Krise der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaft Die Gewerkschaften und
ihre Führungen werden von Regierung und Kapital immer wieder als
Blockierer und Betonköpfe dargestellt, die es zu beseitigen gelte. Um sie
zu schwächen, werden die Abschaffung der Mitbestimmung und der
Tarifautonomie propagiert. BDI-Präsident Michael Rogowski wünscht sich
ein großes Lagerfeuer, um das Betriebsverfassungsgesetz und die
Tarifverträge hineinzuwerfen. (Stuttgarter Nachrichten,
21.10.2003) Doch neuerdings hört
man aus dieser Ecke auch andere Töne: Die Gewerkschaften hätten sich in
die richtige Richtung bewegt wenn auch natürlich noch nicht weit genug
sie würden endlich einsehen, daß die Arbeitskraft zu teuer, die
Lohnnebenkosten zu hoch und der ganze Sozialstaat eben nicht mehr zu
halten sei. Anpassen oder
untergehen ist die neue Strategie des DGB wir sollten besser
formulieren untergehen oder untergehen, denn diese Strategie läuft
letztlich auf eine Gefährdung der Existenz der Gewerkschaften
hinaus. Das Kapital hat sich im
letzten Jahr gezielt auf die Kerntruppen des Proletariats eingeschossen,
die industriellen Großbetriebe, die bisher immer die Tarifrunden
bestimmten. Und überall hat es seine Forderungen durchgesetzt. Seine
Hauptwaffe dabei ist die Drohung mit einer Produktionsverlagerung ins
Ausland, also einer Spaltung der Arbeiterklasse. Es werden deshalb im
folgenden einige sogenannte Standortsicherungsabkommen daraufhin
untersucht, ob sie ihrem Namen gerecht werden, ob die Preisgabe
wesentlicher tariflicher Standards tatsächlich zur Sicherung der
Arbeitsplätze geführt hat. Unverbindliche
Vereinbarungen Beispiel Siemens: Mit
der Drohung, die Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort nach Ungarn zu
verlagern, setzte die Geschäftsleitung die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche
und Lohnkürzungen um zirka 30 Prozent durch. Es gab keine Zusicherung, den
Belegschaftsabbau zu stoppen (die Formulierung in der Vereinbarung lautet
schlicht: die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, daß keine
betriebsbedingten Kündigungen erfolgen werden). Es gab keine Zusicherung,
auf die Verlagerung gänzlich zu verzichten; die Entscheidung sollte
lediglich um zwei Jahre verschoben werden. Inzwischen hat Siemens die
Handyproduktion verkauft. Die Kollegen wurden an der Nase
herumgeführt. Beispiel
DaimlerChrysler: Das geforderte Sparpaket von 500 Millionen Euro wurde vom
Betriebsrat in vollem Umfang akzeptiert. Das bedeutet im einzelnen:
Lohnsenkung bei Neueinstellungen und Verlängerung der Arbeitszeit für die
Dienstleister und andere Teile der Belegschaft (siehe hierzu die
Broschüre Erpreßwerk DaimlerChrysler). Und im Gegenzug
Beschäftigungssicherung? Keineswegs! Der Verzicht auf betriebsbedingte
Kündigungen gilt nicht für Neueingestellte. Änderungskündigungen sind
weiterhin möglich. Personalabbau durch Ausscheiden von Kollegen wird nicht
ausgeschlossen. Bei sogenannten Personalüberhängen soll Personal
sozialverträglich abgebaut werden. Reicht das nicht mehr aus, dann
werden wie immer nach dem Betriebsverfassungsgesetz Verhandlungen über
einen Interessenausgleich geführt. Es gilt also letztlich nur die reine
gesetzliche Regelung! Inzwischen kündigte die Konzernleitung einen
umfassenden Stellenabbau an: Die anfängliche Zahl von 5000 wurde
inzwischen durch die Zahl 8500 korrigiert. Es soll zwar keine
betriebsbedingten Kündigungen geben der Konzern setzt auf Abfindungen,
Vorruhestand usw. aber das ändert nichts daran, daß Arbeitsplätze auf
Dauer vernichtet werden. Beispiel Volkswagen:
Auch hier erhob das Kapital die Forderung nach 500 Millionen Euro
Einsparvolumen, auch hier wurde sie vom Betriebsrat erfüllt, erreicht
durch Lohnverzicht und vor allem noch größere Flexibilisierung. Dafür aber
soll es im Gegenzug Arbeitsplatzsicherung bzw. Ausschluß betriebsbedingter
Kündigungen geben. 30 000 Arbeitsplätze, die im Feuer standen, seien bis
2011 gerettet durch das Abkommen, sagt die IG Metall. Allerdings hat der
Vertrag einen Haken: Er enthält nämlich eine Revisionsklausel für den Fall
außerordentlicher Krisen in Produktion und Absatz. Wenn eingewendet wird,
daß die dann fällige Rückkehr zum alten Tarifvertrag unattraktiv für VW
wäre, dann sei auf andere Möglichkeiten des Unternehmens verwiesen, z. B.
Outsourcing in Tochterfirmen, die wesentlich geringere Standards haben
(vgl. Stephan Krull in Sozialismus, 5/2005). Inzwischen ist die
vermeintliche Arbeitsplatzsicherung schon gefährdet. Der Wegfall von
10000 Arbeitsplätzen allein in der BRD ist geplant noch nicht einmal ein
Jahr nach dem Abschluß des Haustarifvertrags 2004. Das Ziel: Sieben
Milliarden Euro sollen bis 2008 eingespart, die Rendite soll auf neun
Prozent erhöht werden. Dazu kommt für die
Belegschaft eine weitere Senkung der Löhne: Das jetzige Schichtmodell sei
wirtschaftlich nicht vertretbar, heißt es von seiten des Konzerns. Die
Bänder sollen jeweils zehn Stunden laufen, die Nachtzuschläge entfallen.
Und die Zusage für den Bau des Geländewagens in Wolfsburg läßt sich die
Geschäftsleitung mit Lohneinbußen von etwa 20 Prozent von den Kollegen
honorieren. Dabei war im Haustarifvertrag 2004 fest vereinbart worden, daß
das neue Modell in der BRD gebaut wird. Soviel zur Glaubwürdigkeit und
Verläßlichkeit des Kapitals. Beispiel Opel: Nach
monatelangen Verhandlungen wurde auch bei Opel ein
Zukunftssicherungsvertrag geschlossen, der erhebliche Lohneinbußen
(allmähliche Absenkung um rund 20 Prozent!), Flexibilisierung der
Arbeitszeit und den Abbau von fast 10 000 Arbeitsplätzen vorsieht. Danach
aber seien die Arbeitsplätze bis 2010 sicher: der Ausschluß
betriebsbedingter Kündigungen sei rechtsverbindlich festgeschrieben, so
der Konzernbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz. Wie bei VW fehlt aber auch
hier die Katastrophenklausel nicht. Tarifkartell
gesprengt Für alle Abkommen gilt:
Die Monopole haben ihre Konkurrenzsituation auf Kosten der Arbeiter
gestärkt. Da aber alle großen Konzerne auf diese Weise verfahren, geht das
Kalkül der IG Metall nicht auf. Es bleibt das Geheimnis der
Gewerkschaftsführungen, wie sie darauf kommen, daß sich unter
kapitalistischen Bedingungen überhaupt Arbeitsplätze und dann noch auf
Jahre hinaus durch Tarifverträge sichern lassen. Eine Garantie für
Standort und Beschäftigung kann es im Kapitalismus letztlich nicht geben.
Daß Betriebsräte unter
Druck stehen und Belegschaften auf die Sicherung ihrer Arbeitsplätze
drängen, ist verständlich und bekannt. Aber alle diese Abkommen konnten
mit dem Segen der IG Metall abgeschlossen werden. Und nicht nur das. Die
IGM hat mit dem sogenannten Pforzheimer Kompromiß vom 16. Februar 2004 die
Grundlage für all diese Verträge gelegt. Darin heißt es: Ist es
unter Abwägung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen erforderlich,
durch abweichende Tarifregelung eine nachhaltige Verbesserung der
Beschäftigungsentwicklung zu sichern, so werden die Tarifvertragsparteien
nach gemeinsamer Prüfung mit den Betriebsparteien ergänzende
Tarifregelungen vereinbaren oder es wird einvernehmlich befristet von
tariflichen Mindeststandards abgewichen (z.B. Kürzung von Sonderzahlungen,
Stundung von Ansprüchen, Erhöhung oder Absenkung der Arbeitszeit mit oder
ohne vollen Lohnausgleich). Der Kölner
Stadtanzeiger (14.3.2004 ) gibt die Einschätzung von Arbeitgeberpräsident
Martin Kannegießer von Gesamtmetall folgendermaßen wieder: erstmals
habe sich die IG Metall verpflichtet, zur Sicherung von Investitionen und
Wettbewerbsfähigkeit Abweichungen vom Flächentarif zuzustimmen. Sie habe
auch mit dem Glaubenssatz gebrochen, Arbeitszeitverlängerungen seien kein
Beitrag zur Beschäftigungssicherung. Thomas Straubhaar, Chef des von
Steuergeldern abhängigen Hamburger Weltwirtschaftsarchivs, frohlockt
bereits, das Tarifkartell der Gewerkschaften sei de facto gesprengt worden
(nach Reinhard Blomert, Berliner Zeitung v. 2.4.05) Statt den gemeinsamen
Abwehrkampf zu führen, statt die von Erpressung bedrohten Betriebe zu
vernetzen, läßt die IG Metall es zu, daß diese einzeln vom Kapital
vorgeführt werden und schafft obendrein noch die Rahmenbedingungen dafür.
Und, was der Gipfel ist: die Kapitulation wird noch als Erfolg, als
Rettung der Arbeitsplätze gefeiert. Da nimmt es nicht wunder, daß die
Kollegen glauben, gegen die Globalisierung sei kein Kraut gewachsen, aber
mit Zugeständnissen könne man Verlagerungen
verhindern. Die Folgen sind: Über
300 Betriebe haben im Jahr 2004 ähnliche Standortsicherungsabkommen
abgeschlossen (nach Berthold Huber in FR, 11.11.04), zirka 2000 wollen
ebenfalls die Öffnungsklausel nutzen. Bereits jetzt nutzt fast jedes
zehnte Metallunternehmen die Möglichkeit für betriebliche Abweichungen.
(SZ, 21.2.05) Genauso kritisch ist
der Abschluß beim öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) zu sehen. Ver.di
behauptet, sie habe mit diesem Abschluß den Flächentarifvertrag gerettet.
Die Logik ist ähnlich: die öffentlichen Arbeitgeber drohen teils mit
Privatisierung, teils mit Ausstieg aus dem Tarifvertrag, wie es die
Länderarbeitgeber schon getan haben. Die Einführung von
Niedriglohngruppen, von Arbeitszeitverlängerung usw. würde diese Gefahr
bannen. Wieso eigentlich? Wenn die Bedingungen für die Beschäftigten
verschlechtert werden, wird es für private Krankenhausbetreiber,
Busunternehmer usw. nur noch interessanter, den Betrieb zu übernehmen. Und
auch der Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag kann so nicht verhindert
werden, da die Kommunen sehen, daß die Belegschaften alles mit sich machen
lassen, daß sie kampflos ihre sozialen Rechte preisgeben. Das Argument der
leeren Kassen, das die Politiker stets anführen, bleibt bestehen. Und
solange wir nicht den öffentlichen Dienst verteidigen, weil das Leistungen
für uns alle sind Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und
Verkehrsmittel so lange wird der Druck auf die dort Beschäftigten
bleiben. Die ver.di-Führung hat
sich kampflos zu den massivsten Verschlechterungen der letzten Jahrzehnte
erpressen lassen (Lohnverzicht, Einführung einer Niedriglohngruppe,
Arbeitszeitverlängerung, massive Schlechterstellung der Neueingestellten
usw. usf.). Das wird für die Unternehmer nur ein Zeichen sein, die
Daumenschrauben noch fester anzuziehen. Auf diese Weise können wir uns vor
dem Angriff des Kapitals nicht schützen! Gewiß ist die
Kampfkraft der öffentlichen Betriebe überwiegend gering. Aber selbst im
Bereich der Länder hat sich gezeigt, daß einige Belegschaften zu
ungeahnten Aktionen bereit waren. Aber ver.di wollte ja gar nicht
mobilisieren, hat ausdrücklich darauf verzichtet, um das Jahrhundertwerk
mit den Arbeitsgebern ruhig über die Bühne bringen zu können.
Spaltung der
Belegschaften Unsere
Gewerkschaftsführungen sind nach wie vor im sozialpartnerschaftlichen
Denken verhaftet, obwohl ihnen der Sozialpartner längst schon abhanden
gekommen ist. Sie sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Und sie
verschlechtern für uns nicht nur unsere Lebens- und Arbeitsverhältnisse,
sondern auch die Kampfbedingungen. Denn überall führen die Abkommen auch
zu einer Spaltung der Belegschaft. Die langjährig Beschäftigten werden
beinahe noch abgesichert, aber die Neueingestellten und Auszubildenden
werden gnadenlos schlechtergestellt. Die Kollegen der
Dienstleistungsbereiche, die ohnehin schon weniger verdienen, werden noch
stärker benachteiligt und von den Facharbeitern preisgegeben. Damit wird
das Prinzip der Solidarität, das unsere einzige Stärke, die Voraussetzung
unseres gemeinsamen Kampfes ist, massiv verletzt. (Umso bemerkenswerter
ist die Aktion bei DaimlerChrysler in Bremen, wo unter dem Motto
protestiert wurde: Ein Betrieb eine Belegschaft eine Gewerkschaft
ein Tarifvertrag kein Dienstleistungstarifvertrag!)
Dazu kommt noch das
Versagen der Gewerkschaftsführung bei der Verhinderung des
Sozialkahlschlags und der politischen Entrechtung der Arbeiterklasse, was
hier nicht weiter vertieft werden soll. Nur soviel: Die erfolgreichen
Demonstrationen der 500000 im April vergangenen Jahres waren lediglich ein
Dampfablassen. Die Mobilisierung zu betrieblichen Aktionen wurde bewußt
unterlassen. DGB-Chef Sommers Ausführungen, der Trend, den Sozialstaat
auf eine Grundversorgung zu reduzieren, sei wegen der Globalisierung und
der demographischen Entwicklung unumkehrbar, zeugen davon, daß die
Gewerkschaftsführung sich inzwischen damit abgefunden hat.
Sicherlich gibt es
Kollegen, die immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben haben, daß es bei
besserer Konjunktur ein Zurück zum Sozialstaat geben könne. Das Handeln
der Gewerkschaftsführung ist aber nicht allein durch Hilflosigkeit und
fehlende Analyse geprägt, sondern wir haben es mit einer typisch
sozialdemokratischen Art von Krisenlösung zu tun: einer Mischung aus
Kapitulation und Betrug. Kapitulation vor der Kapitaloffensive und
zugleich Betrug, indem den Kollegen vorgegaukelt wird, daß durch die
Standortsicherungsabkommen die Arbeitsplätze gesichert würden. Daß die
Ursache der Erwerbslosigkeit im Kapitalismus selbst liegt, wird
verschleiert, höchstens Auswüchse des kapitalistischen Systems werden
verurteilt. Die opportunistischen
Gewerkschaftsführungen haben das Ziel der Gewerkschaft in sein Gegenteil
verkehrt: Nicht mehr die Aufhebung der Konkurrenz unter den Beschäftigten
wird angestrebt, sondern die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Betriebe soll
hergestellt werden. Das ist ein grundlegender Bruch in der
Gewerkschaftspolitik und im Selbstverständnis der Gewerkschaften, der über
das bisherige sozialdemokratische Verständnis hinausgeht.
Keine politischen
Streiks Daß die Kapitulation im
Klassenkampf mit der Ablehnung des politischen Streiks verbunden ist, ist
folgerichtig, aber verheerend für uns. Damit steht die deutsche
Sozialdemokratie europaweit isoliert da. Sie unterstützt so die
Bourgeoisie, die der Arbeiterklasse ihr elementarstes Mittel zum
Widerstand gegen Lohn- und Sozialabbau, Entrechtung und im Kampf gegen die
Rechtsentwicklung aus der Hand zu nehmen sucht. Egal, ob die
betreffenden Gewerkschaftsführer und Konzernbetriebsräte nur hilflose
Erfüllungsgehilfen des Kapitals oder Arbeiterverräter sind sie stehen
objektiv auf der Seite der Bourgeoisie. Sie betreiben eine gegen unsere
Klasseninteressen gerichtete Politik. Und sie sind fest entschlossen,
jeden Widerstand gegen ihre Politik zu brechen, wie z.B. die Kollegen von
Daimler in Untertürkheim erfahren mußten, die mit Ausschluß bedroht wurden
und die die Betriebsratsmehrheit aus dem Betriebsrat zu drängen sucht.
Allerdings ist klar, daß sie nur so selbstbewußt agieren können, sich die
Gewerkschaften so offensiv zu eigen machen konnten, weil die Masse der
Kolleginnen und Kollegen sie nicht daran gehindert hat. Auch sie hängen
mehrheitlich der Ideologie der Sozialpartnerschaft an. Es ist ihre
Passivität und Uninformiertheit, ihr mangelndes Klassenbewußtsein und ihr
Hoffen, daß es schon jemand für sie richten werde, den sie delegieren, sei
es in der Gewerkschaft, sei es von einer Partei. Diese Haltung ist das
Resultat jahrzehntelanger sozialpartnerschaftlicher Politik. Der Kampf
gegen die Stellvertreterpolitik gehört deshalb zu unseren vordringlichsten
Aufgaben, denn er verlangt ein eigenständiges Denken und Handeln von den
Belegschaften. Die Beispiele, wo mutig und erfolgreich gekämpft wurde und
wird, bei Alstom, Siemens, Bosch-Siemens, Jungheinrich, den Hafenarbeitern
usw. sollten wir deshalb hervorheben und breit bekannt
machen. Fatale
Standortlogik Inhaltlich ist der
Dreh- und Angelpunkt die Standortlogik, die sowohl das Denken der
Gewerkschaftsführung als auch das der meisten Betriebsräte und Kolleginnen
und Kollegen beherrscht. Der Ideologie von der Stärkung des einzelnen
Unternehmens gegen die Konkurrenz entspricht die Ideologie, die den
Standort Deutschland fit machen will gegen den Rest der Welt. Dagegen
formulierte ein Vertrauensmann bei DaimlerChrysler: Meiner Meinung nach
müssen wir einen ganz anderen Kampf führen: Wettbewerbsfähigkeit ist nicht
unser Ziel, denn das heißt Konkurrenz. Ich will aber nicht mit z.B.
rumänischen Arbeitern konkurrieren. Aufgabe der Gewerkschaft ist es,
Lohnkonkurrenz abzuschaffen. Ob wir das
sozialdemokratische Denken in den Gewerkschaften zurückdrängen können,
wird deshalb entscheidend für die Existenz der Gewerkschaften sein. Die
Gewerkschaften sind die Schlüsselfrage im Kampf gegen den Angriff des
Kapitals und die Verhinderung einer weiteren Rechtsentwicklung bis hin zum
Faschismus. Wie kommen wir wieder
in die Offensive? Die Grundlage muß die Erkenntnis sein, die von den
Gewerkschaftsführungen bis vor kurzem noch verbreitet wurde, der sie aber
ständig in ihrer Praxis widersprechen: Lohnverzicht rettet keine
Arbeitsplätze. Sicherheit im Kapitalismus gibt es
nicht. Daß der Kampf der
Arbeiter auch in Zeiten der Krise möglich ist, das zeigt die
Tarifauseinandersetzung in der Druckindustrie, wo die 35-Stunden-Woche
verteidigt werden konnte, wenn auch der Abschluß nicht als voller Erfolg
gewertet werden kann. Im größeren Ausmaß
beweisen die Massenstreiks in Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland
und anderswo, wie eine Mobilisierung der Arbeiterklasse auch bei
schlechten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen möglich ist.
Nicht alle diese Kämpfe führten zum Erfolg; solange der Kapitalismus
besteht, kann es immer nur Teilerfolge im ökonomischen Kampf geben. Aber
sie führen zu mehr Selbstbewußtsein der Kolleginnen und Kollegen, zu einem
höheren Bewußtsein über das Wesen der Bourgeoisie und den Kapitalismus.
Und vor allem führen sie zur Stärkung der Einheit der Arbeiterklasse und
damit zur Verbesserung der Kampfkraft. Unsere Aufgaben heute
sind vor allem: Die Einheit der Klasse herstellen gegen Standortdenken
und Sozialpartnerschaft, für einen konsequenten Kampf für die Interessen
der Arbeiterklasse statt Unterordnung unter die Interessen des Kapitals.
Dabei sind vordringlich: Wiederherstellung des Flächentarifvertrags,
Rücknahme der Öffnungsklauseln (z.B. Kampf gegen den Pforzheimer
Kompromiß), weitere Arbeitszeitverkürzung. Im politischen Kampf
sind die wichtigsten Ziele: Gesetzliche Verankerung der 35-Stunden-Woche,
gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro/Stunde, Stopp und Rückgängigmachung
der Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme und des Bildungswesens,
Maßnahmen gegen die faschistische Gefahr, Rassismus und
Krieg. Dazu brauchen wir eine
Sammlung und Vernetzung aller antikapitalistischen Gewerkschafter, die
sich dem verhängnisvollen Kurs der Gewerkschaftsführung entgegenstellen.
Internationale Zusammenarbeit, internationale Solidarität ist mehr denn je
das Gebot der Stunde. Daß das möglich ist, dafür gibt es Beispiele. So der
Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen die Deregulierungsvorstöße der
EU. Viele der
kämpferischsten Kolleginnen und Kollegen machen sich heute noch Illusionen
über den Parlamentarismus und darüber, daß eine Rückkehr zum Sozialstaat
möglich sei. Dies drückt sich in ihrer Unterstützung der neuen Linkspartei
aus. Wenn wir ihnen vermitteln wollen, daß Millionen auf die Straße gehen
müssen, um reformistische Forderungen durchzusetzen, dann müssen wir den
Weg mit diesen Kollegen gemeinsam gehen. Dann kann unser gemeinsamer Kampf
ein Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis sein, daß die Frage des Eigentums
an den Produktionsmitteln die Schlüsselfrage ist. Dann kann der Kampf um
Reformen ein Schritt hin zur Revolution werden. Die Zielrichtung des
Kampfes auf eine andere Gesellschaftsordnung ist nicht einfach ein
politisches Anhängsel, sondern eine zentrale Bedingung dafür, daß die
Arbeiterklasse wieder kämpft. Eine Gewerkschaft, die den Kapitalismus für
ein ewiges Gesetz hält, wird auch den täglichen Verteidigungskampf nicht
führen können. Kapitalismuskritik ist deshalb unabdingbar: Eine
Gesellschaftsordnung, die unsere Existenzgrundlagen dauernd in Frage
stellt, ist nicht hinnehmbar. Das könnte der Einstieg in eine Debatte
sein, wie denn diese andere Gesellschaft aussehen soll.
Machen wir die
Gewerkschaften wieder zu einer Kampforganisation der Arbeiterklasse, die
den Kollegen den Blick für den Sozialismus erneut
öffnet. * Renate Münder ist
Betriebsratsvorsitzende und aktiv bei ver.di Aus: Junge Welt |
|
![]() |
![]() |