Wert der Arbeitskraft

1. Notwendige, historische und moralische Faktoren,
die den Wert der Arbeitskraft bestimmen

„Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem Wert jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 184.

„Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also die Existenz dieses Individuums voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eigenen Reproduktion und Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 185.

„Die Summe der Lebensmittel muss also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebens-zustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden je nach den klimatischen und anderen natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andererseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter anderem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den anderen Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 185.

„Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so dass sich diese Rasse eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 186.

„Um die allgemein menschliche Natur so anzupassen, dass sie Geschick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von entsprechenden Warenwerten kostet. Je nach dem mehr oder minder qualifizierten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten ... gehen also in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werte.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 186.

„Ein Teil der Lebensmittel, z. B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel usw., werden täglich neu verzehrt und müssen täglich neu ersetzt werden. Andere Lebensmittel, wie Kleider, Möbel usw., verbrauchen sich in längeren Zeiträumen und sind daher nur in längeren Zeiträumen zu ersetzen. Waren einer Art müssen täglich, andere wöchentlich, vierteljährlich usf. gekauft oder gezahlt werden. Wie sich die Summe dieser Ausgaben aber immer während eines Jahres z. B. verteilen möge, sie muss gedeckt sein durch die Durchschnittseinnahme tagein, tagaus. Wäre die Masse der täglich zur Produktion der Arbeitskraft nötigen Waren = A, die der wöchentlich nötigen = B, die der vierteljährlich nötigen = C usw., so wäre der tägliche Durchschnitt dieser Waren = (365 A + 52 B + 4 C + usw.) : 365. Gesetzt, in dieser für den Durch-schnittstag nötigen Warenmasse steckten 4 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Arbeitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft nötig. Dies zu ihrer täglichen Produktion nötige Arbeitsquantum bildet den Tageswert der Arbeitskraft oder den Wert der täglich reproduzierten Arbeitskraft. Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einem Geldbetrag von 100 Euro (= Durchschnittstageslohn in Deutschland = Jahresbruttolohn 1998 geteilt durch 220 Arbeitstage) darstellt, so sind 100 Euro der dem Tageswert der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer sie feil für 100 Euro täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert ...“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 186f.

„Zwei andere Faktoren gehen in die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein. Einerseits ihre Entwicklungskosten, die sich mit der Pro-duktionsweise ändern, andererseits ihre Naturdifferenz, ob sie männlich oder weiblich, reif oder unreif. Der Verbrauch dieser unterschiedlichen Arbeitskräfte ... macht großen Unterschied in den Reproduktionskosten der Arbeiterfamilie und dem Wert des erwachsenen männlichen Arbeiters. Beide Faktoren bleiben jedoch bei der folgenden Unter-suchung ausgeschlossen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 542.

 

2. Sinken oder Steigen des Werts der Arbeitskraft

2.1. Wechsel der Lebenshaltungskosten durch wechselnde Produktivität

„Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert der gewohnheitsmäßig notwendigen Lebensmittel des Durchschnitts-arbeiters. Die Masse dieser Lebensmittel, obgleich ihre Form wechseln mag, ist in einer bestimmten Epoche einer bestimmten Gesellschaft gegeben und daher als konstante Größe zu behandeln. Was wechselt, ist der Wert dieser Masse.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 542.

„Der Wert der Arbeitskraft löst sich auf in den Wert einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Wert dieser Lebensmittel, d. h. der Größe der zu ihrer Produktion benötigten Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 186.

Ein solcher Wechsel im Wert der Arbeitskraft „ist jedoch unmöglich ohne einen Wechsel der Produktivkraft der Arbeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 333.

„Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit verstehen wir hier überhaupt eine Veränderung im Arbeitsprozess, wodurch die zur Produktion einer Ware gesellschaftlich nötige Arbeitszeit verkürzt wird, ein kleineres Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt, ein größeres Quantum Gebrauchswert zu produzieren.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 333.

„Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muss die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheits-mäßigen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können. ... In Produktionszweigen dagegen, die weder notwendige Lebensmittel liefern noch Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, lässt die erhöhte Produktivkraft den Wert der Arbeitskraft unberührt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 334.

„Soweit der Wert der Arbeitskraft steigt, weil der Wert der zu ihrer Reproduktion nötigen Lebensmittel steigt, oder umgekehrt fällt, weil der Wert dieser Lebensmittel fällt – und Wertsteigerung und Entwertung des variablen Kapitals drücken weiter nichts aus als diese beiden Fälle –, so entspricht ... Fallen des Mehrwerts dieser Wertsteigerung und Wachsen des Mehrwerts dieser Entwertung.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 124.

 

2.2. Verteilung eines Familienlohns auf mehr Personen (Frauenarbeit)

„Der Wert der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur Erhaltung des individuellen erwachsenen Arbeiters, sondern durch die zur Erhaltung der Arbeiterfamilie nötige Arbeitszeit. Indem die Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwertet daher seine Arbeitskraft.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 417.

„Steigen des nominellen Tages- oder Wochenlohns mag daher begleitet sein von gleich bleibendem oder sinkendem Preis der Arbeit (hier = Lohnkosten pro Arbeiter für das Kapital). Dasselbe gilt von der Einnahme der Arbeiterfamilie, sobald das vom Familienoberhaupt gelieferte Arbeitsquantum durch die Arbeit der Familienglieder ver-mehrt wird. Es gibt also von der Schmälerung des nominellen Tages- oder Wochenlohns unabhängige Methoden zur Herabsetzung des Preises der Arbeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 566f.

 

Beispiel: Das Einkommen eines allein verdienenden Familien-oberhauptes war z. B. 5.000. Sein Kapitalist hatte dann auch Lohnkosten von 5.000. Mit Entwicklung der Frauenarbeit erhält der Mann dann z. B. 4.500, die Frau 3.000. Als „Doppelverdiener“ haben sie jetzt ein Familieneinkommen von 7.500. Für den Kapitalisten sind aber die durchschnittlichen Lohnkosten pro Lohnarbeiter(in) von 5.000 auf 3.750 gefallen.

 

3. Mindestlöhne zahlen nicht den Wert der Arbeitskraft

„Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft wird gebildet durch den Wert einer Warenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozess nicht erneuern kann, also durch den Wert der physisch unentbehrlichen Lebensmittel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so sinkt er unter ihren Wert, denn sie kann sich so nur in verkümmerter Form erhalten und entwickeln. Der Wert jeder Ware ist aber bestimmt durch die Arbeitszeit, die erfordert ist, um sie in normaler Güte zu liefern.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 187.

 

Siehe die Artikel:

 

Lohn

Preis und Wert

Tauschwert

 

Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maß-einheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeits-zeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit ver-wendet. Dass es Karl Marx in Beispiel-rechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungs-einheiten ankam, darauf hatte er selbst einmal hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.

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