Erbrecht
„1. Das Recht der Erbschaft ist nur insofern von sozialer Wichtigkeit als es dem Erben die Macht, welche der Verstorbene während seiner Lebenszeit ausübte, hinterlässt, nämlich die Macht, vermittelst seines Eigentums die Früchte fremder Arbeit auf sich zu übertragen, denn das Land gibt dem lebenden Eigentümer die Macht, unter dem Titel von Grundrente die Früchte der Arbeit anderer auf sich zu übertragen, ohne einen gleich großen Gegenwert zu geben; das Kapital gibt ihm die Macht, dasselbe zu tun unter dem Titel von Zins und Profit; das Eigentum in Staatspapieren gibt ihm die Macht, ohne selbst zu arbeiten, von den Früchten der Arbeit anderer leben zu können usw. Die Erbschaft erzeugt
nicht diese Macht der Übertragung der Früchte der Arbeit des einen in die
Tasche des andern, sie bezieht sich nur auf den Wechsel der Personen,
welche jene Macht ausüben. Wie jede andere
bürgerliche Gesetzgebung sind die Erbschafts-gesetze nicht die Ursache,
sondern die Wirkung, die juristische Folge der bestehenden ökonomischen
Organisation der Gesellschaft, die auf das Privateigentum an den
Mitteln der Produktion begründet ist, d. h. Land, Rohmaterial,
Maschinen usw. Auf dieselbe Weise war
das Recht der Erbschaft auf Sklaven nicht die Ursache der Sklaverei,
sondern im Gegenteil, die Skla-verei war die Ursache der Erbschaft von
Sklaven. 2. Worum es sich hier
dreht, ist die Ursache und nicht die Wirkung, die ökonomische Grundlage,
nicht der juristische Über-bau. Angenommen, die
Produktionsmittel wären umgestaltet vom Privat- ins Gesamteigentum, so
würde das Recht der Erbschaft (sofern es von sozialer Wichtigkeit ist) von
selbst verschwinden, weil ein Mann nur das hinterlassen kann, was er
während seiner Lebenszeit besaß. Unser großes Ziel soll
deshalb die Aufhebung jener Institutionen sein, die einigen Leuten während
ihrer Lebenszeit die ökono-mische Macht verleihen, die Früchte der Arbeit
von vielen auf sich zu übertragen. Wo der Zustand der
Gesellschaft so weit fortgeschritten ist, dass die Arbeiterklassen
hinreichend Macht besitzen, solche Institu-tionen zu beseitigen, müssen
sie es auf direktem Wege tun; denn dadurch, dass sie die Staatsschulden
beseitigen, werden sie natürlich auch die Erbschaft von Staatspapieren
los. Andererseits, wenn sie nicht die Macht besäßen, die Staatsschuld
aufzuheben, so wäre es töricht zu versuchen, das Recht der Erbschaft auf
Staatspapier aufzuheben. Das Verschwinden des Erbschaftsrechts wird das
natürliche Resultat eines gesellschaftlichen Wechsels sein, der das
Privateigentum am Produktionsmittel verdrängt, aber die Abschaffung
des Erbrechts kann niemals der Ausgangspunkt einer solchen Umgestaltung
sein. 3. Es war einer der
großen Irrtümer, die vor vierzig Jahren von Aposteln des Saint-Simon
begangen wurden, dass sie das Erb-schaftsrecht nicht als die legale
Wirkung, sondern als die öko-nomische Ursache der sozialen Revolution
behandelten. ... Die Aufhebung des Erbschaftsrechts als den Ausgangspunkt
der sozialen Revolution zu proklamieren, würde nur die Arbeiterklasse von
dem wahren Punkt der Aufmerksamkeit für die heutige Gesellschaft ablenken.
Es wäre ein ebenso abgeschmacktes Ding, die Gesetze der Kontrakte zwischen
Käufer und Verkäufer aufzuheben, während der heutige Zustand des
Austausches von Waren fortbestände; es würde falsch in der Theorie und
reaktionär in der Praxis sein. 4. Indem wir über die
Erbschaftsgesetze verhandeln, setzen wir notwendigerweise voraus, dass das
Privateigentum an den Pro-duktionsmitteln fortbesteht. Existiert es
nicht mehr unter den Lebenden, so könnte es nicht von ihnen und durch sie
nach ihrem Tode übertragen werden. Alle Maßregeln in Betreff des
Erb-schaftsrechts können sich daher nur auf einen Zustand des Übergangs
beziehen, wo auf der einen Seite die gegenwärtige ökonomische Grundlage
der Gesellschaft noch nicht umgestaltet ist, aber auf der anderen Seite
die arbeitenden Massen Kraft genug gesammelt haben, Übergangsmaßregeln
durchzusetzen, die geeignet sind, schließlich einen radikalen Wechsel der
Gesellschaft zuwege zu bringen. Der von diesem Standpunkte betrachtete
Wechsel in den Erbschaftsgesetzen bildet nur einen Teil von vielen anderen
Übergangsmaßregeln, die zu demselben Ziel führen. Diese Übergangsmaßregeln
in Betreff der Erbschaft können nur sein: a) Erweiterung der
Erbschaftssteuern, die bereits in vielen Staaten bestehen, und in der
Anwendung der dadurch erhaltenen Fonds zu dem Zwecke der sozialen
Emanzipation. b) Beschränkung des testamentarischen Erbschaftsrechts, weil es im Unterschied vom untestamentarischen oder Familienerbrecht als willkürliche und abergläubische Übertreibung der Grundsätze des Privateigentums selbst erscheint.“ K. Marx, Über das Erbrecht, MEW 16, 367ff.
Siehe auch die Artikel
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Zur Zitierweise:
Wo es dem
Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßein-heiten und
teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberech-nungen
modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx
in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Wäh-rungseinheiten
ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen:
„Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschrei-bung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff |