Kapital 1.625-636

„Im vorigen Kapitel (21. Kapitel: Einfache Reproduktion) betrachteten wir den Mehrwert, bzw. das Mehrprodukt, nur als individuellen Konsumtionsfonds des Kapitalisten, in diesem Kapitel (22. Kapitel: Verwandlung von Mehrwert in Kapital) nur als einen Akkumulationsfonds.
Er ist aber weder das eine noch das andere, sondern beides zugleich.
Ein Teil des Mehrwerts wird vom Kapitalisten als Revenue (Konsumtionsfonds) verzehrt, ein andrer Teil als Kapital angewandt und akkumuliert.
Bei gegebener Masse des Mehrwerts wird der eine dieser Teile um so größer sein, je kleiner der andere ist. Alle anderen Umstände als gleichbleibend genommen, bestimmt das Verhältnis, worin diese Teilung sich vollzieht, die Größe der Akkumulation.
Wer aber diese Teilung vornimmt, das ist der Eigentümer des Mehrwerts, der Kapitalist. Sie ist also sein Willensakt.“ K. Marx, Kapital I.: 617-618.

4. Umstände, welche unabhängig von der proportionellen Teilung des Mehrwerts in Kapital und Revenue den Umfang der Akkumulation bestimmen: Exploitationsgrad der Arbeitskraft - Produktivkraft der Arbeit - wachsende Differenz zwischen angewandtem und konsumiertem Kapital - Größe des vorgeschossenen Kapitals

„Das Verhältnis, wonach der Mehrwert sich in Kapital und Revenue spaltet, als gegeben vorausgesetzt, richtet sich die Größe des akkumulierten Kapitals offenbar nach der absoluten Größe des Mehrwerts...  Demnach wirken bei Bestimmung der Größe der Akkumulation alle die Umstände mit, die die Masse des Mehrwerts bestimmen. Wir fassen sie hier nochmals zusammen, aber nur insofern sie mit Bezug auf die Akkumulation neue Gesichtspunkt bieten.“ K. Marx, Kapital I.: 625-626.

Akkumulation ohne entsprechenden Kapitalvorschuss

1) durch Senkung des Lohns:

„Man erinnert sich, dass die Rate des Mehrwerts in erster Instanz abhängt vom Exploitationsgrad der Arbeitskraft. ...
In den Abschnitten über die Produktion des Mehrwerts wurde beständig unterstellt, dass der Arbeitslohn wenigstens gleich dem Wert der Arbeitskraft ist. Die gewaltsame Herabsetzung des Arbeitslohns unter diesen Wert spielt jedoch in der praktischen Bewegung eine zu wichtige Rolle, um uns nicht einen Augenblick dabei aufzuhalten. Sie verwandelt faktisch, innerhalb gewisser Grenzen, den notwendigen Konsumtionsfonds des Arbeiters in einen Akkumulationsfonds von Kapital.“ K. Marx, Kapital I.: 626

(Es folgen historische Argumente gegen den ‚Konsumterror‘, d.h. den „Luxuskonsum“ der Lohnarbeiter als unproduktive Ausgaben.
Der Keynsianismus und die linken Sozialdemokraten behaupten dagegen heute, dass jede Lohnerhöhung bzw. ‚Kaufkraftsteigerung’ ‚produktiv’ sei. )

2)durch Verlängerung des Arbeitstages:

„In einer Fabrikanlage mögen hundert Arbeiter bei achtstündiger Arbeit 800 Arbeitsstunden liefern. Will der Kapitalist diese Summe um die Hälfte steigern, so kann er 50 neue Arbeiter anstellen; dann muss er aber auch neues Kapital vorschießen, nicht nur für Löhne, sondern auch für Arbeitsmittel.
Er kann aber auch die alten 100 Arbeiter 12 Stunden arbeiten lassen statt 8, und dann genügen die schon vorhandenen Arbeitsmittel, die sich dann bloß rascher verschleißen. So kann durch höhere Anspannung der Arbeitskraft erzeugte, zusätzliche Arbeit das Mehrprodukt und den Mehrwert, die Substanz der Akkumulation, steigern ohne verhältnismäßige Steigerung des konstanten Kapitalteils.“ K. Marx, Kapital I.: 629-630.

3) durch verstärkte Ausbeutung der Natur:

„In der extraktiven Industrie, den Bergwerken z.B., bilden die Rohstoffe keinen Bestandteil des Kapitalvorschusses. Der Arbeitsgegenstand ist hier nicht Produkt vorhergegangener Arbeit, sondern von der Natur gratis geschenkt. So Metallerz, Minerale, Steinkohlen, Steine etc.
Hier besteht das konstante Kapital fast ausschließlich in Arbeitsmitteln, die ein vermehrtes Arbeitsquantum sehr gut vertragen können (Tag- und Nachtschicht von Arbeitern z.B.). Alle anderen Umstände gleichgesetzt, wird aber die Masse und Wert des Produkts steigen in direktem Verhältnis der angewandten Arbeit. ... Dank der Elastizität der Arbeitskraft  hat sich das Gebiet der Akkumulation erweitert ohne vorherige Vergrößerung des konstanten Kapitals....

Endlich in der eigentlichen Industrie setzt jede zusätzliche Ausgabe an Arbeit eine entsprechende Zusatzausgabe an Rohstoffen voraus, aber nicht notwendig auch von Arbeitsmitteln....“ K. Marx, Kapital I.: 630-631.

4) durch Steigerung der Produktivität:

„Ein andrer wichtiger Faktor in der Akkumulation des Kapitals ist der Produktivitätsgrad der gesellschaftlichen Arbeit.
Mit der Produktivkraft der Arbeit wächst die Produktenmasse, worin sich ein bestimmter Wert, also auch Mehrwert von gegebener Größe, darstellt.
Bei gleichbleibender und selbst bei fallender Rate des Mehrwerts, sofern sie nur langsamer fällt, als die Produktivkraft der Arbeit steigt, wächst die Masse des Mehrprodukts. Bei gleichbleibender Teilung desselben in Revenue und Zusatzkapital kann daher die Konsumtion des Kapitalisten wachsen ohne Abnahme des Akkumulationsfonds.“ K. Marx, Kapital I.: 631.

„Aber mit der wachsenden Produktivität der Arbeit geht, wie man gesehen, die Verbilligung des Arbeiters, also wachsende Rate des Mehrwerts, Hand in Hand, selbst wenn der reale Arbeitslohn steigt. Er steigt nie verhältnismäßig mit der Produktivität der Arbeit. Der selbe variable Kapitalwert setzt also mehr Arbeitskraft und daher mehr Arbeit in Bewegung.“ K. Marx, Kapital I.: 631.

„Derselbe konstante Kapitalwert stellt sich in mehr Produktionsmitteln ... dar, liefert also sowohl mehr Produktbildner als Wertbildner oder Arbeitseinsauger. Bei gleichbleibendem und selbst abnehmendem Wert des Zusatzkapitals findet daher beschleunigte Akkumulation statt.“ K. Marx, Kapital I.: 631.

5) durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt:

„Hat die Produktivkraft der Arbeit sich ... erweitert, und sie entwickelt sich fortwährend mit dem ununterbrochenen Fluss der Wissenschaft und Technik, so tritt wirkungsvollere und, ihren Leistungsumfang betrachtet, wohlfeilere Maschine, Werkzeug, Apparat usw. an die Stelle der alten. Das alte Kapital wird in einer produktiveren Form reproduziert. ...

Jeder Fortschritt der Chemie vermannigfacht nicht nur die Zahl der nützlichen Stoffe und die Nutzanwendung der schon bekannten, und dehnt daher mit dem Wachstum des Kapitals seine Anlagesphären aus.
Er lehrt zugleich die Exkremente des Produktions- und Konsumtionsprozesses in den Kreislauf des Reproduktionsprozesses zurückschleudern, schafft also ohne vorherige Kapitalauslage neuen Kapitalstoff.
Gleich vermehrter Ausbeutung des Naturreichtums durch bloß höhere Spannung der Arbeitskraft, bilden Wissenschaft und Technik eine von der gegebnen Größe des funktionierenden Kapitals unabhängige Potenz seiner Expansion. ...
Allerdings ist diese Entwicklung der Produktivkraft zugleich begleitet von teilweiser Entwertung funktionierender Kapitale.“ K. Marx, Kapital I.: 631-632.

7) durch wachsende Differenz zwischen konstantem und variablem Kapital, zwischen toter Arbeit (Produktionsmittel) und lebendiger Arbeit

„Die Arbeit überträgt auf das Produkt den Wert der von ihr konsumierten Produktionsmittel. Andererseits wächst Wert und Masse der durch gegebene Arbeitsmenge in Bewegung gesetzten Produktionsmittel im Verhältnis, wie die Arbeit produktiver wird.
Setzt also auch dieselbe Arbeitsmenge ihren Produkten immer nur dieselbe Summe Neuwert zu, so wächst doch der alte Kapitalwert, den sie ihnen gleichzeitig übertragen, mit steigender Produktivität der Arbeit.“ K. Marx, Kapital I.: 632.

 „Ein englischer und ein chinesischer Spinner z.B. mögen dieselbe Stundenzahl mit derselben Intensität arbeiten, so werden beide in einer Woche gleiche Werte erzeugen. Trotz dieser Gleichheit besteht ein ungeheurer Unterschied zwischen dem Wert des Wochenprodukts des Engländers, der mit einem gewaltigen Automaten arbeitet, und des Chinesen, der nur ein Spinnrad hat.
In derselben Zeit, wo der Chinese ein Pfund Baumwolle, verspinnt der Engländer mehrere hundert Pfund. Eine um mehrere hundert Mal größere Summe alter Werte schwellt den Wert seines Produkts an, in welchem sie in neuer nutzbarer Form erhalten werden und so von neuem als Kapital funktionieren können...“ K. Marx, Kapital I.: 633. 

„Es ist die Naturgabe der lebendigen Arbeit, alten Wert zu erhalten, während sie Neuwert schafft. Mit dem Wachstum von Wirksamkeit, Umfang und Wert ihrer Produktionsmittel, also mit der die Entwicklung ihrer Produktivkraft begleitenden Akkumulation, erhält und verewigt die Arbeit daher in stets neuer Form einen stets schwellenden Kapitalwert. Diese Naturgabe der Arbeit erscheint als Selbsterhaltungskraft des Kapitals... Alle Kräfte der Arbeit stellen sich als Kräfte des Kapitals dar...“ K. Marx, Kapital I.: 633-634

„Mit dem Wachstum des Kapitals wächst die Differenz zwischen angewandtem und konsumiertem Kapital. In andren Worten: Es wächst die Wert- und Stoffmasse der Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Maschinerie... Apparate jeder Art... Im Verhältnis, worin diese Arbeitsmittel als Produktbildner dienen, ohne dem Produkt Wert zuzusetzen, also ganz angewandt, aber nur teilweise konsumiert werden, leisten sie, wie früher erwähnt, denselben Gratisdienst wie Naturkräfte, Wasser, Dampf, Luft... usw. Dieser Gratisdienst der vergangen Arbeit, wenn ergriffen und beseelt von der lebendigen Arbeit, akkumuliert mit wachsender Stufenleiter der Akkumulation.“ K. Marx, Kapital I.: 635.

„Bei gegebnem Exploitationsgrad der Arbeitskraft ist die Masse des Mehrwerts bestimmt durch die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Arbeiter, und diese entspricht, obgleich in wechselndem Verhältnis, der Größe des Kapitals. Je mehr also das Kapital vermittelst sukzessiver Akkumulationen wächst, desto mehr wächst auch die Wertsumme, die sich in Konsumtionsfonds und Akkumulationsfonds spaltet. Der Kapitalist kann daher flotter leben und zugleich mehr ‚entsagen‘.“ K. Marx, Kapital I.: 635-636.

 

„Allgemeines Resultat: Indem das Kapital sich die beiden Urbildner des Reichtums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine Expansionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigene Größe gesteckten Grenzen....“ K. Marx, Kapital I.: 631.

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände online verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.
Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht.
Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt.
Jeder einzelne Textabschnitt enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.
Jedem neuen Abschnitt geht eine Zusammenfassung des vorherigen Abschnitts voran.
Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben  modernisiert. Alle diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Rückfragen zum Text werde ich möglichst rasch beantworten. Kritik und Anregungen sind jederzeit willkommen.
Die bisher veröffentlichten Teile des Kapitals sind im Marx-Forum unter www.marx-forum.de nachzulesen.
Wal Buchenberg.