Die Kreditkrise
Seit November letzten Jahres sind 115 Kreditinstitute in den USA insolvent geworden. In diesem Jahr allein sind 11 Hedge Fonds gescheitert und etliche Banken in den USA und in Europa gerieten in Schieflage. Und doch hat kaum jemand was von einer Krise gemerkt.
Scheinbar haben die Herren der FED und der Europäischen Zentralbank alles im Griff. Was geht da eigentlich an den Finanzmärkten der Welt ab?
Siehe dazu die sieben Stationen der Grafik:
1. Station: Ein US-Bank verleiht 1 Million Dollar an drei Hauskäufer. Die haben kein eigenes Kapital, kriegen aber doch einen hohen Kredit.
Die Bank geht dieses Risiko bewusst ein, weil sie vorhat, den Schuldvertrag sofort weiterzuverkaufen.
Die potentiellen Hauskäufer gehen das Risiko ein, entweder weil ihnen die Bankleute erzählt haben, dass die Hauspreise weiter ins Uferlose steigen, und sie ihre Immobilie mit Gewinn verkaufen können, falls sie die Raten nicht mehr zahlen können, oder die Bank hat sie mit niedrigen Anfangszinsen gelockt.
Verträge mit variablen Zinsen tauchen in der Grafik nicht auf, um die Rechnung nicht zu verkomplizieren.
Aber seit 2005 wurden in den USA die Lockkredite mit niedrigen Anfangszinsen immer häufiger. Der Zweijahreszeitraum, in dem die Hypothekenzinsen extrem niedrig waren, läuft nun ab. Man schätzt, dass in diesem und im nächsten Jahr US-Kredite von rund 1 Billion Dollar in ihre Hochzinsphase kommen - rund 12 Prozent aller laufenden Hypothekenkredite. Da werden noch viele Kredite platzen.
Im Juli 2007 waren in den USA nur 3,4% aller Hypothekenzahlungen im Rückstand. Das ist nicht viel. Zwischen 1994 und 2005 hatten aber über 3,2 Millionen Haushalte in den USA eine überteuerte Immobilie gekauft. Die Rating-Agentur Moody's schätzt, dass davon die Hälfte ihren Kredit nicht abbezahlen kann und ihr Häuschen verlieren wird. Schlimm für die Betroffenen. Aber was geht das uns an in Europa? Wir werden sehen.
Auch die vereinfachte Rechnung der Grafik macht deutlich, dass Häuslebauer für ihren Hypothekenkredit im Laufe der Jahre oft das Doppelte von dem zahlen, was sie von der Bank als Kredit bekommen haben. In unserem Beispiel müssen Immobilien im Wert von 1 Million bei 6% Zins im Laufe von 30 Jahren mit über 2 Millionen bezahlt werden. Für die Bank ist das fast immer ein Geschäft. Auch wenn die Schuldner schon 1,5 Millionen abbezahlt haben und plötzlich zahlungsunfähig sind, werden sie aus dem Haus gekickt und die Bank behält die Immobilie und die 1,5 Millionen.
2. Station: Ein kurzer Moment des Glücks: Die drei Käufer zahlen den Kaufpreis von 1 Million an die Bauträger und ziehen in die neuen Häuser.
3. Station: Die A-Bank verkauft die Schuldverschreibung im Wert von 2,1 Millionen für 1,5 Millionen an einen Investfonds. Das nennt sich "Collateralized Debt Obligations" (COD).
Die Bank wird das Risiko der "Subprime-Kredite" - auf gut Deutsch "Schrottkredite" - los, indem sie die Kreditverträge mit einem Abschlag weiterverkauft. Die Bank hat 1 Million an die Häuslebauer ausgezahlt und bekommt dafür 1,5 Millionen.
Der Investfonds könnte diese CODs an einen anderen Fonds für vielleicht 1,6 Millionen weiterverkaufen. Das funktioniert wie das Kinderspiel "Reise nach Jerusalem": Wer zuletzt dran ist, zieht die Arschkarte. Tatsächlich wird ein blühender Handel mit solchen Papieren getrieben. Auch Banken in Deutschland haben solche CODs in Milliardenhöhe gekauft. Im Jahr 2006 wechselten in aller Welt CODs für mehr als 500 Milliarden Dollar die Hände.
Der Haken bei diesem Geschäft ist, dass jeder die "Katze im Sack" kauft. In einer COD sind hunderte und tausende von Schuldverschreibungen gebündelt, deren Bonität niemand kennt.
Da springen die Rating-Agenturen ein und kleben ihr Siegel auf das Paket: Dreimal AAA heißt nullo problemo (Equity-Tranche), zweimal AA heißt geringes Risiko ("Mezzanine") einmal A ist Schrott (Subprime). Aber mit Schrott lässt sich auch Geld machen. Pikanterweise klebte auf fast allen CODs, die bisher aufflogen das Gütesiegel AAA. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.
Dieses Spiel mit den heißen Kartoffeln lasse ich in der Grafik aber außer Acht. Die Grafik nimmt ganz brav an, dass der Investfonds den COD in seinem Portfolio lässt. Er hat dann Aktiva im Wert von 2,1 Millionen und jährliche Einnahmen von 70.000.
4. Station: Die drei Hauskäufer werden informiert, dass jetzt der Investfonds der wirkliche Eigentümer ihrer Häuschen ist. An den müssen sie die 70.000 Zins und Tilgung abdrücken. Ein große Änderung ist das nicht. Wahrscheinlich bleibt sogar das Einzahlungskonto bei der A-Bank dasselbe. Die A-Bank überweist das einfließende Geld auf das Konto des Investfonds.
5. Station: Mit Aktiva von 2,1 Millionen geht ein Vertreter des Investfonds zur B-Bank und fragt dort, wie viel Kredit ihnen diese Aktiva wert sind. Was ist da wohl üblich?
Die zwei Hedgefonds von Bear Stearns, die inzwischen pleite sind, hatten 1,5 Mrd. USD von Investoren eingesammelt und hatten mit diesen Aktiva sich für 20 Mrd. USD verschuldet. Die Schulden machten hier mehr als das 13fache der Aktiva. Das geschieht nicht auf einen Schlag, sondern Stück für Stück. Angenommen der Investfonds bekommt zunächst 2 Millionen Kredit, für die er Aktien kauft. Dadurch hat er (mit den 2,1 Millionen aus der Schuldverschreibung) schon vier Millionen Aktiva. Dafür bekommt er vielleicht vier Millionen Kredit usw.usf. Der Teufel scheißt am liebsten auf einen großen Haufen.
6. Station: Wir nehmen also an, dass sich unser Investfonds für die 2,1 Millionen mit 20 Millionen verschulden kann. Mit diesen 20 Millionen spielt der Investfonds "Heuschrecke": Er kauft notleidende Unternehmen oder Aktien oder noch mehr CODs.
Die Aktienkurse steigen. Es ist "Liquidität am Markt". Der Kapitalhimmel strahlt in heller Morgenröte.
7. Station: Die B-Bank will auch ihr Risiko diversifizieren. Sie teilt den Kreditvertrag mit dem Investfonds, schnürt ihn zu einem COD und verkauft ihn an die A-Bank. Natürlich ist ein Investfonds etwas Besseres als kleine Häuslebauer. Die Rating-Agenturen geben hier gerne ihre Triple-A, die sie sonst nur mit schlechtem Gewissen verteilen. Die A-Bank schreibt sich nun 10 Millionen Aktiva in die Bilanz und denkt immer noch, sie sei alle Schrottkredite los.
Wäre hier das Spiel zu Ende, dann gäbe es nur Gewinner: Drei Häuslebauer ohne viel Geld wohnen in ihren Traumhäusern. Die A-Bank ist ihre Schrottkredite mit Gewinn losgeworden. Der Investfonds hat als angesehener Partner 20 Millionen anvertraut bekommen, mit dem der die profitabelsten Geschäfte anleiern kann. Die B-Bank hat nur 1A-Schuldner, ebenso wie die A-Bank nur 1A-Schuldner hat. So schön ist Kapitalismus!
In welchem Umfang Immobilienkredite das Bankengeschäft in den USA bestimmen, zeigt die nächste Grafik:
Schluss: Sobald nur ein kleiner Teil der dieser Hypothekenschuldner zahlungsunfähig wird, müssten die Aktiva der Gläubiger-Banken entsprechend durch Herunterstufung der Bonität reduziert werden. Die Bank oder das Finanzinstitut müsste in der Folge die eigenen Schulden reduzieren, die auf diesen "faulen" Aktiva aufsatteln.
Der Investfonds bekommt es natürlich mit, wenn ein Häuslebauer seine Zahlungen einstellt, aber die Manager des Fonds haben weder ein Interesse noch die Verpflichtung, das an die große Glocke zu hängen. Ein Investfonds muss keine Zahlen veröffentlichen, weil er ja nur das Geld der Reichen verspekuliert.
Das haben auch deutsche Banken als Vorteil erkannt und eigene Investmentfonds als Tochterfirmen gegründet, die munter drauflosspekulieren können, ohne dass das in den Büchern der Bank erscheint.
Jeder weiß, dass im Finanzsystem Milliarden Dollar faule Kredite versteckt sind, aber niemand weiß wo und in welcher Größenordnung und niemand kann das wissen.
Erst wenn ein unbedienter Schuldenberg sich so angehäuft hat, dass er nicht mehr versteckt und ausgesessen werden kann, tritt das Problem an die Oberfläche. An diesem Punkt ist man inzwischen vielerorts angekommen. Ist die Sache so weit, dann geht alles sehr schnell. Als der Hypothekenfinanzierer American Home Mortgage Investment pleite ging, fehlten an einem Montag 300 Millionen Dollar. Am Dienstag waren es die 300 von Montag plus weitere "450 bis 500 Millionen". Das ließ sich nicht mehr verbergen. Seine Aktien, die im Dezember 2006 noch für 36 Dollar gehandelt wurden, fielen auf 1,04 Dollar pro Aktie. So eine Firma bekommt keinen Cent Kredit mehr und alle Unternehmen, die dieser Firma Geld geliehen hatten, schauen in die Röhre.
Als der riesige Long-Term Capital Management Hedge Fond (LTCM) 1998 pleite ging, wurde die Krise durch die russische Regierung ausgelöst, die ihre Zinszahlungen an ausländische Kreditgeber einstellen musste. LTCM hatte sein Geld nicht in Russland angelegt, hatte aber Geld an Finanzfirmen verliehen, die russische Bonds gekauft hatten, die plötzlich nur noch einen Bruchteil ihres ursprünglichen Wertes hatten.
Da in der Finanzwelt fast jeder mit jedem Geschäfte macht, sind von einer Großpleite gleich hunderte Finanzinstitute betroffen. Jeder analysiert seine Aktiva und stellt fest, dass sie bei weitem nicht so viel wert sind wie gedacht. In den Bilanzen werden einige Nullen gestrichen. Aus stolzen Milliardären werden wieder normale Millionäre. Der Kapitalismus frisst seine Väter.
Als Collateralschaden sind meist auch Milliarden von Rücklagen für Rentenzahlungen an Lohnarbeiter und die Ersparnisse der systemgläubigen "Mittelschicht" verloren. Das stellt ihren Glauben an die allgemeine Glückseligmachung durch den Kapitalismus auf eine harte Probe.
Siehe auch:: 2007 - Jahr der Finanzkrise
Wal Buchenberg, 15. August 2007