Enteignung (Expropriation)1. Die Enteignung der
kleinen selbständigen Produzenten bildet in der ganzen Welt die
Vorgeschichte der kapitalistischen
Produktionsweise Die
ökonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft ist hervorgegangen
aus der ökonomischen Struktur der feudalen Gesellschaft. Die Auflösung
dieser hat die Elemente jener frei-gesetzt. Der
unmittelbare Produzent, der Arbeiter, konnte erst dann über seine Person
verfügen, nachdem er aufgehört hatte, an die Scholle gefesselt und
einer anderen Person leibeigen oder hörig zu sein. Um
freier Verkäufer von Arbeitskraft zu werden, der seine Ware überall
hinträgt, wo sie einen Markt findet, musste er ferner der Herrschaft der
Zünfte, ihren Lehrlings- und Gesellenordnungen und hemmenden
Arbeitsvorschriften entronnen sein. Somit
erscheint die geschichtliche Bewegung, die die Produzenten in Lohnarbeiter
verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von Dienstbarkeit und
Zunftzwang; und diese Seite allein existiert für unsere bürgerlichen
Geschichtsschreiber. Andererseits
werden diese Neubefreiten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle
ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feudalen Einrichtungen
gebotenen Garantien ihrer Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser
ihrer Enteig-nung ist in die
Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer.
K. Marx, Kapital I, MEW 23,
743. Worauf
kommt die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals ... hinaus? Soweit sie
nicht unmittelbare Verwandlung von Sklaven und Leibeigenen in
Lohnarbeiter, also bloßer Formwechsel ist, bedeutet sie nur die Enteignung der unmittelbaren
Produzenten, d. h. die Auflösung des auf eigener Arbeit beruhenden
Privat-eigentums. K. Marx,
Kapital I, MEW 23, 789. Die Enteignung des ländlichen
Produzenten, des Bauern, von Grund und Boden bildet die Grundlage des
ganzen Prozesses. Ihre Geschichte nimmt in verschiedenen Ländern
verschiedene Färbung an und durchläuft die verschiedenen Phasen in
verschiedener Reihenfolge und in verschiedenen Geschichts-epochen. Nur in
England, das wir daher als Beispiel nehmen, besitzt sie klassische Form.
K. Marx, Kapital I, MEW 23,
744. Man
sah: die Enteignung der
Volksmasse von Grund und Boden bildet die Grundlage der kapitalistischen
Produktions-weise. K.
Marx, Kapital I, MEW 23, 795. ...
Kapitalistische Produktions- und Akkumulationsweise, also auch
kapitalistisches Privateigentum, bedingen die Vernichtung des auf eigener
Arbeit beruhenden Privateigentums, d. h. die Enteignung des Arbeiters.
K. Marx, Kapital I, MEW 23,
802. Das
Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die
Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine notwendige
Bedingung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und
der freien Individualität des Arbeiters selbst. Allerdings existiert
diese Produktionsweise auch innerhalb der Sklaverei, Leibeigenschaft und
anderer Abhängigkeitsverhältnisse. Aber sie blüht nur, ..., wo der
Arbeiter freier Privateigentümer seiner von ihm selbst gehandhabten
Arbeitsbedingungen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der
Handwerker des Instru-ments, worauf er als Virtuose
spielt. Diese
Produktionsweise unterstellt Zersplitterung des Bodens und der übrigen
Produktionsmittel. Wie die Konzentration der letzteren, so schließt sie
auch die Kooperation, Teilung der Arbeit innerhalb derselben
Produktionsprozesse, gesellschaftliche Beherrschung und Regelung der
Natur, freie Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte aus.
... Auf einem gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer
eigenen Vernich-tung zur Welt. Von diesem Augenblick regen sich Kräfte und
Leidenschaften im Gesellschaftsschoß, welche sich von ihr ge-fesselt
fühlen. Sie muss vernichtet werden und sie wird
ver-nichtet. Ihre
Vernichtung, die Verwandlung der individuellen und zersplitterten
Produktionsmittel in gesellschaftlich konzentrierte ..., daher die Enteignung der großen Volksmasse
von Grund und Boden und Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese
furchtbare und schwierige Enteignung der Volksmasse bildet
die Vorgeschichte des Kapitals. K. Marx, Kapital I, MEW 23,
789f. 2. Durch Konkurrenz
enteignen sich die Kapitalisten gegenseitig Der
Entwicklungsgang der kapitalistischen Produktion und Akkumulation
bedingt Arbeitsprozesse auf steigend größerer Stufenleiter und damit
steigend größeren Dimensionen und dementsprechend steigende
Kapitalvorschüsse für jedes einzelne Unternehmen. Wachsende
Konzentration der Kapitale (begleitet zugleich, doch in geringerem Maß,
von wachsender Zahl der Kapitalisten) ist daher sowohl eine ihrer
materiellen Bedingungen wie eins der von ihr selbst produzierten
Resultate. Hand in
Hand, in Wechselwirkung damit, geht fortschreitende Enteignung der mehr oder minder
unmittelbaren Produzenten. So
versteht es sich für die einzelnen Kapitalisten, dass sie über wachsend
große Arbeiterarmeen kommandieren ... K. Marx, Kapital III, MEW 25,
229. Sobald dieser
Umwandlungsprozess nach Tiefe und Umfang die alte Gesellschaft hinreichend
zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen
in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise
auf eigenen Füßen steht, gewinnt die weitere Vergesellschaftung der Arbeit
und weitere Verwandlung der Erde und anderer Produktionsmittel in
gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche Produktions-mittel,
daher die weitere Enteignung der Privateigentümer, eine neue Form.
Was jetzt zu enteignen ist, ist nicht länger
der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter ausbeutende Kapitalist. Diese Enteignung vollzieht sich durch
das Spiel der inneren Gesetze
der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der
Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. K. Marx, Kapital I, MEW 23,
790. Enteignung ist der Ausgangspunkt
der kapitalistischen Pro-duktionsweise; ihre Durchführung ist ihr Ziel,
und zwar in letzter Instanz die Enteignung aller einzelnen von den
Produktions-mitteln, die mit der Entwicklung der gesellschaftlichen
Produktion aufhören, Mittel der Privatproduktion und Produkte der
Privatproduktion zu sein, und die nur noch Produktionsmittel in der
Hand der assoziierten Produzenten, daher ihr gesellschaftliches Eigentum,
sein können, wie sie ihr gesellschaftliches Produkt sind. K. Marx, Kapital III, MEW 25,
455f. 3. Abschaffung der
Lohnarbeit bedingt die Enteignung des Kapitals Was
jetzt zu enteignen ist, ist
nicht länger der selbst-wirtschaftende Arbeiter, sondern der viele
Arbeiter ausbeutende
Kapitalist. Diese Enteignung
vollzieht sich durch das Spiel der inneren Gesetze der
kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale.
Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in
Hand mit dieser Zentralisation oder der Enteignung vieler Kapitalisten
durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf
stets wachsender Stufenleiter, die bewusste technische Anwendung der
Wissenschaft, die plan-mäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der
Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die
Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als
Produktions-mittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die
Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts und damit der
inter-nationale Charakter des kapitalistischen
Regimes. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und mono-polisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knecht-schaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapita-listischen Produk-tionsprozesses selbst geschulten, vereinten und or-ganisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die
Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Enteigner werden enteignet. K. Marx, Kapital I, MEW 23,
790f. Die
Verwandlung des auf eigener Arbeit der Individuen beru-henden,
zersplitterten Privateigentums in kapitalistisches ist natürlich ein
Prozess, ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung
des tatsächlich bereits auf gesellschaftlichem Produktionsbetrieb
beruhenden kapitalistischen Eigentums in gesellschaftliches. Dort handelte
es sich um die Enteignung der
Volksmasse durch wenige Mächtige, hier handelt es sich um
die Enteignung weniger Machthaber durch die Volksmasse.
K. Marx, Kapital I, MEW 23,
791. Übrigens muss
konstatiert werden, dass die faktische Besitz-ergreifung, die
Inbesitznahme der gesamten Industrie von Seiten des arbeitenden Volkes,
das gerade Gegenteil ist von der Proudhonistischen Ablösung.
(Proudhon = franz. Sozialist) Bei der letzteren wird
der einzelne Arbeiter Eigentümer der Wohnung, des Bauernhofes, des
Arbeitsinstruments; bei der ersteren bleibt das arbeitende Volk
Gesamteigentümer der Häuser, Fabriken und Arbeitsinstrumente, und wird
deren Nießbrauch, wenigstens während einer Übergangszeit, schwerlich ohne
Entschädigung der Kosten an einzelne oder Gesellschaften überlassen
... Überhaupt handelt es
sich nicht um die Frage, ob das Proletariat, wenn es zur Macht gelangt,
die Produktionsinstrumente, Rohstoffe und Lebensmittel einfach gewaltsam
in Besitz nimmt, ob es sofort Entschädigung dafür zahlt oder das Eigentum
daran durch langsame Ratenzahlungen ablöst. Eine solche Frage im Voraus
und für alle Fälle beantworten zu wollen, hieße Utopien fabrizieren und
das überlasse ich anderen. F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 282. Sobald unsere Partei
im Besitz der Staatsmacht ist, hat sie die Großgrundbesitzer einfach zu
enteignen, ganz wie die industriellen Fabrikanten. Ob diese
Enteignung mit oder ohne Entschädigung erfolgt, wird großenteils
nicht von uns abhängen, sondern von den Umständen ... Eine Entschädigung
sehen wir keineswegs unter allen Umständen als unzulässig an; Marx hat mir
wie oft! als seine Ansicht ausgesprochen, wir kämen am
billigsten weg, wenn wir die ganze Bande auskaufen könnten.
F. Engels, Bauernfrage, MEW
22, 503f. Siehe auch die Artikel:
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Zur Zitierweise:
Wo es dem
Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßein-heiten und
teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberech-nungen
modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx
in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Wäh-rungseinheiten
ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen:
Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten. Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschrei-bung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff |