FTD:
Ausgerechnet Japan?
(...) „Während der Stoxx und der S&P 500 seit
Ende 2001 jeweils um rund fünf Prozent gefallen sind, hat der Nikkei um
knapp 14 Prozent zugelegt. Zumindest drei Gründe sprechen weiter für
Japan, jedenfalls vorläufig. Erstens reagiert die japanische Wirtschaft
deutlich sensibler auf die Schwingungen der Weltkonjunktur als etwa die
amerikanische. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass etwa zwei
Fünftel der Exporte nach Asien gehen, wo die Zyklen noch stärker
ausschlagen. So kommt es, dass Nippons Börse selbst in den 90er Jahren
dreimal brummte, jeweils als die globale Ökonomie drehte. Die Kursgewinne
lagen zwischen 40 und 65 Prozent.“ Wir haben
zwar keine positiven Fakten über die Weltwirtschaft, da wir keine Fakten
haben, suchen wir nach „Indikatoren“. Wer sich nicht an Fakten hält,
sondern an Indikatoren, der ist besonders früh im Trend und die
Frühkartoffeln werden angeblich am dicksten? Es gibt auch andere
Erfahrungen: So sagt ein chinesisches Sprichwort: Der vorausfliegende
Vogel wird zuerst geschossen! Wie dem sei: Wenn keine positiven
Börsen-Indikatoren in Sicht sind, dann wird die (japanische) Börse selber
zum Indikator. Beißt sich die Schlange hier nicht in den
Schwanz?
„Zweitens druckt die Zentralbank Geld,
dass einem Hören und Sehen vergeht. Die direkt von ihr kontrollierte
Monetäre Basis ist allein seit Ende 2001 um 20,4 Prozent explodiert. Die
Geldmenge M1, die 30 Prozent von M3 ausmacht, liegt 32,6 Prozent über dem
Vorjahr. In der Vergangenheit hatte M1 eine erkennbare Korrelation zu
Industrieproduktion und Börse, wenn auch die zeitliche Abfolge variierte.
Der OECD-Frühindikator legt seit fünf Monaten zu. Die Produktion ist
zweimal in Folge gestiegen, die Exporte von Dezember bis April um 13,5
Prozent.“ Na klasse! Je unseriöser eine
herrschende Klasse in ihrer Wirtschaftspolitik vorgeht, desto eher wird
sie zum Garant für wirtschaftlichen Aufschwung. In welchem System leben
wir denn? Die Gewinne bleiben aus? Dann muss der monetäre Einsatz erhöht
werden. Das nennt man
Zocker-Kapitalismus.
„Drittens ist Japan eines der
Schnäppchen unter den entwickelten Börsen. Sicher, wegen der grausigen
Rentabilität der Firmen fällt es schwer, KGV zu berechnen. Aber im
Verhältnis zum Umsatz sind nur die Versorger teurer als im globalen
Schnitt. Nach den Zahlen von Lehman Brothers sind die restlichen Sektoren
im ungewichteten Mittel um 46 Prozent billiger, vor allem Kapitalgüter und
Technologie. Schon beim ersten Anflug von Profitabilität in einem
Konjunkturaufschwung sieht die japanische Börse deshalb schnell recht
günstig aus.“ Gerade wurde behauptet, dass die
japanische Börse sich solider entwickelt hat als die anderen, jetzt heißt
es, sie ist unterbewertet. Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis kann man nicht
berechnen, weil es keine Gewinne gibt? Na gut, verzichten wir auf
Unternehmensgewinne und bauen nur auf Börsengewinne. Das heißt „New
Economy“: Heiße Luft gut verpackt und teuer angeboten. Ein paar Dumme
finden sich immer. Der „New Economy-Kapitalismus“ ist kein
Zocker-Kapitalismus, sondern ein Gauner-Kapitalismus. Und dafür macht sich
die „Financial Times Deutschland“ stark? Wie weit sind wir schon
gekommen?
„Es gibt natürlich Haken. Kurzfristig
liegt das Hauptrisiko darin, dass der Weltkonjunktur wegen der verzwickten
Lage in den USA oder wegen politischer Verwerfungen früh die Luft ausgeht.
Längerfristig ist keineswegs gesagt, ob Japan Deflation, Staatsfinanzen
und Bankbilanzen in den Griff kriegt. Das Desaster auf dem Markt für
Staatsanleihen will man sich lieber nicht vorstellen, falls die Deflation
dereinst in Inflation umschlagen sollte, wie die aggressive Geldpolitik es
befürchten lässt. Die Vermögensverluste wären enorm, die Konsumenten
wieder einmal die Dummen. Trotz der Entwertung seiner Schulden hätte der
Staat insofern eine Finanzierungslücke, als höhere Zinsen zu zahlen wären.
Die alternde Gesellschaft verschärft die Probleme nur noch. Die Politik
ist bestimmt nicht minder verkrustet als die in Europa, was schon was
heißen will.“ Ach, es gibt auch ein paar
Bedenken? Aber die werden kunstvoll in Konjunktive verpackt: Es könnte
sein, dass... Nein, es muss und wird zu katastrophalen Folgen kommen. Die
„aggressive Geldpolitik“ lässt es nicht befürchten, sondern führt
notwendig in die Finanzkatastrophe.
„Daher
bleibt es dabei: Eine Wette auf Japan wäre erst mal höchstens auf Sicht
von ein paar Monaten zu begreifen.“ Also Zocker,
zockt ein bisschen mit japanischen Aktien, bittet die ehemals seriöse
Financial Times Deutschland! Wer in unserer heutigen Finanz- und
Wirtschaftswelt ist denn noch seriös? Wer ist noch vertrauenswürdig? Ich
kenne niemanden. Wer heute kein Betrüger ist, ist wohl in unserem
jetzigen Kapitalismus nicht erfolgreich. Die Financial Times zählt sich
offenbar zu den Erfolgreichen.
Alle Zitate (schwarzer Text) aus: Financial
Times Deutschland, 28.5.2002 Wal Buchenberg,
28.5.2002
|