Schaufelscharren bei Dien Bien Phu
Nacht um Nacht gaben Soldaten da ihr
Leben, Damit morgens die Schützengräben sich noch enger
schlossen. Unseren Sieg verdanken wir dem himmelhohen Donner der
Kanonen, Aber auch dem unscheinbaren Scharren der
Schaufeln. Von: Che Lan Vien (1920-1989), ein Dichter Vietnams Stefan
Kühner Vor 50
Jahren: Die Schlacht
von Dien Bien Phu Am 7. Mai 1954
abends gegen 17 Uhr, kurz bevor die Truppen des Viet Minh den innersten
Kreis der Festung von Dien Bien Phu stürmen, hißt der
Festungskommandierende, Oberst de Castries, die weiße Fahne auf seinem
Kommandobunker. Eine 55 Tage dauernde Schlacht war zu Ende gegangen und
die Zeit der Kolonialmacht Frankreich in Vietnam endgültig abgelaufen.
Kolonialmacht Frankreich 1885 hatte
Frankreich Vietnam vollständig als Kolonie unter seine Macht gebracht. Das
Land wurde, wie andere Kolonien auch, systematisch ausgeplündert. Der
Widerstand ließ sich aber trotz aller Gewalt der Kolonialisten niemals
völlig unterdrücken. Am 2. September 1945 proklamiert Ho Chi Minh in Hanoi
vor Tausenden jubelnden Menschen die Demokratische Republik Vietnam (DRV)
und die Unabhängigkeit des Landes. Bereits wenige Tage nach dieser
Proklamation landete jedoch, unterstützt durch britische
»Ordnungstruppen«, erneut ein französisches Expeditionskorps in Saigon. Es
folgte ein erbitterter Kolonialkrieg. Die
Befreiungsbewegung Vietnams, der Viet Minh, hatte Anfang der fünfziger
Jahre eine eigene gut organisierte Volksarmee für die DRV aufgebaut, die
technisch von China unterstützt wurde. Zusammen mit laotischen
Befreiungskräften der Pathet Lao befreiten die Viet Minh 1951/52 weite
Teile des Nordens. Frankreich hielt im Nordwesten nur noch eine Stellung –
nahe der laotischen Grenze in Lai Chau. Weitere Stellungen waren im Delta
des Roten Flusses bei Ninh Binh. Die Kolonialmacht Frankreich spürte, daß
die Kräfte des Viet Minh weiter wuchsen. In dieser
Situation entsandte die französische Regierung im Frühsommer 1953 einen
neuen General als Oberbefehlshaber nach Vietnam. General Henri Navarre,
zuvor beim Oberkommando der Alliieren Streitkräfte in Westeuropa
stationiert, sollte in Vietnam die Zusammenarbeit von Viet Minh und Pathet
Lao unterbinden und vor allem die Volksarmee der DRV so schwächen, daß es
Frankreich gelingen würde, Vietnam dauerhaft in die Französische Union
einzubinden. Ho Chi Minh sollte durch die Schwächung seiner Armee
gezwungen werden, in Verhandlungen die Vorherrschaft Frankreichs zu
akzeptieren. Der Plan Castor Der Plan von
General Navarre sah vor, die vietnamesischen Truppen in eine große
Feldschlacht zu zwingen, in der Frankreich seine Überlegenheit an Waffen
einsetzen wollte, um die Armee aus zerlumpten Befreiungskämpfern, die
sonst nur aus dem Dschungel heraus operierten, niederzukämpfen. Zusätzlich
sollte ein Sperrriegel parallel zur Grenze von Nordlaos und dem Nordwesten
Vietnams die Zusammenarbeit der Befreiungsarmeen von Vietnam und Laos
unterbinden. Navarre suchte sich als Endpunkt für den Sperrriegel und als
Ort für die Entscheidungsschlacht die Kleinstadt Dien Bien Phu aus, einen
verlassenen Außenposten der französischen Kolonialarmee, fast an der
Grenze zu Laos. Der zweite Endpunkt, zirka 100 Kilometer nördlich, sollte
die französische Garnison Lai Chau sein. Navarre begann
zügig mit dem Ausbau Dien Bien Phus zu einer großen Festung, umgeben von
einer Anzahl Außenposten. Dien Bien Phu lag am Ende einer 16 Kilometer
langen und acht Kilometer breiten Talmulde, die von bis zu 1000 Meter
hohen Bergketten umgeben war. Auf dieser Ebene, so Navarre, sollte der
Viet Minh mit Artillerie, Panzern und Flugzeugen gestellt und aufgerieben
werden. Am 20. November 1953 wurden unter dem Codenamen »Castor« die
ersten Fallschirmjäger über Dien Bien Phu abgesetzt. Der Aufbau der
Festung erfolgte im Herbst 1953 und Winter 1954. Die gesamte Logistik der
französischen Armee basierte auf der Unterstützung durch Flugzeuge. Nicht
zuletzt aus diesem Grunde war die Taktik Navarres bei der übrigen
französischen Militärführung in Vietnam umstritten. Vor allem der
Oberbefehlshaber Frankreichs im Delta des roten Flusses, General Cogny,
äußerte Bedenken. Er befürchtete, daß es schwierig werden könnte, die über
Landstraßen nicht erreichbare Festung zu versorgen.
In dieser
ersten Phase des Aufbaus von Dien Bien Phu verhielten sich die
vietnamesischen Kräfte des Viet Minh unter ihrem General Vo Nguyen Giap
relativ ruhig. Nur vereinzelt störten sie aus den Berghängen heraus mit
Feuer aus wenigen Geschützen den Aufbau der
Befestigungsanlagen. Umzingelung und Niederlage In
Wirklichkeit allerdings waren General Giap und seine Offiziere und
Soldaten alles andere als untätig. In endloser Nachtarbeit trieben sie
zusammen mit Freiwilligen Kasematten in die Berghänge, bauten Höhlen und
Schluchten zu Lagern aus, um Waffen und Versorgungsgüter in den Berghängen
zu verstecken. Am 10.
Dezember 1953 gab Giap den Befehl zum Beginn der Schlacht. Der Viet Minh
griff Lai Chau an und eroberte es innerhalb von nur zwei Tagen. Er
zerbrach damit das Riegelkonzept von Navarre. Die Festung von Dien Bien
Phu lag nun jedoch als völlig isolierter Punkt da – ohne Landverbindung zu
anderen Truppen. Der nächste
große Schlag der Viet Minh gegen die Festung erfolgte am 13. März 1954.
Aus den Bergen heraus griffen sie einen der Außenposten im Nordosten des
Tals an und eroberten ihn innerhalb nur eines Tages und einer Nacht. Die
wichtigste Landepiste wurde zerstört und riesige Vorräte an Waffen und
Munition der Franzosen vernichtet. Weitere Außenstützpunkte wurden Schlag
auf Schlag in den darauf folgenden Wochen angegriffen und eingenommen. Der
Ring um die französischen Militäranlagen in der Talmulde Dien Bien Phus
wurde immer enger. Dies brachte nicht nur die vietnamesischen Soldaten in
ihren Laufgräben mit schweren Waffen immer näher an den Kern der Festung,
sondern machte es auch den französischen und den amerikanischen
Luftstreitkräften zunehmend schwerer, das Fort mit Munition, Soldaten,
Lebensmitteln, Medikamenten etc. zu versorgen. Der Flugzeugabwehr des Viet
Minh gelang es, viele Flugzeuge abzuschießen. Teile der mit Fallschirmen
abgeworfenen Militärgüter landeten nicht bei den Franzosen, sondern im
umkämpften Niemandsland bzw. in den vietnamesischen
Truppengebieten. Anfang April
spitzte sich die Situation für die Franzosen zu. Der Viet Minh hatte es
geschafft, nahezu alle Außenposten zu erobern und seine Laufgräben zu den
zentralen Militäranlagen der Franzosen voranzutreiben. Sie lagen so nahe
gegenüber den Franzosen und deren Fremdenlegion, daß französische
Überläufer aus den vietnamesischen Gräben heraus per Megaphon die
demoralisierten Kolonialsoldaten zur Aufgabe aufrufen konnten. Viele
Soldaten der Legion, Marokkaner, Algerier und andere gedungene Soldaten
verweigerten den Kampf. Am 6. Mai 1954
waren in der Festung Dien Bien Phu nur noch wenige tausend kampffähige
Soldaten. Oberst de Castries beginnt mit der Vernichtung der militärischen
Dokumente und läßt weiße Fahnen nähen. Einen Tag später ist die Schlacht
zu Ende und damit auch Frankreichs Rolle als Kolonialmacht. Der erste
Kolonialkrieg in Vietnam hat schätzungsweise 92000 französischen Soldaten
(und über 800000 Vietnamesen) das Leben gekostet.
Gründe für den Sieg des Viet Minh Einer der
wichtigsten Gründe für die Niederlage Frankreichs war die Fehleinschätzung
Navarres bezüglich der militärischen Situation in Dien Bien Phu. Sämtliche
Annahmen über den Gegner waren falsch. Navarre hatte vorausgesetzt, daß es
dem Viet Minh nicht gelingen würde, schwere Geschütze und Artillerie in
die Berge um Dien Bien Phu herum zu schaffen und dort größere
Truppenkontingente zu verschanzen. Er war davon ausgegangen, daß es ohne
Flugzeuge und motorisierte Fahrzeuge unmöglich wäre, Truppen in größerer
Stärke mit Waffen, Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern zu
versorgen. Falsch war auch die These von Navarre, daß die DRV so gut wie
keine technisch wirksamen Waffen besitze und noch weniger fähig sei, sie
zu bedienen. Dazu kam die Unterschätzung des geographischen Faktors. Die
Talmulde, umgeben von Bergen und nur von einer Seite her durch Flugzeuge
anzufliegen, wurde zur tödlichen Falle. Die Kämpfer
der Viet Minh hatten mit General Vo Nguyen Giap dagegen einen klugen und
mutigen Militärführer. General Giap erkannte die Taktik des Gegners.
Unsichtbar für die Franzosen, baute er mit seiner Armee getarnte
Angriffsstellungen in den Bergen auf und ließ Frankreich lange Zeit in dem
Glauben, daß der Viet Minh schwach sei. Auch seine Vorgehensweise, die
Befestigungsanlagen von Dien Bien Phu nicht im Generalangriff zu nehmen,
sondern schrittweise die Außenposten anzugreifen und einzunehmen, erwies
sich schnell als erfolgreich. Auch seine Gewißheit, daß die Bevölkerung
durch einen heldenhaften Einsatz ihre Befreiungskräfte unterstützen würde,
war richtig und militärisch entscheidend. Selbst im Bereich des
Sanitätswesens hatte Giap um Dimensionen weitsichtiger gehandelt, als sein
Gegner Navarre. Giaps Freund Ton That Tung hatte mit großer Umsicht ein
weit verzweigtes Sanitätswesen aufgebaut, in das vor allem die Bevölkerung
der Dörfer in der Umgebung von Dien Bien Phu eingebunden war.
Ein weiterer
entscheidender Faktor für den Sieg lag ebenfalls außerhalb des
Schlachtfeldes. Es war die enorme politische Willenskraft des Volkes,
seine Freiheit zu erringen. Abertausende Männer und Frauen schleppten auf
ihren Rücken, auf Büffelkarren, vollbepackten Fahrrädern den Nachschub an
die Front. Andere bauten hängende Brücken, die am Tage unter dem
Wasserspiegel der Flüsse abgesenkt wurden, und reparierten Nacht für Nacht
die durch Regen und Bomben beschädigten Straßen.
Auch die
internationale Solidarität und der Widerstand gegen den Krieg in
Frankreich trugen zum Sieg des Viet Minh bei. Das steigende Ausmaß der
Kämpfe in Indochina hatte gegen Ende 1953 die französische Öffentlichkeit
immer mehr gespalten. Die Opposition gegen den Krieg wurde immer größer.
Im Februar
1954 mußte die Regierung Frankreichs akzeptieren, daß die Indochina-Frage
ab April auf einer Konferenz in Genf verhandelt wird.
Operation Aasgeier Angesichts der
sich in Dien Bien Phu zuspitzenden Lage Ende März 1954 erkannte die
französische Regierung endgültig, daß der Navarre-Plan gescheitert war und
Frankreich es alleine nicht mehr schaffen konnte, den Krieg zu gewinnen.
Außenminister Pleven sandte in dieser Situation den Chef des Generalstabs
Ely in die USA, um diese um Hilfe zu bitten. Hilfe in jeder nur
erdenklichen Form (Soldaten, Waffen, Flugzeuge), um nicht nur Vietnam zu
»retten«, sondern ganz Indochina. Ely wurde in den USA von Außenminister
John Foster Dulles und auch vom Präsidenten Dwight D. Eisenhower empfangen
und erhielt alle von ihm erbetene Unterstützung. Die USA-Militärführung
bot Ely darüber hinaus an, auf die rückwärtigen Teile der angreifenden
Viet-Minh-Truppen die Atombombe abzuwerfen, um die Befreiungsbewegung
auszulöschen und gleichzeitig die Unterstützung der Front durch die
Bevölkerung zu unterbinden. Das Angebot trug den Kodenamen »vulture« –
Aasgeier. Die USA wollten angesichts der ziemlich hoffnungslosen Lage in
Dien Bien Phu dem endgültigen Einsatz der Atombombe nur unter der
Bedingung zustimmen, daß auch verschiedene andere Länder, darunter
England, das Vorhaben akzeptieren. England weigerte sich allerdings, diese
Verantwortung zu übernehmen, und auch die US-Regierung zögerte. So blieben
die Flugzeuge mit der Atombombe an Bord am Boden der US-Luftwaffenbasis
Clarkfield in Manila. Genfer Indochinakonferenz Bereits
während der frühen Phase des Kampfes um Dien Bien Phu hatte
die Regierung der DRV unter Ho Chi Minh sich öffentlich bereit erklärt,
über einen Waffenstillstand mit Frankreich zu verhandeln. Frankreich und
die USA lehnten anfangs den direkten Kontakt zur Regierung der DRV
allerdings strikt ab. Erst im Frühjahr 1954 beugten sie sich dem
internationalen Druck. Am 26. April 1954 begann in Genf eine
internationale Konferenz über Korea und Indochina. An ihr nahmen auf
vietnamesischer Seite die DRV sowie die Saigoner Regierung unter Bao Dai
(dem letzten vietnamesischen Kaiser) teil. Weitere Konferenzteilnehmer
waren die Regierungen von Laos, Kambodscha, Frankreich, Großbritannien,
der USA sowie China und der UdSSR. Am 20. Juli 1954 wurde schließlich das
erste Indochina-Abkommen unterzeichnet: Auf politischer Ebene wurde mit
den Vereinbarungen die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale
Unabhängigkeit der Länder Indochinas, Laos, Kambodscha und Vietnam
anerkannt. Auf militärischer Ebene wurde entschieden, die Streitkräfte der
DRV und der Saigoner Regierung in zwei Zonen nördlich und südlich des 17.
Breitengrades zu trennen. Diese Demarkationslinie sollte aber keine
politische Grenze sein. Spätestens im Juli 1956 sollten allgemeine,
geheime und freie Wahlen Vietnam eine vereinigte Regierung bringen. Die
USA haben dies verhindert. Weiterführende Literatur: Harry Thürk, Dien Bien Phu.
Die Schlacht, die einen Kolonialkrieg beendete, Brandenburgisches
Verlagshaus, Berlin 1994; Dien Bien Phu, History,
Impressions, Memoirs, The Gioi Publishers, Hanoi
2004; Günter Giesenfeld, Land der
Reisfelder, Pahl-Rugenstein Verlag,
Köln 1998; Wolfgang Schneider,
Apokalypse Vietnam, Rowohlt Verlag, Berlin
2000. Aus: Junge Welt |