Kapital 1.: 553 - 556

15. Kapitel: Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert.

Hatte Marx in den vorherigen Kapiteln den historischen Gang der kapitalistischen Entwicklung aufgezeigt, so stellt er jetzt theoretisch die Auswirkungen dar, die das auf die beiden Hauptklassen unserer Gesellschaft, Proletariat (= produktive Arbeiter) und Kapitalisten, haben muss.
Da die Produktmenge eines Arbeitstages und das darin verkörperte Wertprodukt sich in verschiedene Richtungen entwickeln können, so auch die Menge der Produkte, die in den Konsum der Arbeiter eingehen, und der Wert der Ware Arbeitskraft, die sich in dieser Menge verkörpert.
Die Produktmenge, die in den Konsum der Lohnarbeiter eingeht, bestimmt ihren Lebensstandard. Der Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt die Ausbeutungsrate.
Der Lebensstandard (= Konsummenge) der Arbeiter kann steigen, fallen oder gleich bleiben, wenn ihre Ausbeutung zunimmt, fällt oder gleich bleibt.
Um das zu verstehen, muss man dieses 15.  Kapitel verstanden haben.

1. Größe des Arbeitstages und Intensität der Arbeit konstant, Produktivität der Arbeit variabel.

Das war die Situation, die wir zum Beispiel in den 50er und 60er Jahren in Deutschland hatten: Die Arbeitszeit wurde nicht verändert, und die Produktivität stieg.
Als Ergebnis konnte die Menge der Produkte zunehmen, die in den Konsum der Arbeiter einging, ohne dass damit der Wert der Ware Arbeitskraft stieg, weil die Arbeiter mit gleichem oder geringerem Kraftaufwand in gleicher Zeit eine größere Masse von Produkten produzierten. Ein Teil dieser zusätzlichen Produktmenge ging in den Konsum der Arbeiter ein. Diese  zusätzliche Produktmenge repräsentierte aber weniger Wert, als die Arbeitskraft an Wert verloren hatte. Der Mehrwert der Kapitalisten und damit die Ausbeutung stieg.

2. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivität der Arbeit, Intensität der Arbeit steigt.

Das versuchen die Kapitalisten ständig: Statt mit einer Hand, soll man mit zwei Händen arbeiten. Während man eine Sache macht, soll man schon an die nächste Sache vorausdenken usw.
Auch hier kann der Lohn für solche Maloche steigen, ohne dass man wirklich „mehr bezahlt“ bekommt, weil durch die intensivierte Arbeit nicht nur die hergestellte Produktmenge, sondern auch die produzierte Wertgröße steigt. Dieser Extrawert fällt ganz an das Kapital, soweit er nicht zum Teil als Lohnerhöhung an die Arbeiter zurückgegeben wird.
3. Produktivkraft und Intensität konstant, Arbeitstag variabel.

Z.B. Verkürzungen des Arbeitstages auf 35 Stunden. Marx kommentierte diese Konstellation:

„Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkürzung des Arbeitstags unterstellen, dass das Phänomen sich unter den hier vorausgesetzten Umständen ereignet, während in der Wirklichkeit umgekehrt Wechsel in der Produktivität und Intensität der Arbeit entweder der Verkürzung des Arbeitstags vorhergehen oder ihr unmittelbar nachfolgen.“ K. Marx, Kapital I.: 548.

 

16. Kapitel

Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts

„Man hat gesehen, dass die Rate des Mehrwerts sich darstellt in den Formeln:

I. ‚Mehrwert : variables Kapital (m : v)’ = ‚Mehrwert : Wert der Arbeitskraft’ = ‚Mehrarbeit : notwendige Arbeit’.

Die zwei ersten Formeln stellen als Verhältnis von Werten dar, was die dritte als Verhältnis der Zeiten darstellt, worin diese Werte produziert werden.

Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich streng. Man findet sie daher wohl der Sache nach, aber nicht bewusst ausgearbeitet in der klassischen politischen Ökonomie. Hier begegnen wir dagegen den folgenden abgeleiteten Formeln:

II. ‚Mehrarbeit : Arbeitstag’ = ‚Mehrwert : Produktenwert’ = ‚Mehrprodukt : Gesamtprodukt’.

Eine und dieselbe Proportion ist hier abwechselnd ausgedrückt in der Form der Arbeitszeiten, der Werte, worin sie sich verkörpern, der Produkte, worin diese Werte existieren. ...

In allen diesen Formeln ist der wirkliche Ausbeutungsgrad der Arbeit oder die Rate des Mehrwerts falsch ausgedrückt.“ K. Marx, Kapital I.: 553.

„Der Arbeitstag sei 8 Stunden. Mit den anderen Annahmen unseres früheren Beispiels stellt sich in diesem Fall der wirkliche Ausbeutungsgrad der Arbeit dar in den Proportionen:

4 Stunden Mehrarbeit : 4 Stunden notwendige Arbeit’ = ‚Mehrwert von 100 Euro : variables Kapital von 100 Euro’ = 1 : 1 = 100 %.

Nach den Formeln von II erhalten wir dagegen:

4 Stunden Mehrarbeit : Arbeitstag von 8 Stunden’ = ‚Mehrwert von 100 Euro : Wertprodukt von 200 Euro’ = 1 : 2 = 50%.“ K. Marx, Kapital I.: 553.

„Die Darstellung von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft als Bruchteilen des Wertprodukts - eine Darstellungsweise, die übrigens aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und deren Bedeutung sich später erschließen wird - versteckt den spezifischen Charakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch des variablen Kapitals mit der lebendigen Arbeitskraft und den entsprechenden Ausschluss des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche Schein eines Assoziationsverhältnisses, worin Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach dem Verhältnis seiner verschiedenen Bildungsfaktoren teilen.“ K. Marx, Kapital I.: 553.

Anm. 19: „Da alle entwickelten Formen des kapitalistischen Produktionsprozesses Formen der Kooperation sind, ist natürlich nichts leichter, als von ihrem spezifisch antagonistischen Charakter zu abstrahieren und sie so in freie Assoziationsformen umzudichten... “ K. Marx, Kapital I.: 555.

„Übrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I rückverwandelbar.“ K. Marx, Kapital I.: 555.

„Eine dritte Formel, die ich gelegentlich schon vorweg genommen habe, ist:

III. ‚Mehrwert : Wert der Arbeitskraft’ = ‚Mehrarbeit : notwendige Arbeit’ = ‚unbezahlte Arbeit : bezahlte Arbeit’. ...

Unbezahlte Arbeit : bezahlte Arbeit ist nur ein populärer Ausdruck für ‚Mehrarbeit : notwendiger Arbeit’.“ K. Marx, Kapital I.: 556.

„In der Periode der Mehrarbeit ...  bildet die Nutznießung der Arbeitskraft Wert für den Kapitalisten, ohne ihm einen Wertersatz zu kosten. Er hat diese Flüssigmachung der Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn kann die Mehrarbeit unbezahlte Arbeit heißen. Das Kapital ist also nicht nur Kommando über Arbeit, wie A. Smith sagt. Es ist wesentlich Kommando über unbezahlte Arbeit.

Aller Mehrwert in welcher besonderen Gestalt von Profit, Zins, Rente usw. er sich später kristallisiere, ist seiner Substanz nach Verkörperung unbezahlter Arbeitszeit. Das Geheimnis von der Selbstverwertung des Kapitals löst sich auf in seine Verfügung über ein bestimmtes Quantum unbezahlter fremder Arbeit.“ K. Marx, Kapital I.: 556.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg