Christentum

1. Religion im Allgemeinen
„Nun ist alle Religion nichts anderes als die phantastische Widerspiegelung, in den Köpfen der Menschen, derjenigen äußeren Mächte, die ihr alltägliches Dasein beherrschen, eine Wiederspiegelung, in der die irdischen Mächte die Form von überirdischen annehmen.
In den Anfängen der Geschichte sind es zuerst die Mächte der Natur, die diese Rückspiegelung erfahren. ... Aber bald treten neben den Naturmächten auch gesellschaftliche Mächte in Wirksamkeit, Mächte, die den Menschen ebenso fremd und im Anfang ebenso unerklärlich gegenüberstehen, sie mit derselben scheinbaren Naturnotwendigkeit beherrschen wie die Naturmächte selbst. ...
Auf einer noch weiteren Entwicklungsstufe werden sämtliche natürlichen und gesellschaftlichen Attribute der vielen Götter auf Einen allmächtigen Gott übertragen, der selbst wieder nur der Reflex des abstrakten Menschen ist. ...
In dieser bequemen, handlichen und allem anpassbaren Gestalt kann die Religion fortbestehen als unmittelbare, das heißt gefühlsmäßige Form des Verhaltens der Menschen zu den sie beherrschenden fremden, natürlichen und gesellschaftlichen Mächten, solange die Menschen unter der Herrschaft solcher Mächte stehen.
Wir haben aber mehrfach gesehen, dass in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft die Menschen von den von ihnen selbst geschaffenen ökonomischen Verhältnissen, von den von ihnen selbst produzierten Produktionsmitteln wie von einer fremden Macht beherrscht werden. Die tatsächliche Grundlage der religiösen Reflexion dauert also fort und mit ihr der religiöse Reflex selbst.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 294.

In der religiösen Welt „scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 86.

Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. ... Die Religion ... ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. ...
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem der Protest gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“ K. Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 378.

 

2. Christentum im Besonderen
„Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu beziehen als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw. die entsprechendste Religionsform.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 93.

„Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion wird ein Durchschnittsniveau der bürgerlichen Gesellschaft und damit der Temperamente und Veranlagungen in den verschiedensten Völkern geschaffen. Die kapitalistische Produktion ist wesentlich kosmopolitisch wie das Christentum. Christentum ist daher auch spezielle Religion des Kapitals. In beiden gilt nur der Mensch. An und für sich ist der Mensch so wenig und so viel wert wie der andere. In dem einen hängt alles davon ab, ob er den Glauben, und in dem anderen, ob er Kredit hat. Außerdem kommt bei dem einen allerdings die Gnadenwahl hinzu. Bei dem anderen der Zufall, ob er von Haus aus Geld hat oder nicht.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, MEW 26.3, 441f.
„Der Protestantismus spielt schon durch seine Verwandlung fast aller traditionellen Feiertage in Werktage eine wichtige Rolle in der Genesis des Kapitals.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 292, Anm. 124.

3. Kritik der Religion ist nicht Atheismus, sondern Wissenschaft
Atheismus ist die Kritik des Himmels. Nötig ist aber Verstehen und Veränderung der Verhältnisse auf unserer Erde.
Der Atheismus istkritische Religion, ... letzte Stufe des Theismus, ... negative Anerkennung Gottes.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 116.
„Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik. ... Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde ...“ K. Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 378f.

„Erst die wirkliche Erkenntnis der Naturkräfte vertreibt die Götter oder den Gott aus einer Position nach der anderen ... Dieser Prozess jetzt so weit, dass er theoretisch als abgeschlossen angesehen werden kann.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 582f.

„Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten der Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozess seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 393, Anm. 89.

In dem Aufsatz „Zur Judenfrage“ zeigte Marx, „dass, wie der Staat sich von der Religion emanzipiert, indem er sich von der Staatsreligion emanzipiert, innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft aber die Religion sich selbst überlässt, so der einzelne Mensch sich politisch von der Religion emanzipiert, indem er sich zu ihr nicht mehr als zu einer öffentlichen Angelegenheit, sondern als zu seiner Privatangelegenheit verhält.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 118.

„Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werktagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen.
Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewusster planmäßiger Kontrolle steht.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 94.

„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei.“ K. Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 385.

Siehe auch die Artikel:
Atheismus
Gott
Philosophie

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Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.