganze Reihe räuberischer Pa­rasiten sich zwi­schen den eigentlichen Arbeitgeber und den Arbeiter drängt, ... die Armut dem Arbeiter die nötigsten Arbeitsbedingungen, Raum, Licht, Ventila­tion usw. raubt, die Unregelmäßigkeit der Beschäftigung wächst und endlich in diesen letzten Zu­fluchtsstätten der durch die große Industrie und Agrikultur ‚überzählig‘ Gemach­ten die Arbeiterkonkurrenz notwendig ihr Maximum er­reicht.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 486.

 

„Diese sog. moderne Hausindustrie hat mit der altmodischen, die unabhängiges städtisches Handwerk, selbständige Bauernwirtschaft und vor allem ein Haus der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts gemein als den Namen. Sie ist jetzt verwandelt in die auswärtige Filiale der Fabrik, der Manufaktur oder des Warenmagazins. Neben den Fabrikarbeitern, Manufakturarbeitern und Handwerkern, die es in großen Massen räumlich konzentriert und direkt kommandiert, bewegt das Kapital durch unsichtbare Fäden eine andere Armee in den großen Städten und über das flache Land zerstreuter Heimarbeiter. Beispiel: die Hemdenfabrik der Herren Tillie zu Londonderry, Irland, die 1.000 Fabrikarbeiter und 9.000 auf dem Land zerstreute Heimarbeiter beschäftigt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 485.

 

„Soweit die Fabrikgesetzgebung die Arbeit in Fabriken, Manufakturen usw. re­guliert, erscheint dies zunächst nur als Einmischung in die Ausbeutungsrechte des Kapitals.

Jede Regulation der sog. Heimarbeit stellt sich dagegen sofort als direk­ter Eingriff in die ... elterliche Autorität dar, ... ein Schritt, wovor das zartfühlende englische Parlament lange zurückbebte.

Die Gewalt der Tatsachen zwang jedoch, endlich anzuerkennen, dass die große Indus-trie mit der ökonomischen Grundlage des alten Familienwesens und der ihr entsprechenden Familienarbeit auch die alten Familienverhältnisse selbst auflöst. Das Recht der Kinder musste proklamiert werden.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 513.

 

„Die dritte Kategorie der relativen Arbeiter-Übervölkerung, die stockende, bildet einen Teil der aktiven Arbeiterarmee, aber mit durchaus unregelmäßiger Be­schäftigung. Sie bietet so dem Kapital einen unerschöpflichen Behälter verfügba­rer Arbeitskraft.

Ihre Lebenslage sinkt unter das durchschnittliche Normalniveau der arbeitenden Klasse, ... Maximum der Arbeitszeit und Minimum des Lohns charakterisieren sie. Wir haben unter der Rubrik der Heimarbeit ihre Hauptgestalt bereits kennen ge­lernt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 672.

 

3. Mithilfe moderner Technik entstehen neue Heimarbeitsformen

„Endlich, wie das Beispiel der modernen Heimarbeit zeigt, werden gewisse Zwitterformen auf dem Hintergrund der großen Industrie stellenweise reproduziert, wenn auch mit gänzlich veränderter Physiognomie.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 533.

 

„Man hat gesehen, wie die Maschinerie die auf Handwerk beruhende Koopera­tion und die auf Teilung der handwerksmäßigen Arbeit beruhende Manufaktur aufhebt. Ein Beispiel der ersten Art ist die Mähmaschine, sie ersetzt die Koopera­tion von Mähern.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 483f.

 

„Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle der Kooperation oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur Grundlage handwerksmäßigen Be­triebs werden. ... Sporadisch und ebenfalls nur vorübergehend kann kleiner Be­trieb sich verbinden mit mechanischer Triebkraft durch Miete des Dampfs, wie in einigen Manufakturen Birminghams, durch Gebrauch kleiner Wärmekraft-Ma­schinen, wie in gewissen Zweigen der Weberei usw.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 484.

 

„In den Vereinigten Staaten ist derartiges Wiedererstehen des Hand­werks auf Grundlage der Maschinerie häufig. Die Konzentration, bei dem unver­meidlichen Übergang in den Fabrikbetrieb, wird eben deswegen, im Vergleich zu Europa und selbst zu England dort mit Siebenmeilenstiefeln marschieren.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 484 Anm. 247.

Mit der Erfindung der Elektrizität und des Elektromotors wurde diese Entwicklung einer Wiedererstehung kleiner handwerklicher Betriebe auf maschineller Grundlage um die letzte Jahrhundertwende wiederholt. Im letzten Jahrzehnt er­lebten wir eine ähnliche Wiederbelebung für Einzelwirtschaft und Kleinbetriebe auf der Basis der Computertechnologie.

„Wo die Natur des Prozesses nicht von vornherein Produktion auf großer Stufen­leiter erforderte, durchliefen in der Regel die in den letzten Jahrzehnten neu auf­kommenden Industrien ... erst den Handwerksbetrieb und dann den Manufakturbetrieb als kurzlebige Übergangs­phasen zum Fabrikbetrieb.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 484.

 

Anmerkung:

Moderne Heim- oder Telearbeit gibt es heute in zwei Formen:
Teleheimarbeit und alternierende Telearbeit

„Telearbeit ist eine sich rasch verbreitende informations- und kommunikationstechnisch unterstützte Form ortsunabhängiger Arbeit; hier stehen Teleheimarbeit und alternierende Telearbeit im Mittelpunkt.“ LitDokAB 1998/99 a-1632.

 

Teleheimarbeit ist selten mehr als traditionelle Heimarbeit – niedrig qualifizierte Teilzeitarbeit für Billiglohn ohne direkte Kooperation mit Kollegen.

Alternierende Telearbeit ist meist hochqualifizierte und kooperative (Computer-)Arbeit, die zwischen dem Arbeitsplatz im Betrieb und zu Hause wechselt.

 

„Nach Schätzungen des Fraunhofer Instituts gibt es z. Zt. (1997/98) in der Bundesrepublik 22.000 Telearbeiterinnen und Telearbeiter, die ausschließlich zu Hause tätig sind.

350.000 Beschäftigte üben alternierende Telearbeit aus, die eine Kombination aus Arbeit im Betrieb und zeitweiliger Telearbeit außerhalb des Betriebes ist.

In den Modellversuchen der 90er Jahre nimmt die Einführung dieser Form, vor allem für qualifizierte Arbeitsplätze, einen breiten Raum ein.“ IES – Hannover.

„Erst 6 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten als Telebeschäftigte ... In Finnland liegt die Quote bei 16,8 %, in Spanien bei 2,8 %.“ Literaturdokumentation zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 99/2000-2, b-742.

Siehe auch die Artikel:

Handwerk

Selbständige

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Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.