Kapital 1.542 - 552.

14. Kapitel: Absoluter und relativer Mehrwert

Anfangs hatte Marx ‚produktive Arbeit’ als Arbeit bestimmt, die unter Verwendung von Produktionsmitteln ein Produkt hervorbringt.

Die Richtigkeit dieser Definition wurd durch die historische Entwicklungen eingeschränkt: Einerseits entwickelt sich die betriebliche und gesellschaftliche Arbeitsteilung, sodass ein Produkt nicht mehr das Produkt eines Einzelnen ist. Ein produktiver Arbeiter ist also nicht mehr der alleinige Produzent eines Produkts, sondern vielleicht nur an irgendeiner Stelle am Produktionsprozesses beteiligt, (z.B. in der Neuentwicklung eines Produkts oder eines Produktionsverfahrens) ohne „selbst Hand anzulegen.“ Zweitens genügt diese erste Definition nicht mehr, weil es im Kapitalismus sich nicht darum handelt, irgendwelche Produkte herzustellen, sondern mit diesen Produkten Mehrwert zu produzieren.

Produktive Arbeit ist also erstens Arbeit, die irgendeine Teilfunktion im Produktionsprozess erfüllt und zweitens eine Arbeit, die Mehrwert produziert, also ausgebeutet wird. Produktiver Arbeiter - oder Proletarier - sind also keineswegs nur die Leute mit Schwielen an den Händen.

„Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsprozess Kopfarbeit und Handarbeit.“ K. Marx, Kapital I.: 531. Zwar verteilt der moderne Produktionsprozess Hand- und Kopfarbeit immer noch an unterschiedliche Individuen, aber der Gesamtprozess der Produktion vereint beide. Daher sind notwendig im modernen Proletariat Hand- und Kopfarbeit vereint.

Ausbeutung geschieht durch die Produktion von absolutem und relativem Mehrwert. Absoluter Mehrwert wird produziert, wenn ein unfreier Arbeiter über den Zeitpunkt hinausarbeitet, an dem er den Gegenwert für seinen Lebensunterhalt geschaffen hat.

Relativer Mehrwert wird produziert, wenn die Zeitdauer, in der ein unfreier Arbeiter die notwendige Arbeit für seinen Lebensunterhalt leistet, verkürzt wird.

Die Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit geschieht vor allem durch Steigerung der Produktivität der Arbeit und Steigerung der Intensität der Arbeit, aber auch durch Senkung des Lohns unter den Wert der Arbeitskraft.

15. Kapitel

Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert

„Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert der gewohnheitsmäßig notwendigen Lebensmittel des Durchschnittsarbeiters. Die Masse dieser Lebensmittel, obgleich ihre Form wechseln mag, ist in einer bestimmten Epoche einer bestimmten Gesellschaft gegeben und daher als konstante Größe zu behandeln. Was wechselt ist der Wert dieser Masse.

Zwei andre Faktoren gehen in die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein. Einerseits ihre Entwicklungskosten, die sich mit der Produktionsweise ändern, andrerseits ihre Naturdifferenz, ob sie männlich oder weiblich, reif oder unreif. Der Verbrauch dieser unterschiedlichen Arbeitskräfte ... macht großen Unterschied in den Reproduktionskosten der Arbeiterfamilie und dem Wert des erwachsenen männlichen Arbeiters.

Beide Faktoren bleiben jedoch bei der folgenden Untersuchung ausgeschlossen.“ K. Marx, Kapital I.: 542.

„Wir unterstellen, 1. dass die Waren zu ihrem Wert verkauft werden, 2. dass der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich über ihren Wert steigt, aber nie unter ihn sinkt.

Dies einmal unterstellt, fand sich, dass die relativen Größen von Preis der Arbeitskraft und von Mehrwert durch drei Umstände bedingt sind: 1. die Länge des Arbeitstags oder die extensive Größe der Arbeit; 2. die normale Intensität der Arbeit oder ihre intensive Größe, so dass ein bestimmtes Arbeitsquantum in bestimmter Zeit verausgabt wird; 3. endlich die Produktivität der Arbeit, so dass je nach dem Entwicklungsgrad der Produktionsbedingungen dasselbe Qantum Arbeit in derselben Zeit ein größeres oder kleineres Quantum Produkt liefert. “ K. Marx, Kapital I.: 542.

„Sehr verschiedne Kombinationen sind offenbar möglich, je nachdem einer der drei Faktoren konstant und zwei variabel, oder zwei Faktoren konstant und einer variabel.

Diese Kombinationen werden noch dadurch vermannigfacht, dass bei gleichzeitiger Variation verschiedener Faktoren die Größe und Richtung der Variation verschieden sein können.

Im folgenden sind nur die Hauptkombinationen dargestellt.“ K. Marx, Kapital I.: 543

I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit konstant, Produktivität der Arbeit variabel

„Unter dieser Voraussetzung sind Wert der Arbeitskraft und Mehrwert durch drei Gesetze bestimmt.

Erstens: Der Arbeitstag von gegebner Größe stellt sich stets in demselben Wertprodukt dar, wie auch die Produktivität der Arbeit, mit ihr die Produktenmasse und daher der Preis der einzelnen Ware wechsle.

Das Wertprodukt eines achtstündigen Arbeitstages ist 200 Euro z.B., obgleich die Masse der produzierten Gebrauchswerte mit der Produktivkraft der Arbeit wechselt, der Wert von 200 Euro sich also über mehr oder weniger Waren verteilt.

Zweitens: Wert der Arbeitskraft und Mehrwert wechseln in umgekehrter Richtung zueinander. ...  Es ist unmöglich, dass sie gleichzeitig fallen oder steigen. ...

Der Wert der Arbeitskraft kann ferner nicht fallen, also der Mehrwert nicht steigen, ohne dass die Produktivkraft der Arbeit steigt...“ K. Marx, Kapital I.: 543.

„Drittens: Zu- oder Abnahme des Mehrwerts ist stets Folge und nie Grund der entsprechenden Ab- und Zunahme des Werts der Arbeitskraft.“ K. Marx, Kapital I.: 544.

„Wenn man daher gesehen, dass kein absoluter Größenwechsel im Wert der Arbeitskraft und des Mehrwerts möglich ist ohne einen Wechsel ihrer relativen Größen, so folgt jetzt, dass kein Wechsel ihrer relativen Wertgrößen möglich ist ohne einen Wechsel in der absoluten Wertgröße der Arbeitskraft.“ K. Marx, Kapital I.: 545.

„Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert eines bestimmten Quantums von Lebensmitteln. Was mit der Produktivkraft der Arbeit wechselt, ist der Wert dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse. Die Masse selbst kann, bei steigender Produktivkraft der Arbeit, für Arbeiter und Kapitalist gleichzeitig und in demselben Verhältnis wachsen ohne irgendeinen Größenwechsel zwischen Preis der Arbeitskraft und Mehrwert.“ K. Marx, Kapital I.: 545.

„Der Preis der Arbeitskraft könnte so bei steigender Produktivkraft der Arbeit beständig fallen mit gleichzeitigem, fortwährendem Wachstum der Lebensmittelmasse des Arbeiters.

Relativ aber, d. h. verglichen mit dem Mehrwert, sänke der Wert der Arbeitskraft beständig und erweiterte sich also die Kluft zwischen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist." K. Marx, Kapital I.: 546.

„Man weiß, dass mit vorübergehenden Ausnahmen ein Wechsel in der Produktivität der Arbeit nur dann einen Wechsel in der Wertgröße der Arbeitskraft und daher in der Größe des Mehrwerts bewirkt, wenn die Produkte der betroffenen Industriezweige in den gewohnheitsmäßigen Konsum des Arbeiters eingehen.“ K. Marx, Kapital I.: 547-548.

„Ricardo hat die oben aufgestellten drei Gesetze zuerst streng formuliert.“ K. Marx, Kapital I.: 546.

II. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivität der Arbeit, Intensität der Arbeit variabel

„Wachsende Intensität der Arbeit unterstellt vermehrte Ausgabe von Arbeit in demselben Zeitraum. Der intensivere Arbeitstag verkörpert sich daher in mehr Produkten als der minder intensive von gleicher Stundenzahl. Mit erhöhter Produktivkraft liefert zwar auch derselbe Arbeitstag mehr Produkte.

Aber im letzteren Fall (der steigenden Produktivität) sinkt der Wert des einzelnen Produkts, weil es weniger Arbeit als vorher kostet, im ersteren Fall (der steigenden Arbeitsintensität) bleibt er unverändert, weil das Produkt nach wie vor gleich viel Arbeit kostet. Die Anzahl der Produkte steigt hier ohne Fall ihres Preises. ...

Bei gleichbleibender Stundenzahl verkörpert sich also der intensivere Arbeitstag in höherem Wertprodukt.“ K. Marx, Kapital I.: 547

„Es ist klar: Variiert das Wertprodukt des Arbeitstags, etwa von 100 auf 125 Euro usw., so können beide Teile dieses Wertprodukts, Preis der Arbeitskraft und Mehrwert, gleichzeitig wachsen, sei es in gleichem oder ungleichem Grad. ...

Preiserhöhung der Arbeitskraft schließt hier nicht notwendig Steigerung ihres Preises über ihren Wert ein. Sie kann umgekehrt von einem Fall unter ihren Wert begleitet sein. Dies findet stets statt, wenn die Preiserhöhung der Arbeitskraft ihren beschleunigten Verschleiß nicht kompensiert.“ K. Marx, Kapital I.: 547.

„...Die durchschnittlichen Intensitätsgrade der Arbeit ...sind... bei verschiedenen Nationen unterschieden und modifizierten daher die Anwendung des Wertgesetzes auf unterschiedne Nationalarbeitstage. Der intensivere Arbeitstag der einen Nation stellt sich in höherem Geldausdruck dar als der minder intensive der andren.“ K. Marx, Kapital I.: 548.

III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant, Arbeitstag variabel

„Der Arbeitstag kann nach zwei Richtungen variieren. Er kann verkürzt oder verlängert werden.

1. Verkürzung des Arbeitstages unter den gegebenen Bedingungen... lässt den Wert der Arbeitskraft und daher die notwendige Arbeitszeit unverändert. Sie verkürzt die Mehrarbeit und den Mehrwert.“ K. Marx, Kapital I.: 548.

„Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkürzung des Arbeitstags unterstellen, dass das Phänomen sich unter den hier vorausgesetzten Umständen ereignet, während in der Wirklichkeit umgekehrt Wechsel in der Produktivität und Intensität der Arbeit entweder der Verkürzung des Arbeitstags vorhergehen oder ihr unmittelbar nachfolgen.“ K. Marx, Kapital I.: 548.

„2. Verlängerung des Arbeitstags:
Die notwendige Arbeitszeit sei 4 Stunden oder der Wert der Arbeitskraft 100 Euro, ebenso Mehrarbeit 4 Stunden und stellt sich in einem Wertprodukt von 200 Euro dar. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert und bleibt der Preis der Arbeitskraft unverändert, so wächst mit der absoluten die relative Größe des Mehrwerts.

Obgleich die Wertgröße der Arbeitskraft absolut unverändert bleibt, fällt sie relativ. ...

Da das Wertprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner eignen Verlängerung wächst, können Preis der Arbeitskraft und Mehrwert gleichzeitig wachsen, sei es um einen gleichen oder ungleichen Zuwachs.“ K. Marx, Kapital I.: 549. (Das Wertprodukt des um zwei Stunden verlängerten Arbeitstages ist 250 Euro. Nur falls der Lohn um 25 Euro stiege, bliebe die Ausbeutungsrate dieselbe.)

„Bis zu einem gewissen Punkt kann der von Verlängerung des Arbeitstags untrennbare größere Verschleiß der Arbeitskraft durch größeren Ersatz kompensiert werden. Über diesen Punkt hinaus wächst der Verschleiß in geometrischer Progression und werden zugleich alle normalen Reproduktions- und Betätigungsbedingungen der Arbeitskraft zerstört.“ K. Marx, Kapital I.: 549

IV. Gleichzeitige Variation in Dauer, Produktivkraft und Intensität der Arbeit

„Es ist hier offenbar eine große Anzahl Kombinationen möglich. Je zwei Faktoren können variieren und einer konstant bleiben, oder alle drei können gleichzeitig variieren. Sie können in gleichem oder ungleichem Grad variieren, in derselben oder entgegengesetzten Richtung, ihre Variationen sich daher teilweise oder ganz aufheben.

Indes ist die Analyse aller möglichen Fälle nach den unter I, II und III gegebenen Aufschlüssen leicht. Man findet das Resultat jeder möglichen Kombination, indem man der Reihe nach je einen Faktor als variabel und die andren zunächst als konstant behandelt.

Wir nehmen hier daher nur noch kurze Notiz von zwei wichtigen Fällen.

1. Abnehmende Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger Verlängerung des Arbeitstages: Wenn wir hier von abnehmender Produktivkraft der Arbeit sprechen, so handelt es sich von Arbeitszweigen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also z.B. ... infolge zunehmender Unfruchtbarkeit des Bodens und entsprechender Verteuerung der Bodenprodukte.

(Beispiel: Arbeitstag 8 Std., Wertprodukt 200, wovon je 100 den Wert der Arbeitskraft und den Mehrwert darstellen. Durch Verteuerung der Lebensmittel steige der Wert der Arbeitskraft auf 125, die notwendige Arbeitszeit von 4 auf 5 Stunden. Der Mehrwert schrumpft bei gleicher Arbeitszeit auf 75.)

„2. Zunehmende Intensität und Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger Verkürzung des Arbeitstags:

Gesteigerte Produktivkraft der Arbeit und ihre wachsende Intensität wirken nach einer Seite hin gleichförmig. Beide vermehren die in jedem Zeitabschnitt erzielte Produktenmasse. Beide verkürzen also den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter zur Produktion seiner Lebensmittel oder ihres Äquivalents (einer ihnen gleichen Wertsumme) braucht.“

 „Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde letztre, unter sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer. Andrerseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nötige Arbeit.“ K. Marx, Kapital I.: 552.

„Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftlicher Betätigung der Individuen eroberte Zeitteil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschicht die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- und einer andren Schicht zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse produziert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I.: 552.

 

Zur Methode dieser Online-Lektüre:

Diese Kurzfassung aller drei Kapital-Bände verzichtet auf die Vertiefung von Einzelfragen, bietet aber den vollständigen Gedankengang von Marx' Hauptwerk im Zusammenhang und in seinen eigenen Worten.

Jedem neuen Abschnitt wird eine Zusammenfassung des bisherigen Gedankengangs vorangestellt.

Wo es dem Verständnis dient, wurden Fremdwörter, Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele modernisiert.

Diese und andere Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Punkte  ...  kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Marx sind normal fett gedruckt. Jedes Zitat enthält die Seitenangabe der Marx-Engels-Werke, Bände 23 - 25.

Wal Buchenberg