Lohnarbeit im 3.
Reich Geringfügig gekürzer Originaltext aus:
William Lawrence Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. 1. Aufl.
New York 1950, Sonderausgabe 1990, S. 255 258. "DIE HÖRIGKEIT DER ARBEITERSCHAFT Der Arbeiter im Dritten Reich, dem man das Recht, sich zu organisieren, kollektive Tarifverträge auszuhandeln und zu streiken genommen hatte, geriet seinem Arbeitgeber gegenüber in eine ähnliche Hörigkeit, wie sie für die Bauern im Mittelalter gegenüber ihren Gutsherren bestanden hatte. Die sogenannte Arbeitsfront trat zwar theoretisch an die Stelle der alten Gewerkschaften, vertrat jedoch nicht die Interessen der Arbeiterschaft. Nach dem Gesetz vom 24. Oktober 1934 war die Deutsche Arbeitsfront die Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust. Sie umfaßte nicht allein Lohn- und Gehaltsempfänger, sondern auch die Unternehmer. In Wirklichkeit war sie eine große Propaganda-Organisation und, wie so manche Arbeiter sagten, ein riesiger Schwindel. Ihr Ziel war nicht der Schutz der Arbeiterschaft, es war, wie es im Gesetz hieß, die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen. Sie hat dafür zu sorgen, daß jeder einzelne seinen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der geistigen und körper-lichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und damit den größten Nutzen für die Volksgemeinschaft gewährleistet.
Schon früher, am 20. Januar 1934, war ein Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit erlassen worden, das den Arbeitgeber wieder in seine frühere absolute Herrenstellung einsetzte, wiewohl er selbst sich natürlich dem allmächtigen Staat zu fügen hatte. Aus dem Unternehmer wurde der Führer des Betriebes, ans der Angestellten- und Arbeiterschaft die Gefolgschaft. 2 des Gesetzes lautete: Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten. Und so Wie in alten Zeiten der Feudalherr für das Wohl seiner Hörigen verantwortlich war, so war es jetzt der Unternehmer für seine Arbeiter Er hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen. Dafür hat ihm diese die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten d. h., sie mußte hart und lange arbeiten und durfte nicht widersprechen oder murren, auch nicht über Löhne. Die Höhe der Löhne setzten die von der Arbeitsfront ernannten sogenannten Treuhänder der Arbeit fest. In der Praxis richteten sie sich dabei nach den Wünschen der Arbeitgeber: Keinerlei Bestimmung sah auch nur die Befragung der Arbeiter in Lohn-fragen vor. Selbst nach 1936, als sich in der Rüstungsindustrie ein Mangel an Arbeitskräften einstellte und einige Unternehmer zwecks Anlockung von Arbeitern die Löhne zu erhöhen suchten, wurden die Lohnsätze auf Anordnung der Regierung niedrig gehalten. Hitler äußerte sich ganz offen darüber: Nicht Erhöhung der Stundenlöhne, sondern Einkommenssteigerung allein durch Leistung ist von jeher eherner Grundsatz der nationalsozialisti-schen Führung gewesen In einem Lande, in dem die Löhne größtenteils auf Akkordarbeit beruhten, bedeutete dies, daß ein Arbeiter nur dann auf höheren Lohn hoffen konnte, wenn er schneller und länger arbeitete. Obwohl
1938, im Jahr der Hochkonjunktur, fünf Millionen Menschen mehr im
Arbeitsprozeß standen als im Krisenjahr 1932, sank doch in diesem Zeitraum
der Anteil der deutschen Arbeiter am Nationaleinkommen von 56,9
Prozent auf 53,6 Prozent. In der gleichen Zeit stieg der Anteil der
Einkünfte aus Kapital- und Betriebsvermögen am Nationaleinkommen von 17,4
Prozent auf 26,6 Prozent. Zwar erhöhten sich wegen der viel größeren
Beschäftigtenzahl die gesamten Lohn- und Gehaltseinkünfte von 25
Milliarden auf 42 Milliarden Mark, also um 66 Prozent. Aber das
Gesamteinkommen aus Kapital- und Betriebsvermögen stieg viel steiler an,
nämlich um 146 Prozent. Der Lohn, den der deutsche Arbeiter nach Hause brachte, war schließlich noch durch eine Reihe von Abzügen zusammenge-schrumpft. Neben seiner Lohnsteuer, den Beiträgen zur Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung und Arbeitsfront, mußte der deutsche Arbeiter wie jedermann im Dritten Reich Spenden für die NS-Volkswohlfahrt zahlen, insbesondere für die sogenannte Winterhilfe. Die Höhe der Abzüge wurde Mitte der dreißiger Jahre auf 15 bis 35 Prozent des Bruttolohns geschätzt. So blieb denn nicht viel übrig für Miete, Nahrung, Kleidung und Freizeit. In Hitler-Deutschland mußten die Arbeiter feststellen, daß sie mehr und mehr an ihre Arbeitsplätze gebunden wurden. Wie wir sahen, konnte auf Grund des Erbhofgesetzes auch ein Bauer sein Land nicht verlassen. Ähnlich erging es den Landarbeitern; es war ihnen verboten, in der Stadt Arbeit zu suchen. Allerdings muß gesagt werden, dass in diesem Fall einem Gesetz der Nationalsozialisten nicht Folge geleistet wurde, denn zwischen 1933 und 1939 wanderten 1,3 Millionen Landarbeiter in Industrie und Gewerbe ab. Aber bei Industriearbeitern wurde die Einhaltung des Gesetzes erzwungen. Verschiedene Verordnungen, beginnend mit dem Gesetz vom 15. Mai 1934, schränkten die Bewegungsfreiheit der Arbeiter stark ein. Von Juni 1935 an erhielten die Arbeitsämter absolute Kontrolle; sie bestimmten darüber, in welchem Betrieb und für welche Tätigkeit jemand eingestellt werden konnte. Im Februar 1935 war das Arbeitsbuch eingeführt worden, ohne das kein Arbeiter irgendwo beschäftigt werden konnte. In dieses Buch wurden Art und Dauer der Tätigkeit eingetragen, so daß Staat und Wirtschaft über jeden einzelnen Beschäftigten informiert waren. Davon abgesehen, wurde das Arbeitsbuch dazu benutzt, einen Arbeiter an seinen Arbeitsplatz zu binden. Wollte er seine Stelle wechseln, so konnte sein Arbeitgeber sein Arbeitsbuch zurückhalten, was bedeutete, daß er anderswo auf legale Weise nicht beschäftigt werden konnte. Am 22. Juni 1938 schließlich führte die Vierjahresplan-Behörde Arbeitszwang ein. Damit war jeder Deutsche verpflichtet, zu arbeiten, wo ihn der Staat hinstellte. Arbeiter, die ihre Arbeitsplätze ohne sehr triftige Gründe verließen, setzten sich Geld- und Gefängnisstrafen aus. (...) Um
die durch so viele Kontrollen niedergehaltenen deutschen Arbeiter
abzulenken, bot man ihnen wie den Plebejern im alten Rom neben dem Brot
auch Spiele. Zu diesem Zweck baute Dr. Ley die Organisation Kraft durch
Freude auf. Was sie den Menschen bot, läßt sich nur als organisierte
Freizeitgestaltung bezeichnen. Man hielt es offenbar für notwendig, nicht
nur die Arbeitszeit, sondern auch die Freizeit zu kontrollieren.
(...) Letztlich
mußten freilich die Arbeiter für die ihnen gebotene Unterhaltung einen
hohen Preis zahlen. 1937 bezog die Arbeitsfront aus den Beiträgen 400
Millionen Mark, die bis zu Kriegsbeginn auf 500 Millionen anstiegen nach
Dr. Ley. Seine Angaben waren indes außerordentlich vage, denn die
Einnahmen der Arbeitsfront wurden nicht vom Staat, sondern von der Partei
verwaltet, die niemals der Öffentlichkeit Abrechnungen vorlegte. Geringfügig
gekürzt aus: William Lawrence Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten
Reiches. 1. Aufl. New York 1950, Sonderausgabe 1990, S. 255
258. Siehe
auch die Betriebsrätewahlen unter der Hitlerdiktatur.
Wal
Buchenberg |
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