Nationalsozialismus
und die Kontinuität deutscher Politik

 1. Kontinuität deutscher Innen- und Außenpolitik

 

Es gab und gibt eine Kontinuität in der Geschichte des deutschen Imperialismus, die den Nationalsozialismus umgreift.

 

Ablesbar ist das unter anderem an der deutschen Ostexpansion. Vergleiche dazu die Karte über den "deutschen Drang" nach Osten.

 

 

 

Hitlerdeutschland hatte im Zweiten Weltkrieg dieselben Gegner wie das Kaiserreich im Ersten Weltkrieg. Hitler stand vor denselben Aufgaben und Zielen wie Kaiser Wilhelm und Bismarck, nämlich Expansions-räume für deutsches Kapital zu schaffen und die Arbeiterbewegung niederzuschlagen. Hitler hatte in "Mein Kampf" geschrieben: "Stets, wenn in Deutschland ein Aufschwung machtpolitischer Art stattfand, begann sich auch die Wirtschaft zu heben;" (Hitler, Mein Kampf, 1925: 167).

 

Dass dieser "machtpolitische Aufschwung" zur Hebung der deutschen Wirtschaft nur durch Krieg nach Außen und Terror nach Innen zu machen war, darüber ließ Hitler nie einen Zweifel. Über die Zeit vor der Ersten Weltkrieg schrieb er: "Der Glaube der Vorkriegszeit, durch Handels- und Kolonialpolitik auf friedlichem Wege die Welt dem deutschen Volke (d.h. dem deutschen Kapital, w.b.) erschließen oder gar erobern zu können, war ein klassisches Zeichen für den Verlust der wirklichen staatsbildenden und staatserhaltenden Tugen-den..." (Hitler, Mein Kampf, 1925: 168).

 

Am ersten Weltkrieg kritisierte Hitler, dass Deutschland zu spät losgeschlagen habe: "Die Schuld der deutschen Regierung war dabei, dass sie, um den Frieden nur ja zu erhalten, die günstigen Stunden des Losschlagens immer versäumte..." (Hitler, Mein Kampf, 1925: 176). "Man stelle sich aber vor, dass eine kluge deutsche Außenpolitik die Rolle Japans im Jahre 1904 übernommen hätte (als Japan Russland überfiel und Korea und die Mandschurei als Siegprämie erhielt, w.b.), und man kann kaum ermessen, welche Folgen dies für Deutschland gehabt haben würde. Es wäre niemals zu einem 'Weltkriege' gekommen. Das Blut im Jahre 1904 hätte das Zehnfache der Jahre 1914 bis 1918 erspart. Welche Stellung aber würde Deutschland heute in der Welt einnehmen!" (Hitler, Mein Kampf, 1925: 155).

 

Die innen- und sozialpolitischen Gegner der Nazis waren nicht nur Juden, sondern auch "Marxisten" und die Arbeiterbewegung.

"Indem ich alle diese Fragen, bedingt durch meine Stellungnahme zur deutschen Bündnispolitik und Wirtschaftspolitik des Reiches 1912 bis 1914 zahllose Male an mir vorüberziehen ließ, blieb als des Rätsels Lösung (für die Schwäche Deutschlands, w.b.) immer mehr jene Macht übrig, die ich schon vordem in Wien ... kennen gelernt hatte: die marxistische Lehre und Weltanschauung sowie ihre organisatorische Auswirkung. ... Zum ersten Male aber wendete ich nun meine Aufmerksamkeit auch den Versuchen zu, dieser Weltpest Herr zu werden. Ich studierte die Bismarcksche Ausnahmegesetzgebung in Absicht, Kampf und Erfolg. ... Ich haderte im stillen und in den kleinen Kreisen meiner Bekannten mit der deutschen Außenpolitik ebenso wie mit der, wie mir schien, unglaublich leichtfertigen Art, in der man das wichtigste Problem, das es überhaupt für Deutschland damals gab, den Marxismus, behandelte. ... In den Jahren 1913 und 1914 habe ich denn auch zum ersten Male in verschiedenen Kreisen, die heute zum Teil treu zur nationalsozialistischen Bewegung stehen, die Überzeugung ausgesprochen, dass die Frage der Zukunft der deutschen Nation die Frage der Vernichtung des Marxismus ist." (Hitler, Mein Kampf, 1925: 169ff).

"Was aber musste man nun tun? Die Führer der ganzen Bewegung sofort hinter Schloss und Riegel setzen, ihnen den Prozess machen und sie der Nation vom Halse schaffen. Man musste rücksichtslos die gesamten militärischen Machtmittel einsetzen zur Ausrottung dieser Pestilenz." (Hitler, Mein Kampf, 1925: 186).

 

Zur Vernichtung des "Marxismus" und der Arbeiterbewegung setzten Hitler und die Nazis brutalere Unterdrückungsmethoden ein, als jede deutsche Regierung vor ihnen. Die Verfolgung und Vernichtung der Linken wie der Massenmord an Juden und anderen Minderheiten waren für Hitler und die Nazis integraler Bestandteil ihrer Herrschaftsmet-hoden und Herrschaftsmittel, kein Selbstzweck.

 

Mainstream-Geschichtsschreiber unterstreichen gerne diese historische Besonderheit des Nationalsozialismus und sehen in ihm gleichsam einen "Unglücksfall" der deutschen Geschichte. Linke Faschismusanalysen betonen demgegenüber zu Recht die gemeinsamen Grundzüge, die den Zweiten Weltkrieg als Neuauflage und Fortsetzung des Ersten Welt-kriegs erscheinen lassen.

Ein paar Leute erblicken die Grundlage für diese imperiale und rassistische Kontinuität in einem "deutschen Wesen", ohne zu merken, dass sie damit rechte Ideologien nur mit verändertem Vorzeichen übernehmen.

 

Konkurrenzkämpfe zwischen Nachbarstaaten über mehrere Genera-tionen und wechselnde Regierungen hinweg gab es auch zu anderen Zeiten und anderen Regionen der Erde man denke nur an die Jahr-hunderte langen Kriege zwischen England und Frankreich oder die tausendjährigen kriegerischen Konflikte zwischen dem christlichen Europa und der arabischen Welt.

 

Der hartnäckige und wiederholte Versuch eine deutsche Vorherrschaft erst über Europa und dann die ganze Welt zu errichten, ist wirtschaftlichen und geopolitischen Konstanten geschuldet, keinem "deutschen Wesen".

 

Neben den außen- und wirtschaftspolitischen Konstanten gab es und gibt es auch innen- und sozialpolitische Kontinuitäten von Bismarck über das Kaiserreich zum Nationalsozialismus bis zur heutigen Bundesrepublik. Völlig zu Recht berufen sich heute die Verfechter des Sozialstaats auf Bismarck als ihren Gründervater. Dass Hitler den Bismarckschen Sozialstaat übernommen und ausgebaut hat, wird schamhaft ver-schwiegen.

 

Folgende sozialstaatliche "Errungenschaften" gehen auf Hitler und die Nazis zurück:

- Versicherungspflicht für Handwerker in der Angestellten-Versicherung (1938);

- Beitritt der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte zum VDL (1938);

- Wahlmöglichkeit zwischen Pflichtversicherung und gleichwertiger privater Lebensversicherung für Angestellte (1938),

- Einführung der Krankenversicherung der Rentner (1941/42);

- Ablösung des Beitragsmarkenverfahrens durch das Lohnabzugsverfahren (1941/42);

- Einführung der Witwenrente für geschiedene Frauen (1941/42);

 

 

Siehe auch Lohnarbeit im Dritten Reich

 

2. Deutsche Diskontinuität

bei Herrschaftsmethoden und Herrschaftspersonal

Was innen- und außenpolitische Aufgaben und Ziele angeht, stand Hitler ganz in einer deutschen Kontinuität. Herrschaftsmethoden und Herrschaftspersonal der Nazis unterschieden sich jedoch erheblich von den deutschen Verhältnissen vor und nach Hitler.

 

Das Herrschaftspersonal der deutschen Nazis und damit ihr Täterpool lässt sich soziologisch eingrenzen. Die sozialen Abgrenzungen der Nazi-Täter und Nazi-Mittäter sind nicht scharf und absolut, aber sie sind unübersehbar. Die NSDAP war keine "Volkspartei", noch viel weniger eine Arbeiterpartei.

 

Bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten galt: "Neben dem politischen Katholizismus (Zentrum, Bayrische Volkspartei) sind es vor allem die Arbeiterparteien SPD und KPD, die sich gegenüber dem Einbruch des Nationalsozialismus als widerstandsfähig erweisen: Die Arbeiterschaft bleibt gegenüber dem Faschismus weitgehend immun. ... Die empirischen Untersuchungen zeigen, dass es sich bei der Wählerschaft der NSDAP vorwiegend um die sogenannten 'ökonomischen Zwischenschichten' oder den Mittelstand, die kleinen Selbständigen, Angestellten und Beamten han-delt." (Anneliese Schuon-Wiehl, Faschismus und Gesellschafts-struktur, Frankfurt 1970: 53). "Die Wählerschaft der NSDAP rekrutierte sich zum überwiegenden Teil aus den Angehörigen des alten und neuen Mittelstandes." (Anneliese Schuon-Wiehl, 1970: 59)

 

Daran änderte sich auch nicht viel nach dem Machtantritt der Nazis, was die Mitgliederstruktur der NSDAP deutlich macht:

 

Im Jahr 1935 hatte die Nazi-Partei knapp 2,5 Millionen Mitglieder bei einer Gesamtbevölkerung in Deutschland von 63,2 Millionen. Weniger als 4 Prozent der Bevölkerung waren in der Nazipartei organisiert. Die Nazi-Mitglieder waren zum Teil in den bisherigen staatlichen Macht- und Unterdrückungsapparat Justiz, Schulen, Gefängnisse, Armee etc. eingegliedert, teils wurden sie wie Gestapo, SD, SS etc. dem staatlichen Machtapparat hinzugefügt. Damit rüstete die deutsche Staatsmacht personell, ideologisch und politisch auf und gewann eine tödliche innen- und außenpolitische Schlagkraft.

 

Die Mitglieder der NSDAP gliederten sich 1935 in folgende Berufsgruppen bzw. soziale Schichten (Zahlen hinter dem Komma gerundet):

 

Von  15 Millionen Arbeitern waren in der NSDAP: 756.000 (5 Prozent).

Von 4 Millionen Angestellten waren in der NSDAP: 484.000 (12 Prozent).

Von 5,3 Millionen Selbständigen (incl. Bauern) waren es: 730.000 (14 Prozent)

Von 1,2 Millionen Beamten (ohne Lehrer) waren es: 223.000 (18,5 Prozent).

Von 286.000 Millionen Lehrern waren in der NSDAP: 84.000 (30 Prozent).

(Daten aus: Renzo Vespagnani, Faschismus, Berlin 1976: 60)

 

 

 

Wal Buchenberg, 23.3.05


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