Adenauer und die deutsche Atombombe

In der Bush-Doktrin wird drohende Atombewaffnung zum Kriegs- und Invasionsgrund erklärt. Um die Motive und Interessen-konflikte der Beteiligten einschätzen zu können, lohnt ein Vergleich mit den Machenschaften der deutschen Regierung unter Adenauer, als man versuchte, sich illegal und heimlich Zugang zu Atomtechnologie und zu Atomwaffen zu verschaffen.

 

 Das folgende Exzerpt stammt aus:

Henning Köhler, Adenauer. Eine politische Biografie. 2 Bände, Propyläen Taschenbuch, Frankfurt 1997.

 

"Nach der Gründung der NATO im April 1949 schrieb Le Monde hellsichtig, dass die deutsche Wiederaufrüstung im Atlantikpakt enthalten sei wie der Keim im Ei. Und doch sollten fast sieben Jahre vergehen, bis die ersten deutschen Soldaten ihre Uniformen anzogen." (Köhler, Bd. 2: 64).

 

"Die Ablehnung der Wiederbewaffnung im Ausland wie zu Hause war eine Grundtatsache, mit der jeder Politiker rechnen musste, der dieses heiße Eisen anfasste. Nur Konrad Adenauer glaubte sich von dieser Einsicht dispensieren zu können." (Köhler, Bd. 2: 64).

 

 

"Denn nicht Adenauer stellte sich verständnisvoll zur Verfügung, um einem Wunsch der Alliierten zu willfahren und die widerstrebenden Deutschen erneut zu Soldaten zu machen, sondern er allein drängte die Alliierten zur Tat. Diese aber waren untereinander so zerstritten, dass sie Adenauers Angebot vorerst ablehnen mussten. Die innenpolitischen Konsequenzen, die aus seinem Vorgehen resultierten, sollten den Kanzler dann in der Folgezeit zwingen, immer wieder das abzuleugnen, was er auf verschiedene Weise den Westmächten nahezubringen versucht hatte: einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag. Die rüde Art, wie er dabei mit der Wahrheit umging, hat die Einstellung zu seiner Person und Politik bei vielen Zeitgenossen auf Dauer negativ beeinflusst." (Köhler, Bd. 2: 65).

 

"Sein Verhalten im Sommer 1950 war keineswegs allein ein Reaktion auf den Ausbruch des Koreakrieges. Bereits Anfang Juni 1950, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten in Ostasien am 25 Juni, trug er den Hohen Kommissaren konkrete Pläne zur Wiederbewaffnung vor." (Köhler, Bd. 2: 65)

 


Adenauer und Strauß auf der Regierungsbank

"In der Frage der Atombewaffnung ergab sich eine mehr als eigenartige Konstellation. Der Kanzler und sein Verteidigungsminister wollten diese Waffen möglichst bald erhalten. Sie strebten für die Bundeswehr die modernste Ausrüstung an; gleichzeitig ging es ihnen um die Gleichbehandlung der Bundeswehr. Es war für sie nicht hinnehmbar, dass die deutschen Truppen eine schwächere Bewaffnung als andere NATO-Streitkräfte erhielten." (Köhler, Bd. 2: 422f)

 

"Die Opposition beschuldigte die Regierung, dass sie atomar aufrüsten wolle. Damit hatte sie die Intentionen von Adenauer und Strauß durchaus richtig getroffen. Aber es war mehr eine ... Vermutung, mehr Hellsichtigkeit des erfahrenen Gegners als ein konkretes Wissen über den Stand der Dinge. Die Regierung dementierte derartige Behauptungen entrüstet und verwies darauf, dass die ganze Frage noch gar nicht aktuell sei." (Köhler, Bd. 2: 423)

 

 

"Die Regierung war seit Herbst 1956 zur Atombewaffnung bereit. Adenauer hatte am 19. September 1956 vor dem Kabinett erklärt: Deutschland kann nicht Atomprotektorat bleiben. Am 5. Oktober ging er noch weiter und kündigte an, er wolle über Euratom auf schnellstem Weg die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen." (Köhler, Bd. 2: 423f).

 

 

"An die amerikanischen Waffen kam man noch nicht heran, denn die US-Regierung hatte noch gar nicht offiziell ihr Einverständnis erklärt, diese Waffen den Verbündeten zur Verfügung zu stellen." (Köhler, Bd. 2: 424)

" ... bei den Amerikanern hatte man durchaus gemischte Gefühle über den atomaren Ehrgeiz der Bundesrepublik, die durch den bulligen Eindruck des Bundesverteidigungsministers (F. J. Strauß, w.b.) noch verstärkt wurden. Den Briten waren im Frühjahr 1957 Mittel-streckenraketen angeboten worden, nicht aber den Deutschen." (Köhler, Bd. 2: 424)

 

 

"Am 15. Mai (1957, w.b.) zündeten die Briten ihre erste Wasserstoff-bombe. Damit gab es nun eine dritte Atommacht. Für Adenauer bedeutete das britische Aufrücken in den Kreis der Atommächte eine sehr bedenkliche Angelegenheit. ... Mit Großbritannien als Atommacht stellten sich ihm drängende Fragen. Wie passte die Eigenschaft als eigenständige Atommacht zu der Tatsache, dass Großbritannien auch Mitglied der NATO war? War es nicht verpflichtet, diese Waffen ebenfalls der NATO zu unterstellen? Dem NATO-Oberbefehlshaber General Norstad rückte er deswegen am 21. Mai 1957 zu Leibe. Der General wich aus, aber Adenauer sagte ihm unverblümt, dass die Briten ihre nuklearen Waffen nicht der NATO unterstellen würden. Das sei keineswegs eine Prestigefrage, sondern 'eine hochpolitische Angelegenheit ', denn bei dieser Frage spiele 'eine gewisse Rivalität und die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten' eine wichtige Rolle. Auch andere NATO-Mitglieder ... könnten dem Beispiel folgen." (Köhler, Bd. 2: 425)

 

"Noch mehr als das offensichtliche Bemühen der Briten, in Europa eine besondere Rolle als Atommacht zu spielen, beunruhigte den Kanzler die Haltung des amerikanischen Außenministers zur Atomrüstung. ... Der Standpunkt von Dulles war eindeutig. Er äußerte sich im Gespräch mit Adenauer am 1. Mai klar gegen die Weitergabe von Atomwaffen an andere Länder. Dies schien ihm 'die größte aller Gefahren zu sein'. Dabei zeigte er bemerkenswerte Weitsicht hinsichtlich der Bedeutung dieser Waffen: 'Vielleicht würden sie materiell nie eingesetzt, aber politisch würden sie bis ins Letzte ausgenutzt.' Damit hatte er prägnant einen Sachverhalt gekennzeichnet, den Adenauer in den nächsten Jahren vergeblich zu seinen Gunsten zu verändern suchte. Denn weil diese Waffen politisch zu wichtig waren, hatten die Deutschen keine Chance, sie von den Amerikanern zu erhalten." (Köhler, Bd. 2: 425f)

 

 

"Bei den verschiedenen Versuchen mit Dulles über die atomare Ausstattung der Bundeswehr zu sprechen, hatte ihn der Kanzler als einen überaus zurückhaltenden Gesprächspartner erlebt. Das einzige, was jener in Aussicht stellte, waren Atomsprengköpfe, die im amerikanischen Gewahrsam bleiben und erst im Ernstfall an die Truppen der Verbündeten ausgehändigt würden. Der Befehl zum Einsatz würden dem amerikanischen Präsidenten vorbehalten bleiben. Das aber konnte Adenauer nicht genügen. Es war für ihn kaum erträglich, dass das 'Schicksal Europas von dem Willen des Präsidenten der Vereinigten Staaten' abhängt." (Köhler, Bd. 2: 426).

 

 

"Als Adenauer im Februar 1957 gegenüber dem französischen Minister-präsidenten Mollet sein Unbehagen an der britischen Atomrüstung zum Ausdruck gebracht hatte, sprach der sozialistische Premier, mit dem sich Adenauer gut verstand, den knappen, aber bedeutungsvollen Satz: 'Dann müssen wir eben auch in fünf Jahren nukleare Waffen haben.'" (Köhler, Bd. 2: 427).

 

 

"Zu diesem Zeitpunkt bestand eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Luftwaffe, allerdings noch ohne 'nukleare Komponente'. Die Tatsache der britischen H-Bombe sowie die Einsicht der französischen Regierung, wegen des Algerienkrieges finanziell nicht in der Lage zu sein, mit Großbritannien in der Atomrüstung mitzuhalten, hatte im November desselben Jahres zu einer einmaligen Initiative geführt. Der französische Staatssekretär Maurice Faure besuchte am 16. November, einem Sonntag, ganz unauffällig den Kanzler in Rhöndorf. Sein Anliegen war eindeutig. Er schlug die gemeinsame Entwicklung von nuklearen Waffen vor. Der Kanzler hörte sich die Ausführungen des Besuchers an und machte einige Einwendungen. ... keine Schwächung der NATO, keine Brüskierung der Amerikaner... Das war wieder reines Wunschdenken, die Quadratur des Kreises. Die USA sollten keineswegs ihr militärisches Engagement einschränken. Er brauchte sie unbedingt, zugleich misstraute er ihnen. Er wollte die eigene Bombe, zugleich aber den Atomschirm der Amerikaner. Heinrich von Brentano (dt. Außenminister, w.b.) glaubte auch etwas sagen zu müssen und forderte, 'dass die europäischen Staaten (von den USA) auch Raketen und Kernwaffen zu ihrer Verfügung erhalten ...' Darauf vermerkt das Protokoll: 'Der Bundeskanzler fügte hinzu: Wir müssen sie produzieren.' Das war das entscheidende Wort. Nun gingen die Dinge ziemlich rasch. Strauß (dt. Verteidigungsminister, w.b.) fuhr einige Tage später zur weiteren Besprechung nach Paris; der italienische Verteidigungsminister wurde hinzugezogen. Im Dezember 1957 wurde ein erstes Protokoll unterzeichnet, und Ostermontag 1958 schlossen die Minister ein geheimes Abkommen." (Köhler, Bd. 2: 428)

 

 

"Als ihn am 19. November (1957, w.b.) McCloy besuchte, der einzige amerikanische Politiker, dem er wirklich Vertrauen entgegenbrachte, ... (sagte ihm) ... Adenauer ... eher beiläufig: 'Frankreich, Italien und Deutschland wollten positive Schritte unternehmen und nicht einfach alles von den Vereinigten Staaten erwarten.' Dahinter verbarg sich das Projekt, gemeinsam Atomwaffen herzustellen." (Köhler, Bd. 2: 427).

 

 

"Auf die Dauer konnte das Projekt unmöglich geheim bleiben. Die Vorgehensweise und die Tarnung, die Strauß vorschlug, waren mehr als problematisch: 'Jeder neue Schritt könne nur völlig geräuschlos, völlig geheim und völlig legal erfolgen.' Legal konnte in diesem Sinne nur die formale Beachtung bestehender Bestimmungen bedeuten, die tatsächlich aber in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Die Bundesrepublik hatte 1954 den Verzicht auf die Herstellung von Atomwaffen erklärt. Für den atomwaffenhungrigen Verteidigungsminister bedeutete die Beachtung dieses Verzichtes, dass die Herstellung der Waffen selbst nicht auf deutschem Boden, sondern in Frankreich erfolgen wür-de..." (Köhler, Bd. 2: 429).

 

 

"Wie sollten die Kosten begründet werden, wenn alles geheim war? Strauß machte einen umwerfenden Vorschlag. Man sollte die nötigen Mittel in den Haushalt für ein 'europäisches Forschungsinstitut für Flugkörper' einstellen. ... Blankenhorn (Adenauers Berater im Kanzleramt, w.b.), der das ganze Vorhaben sehr skeptisch beurteilte, merkte an: 'Leider ist es Herrn Strauß nicht klar gewesen, welche außerordentlichen finanziellen Lasten sich aus dieser Zusammen-arbeit ergeben.'" (Köhler, Bd. 2: 429).

 

"Die Opposition der Briten und Amerikaner gegen das Projekt war sicher in Rechnung zu stellen. Aber niemand scheint sich um die sowjetische Reaktion Sorgen gemacht zu haben." (Köhler, Bd. 2: 429).

"Adenauer und Strauß waren zur Atomrüstung fest entschlossen, und dieser Entschluss gründete nicht zuletzt auf dem Misstrauen gegenüber den USA. Für die Öffentlichkeit legte man falsche Spuren ... und stellte die Atomrüstung als eine Notwendigkeit dar, die auf die Bundesrepublik im Rahmen der NATO-Umrüstung zukomme und der sie sich nicht entziehen könne. Selten ist die Bevölkerung so bewusst hinters Licht geführt worden." (Köhler, Bd. 2: 430)

 

 

"Mit der Machtübernahme de Gaulles aber hatte das Projekt schon im Juli 1958 ein abruptes Ende gefunden." (Köhler, Bd. 2: 429).

"Die Bundeswehr wurde in den folgenden Jahren, ab 1960, mit den Trägerwaffen für taktische Atomsprengköpfe ausgerüstet. Das geschah ganz unspektakulär unter der strikten Kontrolle der Amerika-ner." (Köhler, Bd. 2: 435).

 

 

Aus diesen Vorgängen lassen sich einige Lehren ziehen.

  Meine persönlichen Schlussfolgerungen sind folgende:

1. Atomwaffen dienen den Regierungen weniger für die "Landesverteidigung" im Krieg als vielmehr für ihre außenpolitische Stärke im Frieden. Nur das atomare Drohpotential gibt einer Regierung "volle Souveränität" und "Gleichberechtigung mit anderen Staaten". Staaten, die wirtschaftlich und militärisch ungleich stark sind, können unmöglich politisch gleichberechtigt sein. Militärische Stärke ist jedoch einfacher und schneller zu produzieren als wirtschaftliche Stärke. So produziert die weltpolitische und weltwirtschaftliche Konkurrenz ständig neues Wettrüsten.

 

 

2. Habenichts-Regierungen spielen ein doppeltes Spiel einerseits schüren sie das begründete Misstrauen und die Angst gegen Atom-Monopolisten, gleichzeitig wollen sie in die Liga der Atom-Monopolisten aufsteigen und benutzen dafür legalistische Argumente wie "Gleichberechtigung" etc.

 

 

3. Indem die Bush-Regierung versucht, ihre einzigartige militärische Stärke "bis ins Letzte politisch auszunutzen", unterscheidet sie sich nicht wesentlich von früheren US-Regierungen. Allerdings verstärkt die Bush-Doktrin von der präventiven Intervention gegen Fast-Atommächte die politischen und militärischen Konflikte in der Welt.

 

 

4. Eine glaubwürdige und wirksame Anti-Atom-Politik ist nur möglich auf dem Boden einer weltweiten nuklearen Abrüstung, bei der die heutigen Atommächte die ersten großen Schritte machen.

 

Wal Buchenberg, 13.03.05


--> Diskussionsforum