Ehe und Familie1. Kritik von Ehe und
Familie des 19. Jahrhunderts „Aufhebung der
Familie! Selbst die Radikalsten ereifern sich über diese schändliche
Absicht der Kommunisten. Worauf beruht die
gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, auf dem
Privaterwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die
Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen
Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen
Prostitution. Die Familie des
Bourgeois fällt natürlich weg mit dem Wegfallen dieser ihrer Ergänzung,
und beide verschwinden mit dem Verschwinden des
Kapitals. Werft ihr uns vor,
dass wir die Ausbeutung der Kinder durch ihre Eltern aufheben wollen? Wir
gestehen dieses Verbrechen ein. Aber, sagt ihr, wir
heben die trautesten Verhältnisse auf, indem wir an die Stelle der
häuslichen Erziehung die gesellschaftliche setzen. Und ist nicht auch
eure Erziehung durch die Gesellschaft bestimmt? Durch die
gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer ihr erzieht, durch die
direktere oder indirektere Einmischung der Gesellschaft, vermittelst der
Schule usw.? Die Kommunisten erfinden nicht die Einwirkung der
Gesellschaft auf die Erziehung; sie verändern nur ihren Charakter, sie
entreißen die Erziehung dem Einfluss der herrschenden
Klasse. Die bürgerlichen
Redensarten über Familie und Erziehung, über das traute Verhältnis von
Eltern und Kindern werden um so ekelhafter, je mehr infolge der großen
Industrie alle Familienbande für die Proletarier zerrissen und die Kinder
in einfache Handelsartikel und Arbeitsinstrumente verwandelt
werden. Aber ihr Kommunisten
wollt die Frauengemeinschaft einführen, schreit uns die ganze
Bourgeoisie im Chor entgegen. Der Bourgeois sieht in
seiner Frau ein bloßes Produktions-instrument. Er hört, dass die
Produktionsinstrumente gemein-schaftlich ausgebeutet werden sollen, und
kann sich natürlich nichts anderes denken, als dass das Los der
Gemeinschaftlichkeit die Frauen gleichfalls treffen
wird. Er ahnt nicht, dass es
sich eben darum handelt, die Stellung der Frauen als bloßer
Produktionsinstrumente aufzuheben. Übrigens ist nichts
lächerlicher als das hochmoralische Entsetzen unserer Bourgeois über die
angebliche offizielle Frauenge-meinschaft der Kommunisten. Die
Kommunisten brauchen die Frauengemeinschaft nicht einzuführen, sie
hat fast immer existiert. Unsere Bourgeois,
nicht zufrieden damit, dass ihnen die Frauen und Töchter ihrer
Proletarier zur Verfügung stehen, von der offiziellen Prostitution gar
nicht zu sprechen, finden ein Haupt-vergnügen darin, ihre Ehefrauen
wechselseitig zu verführen. Die bürgerliche Ehe
ist in Wirklichkeit die Gemeinschaft der Ehefrauen. Man könnte höchstens
den Kommunisten vorwerfen, dass sie an der Stelle einer heuchlerisch
versteckten eine offizielle, offenherzige Frauengemeinschaft
einführen wollen. Es versteht sich übrigens von selbst, dass mit Aufhebung
der jetzigen Produktionsverhältnisse auch die aus ihnen hervorgehende
Frauengemeinschaft, d. h. die offizielle und nichtoffizielle
Pros-titution, verschwindet.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest,
MEW 4, 478f. „So furchtbar und ekelhaft nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Frauen, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 514.
2. Exkurs über
Friedrich Engels Ehekritik 2.1. Friedrich Engels
zur Entstehung der Einehe Friedrich Engels hatte
nach dem Tod von Karl Marx ein Buch veröffentlicht mit dem
Titel: „Der Ursprung der
Familie, des Privateigentums und des Staates. Im Anschluss an Lewis H.
Morgan’s Forschungen.“ Bemerkenswert ist, dass er dieses Buch nicht „im
Anschluss an Karl Marx’ Forschungen“ geschrieben hat. Darin erklärt Engels
die Entstehung der Monogamie folgendermaßen: „Die Monogamie
entstand aus der Konzentrierung größerer Reich-tümer in einer Hand –
und zwar der eines Mannes – und aus dem Bedürfnis, diese Reichtümer den
Kindern dieses Mannes und keines anderen zu vererben.“ F. Engels,
Ursprung der Familie, MEW 21, 77. „Das war der Ursprung
der Monogamie ... Sie war die erste Familienform, die nicht auf
natürliche, sondern auf ökonomische Bedingungen gegründet war, nämlich auf
den Sieg des Privateigentums über das ursprüngliche naturwüchsige
Gemein-eigentum. Herrschaft des Mannes in der Familie und Erzeugung von
Kindern, die nur die seinigen sein konnten und die zu Erben seines
Reichtums bestimmt waren – das allein waren die von den Griechen
unumwunden ausgesprochenen ausschließlichen Zwecke der Einzelehe.“
F. Engels, Ursprung der Familie, MEW 21, 67f. Entstand die Monogamie
wirklich „aus der Konzentrierung größerer Reichtümer in einer
Hand“? Dieser angebliche „Reichtum in einer Hand“ ist erstens historisch
falsch, denn der Reichtum gehörte erst der Sippe in Gemeineigentum und
dann der Familie in Gemeineigentum, nicht einem einzelnen
Indi-viduum. Zweitens
behauptet Engels nur einen Zusammenhang zwischen einer
individuellen Reichtumskonzentration und der Entstehung der Monogamie, er
belegt ihn nicht und dieses lässt sich auch gar nicht belegen.
Individuelles Eigentum entwickelte sich erst lange nach der Entstehung
der Monogamie und zudem halten auch reiche Moslems „Reichtümer in
einer Hand“ und unterhalten damit einen großen Harem, leben also nicht in
Mo-nogamie. Laut Engels soll die Monogamie außerdem entstanden sein „... aus dem Bedürfnis, diese Reichtümer den Kindern dieses Mannes und keines anderen zu vererben“. Das Erbrecht, also ein ganz passives Element des juristischen „Überbaus“, das in jedem Leben nur ein einziges Mal auftritt, soll nach Engels also die Einehe geschaffen haben. Karl Marx hatte
dagegen betont: „Wie jede andere bürgerliche Gesetzgebung sind die
Erbschaftsgesetze nicht die Ursache, sondern die Wirkung, die juristische
Folge der bestehenden ökonomischen Organisation der Gesellschaft, die auf
das Privateigentum an den Mitteln der Produktion begründet ist,
d. h. Land, Rohmaterial, Maschinen usw.“ K. Marx, Über das
Erbrecht, MEW 16, 367ff. Mit der Phrase, dass
sich die Ehe auf den „Sieg des Privateigentums gründet“, sparte sich
Engels alle historisch-ökonomischen Analysen über die Formveränderung des
Gemeineigentums der Sippe zum Gemeineigentum der
Familie. Ganz im Gegensatz zu Engels bezeichnete Marx das
ursprüngliche Familieneigentum gerade nicht als „
Kon-zentrierung größerer Reichtümer in einer Hand – und zwar
der eines Mannes“ oder „als den Sieg des Privateigentums über das
... Gemeineigentum
“, sondern als eine besondere Form dieses
Gemeineigentums: „Für die Betrachtung
gemeinsamer, d. h. unmittelbar verge-sellschafteter Arbeit brauchen
wir nicht zurückzugehen zu der naturwüchsigen Form derselben, welche uns
an der Ge-schichtsschwelle aller Kulturvölker begegnet. Ein näher liegendes
Beispiel bildet die ländlich patriarchalische Produktion einer
Bauernfamilie, die für den eigenen Bedarf Korn, Vieh, Garn, Leinwand,
Kleidungsstücke usw. produziert. Diese verschiedenen Dinge treten der
Familie als verschiedene Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, aber
nicht sich wechselseitig als Waren. Die verschiedenen Arbeiten, welche
diese Produkte erzeugen, Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben, Schneiderei
usw. sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche Funktionen, weil
Funktionen der Familie, die ihre eigene, naturwüchsige Teilung der Arbeit
besitzt ... Geschlechts- und Altersunterschiede wie die mit dem Wechsel
der Jahreszeit wechselnden Naturbedingungen der Arbeit regeln ihre
Verteilung unter die Familie und die Arbeitszeit der einzelnen
Familienmitglieder.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 92. Die Antwort auf die Frage, warum die Monogamie entstand, muss mit dem methodischen Ansatz von Marx zu der Frage führen: Welche besonderen Entwicklungen der Arbeitsteilung in der Produktion und Reproduktion des menschlichen Lebens führten zur Zersetzung der Urgemeinschaften und damit auch zum Verfall der Gruppenehe und schufen die Einzelehe? Als Hypothese wäre
anzunehmen, dass die besondere Arbeitsteilung der Einzelfamilie gegenüber
der Arbeitsteilung des Stammes, aus dem sie hervorgegangen ist,
produktiver und effektiver war. Der methodische Ansatz
von Engels in seinem Buch über den „Ursprung der Familie“ war dagegen:
„Welches Bedürfnis wurde durch die Einehe
befriedigt?“ Eine Antwort auf die
Fragestellung von Marx findet man nur durch eine historische Analyse.
Antworten auf die Frage von Engels finden sich in jedermanns Kopf – daher
sind auf diese Frage auch hundert Antworten
möglich. 2.2. Idealisierung der Lebensverhältnisse der
Lohnarbeiter durch Friedrich
Engels Weil Engels in diesem
Buch nicht von historisch-ökonomischen Analysen, sondern von dem
unhistorischen Prinzip „Vererbung von Eigentum = Einehe“ ausging,
führte ihn das zur Idealisierung der Lebensverhältnisse der Lohnarbeiter:
„Wirkliche Regel im
Verhältnis zur Frau wird die Geschlechtsliebe und kann es nur werden unter
den unterdrückten Klassen, also heutzutage im Proletariat
... Hier fehlt alles
Eigentum, zu dessen Bewahrung und Vererbung ja gerade die Monogamie und
die Männerherrschaft geschaffen wurden, und hier fehlt damit auch jeder
Antrieb, die Männer-herrschaft geltend zu machen. Noch mehr, auch die
Mittel fehlen; das bürgerliche Recht, das diese Herrschaft schützt,
besteht nur für die Besitzenden und deren Verkehr mit den Proletariern; es
kostet Geld und hat deshalb armutshalber keine Geltung für die Stellung
des Arbeiters zu seiner Frau. ... Daher spielen auch die
ewigen Begleiter der Monogamie, Prostitution und Ehebruch, hier nur
eine fast verschwindende Rolle.“ F. Engels, Ursprung der Familie,
MEW 21, 73. Das Buch von Engels
fand eine adäquate Fortsetzung durch August Bebel. In dessen Buch „Die
Frau und der Sozialismus“, in dem sich Bebel wiederholt auf Engels berief,
warf Bebel dem Kapitalismus u. a. vor, die Ehemoral zu untergraben
und die Ehen zu zerrütten. Das ist moralische Kritik am Kapitalismus und
weit entfernt von der radikalen, weil ökonomisch begründeten
Gesellschaftskritik des Kommunistischen
Manifests. Siehe auch die Artikel:
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