Karl Marx: Vorgeschichte der modernen
Gesellschaft
(Kurzer
Abriss)
aus:
Karl Marx, Friedrich Engels: Deutsche Ideologie, MEW 3, 50 – 61
[Seitenwechsel in eckiger
Klammer]
Die größte Teilung der materiellen und geistigen Arbeit ist die
Trennung von Stadt und Land. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land fängt
an mit dem Übergange aus der Barbarei in die Zivilisation, aus dem
Stammwesen in den Staat, aus der Lokalität in die Nation, und zieht sich
durch die ganze Geschichte der Zivilisation bis auf den heutigen Tag (die
Anti-Corn-Law League) hindurch. - Mit der Stadt ist zugleich die
Notwendigkeit der Administration, der Polizei, der Steuern usw., kurz des
Gemeindewesens und damit der Politik überhaupt gegeben. Hier zeigte sich
zuerst die Teilung der Bevölkerung in zwei große Klassen, die direkt auf
der Teilung der Arbeit und den Produktionsinstrumenten beruht. Die Stadt
ist bereits die Tatsache der Konzentration der Bevölkerung, der
Produktionsinstrumente, des Kapitals, der Genüsse, der Bedürfnisse,
während das Land gerade die entgegengesetzte Tatsache, die Isolierung und
Vereinzelung, zur Anschauung bringt. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land
kann nur innerhalb des Privateigentums existieren. Er ist der krasseste
Ausdruck der Subsumtion des Individuums unter die Teilung der Arbeit,
unter eine bestimmte, ihm aufgezwungene Tätigkeit, eine Subsumtion, die
den Einen zum bornierten Stadttier, den Andern zum bornierten Landtier
macht und den Gegensatz der Interessen Beider täglich neu erzeugt. Die
Arbeit ist hier wieder die Hauptsache, die Macht über den
Individuen, und solange diese existiert, solange muß das Privateigentum
existieren. Die Aufhebung des Gegensatzes von Stadt und Land ist eine der
ersten Bedingungen der Gemeinschaft, eine Bedingung, die wieder von einer
Masse materieller Voraussetzungen abhängt und die der bloße Wille nicht
erfüllen kann, wie Jeder auf den ersten Blick sieht. (Diese Bedingungen
müssen noch entwickelt werden.) Die Trennung von Stadt und Land kann auch
gefaßt werden als die Trennung von Kapital und Grundeigentum, als der
Anfang einer vom Grundeigentum unabhängigen Existenz und
Entwicklung des Kapitals, eines Eigentums, das bloß in der Arbeit und im
Austausch seine Basis hat.
In den Städten, welche im Mittelalter nicht aus der früheren Geschichte
fertig überliefert waren, sondern sich neu aus den freigewordnen
Leibeignen [51] bildeten, war die besondre Arbeit eines Jeden sein
einziges Eigentum außer dem kleinen, fast nur im nötigsten Handwerkszeug
bestehenden Kapital, das er mitbrachte. Die Konkurrenz der fortwährend in
die Stadt kommenden entlaufenen Leibeigenen, der fortwährende Krieg des
Landes gegen die Städte und damit die Notwendigkeit einer organisierten
städtischen Kriegsmacht, das Band des gemeinsamen Eigentums an einer
bestimmten Arbeit, die Notwendigkeit gemeinsamer Gebäude zum Verkauf ihrer
Waren zu einer Zeit, wo die Handwerker zugleich commerçants [Kaufleute],
und die damit gegebene Ausschließung Unberufener von diesen Gebäuden, der
Gegensatz der Interessen der einzelnen Handwerke unter sich, die
Notwendigkeit eines Schutzes der mit Mühe erlernten Arbeit und die feudale
Organisation des ganzen Landes waren die Ursachen der Vereinigung der
Arbeiter eines jeden Handwerks in Zünften. Wir haben hier auf die
vielfachen Modifikationen des Zunftwesens, die durch spätere historische
Entwicklungen hereinkommen, nicht weiter einzugehen. Die Flucht der
Leibeignen in die Städte fand während des ganzen Mittelalters
ununterbrochen statt. Diese Leibeignen, auf dem Lande von ihren Herren
verfolgt, kamen einzeln in die Städte, wo sie eine organisierte Gemeinde
vorfanden, gegen die sie machtlos waren und worin sie sich der Stellung
unterwerfen mußten, die ihnen das Bedürfnis nach ihrer Arbeit und das
Interesse ihrer organisierten städtischen Konkurrenten anwies. Diese
einzeln hereinkommenden Arbeiter konnten es nie zu einer Macht bringen,
da, wenn ihre Arbeit eine zunftmäßige war, die erlernt werden mußte, die
Zunftmeister sie sich unterwarfen und nach ihrem Interesse organisierten,
oder, wenn ihre Arbeit nicht erlernt werden mußte, daher keine
zunftmäßige, sondern Taglöhnerarbeit war, nie zu einer Organisation kamen,
sondern unorganisierter Pöbel blieben. Die Notwendigkeit der
Taglöhnerarbeit in den Städten schuf den Pöbel.
Diese Städte waren wahre "Vereine", hervorgerufen durch das
unmittelbare Bedürfnis, die Sorge um den Schutz des Eigentums, und um die
Produktionsmittel und Verteidigungsmittel der einzelnen Mitglieder zu
multiplizieren. Der Pöbel dieser Städte war dadurch, daß er aus einander
fremden, vereinzelt hereingekommenen Individuen bestand, die einer
organisierten, kriegsmäßig gerüsteten, sie eifersüchtig überwachenden
Macht unorganisiert gegenüberstanden, aller Macht beraubt. Die Gesellen
und Lehrlinge waren in jedem Handwerk so organisiert, wie es dem Interesse
der Meister am besten entsprach; das patriarchalische Verhältnis, in dem
sie zu ihren Meistern standen, gab diesen eine doppelte Macht, einerseits
in ihrem direkten Einfluß [52] auf das ganze Leben der Gesellen und
dann, weil es für die Gesellen, die bei demselben Meister arbeiteten, ein
wirkliches Band war, das sie gegenüber den Gesellen der übrigen Meister
zusammenhielt und sie von diesen trennte; und endlich waren die Gesellen
schon durch das Interesse, das sie hatten, selbst Meister zu werden, an
die bestehende Ordnung geknüpft. Während daher der Pöbel es wenigstens zu
Emeuten gegen die ganze städtische Ordnung brachte, die indes bei seiner
Machtlosigkeit ohne alle Wirkung blieben, kamen die Gesellen nur zu
kleinen Widersetzlichkeiten innerhalb einzelner Zünfte, wie sie zur
Existenz des Zunftwesens selbst gehören. Die großen Aufstände des
Mittelalters gingen alle vom Lande aus, blieben aber ebenfalls wegen der
Zersplitterung und der daraus folgenden Roheit der Bauern total
erfolglos.
Die Teilung der Arbeit war in den Städten zwischen den einzelnen
Zünften noch [ganz naturwüchsig] und in den Zünften selbst zwischen den
einzelnen Arbeitern gar nicht durchgeführt. Jeder Arbeiter mußte in einem
ganzen Kreise von Arbeiten bewandert sein, mußte Alles machen können, was
mit seinen Werkzeugen zu machen war; der beschränkte Verkehr und die
geringe Verbindung der einzelnen Städte unter sich, der Mangel an
Bevölkerung und die Beschränktheit der Bedürfnisse ließen keine weitere
Teilung der Arbeit aufkommen, und daher mußte Jeder, der Meister werden
wollte, seines ganzen Handwerks mächtig sein. Daher findet sich bei den
mittelalterlichen Handwerkern noch ein Interesse an ihrer speziellen
Arbeit und an der Geschicklichkeit darin, das sich bis zu einem gewissen
bornierten Kunstsinn steigern konnte. Daher ging aber auch jeder
mittelalterliche Handwerker ganz in seiner Arbeit auf, hatte ein
gemütliches Knechtschaftsverhältnis zu ihr und war viel mehr als der
moderne Arbeiter, dem seine Arbeit gleichgültig ist, unter sie
subsumiert.
Das Kapital in diesen Städten war ein naturwüchsiges Kapital, das in
der Wohnung, den Handwerkszeugen und der naturwüchsigen, erblichen
Kundschaft bestand und sich wegen des unentwickelten Verkehrs und der
mangelnden Zirkulation als unrealisierbar vom Vater auf den Sohn forterben
mußte. Dies Kapital war nicht, wie das moderne, ein in Geld
abzuschätzendes, bei. dem es gleichgültig ist, ob es in dieser oder jener
Sache steckt, sondern ein unmittelbar mit der bestimmten Arbeit des
Besitzers zusammenhängendes, von ihr gar nicht zu trennendes, und insofern
ständisches Kapital.
Die nächste Ausdehnung der Teilung der Arbeit war die Trennung von
Produktion und Verkehr, die Bildung einer besondern Klasse von Kaufleuten,
eine Trennung, die in den historisch überlieferten Städten (u. a. mit den
Juden) mit überkommen war und in den neugebildeten sehr bald eintrat.
[53] Hiermit war die Möglichkeit einer über den nächsten Umkreis
hinausgehenden Handelsverbindung gegeben, eine Möglichkeit, deren
Ausführung von den bestehenden Kommunikationsmitteln, dem durch die
politischen Verhältnisse bedingten Stande der öffentlichen Sicherheit auf
dem Lande (im ganzen Mittelalter zogen bekanntlich die Kaufleute in
bewaffneten Karawanen herum) und von den durch die jedesmalige Kulturstufe
bedingten roheren oder entwickelteren Bedürfnissen des dem Verkehr
zugänglichen Gebietes abhing.
Mit dem in einer besonderen Klasse konstituierten Verkehr, mit der
Ausdehnung des Handels durch die Kaufleute über die nächste Umgebung der
Stadt hinaus, tritt sogleich eine Wechselwirkung zwischen der Produktion
und dem Verkehr ein. Die Städte treten miteinander in Verbindung,
es werden neue Werkzeuge aus einer Stadt in die andre gebracht, und die
Teilung zwischen Produktion und Verkehr ruft bald eine neue Teilung der
Produktion zwischen den einzelnen Städten hervor, deren Jede bald einen
vorherrschenden Industriezweig exploitiert. Die anfängliche Beschränkung
auf die Lokalität fängt an, allmählich aufgelöst zu werden.
Die Bürger in jeder Stadt waren im Mittelalter gezwungen, sich gegen
den Landadel zu vereinigen, um sich ihrer Haut zu wehren; die Ausdehnung
des Handels, die Herstellung der Kommunikationen führte die einzelnen
Städte dazu, andere Städte kennenzulernen, die dieselben Interessen im
Kampfe mit demselben Gegensatz durchgesetzt hatten. Aus den vielen lokalen
Bürgerschaften der einzelnen Städte entstand erst sehr allmählich die
Bürgerklasse. Die Lebensbedingungen der einzelnen Bürger wurden
durch den Gegensatz gegen die bestehenden Verhältnisse und durch die davon
bedingte Art der Arbeit zugleich zu Bedingungen, welche ihnen allen
gemeinsam und von jedem einzelnen unabhängig waren. Die Bürger hatten
diese Bedingungen geschaffen, insofern sie sich von dem feudalen Verbande
losgerissen hatten, und waren von ihnen geschaffen, insofern sie durch
ihren Gegensatz gegen die Feudalität, die sie vorfanden, bedingt waren.
Mit dem Eintreten der Verbindung zwischen den einzelnen Städten
entwickelten sich diese gemeinsamen Bedingungen zu Klassenbedingungen.
Dieselben Bedingungen, derselbe Gegensatz, dieselben Interessen mußten im
Ganzen und Großen auch überall gleiche Sitten hervorrufen. Die Bourgeoisie
selbst entwickelt sich erst mit ihren Bedingungen allmählich, spaltet sich
nach der Teilung der Arbeit wieder in verschiedene Fraktionen und
absorbiert endlich alle vorgefundenen besitzenden Klassen in sich (20) (während sie die Majorität der vorgefundenen
[54] besitzlosen und einen Teil der bisher besitzenden Klassen zu
einer neuen Klasse, dem Proletariat, entwickelt), in dem Maße, als alles
vorgefundene Eigentum in industrielles oder kommerzielles Kapital
umgewandelt wird. Die einzelnen Individuen bilden nur insofern eine
Klasse, als sie einen gemeinsamen Kampf gegen eine andre Klasse zu führen
haben; im übrigen stehen sie einander selbst in der Konkurrenz wieder
feindlich gegenüber. Auf der andern Seite verselbständigt sich die Klasse
wieder gegen die Individuen, so daß diese ihre Lebensbedingungen
prädestiniert vorfinden, von der Klasse ihre Lebensstellung und damit ihre
Persönliche Entwicklung angewiesen bekommen, unter sie subsumiert werden.
Dies ist dieselbe Erscheinung wie die Subsumtion der einzelnen Individuen
unter die Teilung der Arbeit und kann nur durch die Aufhebung des
Privateigentums und der Arbeit selbst beseitigt werden. Wie diese
Subsumtion der Individuen unter die Klasse sich zugleich zu einer
Subsumtion unter allerlei Vorstellungen pp. entwickelt, haben wir bereits
mehrere Male angedeutet.
Es hängt lediglich von der Ausdehnung des Verkehrs ab, ob die in einer
Lokalität gewonnenen Produktivkräfte, namentlich Erfindungen, für die
spätere Entwicklung verlorengehen oder nicht. Solange noch kein über die
unmittelbare Nachbarschaft hinausgehender Verkehr existiert, muß jede
Erfindung in jeder Lokalität besonders gemacht werden, und bloße Zufälle,
wie Irruptionen barbarischer Völker, selbst gewöhnliche Kriege, reichen
hin, ein Land mit entwickelten Produktivkräften und Bedürfnissen dahin zu
bringen, daß es wieder von vorne anfangen muß. In der anfänglichen
Geschichte mußte jede Erfindung täglich neu und in jeder Lokalität
unabhängig gemacht werden. Wie wenig ausgebildete Produktivkräfte selbst
bei einem verhältnismäßig sehr ausgedehnten Handel vor dem gänzlichen
Untergange sicher sind, beweisen die Phönizier, deren Erfindungen zum
größten Teil durch die Verdrängung dieser Nation aus dem Handel, die
Eroberung Alexanders und den daraus folgenden Verfall auf lange Zeit
verlorengingen. Ebenso im Mittelalter die Glasmalerei z.B. Erst wenn der
Verkehr zum Weltverkehr geworden ist und die große Industrie zur Basis
hat, alle Nationen in den Konkurrenzkampf hereingezogen sind, ist die
Dauer der gewonnenen Produktivkräfte gesichert.
Die Teilung der Arbeit zwischen den verschiedenen Städten hatte zur
nächsten Folge das Entstehen der Manufakturen, der dem Zunftwesen
entwachsenen Produktionszweige. Das erste Aufblühen der Manufakturen - in
Italien und später in Flandern - hatte den Verkehr mit auswärtigen
Nationen [55] zu seiner historischen Voraussetzung. In andern
Ländern - England und Frankreich z.B. - beschränkten die Manufakturen sich
anfangs auf den inländischen Markt. Die Manufakturen haben außer den
angegebenen Voraussetzungen noch eine schon fortgeschrittene Konzentration
der Bevölkerung - namentlich auf dem Lande - und des Kapitals, das sich
teils in den Zünften trotz der Zunftgesetze, teils bei den Kaufleuten in
einzelnen Händen zu sammeln anfing, zur Voraussetzung.
Diejenige Arbeit, die von vornherein eine Maschine, wenn auch noch in
der rohsten Gestalt, voraussetzte, zeigte sich sehr bald als die
entwicklungsfahigste. Die Weberei, bisher auf dem Lande von den Bauern
nebenbei betrieben, um sich ihre nötige Kleidung zu verschaffen, war die
erste Arbeit, welche durch die Ausdehnung des Verkehrs einen Anstoß und
eine weitere Ausbildung erhielt. Die Weberei war die erste und blieb die
hauptsächlichste Manufaktur. Die mit der steigenden Bevölkerung steigende
Nachfrage nach Kleidungsstoffen, die beginnende Akkumulation und
Mobilisation des naturwüchsigen Kapitals durch die beschleunigte
Zirkulation, das hierdurch hervorgerufene und durch die allmähliche
Ausdehnung des Verkehrs überhaupt begünstigte Luxusbedürfnis gaben der
Weberei quantitativ und qualitativ einen Anstoß, der sie aus der
bisherigen Produktionsform herausriß. Neben den zum Selbstgebrauch
webenden Bauern, die fortbestehen blieben und noch fortbestehen, kam eine
neue Klasse von Webern in den Städten auf, deren Gewebe für den ganzen
heimischen Markt und meist auch für auswärtige Märkte bestimmt
waren.
Die Weberei, eine in den meisten Fällen wenig Geschicklichkeit
erfordernde und bald in unendlich viele Zweige zerfallende Arbeit,
widerstrebte ihrer ganzen Beschaffenheit nach den Fesseln der Zunft. Die
Weberei wurde daher auch meist in Dörfern und Marktflecken ohne zünftige
Organisation betrieben, die allmählich zu Städten, und zwar bald zu den
blühendsten Städten jedes Landes wurden.
Mit der zunftfreien Manufaktur veränderten sich sogleich auch die
Eigentumsverhältnisse. Der erste Fortschritt über das
naturwüchsig-ständische Kapital hinaus war durch das Aufkommen der
Kaufleute gegeben, deren Kapital von vornherein mobil, Kapital im modernen
Sinne war, soweit davon unter den damaligen Verhältnissen die Rede sein
kann. Der zweite Fortschritt kam mit der Manufaktur, die wieder eine Masse
des naturwüchsigen Kapitals mobilisierte und überhaupt die Masse des
mobilen Kapitals gegenüber der des naturwüchsigen
vermehrte.
Die Manufaktur wurde zugleich eine Zuflucht der Bauern gegen die sie
ausschließenden oder schlecht bezahlenden Zünfte, wie früher die Zunft-
[56] städte den Bauern als Zuflucht gegen [den sie bedrückenden
Landadel gedient] hatten.
Mit dem Anfange der Manufakturen gleichzeitig war eine Periode des
Vagabundentums, veranlaßt durch das Aufhören der feudalen Gefolgschaften,
die Entlassung der zusammengelaufenen Armeen, die den Königen gegen die
Vasallen gedient hatten, durch verbesserten Ackerbau und Verwandlung von
großen Streifen Ackerlandes in Viehweiden. Schon hieraus geht hervor, wie
dies Vagabundentum genau mit der Auflösung der Feudalität zusammenhängt.
Schon im dreizehnten Jahrhundert kommen einzelne Epochen dieser Art vor,
allgemein und dauernd tritt dies Vagabundentum erst mit dem Ende des 15.
und Anfang des 16. Jahrhunderts hervor. Diese Vagabunden, die so zahlreich
waren, daß u.a. Heinrich VIII. von England ihrer 72 000 hängen ließ,
wurden nur mit den größten Schwierigkeiten und durch die äußerste Not und
erst nach langem Widerstreben dahin gebracht, daß sie arbeiteten. Das
rasche Aufblühen der Manufakturen, namentlich in England, absorbierte sie
allmählich.
Mit der Manufaktur traten die verschiedenen Nationen in ein
Konkurrenzverhältnis, in den Handelskampf, der in Kriegen, Schutzzöllen
und Prohibitionen durchgekämpft wurde, während früher die Nationen, soweit
sie in Verbindung waren, einen harmlosen Austausch miteinander verführt
hatten. Der Handel hat von nun an politische Bedeutung.
Mit der Manufaktur war zugleich ein verändertes Verhältnis des
Arbeiters zum Arbeitgeber gegeben. In den Zünften existierte das
patriarchalische Verhältnis zwischen Gesellen und Meister fort; in der
Manufaktur trat an seine Stelle das Geldverhältnis zwischen Arbeiter und
Kapitalist; ein Verhältnis, das auf dem Lande und in kleinen Städten
patriarchalisch tingiert blieb, in den größeren, eigentlichen
Manufakturstädten jedoch schon früh fast alle patriarchalische Färbung
verlor.
Die Manufaktur und überhaupt die Bewegung der Produktion erhielt einen
enormen Aufschwung durch die Ausdehnung des Verkehrs, welche mit der
Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Ostindien eintrat. Die neuen,
von dort importierten Produkte, namentlich die Massen von Gold und Silber,
die in Zirkulation kamen, die Stellung der Klassen gegeneinander total
veränderten und dem feudalen Grundeigentum und den Arbeitern einen harten
Stoß gaben, die Abenteurerzüge, Kolonisation und vor Allem die jetzt
möglich gewordene und täglich sich mehr und mehr herstellende Ausdehnung
der Märkte zum Weltmarkt riefen eine neue Phase der [57]
geschichtlichen Entwicklung hervor, auf welche im Allgemeinen hier nicht
weiter einzugehen ist. Durch die Kolonisation der neuentdeckten Länder
erhielt der Handelskampf der Nationen gegeneinander neue Nahrung und
demgemäß größere Ausdehnung und Erbitterung.
Die Ausdehnung des Handels und der Manufaktur beschleunigten die
Akkumulation des mobilen Kapitals, während in den Zünften, die keinen
Stimulus zur erweiterten Produktion erfuhren, das naturwüchsige Kapital
stabil blieb oder gar abnahm. Handel und Manufaktur schufen die große
Bourgeoisie, in den Zünften konzentrierte sich die Kleinbürgerschaft, die
nun nicht mehr wie früher in den Städten herrschte, sondern der Herrschaft
der großen Kaufleute und Manufacturiers sich beugen mußte (21). Daher der Verfall der Zünfte, sobald sie
mit der Manufaktur in Berührung kam[en].
Das Verhältnis der Nationen untereinander in ihrem Verkehr nahm während
der Epoche, von der wir gesprochen haben, zwei verschiedene Gestalten an.
Im Anfange bedingte die geringe zirkulierende Quantität des Goldes und
Silbers das Verbot der Ausfuhr dieser Metalle; und die durch die
Notwendigkeit der Beschäftigung für die wachsende städtische Bevölkerung
nötig gewordene, meist vom Auslande importierte Industrie konnte der
Privilegien nicht entbehren, die natürlich nicht nur gegen inländische,
sondern hauptsächlich gegen auswärtige Konkurrenz gegeben werden konnten.
Das lokale Zunftprivilegium wurde in diesen ursprünglichen Prohibitionen
auf die ganze Nation erweitert. Die Zölle entstanden aus den Abgaben, die
die Feudalherren den ihr Gebiet durchziehenden Kaufleuten als Abkauf der
Plünderung auflegten, Abgaben, die später von den Städten ebenfalls
auferlegt wurden und die beim Aufkommen der modernen Staaten das
zunächstliegende Mittel für den Fiskus waren, um Geld zu
bekommen.
Die Erscheinung des amerikanischen Goldes und Silbers auf den
europäischen Märkten, die allmähliche Entwicklung der Industrie, der
rasche Aufschwung des Handels und das hierdurch hervorgerufene Aufblühen
der nichtzünftigen Bourgeoisie und des Geldes gab diesen Maßregeln eine
andre Bedeutung. Der Staat, der des Geldes täglich weniger entbehren
konnte, behielt nun das Verbot der Gold- und Silberausfuhr aus
fiskalischen Rücksichten bei; die Bourgeois, für die diese neu auf den
Markt geschleuderten Geldmassen der Hauptgegenstand des Akkaparements
[wucherischen Ankaufs] war, waren damit vollständig zufrieden; die
bisherigen Privilegien wurden eine Einkommenquelle für die Regierung und
für Geld verkauft; in der Zollgesetzgebung [58] kamen die
Ausfuhrzölle auf, die, der Industrie nur ein Hindernis in den Weg
[legend), einen rein fiskalischen Zweck hatten.
Die zweite Periode trat mit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ein
und dauerte fast bis zum Ende des achtzehnten. Der Handel und die
Schiffahrt hatten sich rascher ausgedehnt als die Manufaktur, die eine
sekundäre Rolle spielte; die Kolonien fingen an, starke Konsumenten zu
werden, die einzelnen Nationen teilten sich durch lange Kämpfe in den sich
öffnenden Weltmarkt. Diese Periode beginnt mit den Navigationsgesetzen und
Kolonialmonopolen. Die Konkurrenz der Nationen untereinander wurde durch
Tarife, Prohibitionen, Traktate möglichst ausgeschlossen; und in letzter
Instanz wurde der Konkurrenzkampf durch Kriege (besonders Seekriege)
geführt und entschieden. Die zur See mächtigste Nation, die Engländer,
behielten das Übergewicht im Handel und der Manufaktur. Schon hier die
Konzentration auf Ein Land.
Die Manufaktur war fortwährend durch Schutzzölle im heimischen Markte,
im Kolonialmarkte durch Monopole und im auswärtigen möglichst viel durch
Differentialzölle geschützt. Die Bearbeitung des im Lande selbst erzeugten
Materials wurde begünstigt (Wolle und Leinen in England, Seide in
Frankreich), die Ausfuhr des im Inlande erzeugten Rohmaterials verboten
(Wolle in England) und die [Bearbeitung] des importierten vernachlässigt
oder unterdrückt (Baumwolle in England). Die im Seehandel und der
Kolonialmacht vorherrschende Nation sicherte sich natürlich auch die
größte quantitative und qualitative Ausdehnung der Manufaktur. Die
Manufaktur konnte überhaupt des Schutzes nicht entbehren, da sie durch die
geringste Veränderung, die in andern Ländern vorgeht, ihren Markt
verlieren und ruiniert werden kann; sie ist leicht in einem Lande unter
einigermaßen günstigen Bedingungen eingeführt und ebendeshalb leicht
zerstört. Sie ist zugleich durch die Art, wie sie, namentlich im 18.
Jahrhundert auf dem Lande, betrieben wurde, mit den Lebensverhältnissen
einer großen Masse von Individuen so verwachsen, daß kein Land wagen darf,
ihre Existenz durch Zulassung der freien Konkurrenz aufs Spiel zu setzen.
Sie hängt daher, insofern sie es bis zum Export bringt, ganz von der
Ausdehnung oder Beschränkung des Handels ab und übt eine verhältnis[mäßig]
sehr geringe Rückwirkung [auf ihn] aus. Daher ihre sekundäre [Bedeutung]
und daher der Einfluß [der Kauf]leute im achtzehnten Jahrhundert. Die
Kaufleute und besonders die Reeder waren es, die vor allen Andern auf
Staatsschutz und Monopolien drangen; die Manufacturiers verlangten und
erhielten zwar auch Schutz, standen aber fortwährend hinter den Kaufleuten
an politischer Bedeutung zurück. Die Handelsstädte, speziell die
Seestädte, wurden einigermaßen zivilisiert [59] und großbürgerlich,
während in den Fabrikstädten die größte Kleinbürgerei bestehen blieb.
Vgl. Aikin pp. Das
achtzehnte Jahrhundert war das des Handels. Pinto sagt dies ausdrücklich: "Le commerce
fait la marotte du siècle" ["Der Handel ist das Steckenpferd des
Jahrhunderts"], und: "Depuis quelque temps il n'est plus question que de
commerce, de navigation et de marine." ["Seit einiger Zeit ist nur
noch von Handel, Seefahrt und Marine die Rede."] (22)
Diese Periode ist auch bezeichnet durch das Aufhören der Gold- und
Silberausfuhrverbote, das Entstehen des Geldhandels, der Banken, der
Staatsschulden, des Papiergeldes, der Aktien- und Fondsspekulation, der
Agiotage in allen Artikeln und der Ausbildung des Geldwesens überhaupt.
Das Kapital verlor wieder einen großen Teil der ihm noch anklebenden
Naturwüchsigkeit.
Die im siebzehnten Jahrhundert unaufhaltsam sich entwickelnde
Konzentration des Handels und der Manufaktur auf ein Land, England, schuf
für dieses Land allmählich einen relativen Weltmarkt und damit eine
Nachfrage für die Manufakturprodukte dieses Landes, die durch die
bisherigen industriellen Produktivkräfte nicht mehr befriedigt werden
konnte. Diese den Produktionskräften über den Kopf wachsende Nachfrage war
die treibende Kraft, welche die dritte Periode des Privateigentums seit
dem Mittelalter hervorrief, indem sie die große Industrie - die Anwendung
von Elementarkräften zu industriellen Zwecken, die Maschinerie und die
ausgedehnteste Teilung der Arbeit - erzeugte. Die übrigen Bedingungen
dieser neuen Phase - die Freiheit der Konkurrenz innerhalb der Nation, die
Ausbildung der theoretischen Mechanik (die durch Newton vollendete
Mechanik war überhaupt im 18. Jahrhundert in Frankreich und England die
populärste Wissenschaft) pp. - existierten in England bereits. (Die freie
Konkurrenz in der Nation selbst mußte überall durch eine Revolution
erobert werden - 1640 und 1688 in England, 1789 in Frankreich.) Die
Konkurrenz zwang bald jedes [60] Land, das seine historische Rolle
behalten wollte, seine Manufakturen durch erneuerte Zollmaßregeln zu
schützen (die alten Zölle halfen gegen die große Industrie nicht mehr) und
bald darauf die große Industrie unter Schutzzöllen einzuführen. Die große
Industrie universalisierte trotz dieser Schutzmittel die Konkurrenz (sie
ist die praktische Handelsfreiheit, der Schutzzoll ist in ihr nur ein
Palliativ, eine Gegenwehr in der Handelsfreiheit), stellte die
Kommunikationsmittel und den modernen Weltmarkt her, unterwarf sich den
Handel, verwandelte alles Kapital in industrielles Kapital und erzeugte
damit die rasche Zirkulation (die Ausbildung des Geldwesens) und
Zentralisation der Kapitalien. Sie zwang durch die universelle Konkurrenz
alle Individuen zur äußersten Anspannung ihrer Energie. Sie vernichtete
möglichst die Ideologie, Religion, Moral etc., und wo sie dies nicht
konnte, machte sie sie zur handgreiflichen Lüge. Sie erzeugte insoweit
erst die Weltgeschichte, als sie jede zivilisierte Nation und jedes
Individuum darin in der Befriedigung seiner Bedürfnisse von der ganzen
Welt abhängig machte und die bisherige naturwüchsige Ausschließlichkeit
einzelner Nationen vernichtete. Sie subsumierte die Naturwissenschaft
unter das Kapital und nahm der Teilung der Arbeit den letzten Schein der
Naturwüchsigkeit. Sie vernichtete überhaupt die Naturwüchsigkeit, soweit
dies innerhalb der Arbeit möglich ist, und löste alle naturwüchsigen
Verhältnisse in Geldverhältnisse auf. Sie schuf an der Stelle der
naturwüchsigen Städte die modernen, großen Industriestädte, die über Nacht
entstanden sind. Sie zerstörte, wo sie durchdrang, das Handwerk und
überhaupt alle früheren Stufen der Industrie. Sie vollendete den Sieg
[der] Handelsstadt über das Land. [Ihre erste Voraussetzung] ist das
automatische System. [Ihre Entwicklung er]zeugte eine Masse von
Pro[duktivkr]äften, für die das Privat[eigentum] ebensosehr eine Fessel
wurde wie die Zunft für die Manufaktur und der kleine, ländliche Betrieb
für das sich ausbildende Handwerk. Diese Produktivkräfte erhalten unter
dem Privateigentum eine nur einseitige Entwicklung, werden für die
Mehrzahl zu Destruktivkräften, und eine Menge solcher Kräfte können im
Privateigentum gar nicht zur Anwendung kommen. Sie erzeugte im Allgemeinen
überall dieselben Verhältnisse zwischen den Klassen der Gesellschaft und
vernichtete dadurch die Besonderheit der einzelnen Nationalitäten. Und
endlich, während die Bourgeoisie jeder Nation noch aparte nationale
Interessen behält, schuf die große Industrie eine Klasse, die bei allen
Nationen dasselbe Interesse hat und bei der die Nationalität schon
vernichtet ist, eine Klasse, die wirklich die ganze alte Welt los ist und
zugleich ihr gegenübersteht. Sie macht dem Arbeiter nicht bloß das
Verhältnis zum Kapitalisten, sondern die Arbeit selbst
unerträglich.
[61] Es versteht sich, daß die große Industrie nicht in jeder
Lokalität eines Landes zu derselben Höhe der Ausbildung kommt. Dies hält
indes die Klassenbewegung des Proletariats nicht auf, da die durch die
große Industrie erzeugten Proletarier an die Spitze dieser Bewegung treten
und die ganze Masse mit sich fortreißen, und da die von der großen
Industrie ausgeschlossenen Arbeiter durch diese große Industrie in eine
noch schlechtere Lebenslage versetzt werden als die Arbeiter der großen
Industrie selbst. Ebenso wirken die Länder, in denen eine große Industrie
entwickelt ist, auf die plus ou moins [mehr oder weniger]
nichtindustriellen Länder, sofern diese durch den Weltverkehr in den
universellen Konkurrenzkampf hereingerissen sind. (23)
Diese verschiedenen Formen sind ebensoviel Formen
der Organisation der Arbeit und damit des Eigentums. In jeder Periode fand
eine Veränderung (im Original: Vereinigung)
der
existierenden Produktivkräfte statt, soweit sie durch die Bedürfnisse
notwendig geworden war. |