Was geht ab beim Lokführerstreik?
(9. November 2007)

 Seit Donnerstag 12 Uhr streiken im Güterverkehr rund 900 Lokführer, die in der Gewerkschaft GDL organisiert sind. Bundesweit sind täglich 5000 Güterzüge unterwegs, um die Industrieproduktion am Laufen zu halten. Von diesen 5000 Güterzüge fallen durch den Streik 700 aus, weitere 270 Züge wurden von der Fahrdienstleitung aus dem Fahrplan gestrichen. Die Streikmaßnahmen konzentrieren sich auf den Norden und Osten Deutschlands.

Rostock: Der Rostocker Hafen ist Streikschwerpunkt. Dort sind 90 Prozent der Lokführer in der GDL organisiert. Pro Tag sollten 50-60 Züge im Hafen abgefertigt werden. Die Züge stauen sich nun im benachbarten Rangierbahnhof.

Hamburg: Im Hamburger Hafen werden täglich 6000 Container auf 200 Züge verladen. Seit Donnerstag werden rund 50 Züge bestreikt. Der Verkehr fließt stockend.

 Bremen: Im Mercedes-Werk wurden seit Wochen Produktionspuffer vorbereitet, um einen Produktionsstillstand zu vermeiden. Auch die Geschäftsführung des Arcelor-Stahlwerks hatte seit langem den Streik vorbereitet. 500 t Anlieferung pro Tag wurden auf LKWs umgeschichtet. Die Gerichtsverfahren, die die Bahn-AG gegen den GDL-Streik angestrengt hatte, konnten, wie abzusehen war, Streikmaßnahmen nicht verhindern. Sie gewannen aber für die Kapitalisten wertvolle Zeit, um für den Streikfall vorzusorgen. Für die Kapitalseite haben sich diese Gerichtsverfahren gelohnt.

 Wolfsburg: Auch bei VW wurden einige Transporte auf LKW umgelegt. Vorsorglich wurde für die Belegschaft Kurzarbeit angemeldet.

 Salzgitter: Täglich bringen 5 Güterzüge Erz vom Hamburger Hafen zu dem Stahlkonzern. Der hatte seit Wochen zusätzliche Erz geordert und eingelagert, um einen Streik auszuhalten. Über Produktionsstockungen ist derzeit nichts bekannt.

 Duisburg: In Europas größtem Binnenhafen rechnet man ab Samstag mit ernsten Schwierigkeiten, weil Schiffscontainer nicht auf die Schiene verladen werden können.

 Köln: Köln-Gremberg und Köln-Eifeltor zählen zu den größten Umschlagsplätzen in Deutschland. Der Logistik-Verband rechnet dort mit "Verkehrsstockungen".

 Erfurt: Seit Donnerstag 15 Uhr stehen alle Güterzüge. Ein Umladen auf die Straße ist "nicht realistisch".

 Leuna: Täglich verlassen ca. 40 Güterzüge den Chemiestandort. Auch dort nur "stockender Verkehr".

 Leipzig: Im Porschewerk stehen voraussichtlich ab Samstag die Produktionsbänder. Für die Belegschaft ist Kurzarbeit angemeldet.

 Halle: Ruhender Verkehr im Güterbahnhof.

 Riesa: Der Rangierbahnhof wird voll bestreikt.

 Die Kapitalistenverbände beziffern den wirtschaftlichen Schaden auf 50 Millionen Euro pro Streiktag, zwei Streiktage "kosten" die deutschen Industriellen also 100 Millionen Euro.

Mit diesem Geld ließe sich die geforderte Lohnerhöhung von rund 500 Euro für jeden Lokführer locker bezahlen.

Rechnen wir einmal durch:
Zahl der Lokführer in Deutschland (2006):
im Güterverkehr: 5.250
im Personenverkehr: 14.350.
Summe: 19.600;

Davon Beamte: 8000.

Verbleiben noch 11.600 angestellte Lokführer, um deren Bezahlung hier gestritten wird.
100 Millionen Euro geteilt durch 11.600 macht pro Lokführer 8620 Euro oder 718 Euro monatlich.

Die vereinten Industriellen Deutschlands nehmen also einen Schaden von 718 Euro pro Lokführer in Kauf, um einen "Schaden" (= Lohnerhöhung) von 500 Euro pro Lokführer zu verhindern.

Natürlich können diese Herren rechnen. Es geht in diesem Konflikt aber längst nicht mehr um berechenbare Geldbeträge. Für die Lokführer geht es nur um eine Lohnerhöhung und um ihren Stolz. Für die Unternehmerklasse geht es längst "um alles".
Es geht darum, ob die lammfromme Zeit der deutschen Einheitsgewerkschaften abgelaufen ist oder nicht.
Es geht um die lange verdrängte Frage, ob sich Streiks und andere Kampfmaßnahmen für die Lohnarbeiter lohnen können oder nicht.

Egal, wie dieser Streik enden wird, er bringt einen historischen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik.

 Wal Buchenberg, 9.11.2007